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ARLECCHINO

Vor dem Vorhang

Arlecchino
Ein Schauspiel ist's für Kinder nicht, noch Götter,
es wendet sich an menschlichen Verstand;
deute es drum nicht völlig à la lettre,
nur scheinbar liegt der Sinn offen zur Hand.
Der Szenen-Horizont zeigt heitres Wetter,
die Handlung spielt in heitren Wetters Land,
sprichwörtlich abgefaßt, wie sie erschienen
von alters her auf aller Länder Buhnen.

Betrog'ner Ehemann, fremd dem eignen Lose,
Rivalen, um ein zweites Weib in Streit;
blutiger Zweikampf folgt, daran sich lose
landläuf'ge Weisheit und Betrachtung reiht;
ein grader Mann in buntgeflickter Hose
greift hurtig-keck in die Begebenheit;
so spiegelt sich die kleine Welt im kleinen,
was lebend wahr, will nachgeahmt erscheinen.
zum Kapellmeister
Maestro? . . .


1. Satz
Arlecchino als Schalk


Einleitung, Szene und Liedchen

Eine gewundene und bergige Straße in der oberen Stadt Bergamos; wo die Straße sich teilt, bildet sich einkleiner Platz. Es ist die Zeit des Sonnenuntergangs.
Ser Matteo hat sich vor seiner Haustür eine ambulante Werkstatt eingerichtet. Er naht an einem Mantel und hat zugleich vor sich ei-nen Band Dante aufgeschlagen, aus welchem er, als Feinschmec-ker, eigenen Hauses, gerade über seinem Kopf, sieht man Arlecchi-no mit Ser Matteos schoner junger Frau verstohlen herausschauen.
Matteo liest ernst. Heitert sich auf Gerät in Verzuckung. Seine Ausdrucksweise, im Gegensatz zu dem sichtlichen Entzucken, hat etwas Mattes und Klagliches.

Matteo
Es bleibt doch die schönste,
die ergreifendste Stelle!
«Questi, che mai da me non fia diviso,
la bocca mi bacio tutto tremante;

Arlecchino küßt die Frau des Schneiders.

Galeotto fu'l libro e chi lo scrisse!...»
(
sich unterbrechend)
Symbole! Symbole! Ach! Symbole!
Unkeuschheit, du bist der wahre Galeotto,
und endest in der Holle! Da! Da! Da!

Er tippt mit dem Fingerauf das Buch. Arlecchino, am Fenster, hält sich den Mund, auf daß er nicht laut auflache.

Bei diesen Worten denk ich -
ich weiß nicht wie -
an die Musik der Oper!
O du, mein Mozart!
«La bocca mi bacib tutto tremante»
Hier mußten mir die Floten girren,
die Gamben stöhnen...

Er laßt, in Ekstase, die Arbeit fallen.

Arlecchino
Wie komm ich fort?!
Das Tor ist zu,
der Schneider hält den Schlussel.
Anknüpfen ist leicht zuweilen,
loskommen oft unmoglich,
per Dio!

Matteo
«Questi, che mai da me non fia diviso,
la bocca mi baciò tutto tremante...»

Arlecchino
Frauen brauchen Hintertüren,
ein Mann hat seinen Degen,
adio!

Matteo
Nun wird der Baß unbändig:
«Galeotto fu'l libro.»

Arlecchino springt aus dem Fenster, so daß er vor dem Schneider zu stehen kommt; klappt ihm das Buch zu.

Arlecchino
«Quel giorno piu non vi leggemmo avante!»
Ausgelesen für heute, Ser Matteo!

Matteo
Mein Wort? Fallt ihr vom Himmel?
Was stört ihr mich? Wer seid ihr?

Arlecchino
Ernstlich, Ser Matteo,
indessen ihr den Dante in Musik setzet,
rückt der Barbar vor die Tore, -
bald ist er da und nimmt unsere Weiber.
So ein Tudesker zieht im Handumdrehen seinen Spieß...

Er zieht sein Holzschwert.

Matteo
ängstlich
Ihr seid wohl selber einer!

Arlecchino
Ich bin der Erzengel Gabriel
und töte den Drachen.

Er packt den Schneider.

Matteo
Mörder!

Arlecchino
Merkt ihr denn nicht?
Ich markiere den Feind.
Hoch die Bibel
und nieder mit dem Papstgesindel!
Her mit deinem schönen Dolche!

Er steckt die Schneiderschere zu sich in den Gürtel.

Gebt acht, Ser Matteo, schon seh' ich Germanias Stierhörner über euerem Haupte sich winden. Die Fahne des Glaubens flattert!

Er spießt den Mantel auf sein Holzschwert. Der Schneiderfällt um, der Hausschlüssel gleitet ihm aus der Tasche.

Holla! die Schlüssel der Stadt.
«E caddi, - como corpo morte cade.»
Das endet den Gesang.
Ich rat' euch, geht ins Haus,
verschanzt euch!
Die Barbaren... hört ihr nicht?
Trapp, trapp, tschum, tschum,
trapp, trapp, tschum, tschum,
Blut, Pest und Schändung!
Seht, ich mein' es gut!

Matteo
Ihr seid der Teufel.

Arlecchino
Geht, geht, ich schließ' euch auf;
nein, keinen Widerstand,
ich kann auch streng sein.
Hinein mit euch!

Er hat Matteo ins Haus geschoben, hinter ihm zugeschlossen, den Schlüssel eingesteckt. Nun hüllt er sich in den eroberfen Mantel.

Eroberung! Kriegsbeute!
Einen Gefangenen!
Wetterwendisch ist
das Schlachtenglück
als wie der Hahn auf dem Turme.
Drum im Sturme
faß es beim Genick!
blickt sich um, wirft eine Kußhand
Sieh, da späht ein süßer Frauenblick,
warte, Kind, bald bin ich dir zuruck
als wie der Hahn, als wie der Hahn -
im Abgehen
La,la,la,la...

Matteo verschließt die Fensterladen seines Hauses.

La,la,la,la.

Duett

Es nahen, im Gespräch begriffen, der Abbate Cospicuo und der Dottore Bombasto.

Abbate
Und noch hab ich euch zu danken...

Dottore
Keinen Dank, keinen Dank!

Abbate
...daß ihr mir durch eure Kunst
viele Seelen (reichlich viele!)
in den Himmel expedieret;...

Dottore
Und wo wollt ihr hinaus?

Abbate
...nur daß ihr die Zeit karg bemesset,
zur würdigen Vorbereitung
solcher Fahrt.

Dottore
So, so, so, so!
Wart ihr in euerem Handwerk
nur halb so gut beschlagen
wie ich in dem meinen,
ihr säßet langst als Kardinal zu Rom;
der Purpur, indessen,
er glanzt nur auf euerem Antlitz;
ihr neigt zu Kongestionen...

Abbate
Ungerecht sind die Guter auf Erden verteilt:
ich weiß von Kardinälen,
die verdienten, in eurer Behandlung zu stehn!

Dottore
Nun seid ihr gar sanguinisch,
und bald seid ihr cholerisch,
und überfüllt den Magen!

Abbate
Spart die Diagnose, beim Himmel!
Für eure Tinkturen und Tränklein
und Tropfen insgesamt
gäb' ich nicht den Inhalt
einer strohumflochtenen Flasche
auf Hügeln der Toskana genossen!
Toskana!
das erfrischt und enwärmt,
die Sonne bestrahlt die Opferhandlung;
rings lacht die Landschaft,
graue Turme warnen schweigend.
Wie alt, und wie jung!
Wie würdig, und wie heiter!
Ich sage euch:
In diesem Weine spür' ich
die Anwesenheit des Herrn!

Dottore
Lehrt ihr doch selber,
Gott sei uberall!

Abbate
Nein!
Nur Weiber und Kapuziner schreien,
daß Gott in jedem Katzenbuckel stecke!
Oder denkt ihr, in euch ware Göttliches?

Dottore
Weiber und Kapuziner sind
euer vornehmster Umgang...

Abbate
Ihr vergeßt die Arzte!

Dottore
Pah !

Abbate
Die Frauen aber...

Dottore
Die Frauen, die Frauen, die Frauen!

Abbate
...sie sind eine Zierde den Menschen...

Dottore
In jedem Weibe stecken sieben lange Teufel!

Abbate
...und Süßigkeit in des Menschen Leben!

Dottore
Seht mir!

Abbate
Just hier hauset
die schöne Frau des wackren Schneidermeisters,
ein hellgrünes Bäumchen,
das aus der Ritze eines berstigen Gemäuers s
eine Zweiglein
nach der Sonne strecket aus .

Dottore
Ich kenn's.

Abbate
...doch seht!

Dottore
Was ist zu sehn?! was gibt's?

Abbate
Regungslos das Haus und verschlossen,
wie ein Geheimnis.
He, Ser Matteo!...

Abbate, Dottore
He, Ser Matteo, Matteo!
Seid ihr tot?
Noch ist's nicht Abend!
Ser Matteo! Matteol Oh!
Im Namen des Herrn!

Matteo
vorsichtig ein halbes Fenster öffnend
Ihrs eid's, Monsignore?

Abbate
Ja!

Matteo
Und ihr, Dottore?

Dottore
Ja!

Matteo
Treibt euch leichtfertig auf offener Straße umher?

Abbate
Was fällt euch an meinem Wandeln Würdeloses auf?

Dottore
Möcht' ich erklärt haben...

Terzett

Matteo
So wüßt ihr von Nichts?

Abbate, Dottore
Von was?

Matteo
Die Barbaren... die Barbaren umringen diese Stadt!

Abbate, Dottore
Die Barbaren?!

Matteo
In wen'gen Stunden,
von allen Seiten
walzen sie sich her!...

Abbate, Dottore
Ist's möglich?!

Matteo
Die Barbaren!

Abbate, Dottore
Die Barbaren?!

Matteo
Ja, ja, die Barbaren!

Abbate, Dottore, Matteo
Die Barbaren!

Matteo
Haben Hörner anstatt Ohren,
Haar und Bart sind ungeschoren,
und sie stehen vor den Toren.

Abbate, Dottore, Matteo
Vor den Toren!

Matteo
Ihre Sprache ist ein Gemäule,
ihr Gesang ist ein Geheule,
und ihr Blut ist ein Gefäule!

Abbate, Dottore, Matteo
Ein Gefäule!

Matteo
Mörder sind sie, Würger, Schlachter,
Säufer, Ketzer, Höllenwächter,
die schänden unsre Töchter!

Abbate
Oh! Rosina, Lucinda, Mariettina,
Agnese, Beatrice, Concettina,
Francesca, Vittorina,
Virginia, Serafina,
ihr, meine Töchter, was,
was wird aus euch?

Dottore
Das gibt zu denken.

Matteo
Ja, das gibt zu denken.

Abbate, Matteo, Dottore
Also denken wir.

Abbate
Gott,
eh'dem der Schlachten,
heute der Barmherzigkeit,
wird meine Töchter schützen.
Erste sei des Mannes Pflicht,
für andere sich aufzusparen.

Matteo, Dottore
Gut!

Abbate, Dottore
Indessen, ihr, SerMatteo, einTestamentaufsetzet,...

Matteo
Ein Testament?

Abbate, Dottore
...begeben wir uns zu seiner Magnifizenz dem Herrn Bürgermeister.

Matteo
Ihr begebt euch zu dem Bürgermeister!

Abbate, Dottore
...mit sicherer Nachricht kommen wir zurück und pflegen Rat usw.

Matteo
O kommt bald zuruck, o kommt bald!
Ihr findet mich daheim.

Abbate
Behaltet klaren Kopf!

Dottore
Etwas Beruhigendes nehmt zu euch,
ein Aderlaß wär' angezeigt.

Matteo
das Fensterzuschlagend
Puh! Daß meine Frau noch ärgersich beklagte meines dürftigen Blu-tes!

Abbate, Dottore
Ha, ha, ha, ha!

Abbate
auf die Tur des Weinhauses deutend
Was meint ihr? wie wär' es?
Nur im Vorbeigehn.

Dottore
Ich begleit' euch.

Abbate
Vortrefflich.
Schreiten wir so den Nationen
mit dem sittlichen Beispiel
der Brüderlichkeit voran denn!

Sie treten in das Weinhaus.


2. Satz
Arlecchino als Kriegsmann


Marsch und Szene

Arlecchino, mit Degen, Mantel und Reiterstiefeln, tritt, von zwei lächerlichen Sbirren gefolgt, in militärischer Haltung auf.

Arlecchino
Den Schlüssel ließ ich mir nachfertigen, so kann ich als ehrlicher Mann das Eigentum zurückerstatten. Suum cuique. Dem Schlüssel-loch sein Schlüssel.

Matteo steckt den Kopf zum Fenster heraus.

Matteo
Die Barbaren!

Arlecchino
Mann!

Matteo
Ja?

Arlecchino
Bist du Ser Matteo del Sarto, vergattet und außer Diensten?

Matteo
Hm. . .

Arlecchino
Ja oder nein?

Matteo
In Gottes Namen.

Arlecchino
Ich bin Kriegskapitän und mit der Aushebung der Rekruten betraut. Du prangst auf meiner Liste, - bedanke dich für die Ehre! Was du an Pistolen, Flinten, Kanonen, Schwertern, Pferden, Mauleseln oder Elefanten besitzest, nimmst du mit. Drei Minuten Zeit, dein Haus zu bestellen. Und den Mund gehalten. Flink!

Matteo
«Ora incomincian le dolenti note.»

Arlecchino
(
sich heftig gegen die Sbirren wendend)
Glotzt nicht! Ich will das dicke Blut euch kreisen machen, platte Schildkröt', aufgespießte Heuschreck'. Du! Position! Kehrt. Erstürmt mir jenes Weinhaus, marsch!

Die Sbirren rennen.

Halt! Ließ' ich erst euch dort hinein, ihr kämet mir nie wieder an das Tageslicht, ihr Schlauche! Jetzt, ein geordneter Rückzug. Kehrt, marsch!

Die Sbirren bewegen sich steif auf Arlecchino zu.

Was ist ein Soldat? Etwas, das sich selbst aufgibt. Eine kenntliche Kleidung. Ein Hunderttausendstel. Der künstliche Mensch. Was ist das Recht? Was man anderen entreißen will. Was ist das Vaterland? Der Zank im eigenen Hause. Ihr seid Soldaten und kämpft für Recht und Vaterland. Merkt's euch! Die drei Minuten sind um...

Matteo
von innen
Der Torschlüssel ist unauffindbar.

Arlecchino
EinTorschlüssel?...
Den hast du beim Absperren von außen stecken lassen, du Nebelkopf. Vortreten!

Er sperrt das Tor auf Ser Matteo erscheint in einer grotesken, im-provisierten Kriegsausrüstung.

Matteo
sorgfaltig sein Haus verschließend
Ihr gestattet, daß ich meinen Dante mit mir nehme?

Arlecchino
Niemand soll sagen durfen, daß die Kultur im Kriege unterginge! Folge diesen Tapfern, wohin sie dich führen; dein Haus bleibt in mei-ner Bewachung, marsch!

Matteo
im Abgehen zwischen den Sbirren
«Per me si va nella citta dolente;
per me si va tra la perduta gente.»

Arlecchino
wieder unterwegs zum Tor
Nun den Rest! Nur keine halbe Arbeit. Besser nichts beginnen, als etwas zur Hälfte aufgeben.
versucht, es zu öffnen
Der Schlüssel ist noch neu. Ein neuer Schlüssel, ein rostiger Schlüs-sel, sie arbeiten gleich schlecht.


3. Satz
Arlecchino als Ehemann


Szene und Arie

Arlecchino
Jetzt aber...

Colombina tritt auf.

Colombina
Herr Kapitän, um Vergebung...

Arlecchino
abgewandt
Madame!?
Der Himmel soll gleich einstürzen,
wenn das nicht die Stimme ist meiner Frau!

Colombina
Herr Kapitän, ein verlassenes Weib sucht euren Schutz.

Arlecchino
immer noch abgewandt
Madame, was konnt' ich schützen, das ihr nicht selbst zu schützen wüßtet?

Colombina
Hört mich an...

Er wendet sich plötzlich um. Sie erkennt ihn.

Ach! da bist du wieder,
du Ungeheuer,
du Abenteurer,
du Lügensack!
Was vermummst du dich,
was führst du jetzt im Schilde?
Wo treibst du dich umher,
seit Tagen, seit Nächten,
die ich verweinte?
Ich bin wohl ganz entstellt.

Sie zieht Spiegel und Puderquaste aus ihrem Säckchen und frischt eilig ihr Gesicht auf.

Arlecchino
Scharmant, wie immer!

Colombina
Schweig!
Jedem Mädchen läufst du nach,
jede Schürze tut's dir an,
jeder Rock fängt deinen Blick.
Ach, und nicht genug!
Du führst
fortwährend Handel,
foppst ehrenwerte Leute,
Unfrieden stiftest du,
treibst etlichen Betrug;
ja, du betrügst, ja, du betrügst,
immer, immer,
und vor andren betrügst du mich!

Arlecchino
Die Treue, Madame, ist ein Laster, das meiner
Ehrsamkeit nicht ansteht.
Sie ist der Beinbruch nach dem ersten Schritt,
das Unrecht, an dritten begangen,
die Untreue gegen sich selber,
ein moralischer Bankrott und
das Ende der Liebe. Sie ist
der Bogen, der nur einen Pfeile abschießt;
das Schiff, das nur an einer Küste anlegt,
die Sonne, die nur einen Stern bescheint.
Ich stehe mit ihr auf schlechtem Fuße, doch sag' ich's
und zeig' ich's auf offenem Markte. Darum fuhr' ich
das beste Gewissen und schlafe einen Kinderschlaf...

Kleine Arie

Wie ist ihr Schlaf, Madame?

Colombina
Du redest abscheulich...

Arlecchino
Schönrederei ist von meinen vielen Unbegabtheiten eine!

Colombina
weislich einen anderen Ton anschlagend
O, du bist so begabt,
und bist so hübsch,
und bist so klug,
und bist so männlich;
ja, jede Frau beneidet mich um dich,
die Dummen!
Doch wozu brauchst du sie?
Sieh, lieber Arlecchino,
ich kann dir alles sein,
wenn du nur bei mir willst bleiben:
Ich tanze, schlage Tamburin und singe,
bereite schmackhaft deine Leibgerichte,
und pflege dich,
bestell' das Haus aufs schönste.
Arlecchino!

Arlecchino
für sich
Ein ehrlicher Zank, da stelle
ich meinen Mann! ..

Colombina
sich ihm anschmiegend
Arlecchino.

Arlecchino
Doch dies Gemiaule macht mich ungesund.
O Colombina, siehst du jenen Stern?
Betracht' ihn dir genau, betracht' ihn lange!...
und wär' er ein Unheilskomet,
ich durft' nicht eiliger mich davon retten!

Während Colombina den Himmel angafft, läuft Arlecchino davon.

Colombina
Ja, Arlecchino...

Sie wendet sich, und steht verdutzt.

Fort! Entschlüpft! Puh! Männer sind feige. In diesem Hause wollt' er wohl ein Vogelnest ausheben, der Vogeldieb! was hing er sonst an der Tür?
Ich will doch wissen.

Sie klopft an Matteos Tur, ohne daß sich drinnen etwas regte. Inzwischen aber hört man eine süßliche Tenorstimme kommen.

Szene für zwef, dann für drei Personen

Stimme Leandros
Mit dem Schwerte, mit der Laute,
zieht des Wegs der Trovador.
Stern ist ihm die Herzenstraute,
da er ihr die Treue schwor.
Heilig ist der Herzensschwur
dem Troubadour.
Sänger ist vom Denken frei,
Ehre ist des Ritters Fleiß,
Sangesritter hält die Treue,
weil er es nicht anders weiß.

Leandro tritt schwungvoll-perpendikulär auf und geht auf Colombina zu. Mit Federbarett, Schwert und Laute, nicht allzu schlank und nicht allzu jung, stellt er im ganzen den Typus des Operntenors älteren Schlages vor.

O Colombina, nach dir hab' ich
die Fühlhörner meiner Stimmebänder
ausgestreckt. Sieh her!
Der artesianische Brunnen
meines Herzens spritzt zum Himmel
und träufelt - fächerpalmig -
auf die Beete deines Jugendgartens nieder,
o Colombinal

Colombina
Ihr spottet einer Verlaßnen...

Leandro
Oh! verlassen!

Colombina
...verlassen und betrogen!

Leandro
Oh, betrogen!
Ha, ha, ha, hal
So fordr' ich ihn, der dich betrog'
an meines Degens schonungslose Spitze;
er sterbe, er sterbe...

Colombina
Ha, ha, ha, ha!

Leandro
Er zieht das Schwert und schmettert opernhaft:
Contro l'empio traditore
la vendetta compierò;
gioia mia, per il tuo amore,
il malvagio truciderò,
sì, sì, sì , sì, vendetta, vendetta,
vendetta io compierò!

Colombina
Hüttet euch, den Mann zu schmähen,
dem ich einzig angehört;
ist mir Unrecht auch geschehen,
war ich doch nicht seiner wert.

Leandro
Per il tuo amore
il felon truciderò,
büßen soll er sein Verschmähen,
wenn ihn trifft mein gutes Schwert,
vendetta, vendetta!

Er verbeugt sich lächelnd vor dem Publikum.

O Colombina,
so soll heute diese Zunge
als Sprachrohr meines wer-benden Busens tönen:
Ich liebe dich, ich bin reich,
ich kann dich schützenl

Colombina
Könnt' ich jemals
einem Manne noch trauen!

Leandro
Ich schmücke dich
mit den Juwelen meiner Ahnfraun;
du wirst meine Ritterin,
Donna Colombinal

Colombina
für sich
Donna Colombina!

Leandro
Ein Vorsaal voller Diener,
ein Marstall voller Hengste
folgen den Winken
ihrer frischgekrönten Herrin.

Colombina
Sollte das alles wahr sein?

Leandro
Ich schwör' es!

Colombina
Sollte das alles, alles wahr sein?

Leandro
Ich schwör' es!
bei der steinernen Gruft
meiner gemordeten Tantel

Colombina
Wüßt' ich nur,
daß Arlecchino dies ärgern könnt'.

Leandro
O sprich!

Colombina
So wartet doch...

Leandro
O sprich!

Colombina
...und hieltet ihr mich nicht
für allzu unbeständig?

Leandro
Ha! so darf ich jetzo,
also darf ich jetzo pflücken
die Hoffnungsblüte der kühnsten Träume;
bebet! bebet, ihr sieghaften Liebespränge!
Schmelzet hin,
Intervalle meiner flüsternden Wonne:
«Venus sieht auf uns her nieder,...»

Colombina
O Gott, was soll das wieder!

Leandro
«...und ihr Stern, er leuchtet auf.»

Colombina
Verzeiht, findet ihr das sehr geschmackvoll?
parodierend
Ach!

Leandro
Gewiß, von auserlesenem Geschmack!
«Amor, bübisch, immer wieder
zielt und trifft im munt'ren Lauf."

Colombina
Ha, ha, ha, ha,
ach, gar zu läppisch
macht sich diese Arietta.

Leandro
Wartet erst die Stretta,
denn nun hol' ich aus:
«Liebe, nie genug besungen,
ist hier abermals erwacht;
Herz zu Herzen springen Funken,
und der Brand ist hell entfacht.
Liebe, nie genug besungen,» usw.

Colombina
Gott wie lächerlich!
wie veraltet!
Ha, ha, ha, ha!
Bald hab' ich von dem genug,
dieser Mann ist wohl nicht klug.
Ha, ha, ha, hal

(
Arlecchino, im gewohnten Kostüm, hat das Paar seit einiger Zeit durch eine Lorgnette beobachtet und springt jetzt einen kecken Schntt vor.)

Arlecchino
Madame, ich seh', ihr bildet euch an meiner Schule. Des Zöglings Fortschritt ist des Meisters Ehre. Ich beglückwünsche uns beide...

Leandro
Wer ist es, der also die Dissonanz
schleudert in der Umschlingung Zweiklang?

Arlecchino
Mit dir, mein adeliger Musikophilus, werd' ich allsogleich einen kurzen, schlagfertigen Dialog führen. Ihr Madame, enwartet mich in jener Herberge, wohin ich euch begleiten darf!

(
Arlecchino bietet Colombina den Arm und führt sie bis vor die Tür des Weinhauses,in das er sie mit einer Verbeugung einläßt.)

Ich bin der Mann jener Dame. Nun zieh!

Leandro
Ist euer Stand dem meinen ebenburtig?

Er zupft an der Laute.

Arlecchino
Zieh, oder ich prügle dich!

Leandro
Ich dürft' es nicht, so ihr nicht Ritter wäret!

Er zupft wieder an der Laute.

Arlecchino
O, ich mag deines Herzogs Kind sein; nichts ist erwiesen. Zieh, oder ich spieße dich auf wie eine Wappenratte!

Leandro
Es geschieht in der Notwehr.

Er zupft noch einmal an der Laute und zieht.

Arlecchino
auf die umgehängte Laute deutend
Dein kostbares Schnarrwerk könnte Schaden neh men. Leg' es ab.

Leandro schleudert mit edler Geste die Laute von sich.

A noil!

Beim ersten Gang schlägt Arlecchino dem Hitter den Degen aus der Hand und sticht nach ihm, der wie tot hinfällt.

Arlecchino
Mord!

Er rettet sich in des Schneiders Haus, ehe noch jemand sich gezeigt hat.


4. Satz
Arlecchino als Sieger


Szene, Ouartett und Melodram

Gleich darauf treten aus dem Weinhaus Colombina, der Abbate und der Dottore. Die beiden Männer sind sichtlich angeheitert.

Dottore
Es ist schon ganz finster: Der Wein hat uns über die Zeit getäuscht.

Abbate
Seht ihr den Mond? Nein? Das läßt mich hoffen: Der Mond, Gespenst des Himmels, ist gerne dabei, wo es Untaten gibt zu beleuchten.
zum Dottore
Sorgt für eine Laterne.

Der Dottore geht ins Weinhaus ab.

Colombina
Mir war es, als ob jemand «Mord» gerufen hätte,... und ich fürchte...

Abbate
Man soll niemals Schlimmes befürchten, bevor das Übel erwiesen; wenn ich befürchtete, nicht ganz nüchtern zu sein, so beging ich ein Unrecht an mir selber.

Dottore
mit einer Lateme zurückkommend
Die Welt ist aufgerühret.
Die Erde schwankt. Leiht mir den Arm, damit ich besser sehe... euren Arm.

Abbate
Unser Schifflein verläßt den Hafen:
Du bist das Licht am Hintermast
und die scharmande Donnina
das Püppchen an des Schiffes Schnabel.

Sie setzen sich in Bewegung.

Dottore
Wie woll'n zum Bürgermeister...
Die Barbaren... die haben uns den Wein gefälscht...

Abbate
Halt! eine Klippe!...

Dottore
...darum auch!

Abbate
...Steuert!

Der Dottore fällt über den Körper Leandros. Er steht mühsam auf.

Dottore
Der Mann ist tot.

Colombina
Ah!

Sie wirft sich auf den leblosen Körper Sämtliche Fenster, ausgenommen in Matteos Haus, bevölkern sich mit neugierigen Köpfen.

Abbate
Der Tod ist ein Geheimnis.

Dottore
Ich weiß mir diesen nicht zu deuten!

Sie sehen einander ratlos an.

Dottore, Abbate
Was vermuten, was beginnen,
dieser Fall ist intrikat,
rasches Tun mit klaren Sinnen,
wer das könnte wüßte Rat, usw
Priesters Tröstung, Arztes Hilfe
ist vergeblich, kommt zu spat.
Beides ist vergeblich, beides kommt zu spat.

Colombina
Dieser Mann ist nicht tot!

Dottore
Ist nicht tot, ist nicht tot...
Erlauben Sie!

Colombina
Zum Beispiel?

Dottore
Mausetot!

Colombina
Nein!

Dottore
Klarer Fall!

Colombina
Ach!

Der Abbate untersucht den scheinbar Toten.

Dottore
Herzschlag! Mors fulminans! Apoplexie!

Colombina
Nein, nein, nein, nein!

Abbate
Auferstehung! gepriesen sei der Herr!

Dottore
Ich weiß das nicht zu deuten!

Colombina
Seht ihr nun!

Dottore
Der Teufel bleibt der Klügstel

Abbate
Nun wollen wir
das totlebendige Herrchen
in des Schneiders Haus unterbringen.
an dem Hause horchend
Ser Matteo! Ser Matteo!
Grabesstille!
Es macht mich recht besorgt.

Er klopft an die Tur gegenüber.

Herr Nachbar, aus Barmherzigkeit
hier liegt ein Verwundeter.

Der Kopf über der Tür zieht sich zurück, das Fenster wird geschlossen.

Kein Glück.

Er geht zur nächsten Türe.

Ihr, Freund, im Namen der Milde...

Gleicher Erfolg. Er macht die Hunde; rechtzeitig schließen sich die Fenster, verschwinden die Köpfe.

...Hilfe! Erbarmen!
Es ist ein Hang in den Menschen,
die angeborne Güte zu verbergen.
Genug. Wenn sie versagen,
stellt die Vorsehung sich ein.
Und siehe!
Hier erscheint sie im Sinnbild des Esels.

Um eine Straßenecke wird der Kopf eines Esels sichtbar. Der Esel ist von einem Karren gefolgt, dem zur Seite der Kärmer schreitet.

Haltet an, guter Mann, und helfet.
Gottes Lohn und einen Taler.

Quartett

Laßt uns beten:
Asinus providentialis,
er erschien als guter Stern;
wunder Ritter, kluges Weibchen,
und die Trauung ist nicht fern, usw.

Leandro
erwachend
Ach, ich starb, und dennoch leb' ich,
denn die eine ist treu geblieben.
Schwert ist hin, und hin ist Laute,
jedoch die Lunge atmet: Lieben! usw.

Dottore
Ignorantia heißt der Glaube,
Liebe: Drang nach neuem Leben,
tiefer sieht darin der Meister,
Heilkraft ist nur ihm gegeben, usw.

Colombina
Männer, tapfer oder schwächlich,
sind im Grunde gleich zuwider,
hat der eine mich verachtet,
narr' ich drum den andren wieder! usw

Dottore
Liebe, was ist Liebe?
Glaube, was ist Glaube?
Tiefer, tiefer sieht der Meister,
anders zeigt sich ihm die Welt!

Abbate
Asinus providentialis,
du erschienst als guter Stern;
wunder Ritter, kluges Weibchen,
eure Hochzeit ist nicht fern.

Colombina
Wunder Ritter, wund im Herzen,
deine Trauung scheint nicht fern.

Colombina, Leandro, Dottore
Amen!

Der Kärrner, mit Hilfe des Abbaten, schafft den Ritter auf den Karren; darauf nehmen auch die übrigen Platz. Der Esel zieht an.

Dottore
Zum Lazarett!

Der Karren biegt um die Ecke. Arlecchino zeigt sich an der Dachluke von Matteos Haus.

Arlecchino
Glück auf zur Fahrt,
und zur Hochzeit,
und zur Kindtaufe!
sich weiterhinauslehnend
Ich hoffe, ihr versäumt nicht den Anstand, mich einzuladen .

Er steigt auf das Dach.

Nun glüht mein Stern!

Wie allumfassend breitet er die Arme aus.

Die Welt ist offen!
Die Erde ist jung!
Die Liebe ist frei!
Ihr Harlekins!

Er läßt sich an der Traufe behende heruntergleiten, öffnet das Tor, umfaßt die dahinter wartende Frau und eilt mit ihr fort.

Matteo tritt, anscheinend erschöpft, auf.

Monolog

Matteo
Wahrlich, ich weiß nicht mehr aus noch ein! Ich... ich fuhle mich recht mitten in Dantes Wildnis. Ein Glück, daß der brave Kapitän mein Haus bewacht; die beiden andren ließen mich im Stich. Wo? das weiß der Himmel! Dieses Bergamo ist auch zu groß.

Er ist an seinem Tor angelangt und sieht sich in der völlig stillen Straße um.

Es hat den Anschein, als ob Frieden wieder herrschte.

Er seufzt und geht ins Haus. Man sieht ihn kurz darauf an einem Fenster, eine brennende Öllampe in der einen, einen Zettel in der anderen Hand. Er liest:

«Ich habe mich nur zur Vesper begeben, komme sobald als möglich zuruck; deine Annunziata.» Das ist mir völlig unbegreiflich! Völlig unbegreiflich! Also werde ich sie unten erwarten.

Er kommt mit Öllampe, Nahzeug und «Dante» aus dem Haustor, und macht sich an der ambulanten Werkstatt zu schaffen.

Das ist mir völlig... beim Galeotto war ich stehngeblieben... lange kann sie nicht bleiben... Es ist der fünfte Gesang... hier. «Galeotto fu'l libro e chi lo scrisse!»

Ein Zwischenvorhang wird ruhig heruntergelassen. Zwei Trompeter in der herkommlichen Livree des Theaterdieners stellen sich rechts und links vor dem Vorhang auf, blasen an und ziehen sich zuruck.

Umzug und Tanz (Schluß)

Vor dem Vorhang. Cavaliere Leandro, an seinem Arme Colombina: Sie ziehen über die Bühne, halten vor dem Souffleurkasten, verbeugen sich undgehen ab. Es folgen in gleicher Weise: der Dottore mit dem Abbate, der Karren mit dem Esel, der sich verbeugt, die beiden Sbirren und schließlich Arlecchino, an seinem Arme Annunziata. Er hält in der Mitte der Bühne still, nimmt die Maske ab und spricht:

Arlecchino
Verehrliche Versammlung! Ich habe das innige Vergnügen, Ihnen meine jüngste Angetraute vorzustellen, die bislang als Frau Schneidermeisterin nicht vollauf Gelegenheit fand, ihre Reize vor Ihnen zu enffalten. Betrachten Sie sie jetzt in ihrer ganzen Schöne! O,sie weiß es zu schätzen, vor einer so kunstverständigen Gemeinde sich verneigen zu dürfen! Die ingebührende Distanz verzogene Gattin aus erster Hand ist neuerdings eine zu Hoch- und Edelgepaarte und verbleibt es bis zu neuen Begebenheiten. Die Moral daraus zu destillieren, übermache ich den Damen; was sagt' ich: neue Begebenheiten! Wiederholt sich nicht alles und im ewig gleichen Kreise?
Wer siegt? Wer fällt?
Und wer behält
zuletzt sein Recht?
Der auf sich selbst gestellt,
dem Herzen nach,
im Hirne wach,
den graden Weg erwählt
Der sich begnügt,
wenn's ihm gegluckt,
die Selbstheit sich zu wahren;
der auch geflickt
sich niemals bückt,
ich hab's an mir erfahren.
Die Wahrheitswurzel hiervon zu ziehen, überlasse ich den Männern und zumal den Herren Kunst- und Zeitungskritikern, meinen wohlgesinnten Richtern. Meine Damen, meine Herren, gute Nacht!

Arlecchino umfaßt Annunziata und zusammen führen sie einen kurzen lebhaften Tanz auf mit hochge schwungenen Armen und Beinen, und also bewegt enteilen sie.
Wenn der Vorhang wiederaufgezogen wird, erblickt man Ser Matfeo, nähend, lesend, wartend.