"Die verkaufte Braut" Bedrich Smetana

 

>> «Eigentlich nur eine Spielerei» nannte Bedrich Smetana seine «Verkaufte Braut» in der Dankrede beim Festbankett anlässlich der 100. Aufführung seiner komischen Oper in Prag am 5. Mai 1882. Komponiert habe er sie «nicht aus Ehrgeiz, sondern aus Trotz, weil mir nach meinen Brandenburgern [Smetanas erste Oper Die Brandenburger in Böhmen, komponiert 1862/63] vorgeworfen wurde, dass ich ein Wagnerianer sei, und im nationalen, leichten Stil nichts fertigbringen würde.» Einem ähnlichen Vorwurf sah er sich nach einem Konzert mit der Aufführung seiner an Franz Liszts Programmmusik orientierten Sinfonischen Dichtungen «Richard III.» und «Wallensteins Lager» ausgesetzt und notierte im Januar 1862 in sein Tagebuch: «Gerade die deutschen Blätter werfen mir vor, dass ich leider der neudeutschen Schule angehöre! ­ Insofern die neudeutsche Schule den Fortschritt prägt, gehöre ich ihr an, im Übrigen aber mir selbst. Wenigstens bestrebe ich mich es so zu tun, wie ich es innerlich fühle.»

1824 im nordostböhmischen Leitomischl als Sohn eines Bierbrauers geboren, fühlte sich Smetana schon früh zum Musiker berufen. Anfänglichen Widerständen des Vaters zum Trotz, widmet er sich ab 1843 in Prag einem Kompositionsstudium, bei dem er vor allem die Werke Schumanns, Chopins und Liszts für sich entdeckt, finanziell hält er sich als Hauslehrer über Wasser und beginnt 1847 eine künstlerische Laufbahn als Pianist. Die Erträge sind jedoch so spärlich, dass er beschliesst, eine eigene Musikschule zu gründen. Als dieses Projekt zu scheitern droht, wendet er sich an den von ihm verehrten Franz Liszt persönlich, übersendet ihm das Manuskript seiner «Six morceaux caractéristiques» op. 1 und bittet ihn um Unterstützung, «denn in einigen Wochen könnte vielleicht Š kein Smetana mehr existierenŠ». Trotz dieser unverhohlenen Selbstmorddrohung eines ihm Unbekannten, antwortet Liszt freundlich, womit eine langjährige Freundschaft beginnen sollte.

Als Smetana zehn Jahre später ­ unterdessen hatte er es als Direktor der Philharmonischen Gesellschaft von Göteborg zu Ansehen als Pianist, Dirigent und Komponist gebracht ­ auf Einladung Liszts Weimar besuchte, kam es zu einem Vorfall, der Smetanas kompositorische Laufbahn nachhaltig prägte. Sein tschechischer Landsmann Václav Juda Novotny´ erinnert sich: «Ich sehe ihn noch mit diesem seinem flammenden Blick vor mir, in jener unvergesslichen Stunde, als der Plan, einen selbständigen tschechischen Muskstil zu schaffen, in seinem Kopf ausreifte. In Weimar war¹s. Der weltberühmte Meister Liszt hatte Smetanas charakteristische 12 Klavierkompositionen, die gerade in Leipzig erschienen waren, kennen und den bescheidenen Künstler schätzen gelernt; er lud ihn zu sich nach Weimar, wo er von einem Kreise auserlesener Künstler aus der gazen Welt umgeben wie ein König der Musik regierteŠ Selbstverständlich kam es in einer so verschiedenartigen Versammlung von Musikern aus aller Herren Länder mitunter zu WortgefechtenŠ Zu dem damals in Weimar vereinten Musikerkreis gehörte auch der bekannte Wiener Komponist Johann Ritter von Herbeck, ein verbissener Feind der Tschechen. Die Sprache kam auf die Frage, was jede einzelne Nation Grosses auf dem Gebiet der Musik geleistet habe, und Herbeck nahm diese Gelegenheit wahr, um mit giftigen Worten die Ehre der tschechischen Nation anzugreifen. Was habt ihr bisher zustande gebracht? höhnte er zu Smetana gewendet. Das Böhmerland bringt nur Fiedler hervor, fahrende Musikanten, die ausschliesslich nur die rein technische Seite der Musikkunst als gute Handwerker beherrschenŠ Auf dem Gebiet wirklicher, wahrer Schönheit ist euere künstlerische Schaffenskraft im Absterben begriffen. Zum Fortschritt und für die Entwicklung der Musikkunst habt ihr nicht das Geringste beigetragen. Ihr habt nicht ein einziges Werk, das so vom tschechischen Geist beseelt wäre, dass es dieser seiner Originalität wegen als ein Beitrag und eine Bereicherung der europäischen Musikliteratur angesehen werden könnte. ­ Diese beissenden Worte trafen die Seele Smetanas wie ein Blitz: er konnte nicht verkennen, dass sie eine schwere Anklage enthielten, die noch zu Beginn dieses Jahrhunderts manche Berechtigung hatte. Es war allgemein bekannt, dass unser Volk immer alle Militärkapellen und Theaterorchester mit ausübenden Musikern versorgte, die immer in einem Verhältnis der Abhängigkeit zu den Schaffenden standen, deren Kompositionen sie gerade vortrugen. Und angesichts ihrer gewaltigen Überzahl verschwand dies kleine Häufchen mit schöpferischem Geist begabter Komponisten, die in Böhmen geboren, in der Fremde umherirrten, sich dort mit der Zeit dem tschechischen Geiste völlig entfremdeten, und die als blosse Epigonen gerade zur Berühmtheit gelangter Meister verschiedener fremder Schulen zu einer wünschenswerten Reform der Musik im nationalen Geist natürlich so gut wie nichts beitragen konntenŠ Smetana fühlte, dass sein Gegner in manchem nur zu recht hatte. Eine passende Erwiderung zu finden war nicht leicht. Smetana berief sich auf die älteren Tonkünstler tschechischen Ursprungs, namentlich auf Myslivec ek. ­ Das soll ein Tscheche gewesen sein?, lachte Herbeck, er schrieb ja unter dem Namen Venatorini italienische Opern in echt italienischem Stil auf italienische Texte! ­ Und Tomás ek?, beharrte Smetana. ­ Wir wissen doch alle, brach Herbeck los, wie er sich in allem ängstlich an Mozart hielt, den deutschen Meister. ­ Smetana musste sich damit begnügen, auf die eminente musikalische Begabung des tschechischen Volkes zu verweisen, das als erstes unter allen Völkern das epochale Werk gerade dieses grossen Meisters begriff und ihm Anerkennung zollte. ­ Jawohl, Smetana hat recht, seinen Don Giovanni schrieb Mozart für sein geliebtes Prag, riefen die anderen Musiker im Kreis. Aber diese Anerkennung brachte Herbeck so auf, dass er sich zu dem Ausruf hinreissen liess: Ha, dieses Prag nagt schon lange genug an diesem alten Knochen Mozarts. ­ Smetana war wie von der Natter gebissen aufgesprungen, da aber winkte Liszt beschwichtigend mit der Hand, nahm ein Bündel Notenblätter und trug auf seine unübertroffene, bezaubernde, geniale Art die im ersten Heft enthaltenen Charakteristischen Tonstücke Smetanas vor. Er verabschiedete sich von seiner Gesellschaft mit den Worten: Hier haben sie den Komponisten mit dem echt tschechischen Herzen, den begnadeten Künstler. ­ Herbeck hatte seinen Anfall überwunden und entschuldigte sich für seine SchroffheitŠ Die Nacht war schon weit fortgeschritten, als die Gesellschaft in sonderbarer Stimmung auseinander ging. Smetana aber legte das feierliche Gelöbnis ab, sein ganzes Leben rastlos im Dienste seiner heimischen Kunst zu arbeiten.»

Auch wenn die finanzielle Lage den Komponisten ­ er war mittlerweile verheiratet und Vater von vier Kindern ­ vorerst daran hinderte, in seine Heimat zurückzukehren, liess ihn der Gedanke daran nicht los. 1861 zeichnete sich schliesslich eine Wende ab: Nationalpatriotische Zeitungen wurden in Böhmen gegründet, allerorts schlossen sich Zirkel zu nationalromantisch gefärbten Kulturvereinen zusammen, ein vom Ständetheater unabhängiges, tschechisches Opernhaus war in Planung und ein Opernpreisausschreiben sollte für tschechische Musiker ein Anreiz sein, eine vom Volkstümlichen getragene Musikbewegung zu beleben. Grund genug für Smetana, nach Prag zurückzukehren, um seine lange gehegten Pläne zu realisieren. Trotz der eingangs zitierten Kritik an den «Brandenburgern» geriet Smetanas erste Oper zu einem grandiosen Erfolg. Man bescheinigte ihm, er sei dazu «berufen, mit seinen Arbeiten den Grundstein des Gebäudes zu legen, das einmal als tschechische Oper bekannt werden wird». Zehn Wochen nach Beendigung dieser Partitur notiert er in seinem Tagebuch: «Von Sabina habe ich mir den Text zu einer komischen Operette gekauft, einen Titel hatte sie nicht». An anderer Stelle vermerkte er: «Ich hatte mir fest vorgenommen, auszuprobieren, ob mir auch ein leichterer Stil gelänge, um allen meinen Gegnern zu zeigen, dass ich auch kleine musikalische Formen sehr gut treffe, welche Fähigkeit sie mir immer wieder absprechen.»

Das Libretto, das er von Karel Sabina erworben hatte, war eine schnell hingeworfene, einaktige Posse mit gesungenen Liednummern und gesprochenen Dialogen, die auf Sabinas Roman «Der ewige Bräutigam» basierte. Offenbar aber war Smetana nach genauerem Lesen des Stückes doch nicht zufrieden und sandte es seinem Librettisten mit der Bitte um Überarbeitung zurück. Diese liess allerdings auf sich warten, und so komponierte Smetana einstweilen die Ouvertüre, die am 18. November 1863 bei einer Feier im Künstlerverein «Ume lecká Beseda» erstmals erklang. Zwei Jahre musste er sich noch gedulden, bis er sich endlich an die Vertonung der Gesangsnummern machen konnte. Am 15. März 1866 war die Partitur abgeschlossen, am 30. Mai desselben Jahres erfolgte die Uraufführung der zweiaktigen «Verkauften Braut» am Prager Interimstheater unter Smetanas Leitung. Allerdings stand der Bevölkerung in den Tagen vor der Schlacht von Königgrätz der Sinn nicht nach unterhaltsamen Theaterabenden, die Reihen bleiben leer, nach der zweiten Vorstellung wurde das Werk abgesetzt, sein Schicksal schien besiegelt. Dass diese Oper schliesslich zum Welterfolg wurde ­ zur «ausverkauften» Braut ­ verdankt sich vor allem den zahlreichen Revisionen, die Smetana vornahm. Für eine Festvorstellung im Oktober 1866, zu der Kaiser Franz Joseph Prag besuchte, musste als Zugeständnis an die Etikette eine Ballettszene eingelegt werden. Aus Zeitnot bediente sich Smetana bei seinen «Brandenburgern» und fügte ein bereits existierendes Ballett als «Zigeunertanz» in die Komödiantenszene ein. Im weiteren Verlauf der Umarbeitungen wurde am Beginn des zweiten Aktes ein weiterer Tanz, die Polka, eingefügt ­ diesmal als Konzession an die Pariser Opéra comique, die Interesse an einer Übernahme des Werkes bekundete. Schliesslich wurde der Kompromiss Programm: Zur Dreiaktigkeit erweitert, fügte Smetana mit dem Furiant, dem Einzugsmarsch der Zirkustruppe und dem Springtanz, der die Ballettmusik aus den «Brandenburgern» ersetzte, der «Verkauften Braut» jene Instrumentalsätze hinzu, die sie zur Volks- und Nationaloper werden liessen. Weitere Ergänzungen waren der Trinkchor des zweiten Aktes sowie Maries grosse Arie im dritten Akt. Zuletzt wandelte Smetana die gesprochenen Dialoge in Rezitative um und die «Verkaufte Braut» fand zu ihrer endgültigen Gestalt.