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ÜBER SPOERLIS CHOREOGRAPHIE
ANDREAS REINHARDT

MAGAZIN OPERNHAUS ZÜRICH

Testo pubblicato per gentile concessione della
direzione della Dramaturgie che il curatore
di questa Web Site ringrazia di cuore.


© Opernhaus Zürich

In beiden Choreographien setzt Heinz Spoerli auf Abstraktion, die durch verschiedene Beziehungen durchbrochen wird. Heinz Spoerli begreift seine Arbeit als eine Bewegungspartitur. Er interpretiert im Sinne Balanchines allein mit tänzerischen Mitteln die Kompositionen als bewegte Bilder. Diese ereignen sich in einem auf das Wesentliche konzentrierten und deshalb beinahe leeren Raum. Ist in Igor eine überdimensionierte Fotografie des ausgestreckten Arms des dirigierenden lgor Strawinsky einziges Element des Bühnenbildes, ist es in der Josephslegende eine Treppe.

IGOR

Das tänzerische Element in Strawinskys Musik, so auch im Konzert für Klavier und Bläser, bewirkt einen Grundimpuls. Dieser ist immer spürbar, eindringlich, stets überzeugend. Man fühlt ihn sogar in den Pausen. Er hält das ganze Stück zusammen und durchdringt es. Dieser Pulsschlag wächst, wie Strawinsky es selbst beschrieben hat, zu einem kraftvollen Motor an. Balanchine schreibt:
«Wie bei Mozart fühlt man am Ende des Werkes, dass mit seinem Inhait eine endgültige, erschöpfende Auseinandersetzung stattgefunden hat. Strawinskys strenges rhythmisches Empfinden ist das Zeichen seiner Autorität: über die Zeit und - über seine Interpreten. Der Choreograph sollte dieser Führung unbegrenztes Vertrauen entgegenbringen. Strawinskys Rhythmik, und sei es nur als fester Ausgangspunkt, wird seinen eigenen Ideen die grösstmögliche Steigerung bieten.Der Choreograph kann keine Rhythmik erfinden, er kann sie nur in Bewegung umsetzen. Der Körper ist sein Medium und kann aus eigener Kraft zwar kurzfristig improvisieren, rhythmische Organisation grösseren Ausmasses jedoch ist ein Prozess, der der Unterbauung bedarf. Sie ist eine Funktion des musikalischen Denkens. Rhythmisches Planen ist wie das Planen eines Hauses. Es bedarf eines architektonischen Verfahrens. Als rhythmischer Organisator hat Strawinsky eine grössere Subtilität und Vielseitigkeit an den Tag gelegt als irgendein anderer [...]. Es ist nicht abzuschätzen, was der Tanz oder die Musik Strawinsky verdanken [...]. Dem Tanz hat er einen weiteren musikalischen Bereich erschlossen; der Musik schenkte er seine eigene, spezifische Sprache der Bewegung. In beiden ist sie ständig spürbar, aufs Vollendetste zum Ausdruck gebracht.»
Bei diesem Werk Strawinskys handelt es sich um sein erstes Klavierkonzert. Es entsteht 1924 in seiner Kompositionsklause zu Biarritz, in der er täglich zwischen Czerny-Etüden, Bach-Inventionen und -Fugen und den Entwürfen zu dem Klavierpart seines Konzertes pendelt. Die Motivation für dieses Konzert: Aus Geldmangel will Strawinsky selber als Pianist auftreten. Für die Kontrastteile des dreisätzigen Werkes standen Toccaten-Elemente wie die der Schlagrhythmen der vier Konzertflügel der Partitur seiner Bauernhochzeit (1923) ebenso Pate wie die Figurativ-Elemente der Stimmlinien des Cimbalonparts seiner Renard (1917), die jetzt in den rhythmischen Vertracktheiten der Solokadenz des Kopfsatzes seines Klavierkonzertes gipfeln. Lully, vormals Wahlfranzose wie Strawinsky in dieser Zeit, wurde mit den jambischen Gravitätsrhythmen der französischen Barock-Ouvertüre beschworen. Jamben blieben fortan ein Struktur- und Stilelement Strawinskys. Den dreiteiligen Mittelsatz des Konzertes, ein Larghissimo mit zweimaliger Zwischenkadenz, formte er zu zartlinigen Reflexen Bach-Vivaldischer Arienmanier. Das Allegro-Finale mischt jazzoide Synkopik und Blues-Noten mit ein. Fugatoartige Verstrebungen treiben den schlagwerkkräftigen Orchesterpart weiter, bis zu einer spannungsreichen, spezifisch russischen und strawinskyschen Schlussapotheose.

DIE JOSEPHSLEGENDE

Mit seinem temporeichen, modernen Rhythmusgefühl erneuerte Strawinsky zweifellos das Ballett. Dasselbe wollte auch Strauss mit seiner Josephslegende realisieren. Strauss schrieb 1941 zum Stück: «Ich wollte mit (Josephsiegende) den Tanz erneuern. Den Tanz, so wie er, Mutter der heutigen Künste, gleichsam vermittelnd zwischen ihnen steht. Den Tanz als Ausdruck des Dramatischen - aber nicht ausschliesslich. Tanz in jener modernen Abart, in der er nur rhythmisierende oder paraphrasierte Handlung ist, führt uns leider oft allzuweit weg von jenem eigentlichen Kernwesen des richtigen, rein inspirativen, der Bewegung und der absoluten Schönheit geweihten Tanzes: des Balletts. Das wollte ich verjüngen. Auf den Gedanken haben mich, glaube ich, zuerst die russischen Tänzer gebracht. Mein Joseph enthält beide Elemente: Tanz als Drama und Tanz als - Tanz. Der reine Besitz des wirklich Nurgraziösen darf uns nicht verlorengehen, wie, ganz analog in der Musik neben dem Charakteristischen, Programmatischen und dem Elementaren nie die Linie des absolut Lieblichen zu kurz kommen darf. Das war, wenn man so will, meine Absicht mit Josephslegende
Das Ballett erzählt die Geschichte von Joseph, der von seinen Brüdern in die Sklaverei verkauft wird und in den Besitz des Potiphar gelangt. Schönheit, Kraft und Geistigkeit des Knaben erregen Aufsehen und Wohlwollen. Er kommt in den Genuss vieler Privilegien. Pothiphars Frau fühlt sich zu Joseph hingezogen und versucht, ihn zu verführen. Joseph erkennt ihr Begehren vorerst nicht, schliesslich wird er aber selbst davon erfasst. Wieder bei Besinnung entscheidet er sich, dem Drängen der Frau seines Herrn zu widerstehen. Die Leidenschaft von Potiphars Frau steigert sich jedoch zur Raserei, die aber Joseph immer mehr abstösst. Potiphar wird Zeuge dieser Szene. Allerdings missversteht er sie völlig und übergibt Joseph als vermeinlichen Verführer der Folter.
Die Tanzwelt tat sich lange schwer mit diesem opulenten Stück, das in Paris 1914 kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs von den Ballets Russes uraufgeführt wurde. Strauss selbst tritt am 14. Mai 1914 im Théätre National de l'Opera ans Pult des riesigen, über hundertköpfigen Orchesters, um «La Légende de Joseph» zu dirigieren, und die Bühne, von José Maria Sert (Dekorationen) und Leon Bakst (Kostüme) gestaltet, präsentiert sich in einem roten und goldenen Prunk in einem Renaissance-Rahmen, der die Monumentalität der Gemälde Veroneses beschwört. Romain Rolland bezeugte, dass er niemals etwas Grossartigeres gesehen hätte. Leonide Massine tanzt den Hirtenknabe Joseph an Stelle von Nijinsky, dem nach dessen überraschender Heirat mit Romola de Pulszky eben so überraschend von Diaghilew gekündigt wurde. Für Potiphars Frau war nach der Vorstellung von Strauss, Hofmannsthal und Graf Kessier kein zentraler Part vorgesehen. So übernahm die Sängerin Maria Kusnetzowa anstelle der ursprünglich vorgesehenen Ida Rubinstein diese Rolle.
Heinz Spoerli erzählt, dass - als er das Ballett Josephslegende zum ersten Mal gesehen habe - ihn das schwere Parfüm der Musik, die üppige Ausstattung, die ausufernde Exotik des Stückes erdrückten. Von allem zuviel, war sein Kommentar. Der Gedanke, einen eigenen Zugang zu diesem selten gespielten Werk zu finden, verliess Heinz Spoerli seitdem aber nicht mehr.
Dieses Stück hält wunderbare Rollen für seine Protagonisten bereit, zudem fasziniert Heinz Spoerli die Gestalt des Joseph in ihrer Dualität von Sinnlichkeit und Vergeistigung, aber auch die Rolle von Potiphars Frau, deren Schicksal, so betont der Choreograph, durchaus grössere Aufmerksamkeit verdiene. Heinz Spoerli misstraut einer raschen Verurteilung dieser Frau.
Der Bühnen- und Kostümbildner Andreas Reinhardt hat Heinz Spoerli den passenden optischen Rahmen geschaffen, der von der schwülen Exotik des Fin de siècle weit entfernt ist. Keine üppigen Ranken, keine überladenen Ornamente sollen von den Menschen ablenken. Eine klar gegliederte Bühne konzentriert das Geschehen auf die Bewegung, auf die Tanzsprache der Protagonisten. Diese ist mehr vom Ausdruck bestimmt, als von klassischer Formelhaftigkeit. Und Heinz Spoerli betont, sich in dieser Bewegungssprache zu Hause zu fühlen. Hier kann er sich als Schöpfer gefühlsbedingter Bewegung ausleben, hier haben Choreograph und Protagonisten die Möglichkeit, sich in ihrer Individualität zu verwirklichen.