Gaetano Donizetti:
Maria Stuarda

Oper in drei Akten

TEXT
Giuseppe Bardari
nach dem Drama Maria Stuart von Friedrich Schiller
Umarbeitung:
Pietro Salatini und Gaetano Donizetti

URAUFFÜHRUNG
18. Oktober 1834, Neapel (Teatro San Carlo)
Definitive Fassung: 30. Dezember 1835, Milano (Teatro alla Scala)

PERSONEN
ELISABETTA I., Königin von England (Mezzosopran)
MARIA STUARDA , Königin von Schottland (Sopran)
ANNA KENNEDY, Marias Amme (Mezzosopran)
ROBERTO, Graf von Leicester (Tenor)
LORD GUGLIELMO CECIL, Schatzmeister (Bariton)
GIORGIO TALBOT, Graf von Shrewsbury (Bass)

CHOR
Hofstaat, Wachen, Dienerschaft

ORT
London und Fotheringhay

ZEIT
1587

ERSTER AKT

Saal im Palast von Westminster.

Ritter und Ehrendamen, zurückgekehrt von einem zu Ehren des französischen Gesandten veranstalteten Turniers, warten in Gruppen aufdie Königin.


Vorspiel

ERSTE SZENE

Nr. 1 Chor

DAMEN, RITTER
Warten wir hier auf sie. Nahe ist sie,
zurückgekehrt vorn Turnier.
Die Königin der Briten
ist die Freude jedes Herzens.

Der Tag sei gesegnet,
an dem sie erhabener Liebe sich weiht.

HÖFLINGE
Die Königin!

(Elisabeth betritt den Saal.)

DAMEN, RITTER
Ja, heller erstrahlt uns
Albions Stern,
wenn wir vereint ihn sehe
mit dem Glanze Frankreichs.
Feiernd bewundern wir
die Macht der Liebe.


ZWEITE SZENE

Nr. 2 Rezitativ und Kavatine

ELISABETH
Ja, Frankreichs Herrscher begehrt
mein Herz und Englands Thron.

Noch zögere ich,
dem hohen Wunsch zu entsprechen,
wenn ich jedoch zum Wohle meiner treuen Briten
zum Ehealtar schreite,
wird diese Hand die Geschicke
Englands und Frankreichs leiten.
(beiseite)
Ach! wenn mich zum Altar
die keusche Liebe des Himmels führt,
wenn sie mich auffordert,
den rosigen Eheschleier anzulegen,
nimmt ein andres Herz
die teure Freiheit mir!
Und während ich sehe, wie die schicksalhafte
Schranke sich zwischen uns legt,
kann diese Seele nicht lächeln
der anderen Liebe.

TALBOT
Darf an diesem Tage
allein der Stuart Klage
Britanniens Freude trüben,
ja, Britanniens Freude trüben?

HÖFLINGE
Gnade, Gnade für die Stuart!

ELISABETH
Ha!
Ich glaubte nicht, dass etwas
den Jubel dieses Tages stören würde.
Warum zwingt ihr mich,
Tränen zu vergiessen für die Schuldige,
über ihr trauriges Los?

CECIL
Ha! das Beil für jene,
die mit ihrem Liebesfeuer selbst in Ketten
verhängnisvolle Furcht und Zwietracht sät.

CHOR
Gnade!

ELISABETH
Schweigt!
Noch steht mein Entschluss nicht fest.
Ach, möge ein Lichtstrahl des Himmels
mir meinen Verstand erleuchten;
vielleicht wird dann in meiner Brust
die Milde, ja, die Milde walten.
Doch wenn die Nichtswürdige mir raubte
jede Hoffnung, die meinem Herzen teuer,
wird der schreckliche Tag der Rache
unaufhaltsam nahen.

CHOR
Lass dich gnädig stimmen!

CECIL
Gedenke, Elisabeth,
der Gefahr, die Mitleid birgt.

Nr. 3 Szene

ELISABETH
Warum sehe ich Leicester nicht bei euch?
Bleibt nur er der allgemeinen Freude fern?

CECIL
Hier ist er!


DRITTE SZENE

(Leicester tritt auf; er küsst Elisabeths Hand.)

ELISABETH
Graf! soeben fragte ich nach dir.

LEICESTER
Ach, verzeih, wenn ich säumte,
deinem Befehl zu folgen.
Was befiehlst du mir zu tun?

ELISABETH
(zieht einen Ring vom Finger und gibt ihn Leicester)
Nimm diesen Ring und gib ihn
dem französischen Gesandten!
Er soll ihn dem Herzog als Zeichen überbringen,
dass ich seinen Heiratsantrag annehme,
(sein Gesicht verrät keine Regung!)
(zu Leicester)
doch dass ich die Krone, die er mir bietet,
noch ablehnen ka nn,
dass frei ich bin!
Nimm!
(Undankbarer!)

LEICESTER
(teilnahmslos)
Ich gehorche!

ELISABETH
Leb wohl.
(Sie reicht ihm die Hand zum Kuss; dann zieht sie sich zurück, gefolgt von ihren Hofdamen, den Edelleuten und Lord Cecil. Talbot will sich ihnen anschliessen, doch Leicester hält ihn zurück und führt ihn in den Vordergrund, um allein mit ihm sprechen zu können.)


VIERTE SZENE

LEICESTER
Hast du beim Turnier nach mir gefragt, Talbot?

TALBOT
Ja.

LEICESTER
Was also willst du?

TALBOT
Mit dir reden.
Höre, und zittre bei jedem
meiner Worte.
Ich war in Fotheringhay ...

LEICESTER
Was höre ich!

TALBOT
Ich sah die unglückliche Stuart!

LEICESTER
Ach! sprich leise in diesen Mauern!
Welchen Eindruck machte sie auf dich?

TALBOT
Ein Engel der Liebe, so schön wie je,
die Grossmut selbst.

LEICESTER
Oh! nicht verdient sie das harte Los!
Was sagte sie dir? So sprich!

TALBOT
Darf ich sicher sein,
mich dir anzuvertrauen?

LEICESTER
Sprich, verlasse dich auf mich.

Nr. 4 Kavatine

TALBOT
(gibt ihm einen Brief und ein Porträt)
Maria schickt dir diesen Brief
und dieses Bildnis.
Sie gab sie mir mit eigener Hand,
nachdem sie Tränen darauf vergossen hatte.

LEICESTER
Oh, welche Freude!

TALBOT
Wie zärtlich nannte sie deinen Namen!

LEICESTER
Oh, welche Freude!
Ach! noch einmal sehe ich das holde,
angebetete, ersehnte Antlitz;
es erscheint mir so strahlend wie an dem Tag,
als es zuerst mein Herz bezauberte.
Es scheint, als sehe ich, wie sich in dem Antlitz
langsam ein Lächeln zeigt,
das geliebte Lächeln, das einst
mein Schicksal entschied.

TALBOT
Ihr Leben nähert sich dem Ende,
und sie bittet dich um Hilfe.

LEICESTER
Oh Erinnerungen! Oh teures Bild!
Ich bin bereit, für sie zu sterben!

TALBOT
Ihr Leben nähert sich dem Ende, etc.

LEICESTER
Noch einmal sehe ich das holde, etc.

TALBOT
Was wirst du tun?

LEICESTER
Sie befreien!
Oder mit ihr sterben!

TALBOT
Erschrickt dich nich
das Schicksal Babingtons?

LEICESTER
Für sie trotze ich
jeder Gefahr, jeder Furcht!

Ich werde sie befreien!

Um ihrer Treue und Liebe willen
werde ich trocknen ihre Tränen,
und wenn ich ein Opfer des Schicksals werde,
gehe ich stolz in den Tod.

TALBOT
Lasse sie nicht weinen,
wenn sie nicht entrinnen kann
der Stunde des Todes.

(Talbot ab,- Leicester will den Saal durch die gegenüberliegende Tür verlassen, als er der Königin begegnet. Seine Miene verrät Anzeichen der Erregung.)


FÜNFTE SZENE

Nr. 5 Szene und Duett

ELISABETH
Bist du verwirrt?

LEICESTER
Ich? Nein! (Welch eine Begegnung!)

ELISABETH
War es Talbot, der soeben mit dir sprach?

LEICESTER
Ja. (Was mag sie wollen?)

ELISABETH
Selbst ihm traue ich nicht -
diese Frau verdirbt sie alle.
Ach, haben Mylord womöglich
eine Nachricht von Maria Stuart erhalten?

LEICESTER
Dein Verdacht ist unbegründet!
An Talbots Lauterkeit besteht kein Zweifel.

ELISABETH
Ich durchschaue dich.
Sprich die Wahrheit - ich verlange es!

LEICESTER
(O Himmel!) Königin ...

ELISABETH
Du wagst es, mir noch auszuweichen?
Ich verstehe.
(Sie will gehen.)

LEICESTER
Ach! bleibe, höre mich an!
Ach! bleibe!
Ein Brief...

ELISABETH
Gib ihn mir!

LEICESTER
(Widriges Schicksal!)
(kniet nieder und gibt ihr den Brief)
Zu deinen Füssen, meine Königin,
ich gebe ihn dir.
Durch mich erbittet sie die Gunst,
dich zu sprechen.

ELISABETH
Erhebt Euch, Graf!
Ihr tut zuviel für sie.
So glaubt sie, mich umstimmen zu können;
umsonst hofft sie.
(Sie öffnet den Brief - während sie den Inhalt überfliegt, verwandelt sich ihre Wut in Erstaunen.)
Welche Gefühle!

LEICESTER
(Sie ist gerührt.)

ELISABETH
Ich soll sie im Gefängnis aufsuchen.

LEICESTER
Ja, Königin!

ELISABETH
Wo ist die Macht derer, der drei Kronen gehören?

LEICESTER
Gleich einem Blitz in dunkler Nacht
leuchtete sie, erlosch und verschwand.

ELISABETH
Das Rad der Fortuna hat selbst
ihren Stolz geschwächt.

LEICESTER
Ach, ich flehe dich an um Gnade für sie.

ELISABETH
Du gehörst ihr - so ist es wahr?

LEICESTER
(Ihre Worte lassen mich zittern!)

ELISABETH
Am Hofe glaubt es jeder.

LEICESTER
Sie irren sich.

ELISABETH
(Lügner!)

LEICESTER
Nur das Mitleid verbindet mich mit ihr.

ELISABETH
(Er liebt sie! Er liebt sie!
Oh, mein Zorn! Oh, mein Zorn!)
Ist sie schön? Sprich!

LEICESTER
Ja!

ELISABETH
Ja? Ja? Ja?

LEICESTER
Ja!
Sie war die Verkörperung der Liebe
in der Blüte ihres Lebens;
sie glich einem Engel,
der erscheint und Liebe einflösst.
Ihre Seele war himmlisch,
süss ihr Atem;
schön in der Zeit der Freude,
schön selbst in ihrem Leid.

ELISABETH
Ich glaube dir, ein Engel ist sie,
wenn du so sie preist;
wenn sie noch im Dunkel des Kerkers
jedes Herz entzückt ...
Ich weiss, sie bezaubert jede Seele,
schmeichelt jedem Wunsch ...
(Wenn du sie liebst, Verräter,
so spüre die Kraft meines Leidens.)

LEICESTER
Aber ... nein ... Königin ...
Ich glaube ... ich ...
Schön in der Zeit der Freude,
schön selbst in ihrem Leid.
Komm!

ELISABETH
(Der Grausame wagt es!)

LEICESTER
Erfülle meinen Wunsch!

ELISABETH
Wohin? Wann?

LEICESTER
Noch an diesem Tag
sollst du zum Kerker gehen,
in den Wald,
wo man zur Jagd rüstet.

ELISABETH
Graf, Ihr wollt es?

LEICESTER
Ich bitte Euch!

ELISABETH
Ich verstehe. (Unbesonnene Seele!)
Ich gebe dir nach.

(Meine Rivalin reicht mir die Hand,
um mir die Krone zu entreissen;
die Niederlage hat sie in ihrem Ehrgeiz bestärkt,
mich eines geliebten Herzens zu berauben.
Ach! für diese Schmach wird sie büssen!)

LEICESTER
So komm, Königin, zeig dich gnädig,
sehen wirst du die göttliche, schöne Unschuld.
Du bist ihre Schwester, hab Mitleid!
Entsage dem Hass in deinem Herzen!

ELISABETH
Schweig! Schweig! Schweig!
Wo ist sie? Wo ist ihre Macht?
Wo ist der Stolz dreier Kronen?

LEICESTER
Gib ihr die Ruhe zurück; zufrieden dann bin ich.
O Königin! So komm,
gib ihr die Ruhe zurück,
zufrieden dann, zufrieden bin ich.

ELISABETH
(Meine Rivalin reicht mir die Hand, etc.)

LEICESTER
Königin, ich flehe dich an,
ach, gib ihr die Ruhe zurück, etc.

ELISABETH
Ach! für diese Schmach, etc.


ZWEITER AKT

Der Park des Schlosses Fotheringhay. Zu beiden Seiten Baumreihen. Durch die Mitte offener Blick auf das Meer.

Maria kommt aus dem Wald gelaufen. Anna folgt ihr langsamer nach; Wachen.


ERSTE SZENE

Nr. 6 Szene und Kavatine

ANNA
Nicht so rasch, Königin!

MARIA
Warum nicht? Freust du dich nicht,
dass unerwartete Freude mein Herz erfüllt?
Siehst du es nicht? Mein Kerker ist der freie Himmel.
Wie ich den Anblick liebe! Oh, wie teuer
ist mir, was mich umgibt.

ANNA
Der Schmerz, der Schmerz,
der dich in diesen Mauern umringt?

MARIA
Schau, dort auf den Wiesen,
süss duftend und lieblich,
blühen unzählige Blumen,
und, ja, sie lächeln mir zu;
und die sanften Lüfte,
herüberwehend von Frankreichs Küsten,
machen mich glücklich, sprechen zu mir
wie in den Tagen meiner glücklichen Jugend.
Oh Wolke, die du leicht am Himmel schwebst,
trage meine Liebe und meine Seufzer
zu dem gesegneten Land, das mir einst Heimat war.
Ach! Neige dich gnädig herab und trage mich fort auf deinen Flügeln,
bringe mich nach Frankreich zurück, fort von meinen Leiden!
Doch auch die grausame Wolke floh in das
geliebte Land, das mir einst Heimat war.

(Trompetenklänge aus der Ferne)

Was bedeuten diese Töne?

JÄGER
(hinter der Szene)
In die Wälder! Zur Jagd!
Der Hirsch taucht auf
aus dem Dickicht der Hügel,
rennt spielend fort
zu den Ufern des Flusses;
er spiegelt sich im Wasser.
Rasch, reitet
und verwundet den Hirsch,
rasch, reitet, etc.

MARIA
Welche Stimmen!

ANNA
Wohl das Signal zur königlichen Jagd.

MARIA
Die Geräusche kommen näher ...
die Pferde ...

JÄGER
Die Königin!

MARIA
Ach! der verhängnisvolle Name!

ANNA
Die Tyrannin kommt durch den Park.

MARIA
Im Frieden dieses traurigen Ortes
will sie neue Furcht mir einflössen.
Ich wollte sie sehen, doch kann ich's nicht;
ich fühle, dass es mir an Mut gebricht!
Möge sie, angebetet, auf ihrem Thron bleiben,
den Blick weit von mir,
zu sehr, zu sehr bin ich verachtet;
niemand fühlt Mitleid mit mir.

ANNA
Sie naht.
Gehen wir, gehen wir.

MARIA
Gehen wir; mein Herz kann sich nicht beherrschen.

ANNA
Ihr Herz kann sich nicht beherrschen, nein!

MARIA
Im Frieden dieses traurigen Ortes, etc.


ZWEITE SZENE

Nr. 7 Szene und Duett

(Leicester tritt auf.)

MARIA
Ach! die Freude trügt mich nicht!
Bist du es, Robert? Bist du es?

LEICESTER
Der dich liebt, kam hierher,
um deine Ketten zu lösen.

MARIA
So werde ich doch noch befreit!
Befreit? Und die Deine für immer?
Mein erregtes Herz vermag es kaum zu glauben.

LEICESTER
Elisabeth kommt hierher.
Die Jagd ist nur der Vorwand,
ihre Würde zu wahren.
Wenn du ihr demütig ...

MARIA
Demütig?

LEICESTER
Heute muss es sein!

MARIA
Oh Himmel! Was höre ich? Was höre ich?
Bewahre mich vor diesem furchtbaren Anblick!
(Sie will gehen.)

LEICESTER
Wenn du mich liebst, so bleibe.'

MARIA
Muss ich?

LEICESTER
Du musst hoffen.

MARIA
Von allen verlassen,
überwältigt von furchtbarem Schmerz,
bedrückt, niedergeschlagen,
bleibt meinem Herzen keine Hoffnung.
Zum Weinen bin ich verurteilt,
zu ewigen Seufzern;
nur deine Liebe
kann die Schmerzen mir lindern.

LEICESTER
Nein, du darfst nicht verzweifeln.
Sie ist grossmütig ...

MARIA
Was kann ich hoffen?

LEICESTER
... dein Brief
hat ihr Herz bewegt ...

MARIA
Was sagst du?

LEICESTER
... und aus ihrem Auge sah ich ...

MARIA
Oh Himmel!

LEICESTER
... eine Träne fliessen.

MARIA
Ach!

LEICESTER
Wenn du mich anhörst und mir vertraust,
wirst du sehen, wie alles sich ändert.
Und aus ihrem Auge, eic.

MARIA
Was kann ich hoffen?
Von allen verlassen, etc.
Ihr Herz, ja, ihr Herz
kenne ich zu gut!

LEICESTER
Und doch wohnt auch Mitleid
in jener Seele.

MARIA
Nicht für eine, die ihren Thron bedroht.

LEICESTER
Nein, sagst du? Dann also werde ich,
wenn sie deine Gebete nicht erhört,
zur Rache schreiten.

MARIA
Was sagst du! Was könntest du tun?
Für mich dein Leben wagen? Ich will es nicht.

LEICESTER
Ja, ich werde es tun!

MARIA
Ach! wenn je mein Herz zitterte
im grausamen Anblick des Todes,
so zwinge mich nicht,
für dich zu zittern.
All mein Wollen, all mein Streben war,
dich mir treu und gut zu wissen.
Durch dich hoffe ich auf Linderung
meines traurigen Loses.

LEICESTER
Ja, ich versichere dich meiner Treue und Ehre;
mein liebendes Herz schwört es.
Dem Unglück wirst du entrinnen,
das dich deines Ruhms beraubte.
Und wenn ich dir auch keinen Thron bieten kann
oder die Hand eines Herrschers,
so kann ich zumindest die Hand dir reichen,
die dich aus dem Kerker befreite.

MARIA
Verrate dich nicht.

LEICESTER
Ich schwöre es, deinem Los entrinnst du.

MARIA
Ach! Nein!

LEICESTER
Ja, die Treue ...

MARIA
Ach! ich will es nicht.

LEICESTER
Meine Ehre ... ich versichere ...

MARIA
Ach! lass mich nicht bangen
um deine Tage auf Erden.

LEICESTER
Ja, ich versichere dich meiner Treue und Ehre;
deinem Los wirst du entrinnen.

MARIA
All mein Hoffen, all mein Streben war,
dich mir treu und gut zu wissen.
Durch dich hoffe ich auf Linderung
meines traurigen Loses.

LEICESTER
Ach! endlich kann ich dir reichen
die Hand, die dich aus dem Kerker befreite.

(Maria geht ab. Leicester eilt Elisabeth entgegen.)


DRITTE SZENE

Nr. 8 Szene

ELISABETH
Wie heisst dieser Ort?

LEICESTER
Fotheringhay.

ELISABETH
Oh, Graf! Wohin hast du mich geführt!

LEICESTER
Du brauchst nicht zu zweifeln;
Maria wird sogleich vor dir erscheinen,
geführt von dem weisen Talbot.

ELISABETH
Welch ein Opfer bringe ich für dich!
Siehst du das ein?
Schicke die Jäger fort
zu jener nahen Lichtung.
Auf diesem Pfade sind zu viele Leute.
(Aufein Zeichen von Leicester entfernen sich die Jäger. Die Höflinge bleiben in Gruppen im Hintergrund der Szene stehen.)

CECIL
(zu Elisabeth)
Sieh, Königin, wie England dich anbetet.
Ach! du weisst, welchen Kopf man von dir fordert.

ELISABETH
Schweig!

LEICESTER
(zu Elisabeth)
Ach! gedenke,
dass ich hierher dich führte,
weil deine Schwester Trost benötigt,
die hier im Elend lebt.
Die Hand, die sie ins Unglück stürzte,
kann ihr das Glück
früherer Tage zurückgeben.

ELISABETH
(Ich hasse sie!
Er denkt nur an sie!)

(Maria tritt auf, begleitet von Talbot und Anna.)


VIERTE SZENE

TALBOT
Komm!

MARIA
Ach! lass mich!
Führe mich zurück in mein Asyl!

ELISABETH, LEICESTER, CECIL, TALBOT
Hier ist sie.

MARIA
(zu Anna)
Oh Gott!

Nr. 9 Sextett

ELISABETH
Sie ist unverändert -
hochmütig und stolz;
ihre erhabene Haltung
erfüllt mich mit Zorn.
Doch sie schweigt, zu Recht überwältigt
von Schrecken.

MARIA
Aus dem Angesicht
dieser Tyrannin
spricht grausame Verurteilung,
harte Verbitterung.
Mein Herz ist überwältigt
von schrecklicher Furcht.

TALBOT
Könnte in ihrer königlichen Brust
nur der verhängnisvolle Zorn,
die blinde Wut
verstummen,
welche grausam unterdrückte
eine Lilie der Liebe.

ANNA
Dunkle Furcht
ergreift mein Herz.
Welch neuer Kampf
steht ihrem Herzen bevor!
Himmel! rette die arme Seele
vor neuer, neuer Schmach!

LEICESTER
Aus dem Antlitz der Armen
spricht ihr Leiden.
Noch sind die grausamen Sterne
nicht besänftigt.
Könnte ich sie nur
vor solchem Schmerz bewahren.

CECIL
Unterdrückte Wut fühle ich
aufkommen in mir.
In diesem grausamen Streit
zittert das Herz.
Sie sei das gepeinigte Opfer
ewigen Schmerzes.

ELISABETH
Ihre erhabene Haltung, etc.

MARIA
Aus dem Angesicht dieser Tyrannin, etc.

TALBOT
Könnte in ihrer königlichen Brust, etc.

Nr. 10 Dialog der beiden Königinnen

LEICESTER
(Zu Elisabeth)
Ach! sprich zu ihr!

ELISABETH
(zu Leicester)
Ich wollte, ich könnte sie meiden!

TALBOT
(zu Maria)
Zögere nicht!

MARIA
(zu Talbot)
Der Abgrund ist nahe.

ELISABETH
(zu Leicester)
Zu stolz.

LEICESTER
(zu Elisabeth)
Vor dir steht sie, entehrt
von einem grausamen Schicksal.

MARIA
(tritt zögernd vor und kniet vor Elisabeth)
Gestorben für Welt und Thron,
falle ich zu deinen Füssen.
Nur um Verzeihung bitte ich,
zeig dich nicht unerbittlich.
Ach! Schwester, genug der Schmach
hast du auf mich gehäuft!
Ach! erhebe deine unglückliche Schwester,
drücke sie an dein Herz.

CECIL
(zu Elisabeth)
Ha, traue nicht, ich beschwöre dich,
diesen lügenden Lippen.

ELISABETH
(zu Maria)
Nein, du bist an deinem Platz,
in Staub und Schande.

MARIA
(Geduld.)
(zu Elisabeth)
Woher der Stolz
mit dem du mir begegnest?

ELISABETH
Woher? Du selber,
deine Seele, deine stolze Seele
niederträchtig, nichtswürdig…

MARIA
(Muss ich dies ertragen?)

ELISABETH
Geh und befrage, Verwegene,
dein verratenes Ehebett
und den ungerächten Geist
jenes unglücklichen Gatten;
frag deinen Arm, dein schlechtes Herz,
die selbst unter Liebesschwüren
noch Übeltaten und Verrat,
noch Hinterhälte,
ja, Verbrechen planten.

MARIA
Ach! Robert!
Ich ertrage es nicht länger.

LEICESTER
Oh Gott! Was sagst du?

CECIL
(zu Elisabeth)
Ach! traue nicht, ich beschwöre dich,
diesen lügenden Lippen.

LEICESTER
(zu Maria)
Gedenke deiner Standhaftigkeit.
Noch ist die Hoffnung nicht verloren.
Mögen dein Leben und deine Ehre nicht der Preis
für eine dir einst gewährte Gunst sein,
eine Gunst, die unserer Liebe oft
durch Gott verwehrt wurde.

ELISABETH
Diese Worte in meinem Angesicht?
Erklärt Euch, Graf!

LEICESTER
Was soll ich sagen?

ELISABETH
Wo ist der Zauber der Liebe,
das liebenswerte Antlitz?
Jedem, der mit Lob nicht geizte,
wurden Gunstbeweise zuteil;
aber mit ewiger Schande befleckt
ist das Haupt der Stuart.

MARIA
Ha, was höre ich!
Ich ertrage es nicht länger.
Ach! Robert!
Ich ertrage es nicht länger.

LEICESTER
Oh Gott! Mässigung!

MARIA
Solch eine Beleidigung!
Oh grausame Verhöhnung!

ELISABETH
(zu Maria)
Welche Worte! Zittre, zittre!

ANNA, LEICESTER, TALBOT
(zu Maria)
Was sagst du! Schweige, ach, schweigl

CECIL
(zu Maria)
Zittre, zittre!

MARIA
Ach! nein ...

Unreine Tochter der Boleyn,
sprichst du von Schande mir?
Niedere, lüsterne Dirne,
meine Schande falle auf dich.
Der englische Thron ist entweiht,
abscheulicher Bastard, durch dich!

ELISABETH
Heda, Wachen!

(Soldaten erscheinen.)

ANNA, LEICESTER, TALBOT
Welche Worte! Sie rast!
Gütiger Himmel! Sie ist verloren!

CECIL, HÖFLINGE
Welche Worte! Sie rast!
Für sie ist keine Hoffnung mehr.

Nr. 11 Stretta Finale

ELISABETH
(zu Maria)
Geh, bereite dich, Wahnsinnige,¨
auf das schlimmste Urteil vor.
Schande werde ich häufen
auf dein schmachbeiadenes Haupt.
(zu den Wachen)
Fort mit der Rasenden!
Sie hat sich selbst verurteilt.

CECIL
Der allmächtige Himmel
rächt sich an der Verwegenen.

ANNA,TALBOT
Welche Worte! Unglückliche!
Du hast Elisabeth beleidigt!
Wohl hat sie schon beschlossen
die Rache für die Kränkung.

MARIA
Dank sei Gott! Endlich kann ich atmen.
Aus meinem Angesicht ist sie entschwunden.
Ich habe sie zutiefst erniedrigt,
ihr Glanz ist dahin.

LEICESTER
Ach! verloren habe ich dich, Unvorsichtige,
als ich dich retten wollte.
Als treu zu dir ich zurückkehrte,
traf uns der Blitz des Schicksals.

HÖFLINGE
Die Königin hat dich zur äussersten Strafe,
zur Hinrichtung verurteilt.
Schweig, komm, zittre, zittre,
jede Hoffnung ist geschwunden.

Schweig, komm, Unvorsichtige, zittre, eic.

TALBOT
(zu Leicester)
Leicester, komm,
möge Elisabeth dich nicht bemerken.

MARIA, LEICESTER
Leb wohl! Für immer!

ANNA
Ach, schweige! Ach, komm!

ELISABETH
(zu den Wachen)
Ihr dort! ... Bringt sie fort!
(Die Wachen führen Maria ab.)

ELISABETH
(zu Maria)
Durch das Beil, das dich erwartet,
wirst du meine Rache spüren.
zu den Wachen)
Führt die Verwegene ab,
sie hat sich selbst verurteilt.

MARIA
(fährt, von den Wachen umringt, mit wachsender Begeisterungfort)
Nun geleite mich zu meinem Tod,
ich trotze dem Schicksal.
Ein einziger Augenblick des Sieges
entschädigt mich für alle Leiden.

LEICESTER
Ach, verloren habe ich dich, Unvorsichtige, etc.
Als treu zu dir ich zurückkehrte,
traf uns der Blitz des Schicksals.
Verloren sind wir für immer.

ANNA,TALBOT
Welche Worte! Unglückliche! etc.
Ach! welchen Kummer bereitest du denen,
die dich retten wollen.

HÖFLINGE
Die Königin hat dich zur äussersten Strafe, etc.

CECIL
Der allmächtige Himmel
rächt sich an der Verwegenen.


DRITTER AKT

ERSTE SZENE

Eine Säulenhalle im Palast von Westminster.

Die Königin sitzt an einem Tisch; vor ihr liegt ein Schriftstück; Cecil steht neben ihr.

Nr. 12 Duettino

CECIL
Du denkst nach? Du zögerst?
Während sie, die dich verachtet, lebt?
Die ganz Europa gegen dich vereinte,
die selbst dein Leben so oft bedrohte?

ELISABETH
Deine Worte gemahnen mein Herz schwer
an die Macht meiner gekränkten Ehre.
Aber, o Gott, wer rettet mich vor falschen Anschuldigungen?

CECIL
Der Himmel, das treue Albion, die ganze Welt,
alle Orte, die deine Bitten hören und die
das Herz und die Sünden der Stuart kennen,
das Unrecht, das sie dir zufügte …

ELISABETH
Ach! schweige!
Ich wurde erniedrigt.
Wie hat in ihrem Hochmut sie geschwelgt!
Welche Blicke warf sie mir zu!
Ach, mein Getreuer, Frieden wollte ich,
und sie hat ihn mir geraubt.

CECIL
Nicht aufhören wird sie, dich zu quälen,
während sie noch lebt.

ELISABETH
Mein Urteil steht fest.
Sterben soll sie!
(Sie nimmt die Feder, um das Urteil zu unterzeichnen. Dann hält sie unentschlossen inne und erhebt sich.)
Dieses Leben, das mich bedroht,
beenden, ja, beenden sollte ich es.
Doch das Herz lähmt die Hand,
mein Verstand ist verwirrt.
Ich sehe vor mir die Schändliche, höre,
wie sie mich ängstigt, mich erschreckt,
und wie sie mir die Hoffnung des Friedens
zu rauben droht.
Ach! Gerechter Himmel! Du regierst eine Seele,
die zu leicht dem Zweifel verfällt.

CECIL
Ach! warum die plötzliche Erregung
in deinen Gedanken?
Fürchte nicht, dass deine Ehre
jemals dir genommen würde.
Wegen der Worte, die sie sprach,
wegen der ungestraften Beleidigungen
würde in diesem Augenblicke
jeder Engländer dich rächen.
Unterschreibe das Urteil,
andere Herrscher werden dir verzeihen.


ZWEITE SZENE

Nr. 13 Terzett

ELISABETH
Ja.
(Sie zögert zunächst; doch als sie Leicester den Saal betreten sieht, unterzeichnet sie rasch das Urteil und gibt Cecil das Schriftstück.)

LEICESTER
Königin!

ELISABETH
Auf sie wartet die Hinrichtung.

LEICESTER
Oh Himmel, welches Wort!
(sieht das Urteil)
Vielleicht ...

CECIL
Das Todesurteil.

LEICESTER
Das Todesurteil?

ELISABETH
Ja, das Todesurteil, Verräter.
Ich habe meine Genugtuung.

LEICESTER
Du hast die Unschuld verurteilt!

ELISABETH
Du wagst es noch?

LEICESTER
Ach! erbarme dich und zögere
den Todesstoss hinaus;
höre meine Bitten,
oder lass mich das Opfer sein.
Niemand kann dich zwingen,
frei bist du in deinem Willen.

CECIL
(leise zu Elisabeth)
Höre nicht auf den Nichtswürdigen,
jetzt, da du schon gerettet bist.

ELISABETH
Deine Bitten sind nutzlos,
mein Urteil steht fest.
Das Ende der Stolze
ist das Ende meiner Gefahr.
Ihr Blut wird meine
Macht erneuern.

LEICESTER
Ach! Mitleid! Ach! Königin!
Niemand kann dich zwingen, etc.

CECIL
Ha, nicht länger brauchst du zu zittern
vor einer, die dein Reich entehrte.
Ihr letzter Lebenstag
wird dein erster Friedenstag sein.

LEICESTER
Deiner Schwester Todesurteil, Grausame,
hast du unterschrieben!

ELISABETH
Und ich will, dass du Zeuge wirst
ihres letzten Atemzugs:
Sterben wird deine Geliebte,
wenn die Kriegskanone
drei Schüsse abgegeben hat.

LEICESTER
Muss ich es sehen?

ELISABETH
Schweige!

LEICESTER
Du willst es?

ELISABETH
Schweige!
Kein Erbarmen kenne ich mehr.

LEICESTER
Königin! Königin!

ELISABETH
Hinweg, Unwürdiger! In deinen Zügen
spiegelt sich die Furcht deines Herzens.
Bereite die Stelle, um deine Liebe
nach dem Tod der Stuart zu begraben.

LEICESTER
Ich gehe. In deinen Zügen sehe ich,
wie du rast, wie du vor Zorn vergehst.
Die Arme wird in mir einen Freund finden,
der sie tröstet und aufrichtet.

ELISABETH
Fort mit dir, Nichtswürdiger!
Bereite die Stelle, etc.

CECIL
Ach! Königin. Wende dich heiter
dem Frieden zu und dem Ruhm.
Das, ach, das wird der herrlichste Tag
für deinen Thron und für England.


DRITTE SZENE

Nr. 14 Szene

Maria Stuarts Gemächer im Schloss von Fotheringhay.

MARIA
Selbst in meinem Grab wollte
die Verräterin mich beleidigen,
und Schande fiel auf sie zurück.
Oh Furchtbare! Bin ich nicht die Tochter der Tudors?
Doch Leicester ...
Vielleicht bedroht auch ihn die Wut der Tyrannin!
Ach, ich bin die Ursache allen Unglücks!

(Cecil bringt das Todesurteil. Talbot begleitet ihn.)


VIERTE SZENE

MARIA
Was willst du?

CECIL
Ich überbringe eine traurige Nachricht.
Dies ist das Urteil, welches das Ende
deiner Tage auf Erden bedeutet.

MARIA
Verurteilt man so eine Königin in England?
Oh Ungerechte!
Und die gefälschten Beweise ...

CECIL
Das Königreich ...

MARIA
Genug!

CECIL
Doch…

MARIA
Genug. Geh!
Talbot, du bleibst!

CECIL
Wünschst du, dass einer unserer Geistlichen
dich auf deinem letzten Weg begleitet?

MARIA
Ich lehne diesen Beistand ab.
Ich bleibe, was ich bin: fremd eurem Glauben.

CECIL
(im Abgehen)
(Noch immer hochmütig und stolz!)


FÜNFTE SZENE

Nr. 15 Grosse Szene und Beichtduett

MARIA
Ach, mein guter Talbot!

TALBOT
Ich bat Elisabeth um die Gunst,
dich vor deiner Todesstunde zu sehen.

MARIA
Ach ja, tröste mich,
befreie meine Seele vor dem letzten Abschied.

TALBOT
Und doch schien die schreckliche Nachricht
dich nicht zu bewegen.

MARIA
Oh Talbot! Verriet mein Blick dir nicht
mein Herz? Ich zitterte!
Und Leicester?

TALBOT
Er muss dein bitteres
Los rnitansehen.
Die Königin befahl es.

MARIA
Wie furchtbar für ihn!
Es wird eine bittere Strafe sein!
Wie wird die Tyrannin triumphieren.
Und noch tönt der rächende Donner nicht.

TALBOT
So schweige!

MARIA
Verbannt aus Schottland, von meinem Thron,
von meinen Glauben - bei ihr hoffte ich
eine friedliche Zuflucht zu finden,
und fand stattdessen einen Kerker.

TALBOT
Was sagst du?
Hat Gott dich nicht getröstet in deinem Leid?

MARIA
Ach nein, Talbot, nie.
Der bleiche Schatten meiner Sünden
lag immer, immer zwischen
dem Himmel und mir,
und, den Schlaf der Toten störend,
beschwor er aus dem Grab den blutigen Geist Heinrichs.
Talbot, siehst du ihn?
Siehst du den leblosen Körper des jungen Rizzio?

TALBOT
(öffnet seinen Mantel, unter dem er das Priestergewand trägt; er nimmt das Kruzifix vomHals.)
Möge dein schweifender Geist Mut sammeln.
Du näherst dich dem unsterblichen Leben.
Wenn du zur Hinrichtung schreitest,
wird dein Herz frei sein von irdischer Liebe.

MARIA
Ja, meine Tränen, vermischt mit Blut,
werden fliessen und meine Sünden reinwaschen;
höre: Ich vergiesse sie,
kniend vor diesem Kreuz!

TALBOT
Hoffe!

MARIA
Ach, deine Stimme kommt vom Himmel!

Als der Tag seinen rosigen Glanz
über mir ausbreitete,
als meine Seele sich erfreute
inmitten schöner Anblicke,
machte die Liebe mich schuldig,
öffnete sie die Tore zur Hölle.
Meinen Gatten erzürnte
das süsse Lächeln der Liebe.
Heinrich! Heinrich! ach, elender Mann,
den Tod fand er durch mich.
Doch seine traurige Stimme
dringt in mein Herz,
ja, in mein Herz, ach!
Geliebter Schatten, ach! beruhige dich,
den Tod fühle ich im Herzen.
Meine Tränen seien genug, dich zu besänftigen,
lass mein Leiden genug sein.

TALBOT
Ach! Gott will ich anflehen,
dir Unglücklichen zu vergeben.

MARIA
Mögen deine Klagen um Vergebung bitten
und zum Himmel für mich beten.

TALBOT
Doch bleibt noch eine Sünde,
die du bereuen musst.

MARIA
Weh mir! Welche Sünde?

TALBOT
Warst du mit Babington verbündet?

MARIA
Ach! schweig; es war ein verhängnisvoller Fehler!

TALBOT
Gedenke, dass der allmächtige Gott
alle Sünden bestraft,
die ein täuschendes Herz nicht verbergen kann
vor seinem allgegenwärtigen Auge.

MARIA
Nein! Nie könnte ich meine Gedanken
vor dem Himmel verbergen.
Es ist wahr, ein dunkler Schleier
hat die Wahrheit bisher verhüllt.
Ja, mein Herz schwört es im Sterben,
ein Herz, das Gott um Verzeihung fleht.
Ich schwöre bei Gott! Ich schwöre bei Gott!

TALBOT
Möge die Vergebung des Herrn
dir zuteil werden.

MARIA
Ja ... ja.

TALBOT
Lasse dein betrübtes Leben
froh zurück in diesem Kerker.
Als Engel wirst du bei Gott,
dem Tröster, sein.
Und im Gefühl der reinen Freude
wird deine Seele vergessen
alle Schmerzen,
die dich quälten.

MARIA
Nun, da das Licht
meines schwachen Lebens erlischt,
kann der Himmel allein noch einmal
Frieden geben meinem traurigen Herzen.
Ach! wenn zu viele Tränen
meine Seele stärkten,
so will ich meinen ewigen Schmerz
in meinem letzten Leiden verströmen.

TALBOT
So bist du unschuldig?

MARIA
Ich gehe in den Tod.

TALBOT
Unglückliche, Unschuldige, du gehst in den Tod.

MARIA
Ja, unschuldig, ich schwöre es, gehe ich in den Tod.

TALBOT
Ach, lasse dein betrübtes Leben, etc.

MARIA
Ach, wenn zu viele Tränen, etc.

(Maria stützt sich auf Talbot; sie gehen zusammen ins Schloss. Talbot zeigt Maria das Kruzifix.)


SECHSTE SZENE

Nr. 16 Todesgesang

Ein Zimmer, angrenzend an die Hinrichtungsstätte. Im Hintergrund eine grosse, verschlossene Tür. Es ist Nacht.

VERTRAUTE MARIAS
(einige)
Habt ihr es gesehen?
(andere)
Wir sahen es.
(alle)
Oh grausamer Anblick!
Der Richtblock ... das Beil ...
Der düstere Saal ...
und die Menge, zitternd vor Erwartung
nahe den Stufen
der tödlichen Stätte.
Welch ein Anblick! Wie schrecklich!
Der schamlose Pöbel
wartet auf das Opfer,
das königliche Opfer.
Oh, unseliges Schicksal!
Der grausame Tod aber
dieser Königin
wird für immer Englands
Schimpf und Schande sein.


SIEBENTE SZENE

Nr. 17 Grosse Szene und Gebet

(Anna tritt auf.)

ALLE VERTRAUTEN MARIAS
Anna!

ANNA
Sprecht leiser!

MARIAS VERTRAUTE
Wo ist die Arme?

ANNA
Sie kommt, traurig und niedergeschlagen.
Ach! Macht ihre Trübsal nicht schlimmer
durch eure Seufzer.

MARIAS VERTRAUTE
Wir werden schweigen.


ACHTE SZENE

(Maria erscheint, in festliches Schwarz gekleidet; sie trägt ihre Krone. Talbot begleitet sie.)

MARIA
(zu ihren Vertrauten)
Endlich sehe ich euch wieder.

ANNA,VERTRAUTE
Du gehst von uns!

MARIA
Ich gehe in ein besseres Leben.

MARIAS VERTRAUTE
Ach!

MARIA
Ja, ich gehe in ein besseres Leben.
Zufrieden eile ich in Gottes Umarmung,
ihr aber müsst dieses betrübte Land verlassen.

MARIAS VERTRAUTE
Unsere Herzen brechen vor Schmerz!

MARIA
Nein, ihr dürft nicht weinen!
Anna, du allein bleibe,
du, die du mir am teuersten bist;
hier ist ein Tuch, getränkt in Tränen.
Es wird ein trauriges Tuch für meine Augen sein,
wenn sie für immer verschlossen sind vor dem Licht des Tages.
Doch du weinst noch?
Lasst uns zusammen, teure Freundinnen,
ein letztes inniges Gebet
zum gnädigen Himmel richten.

Ach! erhöre unser demütiges Gebet,
oh, gesegneter Gott der Gnade.
Nimm mich auf in den Schutz deiner Vergebung,
denn meinem Herzen bleibt keine andere Zuflucht.

ANNA,VERTRAUTE
Ach! erhöre unser demütiges Gebet, etc.

MARIA
Ach! ja ... Gott!

ANNA,VERTRAUTE
Nimm sie auf in den Schutz, etc.

MARIA
Nimm mich auf in den Schutz deiner Vergebung,
denn meinem Herzen bleibt keine andere Zuflucht.

ANNA, VERTRAUTE
Nimm sie auf in den Schutz deiner Vergebung,
denn ihem Herzen bleibt keine andere Zuflucht.

MARIA
Tränen nützen nicht, der Himmel hilft mir.

ANNA,VERTRAUTE
Vergiss deines Lebens Unbesonnenheiten.

MARIA
Ach!

ANNA,VERTRAUTE
Sei frei von Leiden, frei von Angsten,
der gütige Himmel hat dir verziehen.

MARIA
Ach! frei von Leiden, frei von Ängsten,
wird ewige Liebe mich nähren.

ANNA,VERTRAUTE
Verhülle mit einem Schleier die Leiden
der Vergangenheit.
Der gütige Himmel hat dir vergeben.

MARIA
Gott! ach! ja!
Ewige Liebe wird mich nähren.
Der Himmel hat mir vergeben.

ANNA,VERTRAUTE
O Gott! Gnade! Ach, Gnade!
Der gütige Himmel hat dir vergeben.

Nr. 18 Abschiedsarie

(Man hört den ersten Kanonenschuss vom Schloss.)

VERTRAUTE
Die Kanone!


NEUNTE SZENE

(Die Tür im Hintergrund des Raumes wird geöffnet. Man sieht eine grosse Treppe. Wachen und Justizgehilfen mit Fackeln. Cecil kommt die Treppe herunter.)

CECIL
Der Augenblick deines Todes ist nahe.
Elisabeth will, dass man all deinen Wünschen
Gehör schenkt. So sprich!

MARIA
So viel Mitleid erwartete ich nicht von ihr.
Ich bitte nur um eine kleine Gunst.
Anna soll mich zur Hinrichtung begleiten.

CECIL
Es wird geschehen.

MARIA
Mein erstes Gebet hast du erhört.
Nun höre ein weiteres.

Überbringe die Verzeihung eines sterbenden Herzens ihr,
die mir Leid zufügte, die mich verurteilte.
Sag ihr, sie möge glücklich sein auf ihrem Thron,
und dass ich nicht stören werde ihr ruhmreiches Leben.
Ich werde beschwören den Segen des Himmels
ür Britannien und ihr Leben.
Ach! nicht plagen möge sie ihr Gewissen;
mein Blut wird alles tilgen.
Ach, überbringe die Verzeihung, etc.

TALBOT, ANNA, dann MARIAS VERTRAUTE
Das Beil der Tyrannin! Es beendet
ein Leben, das unsere Freude war!

CECIL
Ihre Unbesonnenheit wurde bestraft,
nun kehrt der Frieden zurück zu uns.


LETZTE SZENE

Leicester und Vorige, dann der Scharfrichter und die Justizgehilfen.

TALBOT
Dort kommt der Graf.

MARIA
Ach! welch schrecklicher Anblick grüsst ihn.

LEICESTER
(zu Maria)
So sehe ich dich wieder,
verloren, niedergeschlagen von einem ungerechten Urteil.
Dem Tode nahe ...

MARIA
Bezwinge deinen Schmerz!
Leb wohl für immer!

CECIL
Die Stunde naht.

LEICESTER
Ach! ich kann dich nicht verlassen.

CECIL
Die Stunde naht.

LEICESTER
(zu Cecil, der versucht, Maria von ihm fernzuhalten)
Hinweg mit dir, Nichtswürdiger!

MARIA
Schweig!

LEICESTER
Zittre! Schändlich seid ihr alle!
Fürchtet einen Gott,
der die Unschuld rächt.

MARIA
Du besiegelst dein eigenes Schicksal!

(Man hört einen zweiten Kanonenschuss. Der Scharfrichter steigt die Treppe herunter, gefolgt von den Justizgehilfen. Sie umstellen Maria.)

MARIAS VERTRAUTE
Ach! warum kann ich nicht mit meinem Blut
eurer blinden Wut ein Ende bereiten!

CECIL
(bedeutet Maria, sich der Hinrichtungsstätte zu nähern)
Die Stunde ist da.

LEICESTER
(zu Cecil)
Schurke!

MARIA
(zu Leicester)
Robert! Robert! Höre!
(Sie stützt sich auf Leicesters Arm.)
Ach, wenn einst dein Arm mich
befreien sollte von meinen Fesseln,
möge er mich nun zum Tode geleiten,
durch die Kraft, den letzten Trost der Liebe.
Möge mein unschuldiges Blut
den Zorn des erzürnten Himmels besänftigen
und nicht auf das falsche Albion lenken,
die Geissel eines strafenden Gottes.

LEICESTER, TALBOT, dann MARIAS VERTRAUTE
Welche Worte! Welch grausames Unglück! Ach!

CECIL
Nun ist England der Friede sicher!

MARIA
Anna, Ich wohl! Robert, leb wohl!
Ach, wenn einst dein Arm, etc.

(Man hört den dritten Kanonenschuss. Der Scharfrichter erscheint aufden Stufen; er trägt das Beil. Bei ihm vier in Rot gekleidete Gehilfen.)

TALBOT, ANNA, LEICESTER, MARIAS VERTRAUTE
Unschuldig stirbt sie, entehrt.

MARIA
Die Geissel eines strafenden Gottes.

CECIL
Nun ist der Friede England sicher,
die Feindin des Reichs stirbt.

(Gestützt von Talbot und umgeben von Wachen begibt Maria sich in den Hintergrund des Raums. Leicester bedeckt sein Gesicht mit den Händen.)


Übersetzung: Klaus Scharff



SYNOPSIS