| Von Harald Likus
Zürich,
Hotel neben der Oper. Im feinen Foyer zischelt ein Samowar, irgendwo im
ersten Stock wird sogar gebohrt. Doch Franz Welser-Möst ist keiner
dieser lärmempfindlichen Hochleistungsmusiker, die bei nervigen
Alltagsgeräuschen gleich Zuckungen kriegen. Munter, straff,
sportlich sitzt er da, morgens um neun. Turnschuhe, blitzende Augen.
Kaum zu glauben, dass er vor elf Stunden noch "Don Giovanni" dirigiert
hat, sogar mit anschließender Tafelrunde. Und am Abend hat er noch die
Oper "Tiefland" vor sich – auch kein harmloses Beiwerk, wie man weiß. Jawohl,
Welser-Möst ist dick im Geschäft, ganz dick. Als Generalmusikdirektor
der Oper Zürich durchpflügt er einen ehrfurchtgebietenden Spielplan.
Zudem ist er Chef des großen Cleveland Orchestra, mit dem er im
September nach Braunschweig kommt. Ach ja, und den nächsten "Ring" der
Wiener Staatsoper dirigiert er auch noch. "Tja, ich mache viel",
sagt er, "gestern etwa war mein 11. Hochzeitstag, und was tu’ ich?
Dirigieren. Aber ich nehme mir lange Auszeiten. Ab Montag bin ich sechs
Wochen lang nicht zu sprechen." Auch wenn sein Doppelname dem
breiten Publikum noch nicht so geläufig ist: Eine Bilderbuch-Karriere
macht Welser-Möst. Die größten Häuser, die tollsten Orchester wollen
ihn. "Aber glauben Sie mir: Ich hatte nie so was wie einen
Karriere-Plan", sagt er. "In jungen Jahren habe ich selbst mal Karajan
gefragt, was ich wann tun sollte. Da hat er mich nur angegrummelt:
,Lernen Sie Italienisch!’ Ich hatte keine Ahnung, was das sollte, aber
heute finde ich, dass das ein guter Ratschlag war." So hat er
also brav Italienisch gelernt. Und ist ansonsten forsch zu Werke
gegangen. Bruckners mächtige Fünfte hat er mit Mitte 20 schon geleitet.
"Ich bin in diesem österreichisch-katholischen Bruckner-Milieu
aufgewachsen, ich kannte das. Und mein Lehrer sagte: ,Mach’s, wenn du
jung bist. Wenn du’s mit 50 zum ersten Mal machst, hast du auch die
Hosen voll.’" Als Mozart-Interpret ist er besonders gefragt. Er
arbeitet daran, den brillanten Streicherklang des Cleveland-Orchesters
mit dem zu versöhnen, was man historische Aufführungspraxis nennt. "Für
mich ist nicht so entscheidend, wer Mozart war. Ich sage immer: Ich
hab’ Herrn Mozart nicht gekannt. Für mich ist entscheidend, was in den
Noten steht. Und als eine Sängerin Schwierigkeiten hatte, die Arie so
langsam zu singen, wie das sein soll, und rief ,Mozart ist tot, aber
ich lebe doch!’, da hab’ ich ihr gleich gesagt: ,Oh, jetzt kriegen wir
aber Krach’ – und den haben wir auch gehabt." Lebhaft spricht
Welser-Möst über die Musik, die er liebt. Der Musikbetrieb, sagt er,
sei ihm dagegen längst nicht mehr so wichtig. "Ich hatte vor Jahren
einen schlimmen Unfall, Intensivstation, Oberkörper in Gips. Seitdem
sehe ich das alles viel entspannter." Und zuletzt gibt es eben auch
außer der Musik vieles, was ihm wichtig ist. Nicht nur die Familie –
auch das Bergsteigen: "Eine Wiese mit Enzian auf zweitausend Meter, das
ist für mich genauso schön wie Bruckner." |