Auch wenn für den Regisseur Sven-Eric Bechtolf die Oper »Don Giovanni«
von Wolfgang Amadeus quasi kaum aufführbar erscheint, hat er sich
dennoch an die Realisierung dieses Werk herangewagt. Die Premiere im
Opernhaus Zürich am vergangenen Sonntag hinterliess zwiespältige
Gefühle.
Unter den von Mozart komponierten Opern nimmt »Don Giovanni«, die
1787 vollendet wurde, eine Sonderstellung ein. Es geht um sexuelle
Befreiung und überkommene Konventionen, um Liebe und Intrige, um
vitales Begehren und verschmähende Abkehr und letztlich um tödlichen
Hass. Das Stück handelt inhaltlich von einem Triebbesessenen, der allem
nachjagd, was einen Rock trägt. Stehen bei den anderen Werken Mozarts
jeweils versöhnende Gesten am Schluss, so bleibt das Thema der Rache
bei »Don Giovanni« bis zum letalen Ende im Raum bestehen. »Vielleicht
zum letzten Male hebt hier das alte Barocktheater sein Haupt und zeigt
uns Hölle, Erde und Himmel«, meint Ronny Dietrich im Opernhaus-Magazin.
Locker und der Leichtigkeit von Mozarts Musik entsprechend, versucht
Bechtolf Mozarts Werk umzusetzen. Über weite Strecken gelingt das auch.
Aber nicht immer, und daran ist nicht nur die physisch ermüdende lange
Dauer des Werks von fast vier Stunden verantwortlich. Mitunter werden
nämlich auch Schwerefelder erzeugt, die der Leichtfüssigkeit
Mozart’scher Notengebinde entgegenzuwirken scheinen. Etwa wenn sich die
Gesänge des Don Giovanni (Simon Keenlyside) und seines Dieners
Leporello (Anton Scharinger) zum Duett kreuzen. Unterstützt wird die
Leichtigkeit der Musik durch die ungezwungene, modulare Gestaltung der
Bühne durch Rolf Glittenberg. Die Bühne erscheint als goldenes,
offenes, vertikal gestelltes Kassettensystem, dass sich beliebig
verkürzen und in die Tiefe verlängern lässt. Durch die Verspiegelung
der Rückwand multiplizieren sich Wände und Lichter mitunter bis ins
Unendliche.
In dieses flexible Bühnenbild lassen sich beliebig Ballszenen und
Partyatmosphären hineinprojizieren. Festivitäten sind möglich, die Don
Giovanni den passenden Rahmen bieten, um seinen Verführungskünsten
freien Lauf zu lassen. Die Teilnehmer solcher Abendgesellschaften sind
aber nicht barock kostümiert, sondern tragen mondäne, zeitgenössische
Abendkleider, respektive weisse oder schwarze Smokings. Nur Don
Giovannis Samtjacke hebt sich durch ein samtenes Weinrot farblich von
den anderen plakativ ab. Die bei den Bällen im 18. Jahrhundert üblichen
Maskeraden werden durch dunkle Sonnenbrillen angedeutet. Für diese Art
der Kostümierung zeichnet übrigens Marianne Glitterberg verantwortlich.
Eine der Besonderheiten im »Don Giovanni« ist es, dass Mozart für
die Ballszene mit dem Menuett, dem Contretanz und dem Deutschen Tanz
die drei beliebtesten Balltänze der damaligen Zeit einbaute. Wobei sich
in den verschiedenen Tänzen die unterschiedlichen
Gesellschaftsschichten und Hierarchien brechen. Da die Tänze mit ihren
unterschiedlichen Taktarten gleichzeitig gespielt werden, entsteht ein
chaotisches Grundgefühl, das man beinahe schon als modern bezeichnen
möchte.
Speziell an der Neuinszenierung Bechtolfs ist, dass die Rezitative
nicht vom Cembalo, sondern vom Hammerklavier (plus Cello) begleitet
werden. Für den Dirigenten Franz Welser-Möst, der mit seinem einfühlsam
geführten Orchester die musikalischen Fäden ausgezeichnet beherrschte,
auch wenn es zwischen Solisten und Orchester die eine oder andere
Unstimmigkeit gab, ist dies naheliegend. Denn spätestens seit seinem
Klavierkonzert in B-Dur KV 238 habe sich Mozart des Hammerflügels und
nicht mehr des Cembalos bedient, so Welser-Möst.
Über die letztlich ermüdende Langatmigkeit des Stückes konnten auch
die gesanglich teils grossartigen Leistungen des Ensembles nicht
hinweghelfen. Auch wenn etwa die Farbabstufungen und die Stimmführung
der Sopranistin Eva Mei, die die Donna Anna verkörperte, oder auch
diejenige von Malin Hartelius, die als Donna Elvira ihr Rollendebüt
feierte, durchaus zu gefallen wussten. Auch Alfred Muff als Komtur,
Piotr Beczalas als Don Ottavia, Martina Jankovàs als
bäuerlich-charmante Zerlina, Reinhard Mey als impulsiver Masetto und
Anton Schariton als lyrisch-baritoner Butler Leporello sangen ihre
Parts überzeugend. Simon Keenlyside, der schon vor fünf Jahren im
Rahmen der letzten Zürcher Don-Giovanni-Inszenierung ob seines
Charismas hoch gefeiert wurde, hatte diesmal Höhenflüge und Tiefen
zugleich. Vor allem bei den Piano-Partien musste man mitunter zittern,
ob er auch tatsächlich auf Anhieb den richtigen Ton trifft.