"La Gioconda" Amilcare Poncielli

 

>Als im Jahre 1856 Amilcare Ponchiellis erste Oper, «I Promessi sposi», ohne grössere Resonanz in Cremona uraufgeführt wurde, hatten Verdis Meisterwerke der mittleren Schaffensperiode, «Rigoletto», «Il Trovatore» und «La Traviata», bereits ihren festen Platz im Repertoire der europäischen Bühnen gefunden und standen die Opern von Rossini, Bellini und Donizetti weiterhin hoch in der Gunst zumindest des italienischen Publikums. Im Vergleich mit diesen gefeierten Hauptrepräsentanten der italienischen Oper des 19. und 20. Jahrhunderts ist Ponchiellis Musikerkarriere weit weniger glanzvoll verlaufen. Von den insgesamt zehn Opern des Komponisten, von denen die letzte unvollendet blieb, konnte einzig «La Gioconda» einen wirklich grossen und nachhaltigen Erfolg verzeichnen, die allegorische Balletteinlage aus dem 4. Akt, der «Tanz der Stunden», gar Wunschkonzert-Popularität erlangen.

1834 in der Nähe von Cremona geboren, wurde Amilcare Ponchielli bereits im Alter von neun Jahren zum Studium am Mailänder Konservatorium zugelassen. Nach elfjähriger Ausbildung war er zunächst als Organist in Cremona und später als Leiter einer Blaskapelle in Piacenza und Domkapellmeister in Bergamo tätig. 1880 erhielt er eine Berufung als Professor für Komposition an das Mailänder Konservatorium. In Mailand wurden auch die meisten seiner Opern uraufgeführt. Als Ponchielli 1886 im Alter von knapp 52 Jahren starb, wurde sein Sarg von seinen Konservatoriumsschülern zu Grabe getragen, von denen einer später Weltberühmtheit erlangen sollte: Giacomo Puccini. Für ihn hatte Ponchielli einen Librettisten für seinen Opernerstling «Le Villi» gefunden und dessen Aufführung gesichert, die er noch erleben durfte. Als Lehrer genoss Ponchielli grosses Ansehen und war äusserst beliebt. Ein anderer seiner Schüler, Pietro Mascagni, beschreibt ihn in seinen Memoiren als uneigennützigen und überaus liebenswürdigen Förderer und Berater.

Das Libretto von Ponchiellis Oper «La Gioconda» basiert auf dem 1835 in Paris uraufgeführten Drama «Angelo, tyran de Padoue» des französischen Romantikers Victor Hugo, dessen Bühnenwerke Anregung für eine grosse Zahl von Opernkompositionen gaben. So wurde allein «Angelo» insgesamt sechsmal vertont, vor Ponchielli von Saverio Mercadante (1837), Gaspar Villate (1867) und César Cui (Februar 1876), nach Ponchielli von Eugen d¹Albert (1902) und Alfred Bruneau (1928). Ob dieser Stoff von Ponchiellis Verleger Giulio Ricordi oder vom Librettisten Arrigo Boito angeregt wurde, ist nicht bekannt, jedenfalls hatte der Komponist von Anfang an zahlreiche Einwände gegen das Textbuch, dessen erste Fassung ihm Ende des Jahres 1874 in Teilen vorlag. Boito, Textautor der späten Verdi-Opern «Otello» und «Falstaff», hatte als Librettist und Komponist seiner Oper «Mefistofele» völlig eigenwillige Wege im italienischen Musiktheater eingeschlagen. Seine literarischen und dramaturgischen Ansprüche, die sicher zum Fiasko, das sein Werk 1868 an der Mailänder Scala erlitten hatte, beitrugen, erfüllten Ponchielli mit grossen Bedenken, die er seinem Verleger Ricordi anvertraute: «Ich lese und lese immer wieder die beiden Akte Boitos, die ich sehr schön finde. Aber ich fürchte, dass die Musik in ihrer Schwierigkeit dem Libretto entsprechen wird: nicht einfach im Stil und mit geringer Aussicht auf Erfolg. So frage ich mich: Und das Publikum?... Ich glaube, dass man für ein italienisches Publikum nicht zuviel Sorgfalt auf das Drama verwenden sollte, denn sonst müsste man auf Rhythmen verfallen, die nicht eingängig sind... Die richtige Deklamation, die Gestik und all das, was den Darsteller ausmacht und für das Drama unabdingbar ist, findet sich eher in einer der letzten Schauspieltruppen als in einer der ersten Sängerkompanien. Darum muss man sich sehr an die sangbare Musik halten, obwohl man meiner Meinung nach auch dabei gegen längst abgenutzte Rhythmen und Begleitformeln ankämpfen sollte.»

Arrigo Boito, der für das «Gioconda»-Libretto, wie oft auch für andere literarische Produkte und Musikkritiken, das Anagramm seines Namens Tobia Gorrio verwendete, nahm an Victor Hugos Dramenvorlage tiefgreifende Änderungen in bezug auf den Schauplatz (Venedig statt Padua), die Personennamen (sämtliche geändert) und die Handlung vor. Im Zentrum des Geschehens stehen drei unglückliche Liebesbeziehungen: Barnaba liebt (nicht wiedergeliebt) Gioconda, Gioconda liebt (nicht wiedergeliebt) Enzo. Enzo liebt (wiedergeliebt) Laura, die mit dem von ihr ungeliebten Alvise verheiratet ist. Gioconda verzichtet schliesslich zugunsten von Enzo und Laura auf ihre Liebe und gibt sich selbst den Tod, um sich der erzwungenen Hingabe an den ihr verhassten Barnaba zu entziehen. Ponchielli hat in seiner Komposition diesen sehr intimen Aspekt der Handlung, die fatalen Personenkonstellationen, betont, ohne den Figuren eine allzu tiefschürfende psychologische Untermauerung zu geben, mit Ausnahme von Barnaba, der in seiner zynischen Abgründigkeit an so vielschichtige Gestalten wie Verdis Jago und Puccinis Scarpia erinnert. Ansonsten zeigt Ponchiellis Musik mit gross angelegten Chorszenen, Ensembles und Finali, Balletteinlagen und opulentem szenischem Aufwand starke Affinität zur französischen Grand Opéra. Auch der politische Aspekt ist in «La Gioconda» vorhanden, tritt aber hinter den privaten Affekten zurück. Ponchielli gestaltet effektvolle Situationen, deren unverhüllte Grausamkeit bereits Tendenzen des späteren Verismo vorwegnehmen, aber auch innig-lyrische Passagen fehlen in seiner Oper nicht.

Obwohl er grosse Vorbehalte gegenüber der Textvorlage hatte, die er sich «flüssiger und leichter» wünschte, nahm Ponchielli nach Boitos Fertigstellung des Librettos unverzüglich die Komposition auf, doch wurde der Arbeitsprozess durch nicht endenwollende Änderungsvorschläge des Komponisten empfindlich behindert und verzögert. Mitunter äusserte Ponchielli seine Kritik in hartem, brüskierendem Ton. So forderte er seinen Verleger auf: «Bitten Sie Boito, mir die Worte der Romanze Cielo e mar zu erweitern. Enzo macht nichts anderes, als O goldene Träume zu wiederholen, und wenn dies dauernd geschieht, fürchte ich, dass diese Träume zu Pappmaché werden.» Boito selbst fand immer wieder aufmuntende Worte für den verunsicherten Komponisten: «Verlier nicht den Mut und nutze den günstigen Wind der Phantasie. Ich bin fest überzeugt, dass La Gioconda uns beide sehr giocondi(=heiter) machen wird.

Trotz aller Probleme schaffte es Ponchielli schliesslich, seine Oper rechtzeitig zu beenden, um sie am 8. April 1876 als letzte Produktion der Spielzeit ­ unter der musikalischen Leitung von Franco Faccio und in der Regie von Giulio Ricordi ­ an der Mailänder Scala herausbringen zu können. Während «La Gioconda» beinahe uneingeschränkten Beifall beim Publikum fand, liess die Presse auch kritische Stimmen vernehmen, die jedoch vorwiegend Boitos Libretto betrafen und somit Ponchiellis Bedenken in bezug auf dessen Länge, Kompliziertheit und artifiziellen Stil indirekt bestätigten. Die Mühen, die Ponchielli von Anfang an mit dem «Gioconda»-Stoff hatte, waren mit der Première noch nicht zu Ende. Die Oper sollte ihn noch weitere vier Jahre beschäftigen und daraus zahlreiche Änderungen und Kürzungen resultieren, die schliesslich 1880 zur fünften, endgültigen Fassung führten.