UNDER CONSTRUCTION
"Der Rosenkavalier"
 
Kurz nach der «Elektra»-Première hatte Richard Strauss verlauten lassen, dass er als nächstes eine Mozart-Oper zu schreiben gedenke und am 11. Februar 1909, nicht ganz einen Monat nach der Uraufführung von «Elektra», schrieb ihm Hugo von Hofmannsthal: «Ich habe hier in drei ruhigen Nachmittagen ein komplettes, ganz frisches Szenar einer Spieloper gemacht, mit drastischer Komik in den Gestalten und Situationen, bunter und fast pantomimisch durchsichtiger Handlung, Gelegenheit für Lyrik, Scherz, Humor [...]. Zwei grosse Rollen für einen Bariton und ein als Mann verkleidetes graziöses Mädchen à la Farrar oder Mary Garden. Zeit: Wien unter Maria Theresia.»

Strauss begeisterte sich für das Sujet und in kürzester Zeit entwarf Hofmannsthal zusammen mit Harry Graf Kessler ein detailliertes Szenarium, das sich an ältere theatralische Formen (Wiener Volkstheater, Opera buffa) anlehnte und auf ganz unterschiedlichen literarischen Vorlagen basierte. Das Libretto des «Rosenkavalier», einer «Komödie für Musik» wurde dreiaktig, mit vier von Alter, Stand und Charakter recht verschiedenen Hauptfiguren angelegt: Da ist zunächst die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg, eine kluge, vornehme und weltgewandte Frau Anfang Dreissig; dann ihr etwas älterer Vetter vom Land, der Baron Ochs auf Lerchenau, ein recht von sich eingenommener, lebenslustiger Mann; hinter der Titelfigur verbirgt sich der 17jährige Graf Octavian Rofrano, verwandt mit der Feldmarschallin und ihr Geliebter; und schliesslich ist da die noch nicht einmal 15jährige Sophie von Faninal, Tocher eines reichen Neugeadelten, die Baron Ochs zu seiner Zukünftigen auserkoren hat. Dass dieser das junge Mädchen und die damit verbundene und ihn vor allem interessierende Mitgift doch nicht bekommt, da ihm der junge Graf sämtliche Pläne in letzter Minute durchkreuzt, steht ganz in der Komödientradition. Aber dass dieser Graf Octavian durch seine plötzlich aufflammende Liebe zu Sophie seine Liebe zur Marschallin vergisst, so dass am Schluss neben dem düpierten Brautwerber und dem glücklichen jungen Paar eine weise verzichtende Frau steht, gibt dem Libretto eine für Komödien untypische Fallhöhe.

Anregungen für den Stoff fand Hofmannsthal in seinem 1908 verfassten Casanova-Schauspiel «Christinas Heimreise», vor allem aber bei Molière und Mozart. Handlungsschema und Exposition des ersten Aktes, sowie die Figur des heiratslustigen Landedelmannes sind Molières Schauspiel «Monsieur de Pourceaugnac» (1669) entnommen. Der Text des italienischen Sängers während des Levers im ersten Akt entstammt fast wortwörtlich dem «Ballet des nations» aus «Le Bourgeois gentilhomme» und die Figur des Faninals ist ebenfalls einem Schauspiel Molières entlehnt («Le Médecin malgré lui», 1666). Die Figur des Octavian ist dagegen dem Cherubino aus Mozarts «Le nozze di Figaro» (1786) nachempfunden.

Darüber hinaus liess Hofmannsthal sich von William Hogarts Bilderzyklus «Mariage à-la-mode» (1745) inspirieren und fand mit der Atmosphäre poetischer und historischer Realität einer Stadt und Epoche in Richard Wagners Oper «Die Meistersinger von Nürnberg» Anregung, die ausserdem mit der Entsagung des Sachs zugunsten des jungen Paares Eva Pogner und Walter Stolzing an den Verzicht der Marschallin erinnert.

Strauss ist begeistert, als er die ersten Szenen zu lesen bekommt, macht sich sogleich an die Arbeit und schreibt am 21. April 1909 an Hofmannsthal: «Wird sich komponieren wie Öl und Butterschmalz. Ich brüte schon. Sie sind da Ponte und Scribe in einer Person.» Eineinhalb Jahre nach dem ersten Textentwurf lag die fertige Partitur vor. Dabei war die Zusammenarbeit für beide nicht immer einfach. Hofmannsthal verzweifelte manchmal an Strauss&Mac182; Neigung, die derbe Seite des Stückes, vor allem die Figur des Ochs herausstellen zu wollen, wohingegen sich Strauss sorgte, ob nicht einiges am Libretto «ein bisschen zu fein für den grossen Haufen» (Brief an Hofmannsthal vom 4. Mai 1909) wäre. Aufschlussreich sind hier nicht zuletzt die Diskussionen über den Titel des Werkes. Auf den ersten Vorschlag von Strauss, «Der Ochs von Lerchenau und die silberne Rose», reagiert Hofmannsthal nicht. Dann taucht in seinem Briefwechsel mit Graf Kessler der Titel «Der Vetter vom Land» auf, während Kessler seinerseits «Quin-Quin» favorisiert - der Name sei «wirklich suggestiv». Doch Hofmannsthal findet diesen Namen «absolut unacceptabel wegen des fatalen Anklanges an zahllose französ. Possen und Operetten To-to, Rip-Rip etc. etc.». Schliesslich bringt er den Titel «Rosencavalier» ins Spiel, der wiederum Graf Kessler nicht zusagt. «Der Grobian in Liebesnot», «Der Grobian im Liebesspiel», «Die galanten Abenteuer des Barons von Lerchenau», «Die Liebeslist», «Die Schule der Unverschämten» und «Ochsens Schulung» lauten nun seine Gegenvorschläge. Aus einem Brief von Alfred Roller an Richard Strauss erfahren wir schliesslich im Mai 1910: «Hofmannsthal schreibt mir, der Titel werde wohl &Mac220;faute de mieux&Mac221; Der Rosenkavalier sein. (...) Mir gefällt der Titel sehr gut. Er spricht sich leicht und lässt etwas Fröhliches ahnen.» Strauss, dem der Vorschlag weit weniger gefiel, fügte sich schliesslich: «Mir gefällt der Rosenkavalier gar nicht, mir gefällt der Ochs! Aber was will man machen. Hofmannsthal liebt das Zarte, Ätherische, meine Frau befiehlt: &Mac220;Rosenkavalier&Mac221;. &Mac220;Also Rosenkavalier&Mac221;! Der Teufel hol ihn!»

Die Uraufführung fand am 26. Januar 1911 am Königlichen Opernhaus in Dresden unter der musikalischen Leitung von Ernst von Schuch statt, der auch die drei vorangegangenen Straussopern zur Uraufführung gebracht hatte. Da das Libretto dem Intendanten Graf Seebach an einigen Stellen zu gewagt schien, wurden erotische Anspielungen im Klavierauszug umformuliert. Für die kurz darauf in Berlin folgende Aufführung nahm der dortige Intendant Georg von Hülsen eine weitere Verstümmelung des Librettos vor, indem er alle ihm unmoralisch vorkommenden Textstellen umdichtete. Diese Fassung wurde erst 1924 wieder revidiert. Trotz der Entschärfung des Librettos erntete Hofmannsthal Kritik ob der Obszönität des Librettos und Strauss warf man vor, sich nach seinen ersten Erfolgen «Salome» und «Elektra» nun wieder gänzlich von der Avantgarde abgewandt zu haben. Dennoch war die Uraufführung mit so grossem Erfolg verbunden, dass Sonderzüge (sogenannte «Rosenkavalier-Züge») aus Berlin nach Dresden eingesetzt wurden, und bis heute ist «Der Rosenkavalier» eine der bedeutendsten musikalischen Komödien geblieben.

Die Popularität, der sich diese «Komödie für Musik» seit nunmehr fast einem Jahrhundert erfreut, hat für Franz Welser-Möst verschiedene Gründe. An erster Stelle steht natürlich die Kongenialität von Dichter und Komponist, die sich bei allem unterschiedlichen Temperament mit ihrem gegenseitigen Einfühlungsvermögen in die Arbeit des anderen und in die dramatischen und kompositorischen Notwendigkeiten des Stoffes hervorragend ergänzten, sodass eine wunderbar ausgeglichene Synthese von Wort und Musik entstand. Ganz anders als in «Elektra», der eine sinfonische Form zugrunde liegt und die sich im Wagnerschen Geist auf Leitmotivtechnik stützt, folgt Strauss im «Rosenkavalier» genau dem Text, der permanent bis in die kleinsten Details kommentiert und illustriert wird. Besonders amüsant sind da die Subtexte, die sich Strauss in der Instrumentation der Partie des Ochs erlaubt - teils derart subtil, dass man sie nur bei genauestem Studium der Partitur aufspürt. Das Gewicht, das Strauss dem Text zukommen lässt, zeigt sich auch in der Orchesterbesetzung, die im Vergleich mit der «Elektra» reduziert ist, u.a. verwendet er statt acht Hörnern und Klarinetten nur jeweils vier. Die angestrebte Durchsichtigkeit geht auch aus der für Franz Welser-Möst nicht hoch genug zu bewertenden Forderung des Komponisten hervor, man möge seine Musik so differenziert behandeln wie eine Mozartpartitur. Das gilt bei weitem nicht nur für den «Rosenkavalier», sondern ebenso für seine anderen Werke, etwa die «Elektra», die Franz Welser-Möst gerade in Cleveland dirigiert hat und dabei mit seiner ungewohnten Lesart Beifallsstürme erntete.

Partituren von Strauss - so der Dirigent - leben immer von der Gestaltung der Details; in der Beherrschung des Klangapparates war er so genial, dass man sicher sein kann, nirgends einzubrechen. Hofmannsthals Ausspruch «Die Tiefe muss man verstecken. Wo? An der Oberfläche» gilt daher in gewisser Weise auch für die Interpretation der Musik. Nur so vermittelt sich der hohe Unterhaltungswert, der gerade den «Rosenkavalier» auszeichnet - dies auch ein Grund für die Beliebtheit des Werkes. In der «Mischung von Charakteristisch-Groteskem mit Lyrischem» (Hofmannsthal) liegt der Zauber des Werkes, das zudem einen grossen Wiedererkennungswert für das Publikum besitzt. Von fast ans Operettenhafte streifenden Szenen grösster Komik bis hin zu Ausbrüchen höchster Emotionalität reicht die Gefühlspalette; letztere gipfeln in der Rosenüberreichung und im Terzett des dritten Aktes, wo Strauss über die sogenannten Schwellentonarten Fis-Dur bzw. Ges-Dur die Grenzbereiche von «himmelhoch jauchzend/zu Tode betrübt» intensiv wie selten erlebbar macht.

Und noch etwas gibt es, das uns den «Rosenkavalier» so liebenswert macht: Die ausgleichende Gerechtigkeit, mit der Strauss seine Figuren bedenkt, Boshaftigkeiten, die er liebevoll bemäntelt, musikalische Sympathieerklärungen auch für nicht immer ganz moralische Vorgehensweisen. Nur für eine Figur zeigt der Komponist, der grundsätzlich sehr viel lieber für Frauen komponierte und für Tenöre nicht viel übrig hatte, kein Mitleid: für den italienischen Sänger, dem er zwar für einmal eine wunderbar kantable Arie komponiert, ihn dann aber im schönsten Moment abrupt durch Ochs unterbrechen lässt.
 © OPERNHAUS ZÜRICH