ELEKTRA

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EINFÜHRUNG

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Anfang September 1901 las Hugo von Hofmannsthal als vorbereitende Lektüre für sein geplantes Drama «Pompilia oder das Leben» u.a. die Elektra von Sophokles, woraufhin er den Entschluss fasste, eine eigene, andere Elektra zu schreiben. Die Rückbesinnung auf antike Mythen begründete Hofmannsthal damit, dass «ein gut Teil unserer poetischen Arbeit die Auflösung erstarrter Mythen, vermenschlichter Natursymbole in ihre Bestandteile, eigentlich Analyse, ist». Ist der Mythos in seiner Zeit- und Ereignisdimension bekannt, kann sich die literarische Bearbeitung auf die Freilegung seiner Tiefendimension richten. Gerade die Vieldeutigkeit antiker Mythen, deren Schichten Unbestimmtheitsstellen bzw. Deutungsspielräume enthalten, fordert bis in unsere Zeit immer wieder zur Auseinandersetzung heraus, um deren Sinnpotential in neuer Weise zu entfalten.

Dass seine «Analyse» nicht philologischen Intentionen folgen konnte, kristallisierte sich für den Dichter bald heraus: «Der Versuch, den Elektrastoff zunächst in einem scheinbaren Anlehnungsverhältnis an Sophokles aus einem Gegenstand des Bildungsinteresses zu einem Gegenstand der Emotion zu machen, war jugendlich und verlief problematisch; aus einer Bearbeitung wurde eine neue, durchaus persönliche Dichtung.» Für sein Drama habe er – so Hofmannsthal – «die Gestalten nicht berührt. Nur den Mantel von Worten, den ihr bronzenes Dasein um hat, habe ich anders gefaltet, so dass die advokatorischen Stellen ins Dunkel gebracht und die poetischen, ans Gemüt sprechenden vom Licht ausgebreitet daliegen. Uns sind tragische Figuren wie Taucher, die wir in die Abgründe des Lebens hinablassen – magische Figuren sind sie, wie der Schlüssel Salomonis, die uns die Kreise der Hölle aufschliessen.»

Von Juli bis Mitte August 1903 schrieb Hofmannsthal in Rodaun seine Elektra nieder; die Uraufführung am 30. Oktober 1903 in Berlin mit Gertrud Eysoldt in der Titelrolle erregte die Gemüter. Alfred Kerr nannte das Stück eine «Phantasie auf der Beil-Saite» und Kurt Aram einen «steilen Totenrasetanz der Dekadentengrausamkeit». Dennoch oder deshalb nahmen innerhalb von vier Tagen 22 Bühnen die «Tragödie frei nach Sophokles» zur Aufführung an, drei Auflagen des Buches waren rasch vergriffen.

Richard Strauss, der schon als Schüler Verse aus dem III. Stasion der Elektra von Sophokles vertont hatte, erkannte in Hofmannsthals «genialer Dichtung», die er 1906 in Berlin kennenlernte, «den glänzenden Operntext» und seine anfänglichen Bedenken gegenüber einem der Salome in vielem so ähnlichen Stoff wusste Hofmannsthal zu zerstreuen. So kürzte der Komponist das Sprechdrama mit Zustimmung des Dichters zunächst «für den Hausgebrauch», im Verlauf der zweieinhalbjährigen Zusammenarbeit brachte auch Hofmannsthal eigene Strichvorschläge ein, so dass letztlich eine eigenständige Musiktheaterfassung entstand, die der durch Musik möglichen Metamorphose des Wortes Raum gab. Im Dezember 1906 liess Hofmannsthal seinen Vater wissen, dass seine Dichtung durch die Musik mehr gewinne als verliere.

Die Reaktionen von Publikum und Presse bei der Uraufführung in Dresden am 25. Januar 1909 waren distanziert und bei dem naheliegenden Vergleich mit Straussens Salome schnitt die Elektra schlechter ab. Kritisiert wurde in erster Linie, dass Strauss «abermals zu einem so grausigen und entsetzlichen Stoff griff, nachdem er doch schon mit Salome dem blutrünstigen, auf pathologische Anomalien und nervenpeitschende Erregungen lüsternen Geschmack unserer Zeitgenossen ein dampfendes Opfer gebracht hatte» («Die Musik», 8. Jg. 1909). Aber auch die Musik empfanden die meisten als verstörend, sogar von «Stimmenmord» war die Rede. Doch wie zuvor beim Sprechdrama konnten die Negativstimmen den Erfolg der Oper nicht verhindern. Der Uraufführung folgten rasch Inszenierungen an anderen grossen Bühnen und noch in derselben Spielzeit gelangte «Elektra» in Deutschland und Österreich über hundertmal zur Aufführung. Und Richard Strauss konstatierte im Rückblick zufrieden: «Elektra ist sogar noch eine Steigerung geworden in der Geschlossenheit des Aufbaus, in der Gewalt der Steigerungen, und ich möchte fast sagen: Sie verhält sich zu Salome wie der vollendete stileinheitlichere Lohengrin zum genialen Erstlingsentwurf des Tannhäuser. Beide Opern stehen in meinem Lebenswerk vereinzelt da: Ich bin in ihnen bis an die äussersten Grenzen der Harmonik, psychischer Polyphonie und Aufnahmefähigkeit heutiger Ohren gegangen.»

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