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Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
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Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni
7. Mai 2006 (Première)
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Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Choreographie
Lichtgestaltung
Choreinstudierung
Donna Anna
Donna Elvira
Zerlina
Don Giovanni
Don Ottavio
Komtur
Leporello
Masetto
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Franz Welser-Möst
Sven-Eric Bechtolf
Rolf Glittenberg
Marianne Glittenberg
Stefano Giannetti
Jürgen Hoffmann
Ernst Raffelsberger
Eva Mei
Malin Hartelius
Martina Janková
Simon Keenlyside
Piotr Beczala
Alfred Muff
Anton Scharinger
Reinhard Mayr |
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Vox spectatricis:
(Persönlicher Eindruck
Aargauer Zeitung:
Basler Zeitung:
Blick:
Der Landbote:
Neue Luzerner Zeitung:
Neue Zürcher Zeitung:
Schaffhauser Nachrichten:
St. Galler Tagblatt:
Die Südostschweiz:
Tages-Anzeiger:
Zürcher Oberländer:
Zürichsee-Zeitung:
Le Temps:
Die Presse:
Die Welt:
Mozart heute:
DrehPunktKultur: |
Das Kind im Manne
einer Premieren-Besucherin)
Der Mörder macht Geschenke
Allzu wörtlich genommen
Ein Macho, der keiner ist
Die Liebe und der Todestrieb
Zeitlose «Basic-Instinct»-Party
Der eine und die anderen
Sinnenfest und Voodoozauber
Betörend statt verstörend
Schicksal, nimm deinen Lauf
Mit Voodoo-Zauber gegen den Verführer
Goldenes Fest für Auge und Ohr
Sigmund Freud lässt grüssen
Don Giovanni de chair et d'os
Die schlimmen Buben in der Liebesschule
Mord im Ballsaal
Jubel um Zürcher "Don Giovanni"
Eine Deutung mit Fragezeichen |
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8. 5. 2006 / Chantal Steiner
Das Kind im Manne
Für
jene Zuschauer, die es schafften, sich ganz auf die „Don
Giovanni“-Produktion einzulassen und „Altes“ abzustreifen, war die
gestrige Premiere bestes Musiktheater. Obwohl der Schlussapplaus
ziemlich begeistert ausfiel, gelangte man doch aus Gesprächsfetzen der
Premierenbesucher zum Schluss, dass dieses Sich-Einlassen vielen
etliche Mühe bereitete.
Das
Opernhaus-Orchester war unter seinem GMD Franz Welser-Möst wieder
einmal in Höchstform. Leicht spielte es auf, spritzig, mit samtenem
Klang, transparent, sinnlich. Der Einsatz des Hammerklaviers anstelle
des Cembalos in den Rezitativen rundete den Klang vorzüglich ab.
Bisweilen hatte man das Gefühl, einen „neuen“ Don Giovanni zu hören.
Das mochte auch von den eher ungewohnten Tempi herrühren. Ich habe z.B.
die Register-Arie noch nie so lyrisch gehört. Sie gewinnt jedoch
dadurch meines Erachtens unglaublich an Intensität.
Diese
Transparenz und Spielfreude passte perfekt zur Inszenierung von Sven
Erik Bechtolf. Sein Don Giovanni ist kein arroganter Schnösel, der aus
blosser Berechnung und Triebhaftigkeit alle Frauen verführt, sondern
ein lebensfroher Mann, der nie erwachsen wurde, ein „grosses Kind“, das
mit grosser Spiellust das tut, was es gerne tun möchte und sich der
Folgen nicht wirklich bewusst ist. Es versucht, Grenzen auszuloten –
und wenn ihm etwas nicht passt, dann „stampft es und wird wütend“.
Durch seine Lebensfreude wirkt Don Giovanni sympathisch, und es lässt
sich nun durchaus verstehen, warum er bei den Frauen leichtes Spiel
hat. Simon Keenlyside verkörpert diesen virilen, körperlichen Don
Giovanni mit unglaublich viel Schalk, Verspieltheit, Ungezwungenheit
und Charisma, sowohl interpretatorisch wie auch musikalisch. Seinem
sicher geführten, warmen Bariton entlockt er alle Facetten, ist überaus
textverständlich und vermag sowohl die leisesten, verführerischen Töne
wie auch die dramatischen Ausbrüche spielend zu bewältigen.
Die
Figur der Donna Anna war für mich in all jenen Inszenierungen, die ich
bisher gesehen habe, nicht schlüssig. Zu konfus erschien mir ihr
Verhalten. Bechtolf zeigt hier nun eine Frau, die sich auf Don Giovanni
eingelassen hat, die ihn liebt, aber zwischen Konvention,
Gewissensbissen (weil sie sich für den Tod ihres Vaters verantwortlich
fühlt) und Leidenschaft hin und her gerissen ist. Bis ganz zum Schluss
kann sie sich Don Giovannis Zauber nicht entziehen. Diese Ambivalenz
der Gefühle wird magistral gezeigt. Sängerisch vermochte Eva Mei (noch)
nicht vollumfänglich zu überzeugen, die Höhen waren bisweilen eng und
die Stimmfarben etwas monochrom. Die Figur verkörperte sie jedoch bis
ins kleinste Detail perfekt.
Normalerweise
mag ich Donna Elvira nicht wirklich, sie wird vielfach als hysterische
Zicke gezeichnet (ich denke da mit Grauen an die Donna Elvira von
Cecilia Bartoli in der Flimm’schen Inszenierung zurück), die von einem
hohen Mezzo oder einem dramatischen Sopran verkörpert wird. Bei
Bechtolf ist sie eine zutiefst verletzte, immer wieder verzeihende,
liebende Frau. Malin Hartelius mag nicht jedermanns Sache in dieser
Rolle sein, da sie ein ausgesprochen lyrischer Sopran ist und über eine
leichte Stimme verfügt. In jedem anderen Haus und mit einem
anderen („lauteren“) Dirigat würde sie wohl untergehen. Aber obwohl
mich ihr Vibrato bisweilen störte, empfand ich ihre Darbietung als sehr
anrührend, bewegend und absolut gelungen. Erschütternd ist sie in der
Szene, als sie realisiert, dass sie von Leporello hintergangen worden
ist, der sich als Don Giovanni ausgab. Das geht wirklich unter die Haut!
Der
ergraute Don Ottavio von Piotr Beczala ist ein Mann, auf den sich alle
verlassen können, pflichtbewusst, liebend bis zur Selbstaufgabe, aber
wohl doch etwas zu berechenbar, um eine Frau – welche Don Giovanni
kennen gelernt hat – zu faszinieren. Wunderschön gestaltetete Beczala
seine beiden Arien. Die Verzierungen, mit welchen er „Dalla sua pace“
schmückte, vermittelten ein völlig neues Hörgefühl. Puristen mögen
Beczalas gelegentliche Schluchzer bemängeln; mich stören diese
überhaupt nicht - auch wenn ich vielleicht eine Interpretation à la
Michael Schade schlussendlich doch vorziehen würde. Aber Beczala
verfügt über eine solch schöne Stimme, dass man dies leichten Herzens
verschmerzen kann.
Bezaubernd
ist die Zerlina von Martina Janková, die eine quicklebendige,
fröhliche, spritzige und auch anrührende Braut abgab und keinerlei
stimmlichen Mängel aufwies. Nebst Keenlyside sicher die Gewinnerin des
Abends. Ihr Ehemann, Masetto, wurde von Reinhard Mayr ebenfalls bestens
verkörpert. Ein aufbrausender, viriler, junger Mann, der den
stimmlichen Anforderungen voll gerecht wurde. Es ist erfreulich, was
für eine konstante Leistungssteigerung dieser Sänger von Oper zu Oper
vollbringt.
Alfred
Muff vervollständigt mit seinem sonoren Bass als Komtur die vom
Publikum umjubelten Sängerleistungen, während Anton Scharingers
Leporello gegenüber Don Giovanni etwas blass blieb. Allerdings wirkte
er darum umso schleimiger, hinterhältiger, kriecherischer und
heuchlerischer. Eine Person, die gerne das „Format“ ihres Meisters
hätte, dieses aber nie erreicht und nur auf ihre eigenen Kosten kommen
will. Bisher hatte ich durchaus Sympathien für diese Figur; erst in
dieser Inszenierung ist mir die Niederträchtigkeit Leporellos
aufgegangen.
Dies
ist ein grosses Verdienst von Bechtolf, der mit viel Liebe fürs Detail
die Personen zeichnet und führt. Seine Inszenierung – in einem wieder
einmal wunderschön ästhetischen Bühnenbild von Rolf Glittenberg mit
tollen Kostümen von Marianne Glittenberg – erzählt, deutet jedoch
wenig. Das reicht vollauf, um einen vergnüglichen und spannenden Abend
zu erleben. Die mittels Tänzern versinnbildlichten inneren Räume der
jeweiligen Protagonisten waren meiner Ansicht nach manchmal etwas zu
viel des Guten. Manchen Besuchern war die Sichtweise Bechtolfs zu
realistisch, und sie vermissten z.B. die Höllenfahrt Don Giovannis. Mir
selbst hat mit diesen tollen Sängerdarstellern gar nichts gefehlt; im
Gegenteil – viele neue Aspekte in der Musik und im Libretto sind mir
erst hier aufgefallen. Sicher kann man sich darüber streiten, ob der
„steinerne Gast“ wirklich nur eine afrikanische Tischstatue sein soll,
ob Voodoo dazu gehört oder nicht. Die ganze Produktion war jedoch in
sich schlüssig und stimmig.
Als
bestechend empfand ich den Schluss mit dieser für mich unsäglichen
Moral „Questo è il fin di chi fa mal“ (die eigentlich gar nicht zum
Stück passt). Wie von Zauberhand stehen Päckchen auf dem Tisch:
Geschenke für jeden der verbleibenden Protagonisten. Sie machen sich
alle daran, diese zu öffnen, und es kommen silberne Gegenstände hervor,
die ihre Zukunft verkörpern. Einzig Donna Anna macht ihres nicht auf,
sondern legt es auf den Stuhl, auf welchem Don Giovanni sein Schicksal
ereilte, während Don Ottavio desillusioniert auf sein Geschenk starrt:
eine Armbanduhr!
Fazit:
ein durchaus gelungener Abend, sowohl musikalisch wie szenisch, mit
einem überragenden Simon Keenlyside, auch wenn es – im Gegensatz zu
etwa "Pelléas et Mélisande" – vielleicht nicht Bechtolfs Meisterstück
gewesen ist.
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9. 5 . 2006 / Christian Berzins
Der Mörder macht Geschenke
Opernhaus Zürich: Sven-Eric Bechtolf versetzt Mozarts «Don Giovanni»
akzentstark in die 1950er-Jahre, während Franz Welser-Möst brav
dirigiert.
Die Aufregung im Zürcher Publikum zum Schluss war gross, obwohl das
Gesehene - ganz zu schweigen vom Gehörten - harmlos war. Deswegen «buh»
rufen? Dafür «bravo» brüllen? Sicher gab Regisseur Sven-Eric Bechtolf
dem Spiel die eine oder andere überraschende Wendung. Unter dem Strich
blieb ein in die Partywelt der 1950er versetzter, eleganter «Don
Giovanni», der vor allem von der Geschmeidigkeit Simon Keenlysides, des
Interpreten der Titelfigur, lebte.
Das Bild der «Don Giovanni»-Deutungen hat in den letzten Jahren auf den
Bühnen gekehrt. Aus dem elegant den Federhut schwingenden, am
Champagnerkelch nippenden Verführer wurde ein durchgeknallter,
lustsüchtiger Mensch ohne Ziele. Don Giovanni ist längst kein
Sympathieträger mehr. In der Interpretation Keenlysides ist er es
interessanterweise trotzdem, obwohl sein Giovanni-Porträt brutal,
schräg, skrupellos und böse ist: Er greift sich zwischen die Beine,
spuckt auf den Boden, (fr)isst mit den Fingern, sticht Leporello das
Messer in die Hand. Keenlyside spielt im Seidensakko mit der «alten»
Rolle und deutet mit den Augen das «Neue» an. Das ist raffiniert . . .
und mehrheitsfähig. Keenlyside verkörpert jene Art Womanizer, die mit
erhobenem Zeigefinger gemahnt, aber insgeheim bewundert werden.
Die sechs Begleiter haben weniger Profil. Nur im Ansatz ist eine
Deutung ihres Wesens zu erkennen. Bechtolf führt sie konturlos,
versucht, ihre Arien zu bebildern: Ihre Seelenzustände werden von einem
Bewegungschor erzählt. So werden aus vermeintlich singulären
Seelenkranken auch auf andere Menschen verweisende Krankheitsbilder. Zu
Don Ottavios «Dalla sua pace» legen sich dem vermeintlich schwachen
Mann die Frauen zu Füssen, zu Donna Annas «Or sai» vereinigen sich
Pärchen zum Tanz, um sich bald zu erwürgen. Bechtolf lässt Doktor Freud
über «Don Giovanni» schweben, wagt eine psychoanalytische Deutung: Die
Sofas stehen fast in jeder Szene auf der lang gezogenen Bühne von Rolf
Glittenberg; eine afrikanische Geliebte des Komturs (Alfred Muff)
stellt eine afrikanische Holzstatue in den Friedhof bzw. in eine
Leichenhalle. Die Statue wird Giovannis Gast sein. Das Unterbewusste,
die triebhaft-dionysische Seite der «Don Giovanni»-Menschen, wird hier
freudianisch angedeutet.
So dreht sich bei Bechtolf bisweilen nicht alles um ihn, um Don
Giovanni, sondern um «es», das Unterbewusstsein. Don Giovanni ist
Katalysator, der das Verborgene aus dem braven Sextett locken kann.
Andeutungsweise. Eine leise Enttäuschung bleibt. Im Programmheft hat
Bechtolf jede Figur sehr aufschlussreich entschlüsselt, sagt aber auch,
dass seine Ideen nicht zu inszenieren seien. Ein Grund für sein
«Versagen» sei die Musik Mozarts, die bereits alles erzähle. Leider
fehlen der Interpretation die rauschhaften Momente.
Hörbar ist, wie sehr Franz Welser-Möst mit dem Orchester gearbeitet
hat: Sein Streicherklang ist aufgehellt, oft sehr fein. Aber in diesem
Spiel ist wenig Zug. Und das liegt nicht an den diskussionswürdigen
Tempi (viele der langsamen leuchten nämlich ein), sondern an der
fehlenden Kraft: kein Orchesterrausch, sondern ausgeglichene,
wohlgestalte Nüchternheit. Ein Problem sind die Sänger, die eben auch
nicht das berüchtigte Quäntchen mehr geben können: Malin Hartelius
(Elvira) und Eva Mei (Anna) sind nun mal lyrische Stimmen und ihr
Gesang vom Anfang bis zum Ende einer Arie berechenbar. Martina Janková
(Zerlina) zuzuhören ist spannender, weil sie Ausdruck wagt, wenn auch
manchmal auf Kosten einer wohlgestalteten Linie. Piotr Beczala versucht
mit grosser Geste die Feinheiten der Ottavio-Partie zu erkunden . . .
Anton Scharinger (Leporello) verströmt nicht immer sehr exakt
dienerhafte Liebenswürdigkeit. Aber selbst der raffiniert agierende
Keenlyside wird stimmlich der Rolle nicht ganz gerecht: Elegant ist
sein geschmeidiger Bariton, ungemein die Ausdruckspalette, doch
spätestens nach dem Ständchen zeigt auch er kleine Schwächen.
Einem Teil des Publikums gefiel das nicht und es machte keine
Geschenke. Dafür überraschenderweise Don Giovanni! Nach seiner
Höllenfahrt liegen Präsente für seine «Lieben» bereit und er gibt ihnen
damit den weiteren Weg vor. Ottavio kriegt eine Uhr fürs einjährige
Warten auf Anna; Leporello einen Schüttelbecher für den nächsten Herrn,
Elvira ein Kruzifix fürs Kloster, Masetto/Zerlina erhalten eine
Orangenpresse. Und Donna Anna? Ja, wenn man das wüsste, «Don Giovanni»
wäre «geklärt». Der Regisseur will oder kann das nicht. Seine Lesart
verliert sich auch hier im - faszinierenden - Ansatz.
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10. 5 . 2005 / Verena Naegele
Allzu wörtlich genommen
Mozarts «Don Giovanni» neu am Opernhaus Zürich
Sven-Eric Bechtolfs Regie ist unspektakulär, Franz Welser-Mösts Dirigat
(pseudo-) originell - so präsentiert sich der Zürcher «Don Giovanni».
Golden ist der (Einheits-)Saal, in dem sich das Spiel um Eros,
Ruchlosigkeit und Verderben abspielt, zugleich edles Blendwerk und
Käfig, aus dem es kein Entrinnen gibt, weder für die Braven noch für
die Abgezockten. Beinahe banal ist, was uns Sven-Eric Bechtolf
vorsetzt, kein frugales Prassen, keinen steinernen Rachegast, kein
Fegefeuer. Nichts als das ewig gleiche Spiel, Gesellschaftsbanalitäten
in Smoking und Cocktailkleid.
archaisch.
Bechtolf irritiert - besonders der Rückgriff auf archaische Kulturen,
etwa wenn Giovanni seine Hand in den Holzbauch einer nur einen Meter
hohen afrikanischen Statuette steckt, und daran innerlich verbrennt.
Voodoo-Zauber lehrt die mondäne Cüpliwelt das Fürchten - eine gewagte
Lesart. Die Inszenierung konzentriert sich eben ganz auf die
Personenkonstellationen und die Ambivalenz der Figuren. Mit drapierten
Vorhängen und Spiegelung der Szene im Hintergrund ermöglicht Rolf
Glittenberg (Bühne) rasche Perspektivenwechsel vom Intimen ins
Unendliche.
Hier im Raum, umgeben von
Art-déco-Möbeln, die wunderbare Situationen erlauben, spielt sich das
Ganze ab. Und Bechtolf führt seine Figuren bis in die Fingerspitze,
haucht ihnen Persönlichkeit und Charakter ein: Don Giovanni etwa im
roten Smoking, von Simon Keenlyside liebenswürdig, verächtlich und
anziehend zugleich gespielt. Elvira, mit Malin Hartelius’ Sopran (zu)
leicht besetzt, weder larmoyant noch rasend, sondern facettenreich
leidend. Köstlich, wie sich der dandyhafte Masetto (Reinhard Mayr) fürs
Publikum sichtbar hinter der Bartheke versteckt, um dem Treiben seiner
Zerlina (Martina Jankova) zuzuhören; anrührend, wie Ottavio (Piotr
Beczala), umgeben von «dankbaren» Frauen, Rache schwört.
extremistisch.
Die Musik soll die grosse Geste übernehmen. Franz Welser-Möst am Pult
des vorwiegend auf modernen Instrumenten spielenden Orchesters nimmt
das wohl allzu wörtlich, jedenfalls wechselt er in die Extreme, wie ein
Karussell vom Stillstand bis zum rasenden Untergang.
Leporellos Register-Arie nimmt er so langsam, dass Anton Scharinger mit
mächtigem Bass aus dem Takt fällt, fast verschwindend dagegen die
Streicher bei der Rache-Arie Annas, die Eva Mei trotz schönen
Koloraturen ziemlich verloren lässt. Dafür schlägt Welser-Möst das
Finale im «alla breve», was zur schieren Raserei führt.
Dass sich bei solch ungewohnten Tempi Unstimmigkeiten einschleichen,
ist verständlich. Dazu passt, dass ein Hammerklavier und ein die
Grundtöne verdoppelndes Cello das Continuo spielen, die Klänge bleiben
damit hängen, die quirlige Lesart des Cembalos geht verloren. Das
Kammerspiel mit brillant agierenden Protagonisten fokussiert sich auf
die Bühne, lässt das Ensemble allein, fordert es aber auch zu
exzellenten sänger-darstellerischen Leistungen.
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9. 5. 2006 / Roger Cahn
Ein Macho, der keiner ist
Eines der faszinierendsten Werke der Opernliteratur kommt im Opernhaus
Zürich lang und langweilig daher. Premiere von Mozarts «Don Giovanni»
war am Sonntag.
Er ist ein gefährlicher Freigeist, Verführer und Geniesser, kennt weder
Grenzen noch Skrupel und man liebt ihn trotzdem: Don Giovanni -
Frauenheld und Mörder, den alle bewundern. Mozart und sein Librettist
da Ponte haben 1787 ein Meisterwerk geschaffen.
In Zürich steht für die Titelfigur mit dem Engländer Simon Keenlysides
kein Macho auf der Bühne, sondern ein eher kleingewachsener, agiler
Bariton, der bei Frauen auch mütterliche Gefühle erweckt. Er könnte dem
Werk eine zusätzliche Dimension eröffnen - doch Regisseur Sven-Eric
Bechtolf nutzt dieses Potenzial zu wenig. Er macht aus Don Giovanni den
simplen Prototypen einer Spassgesellschaft, der sein Heil mit Messer,
Pistole oder Geld sucht.
Auch Franz Welser-Möst schadet mit seinem analytischen Dirigieren dem
Werk mehr, als dass er es beflügelt. Arien und Ensembles geht er
entweder extrem langsam oder enorm schnell an, was zu vielen
Unstimmigkeiten zwischen Bühne und Orchestergraben führt.
Positiv sind Bühnenbild und schauspielerische Fähigkeiten der Sänger.
Rolf und Marianne Glittenberg schaffen mit ihrer ins Unendliche
verlängerbaren Bühne und wunderschönen Kostümen einen idealen Rahmen.
Darin steigern sich die Solisten stellenweise zu darstellerischen
Parforceleistungen.
Was jedoch fehlt, ist die innere Spannung. Zu viele aufgesetzte Gags -
zu Mozarts Musik darf sogar Charleston getanzt werden - bieten zwar
Überraschungen, bringen aber keine neuen Erkenntnisse.
Fazit: Potenzial nicht genutzt. Der Rahmen ist besser als sein Inhalt.
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9. 5. 2006 / Torbjörn Bergflödt
Die Liebe und der Todestrieb
Auch unter der Art-déco Oberfläche in Sven-Eric Bechtolfs «Don Giovanni» Inszenierung am Opernhaus Zürich kann es brodeln.
«Don Giovanni», von E. T. A. Hoffmann als «Oper aller Opern» tituliert,
ist ein Werk, mit dem man nie fertig wird. Allerdings besteht die
Gefahr, dem Stück über den Wüstling und Mörder, der die moralischen
Kategorien sprengt und schliesslich zur Hölle fährt, allzu lastende
interpretatorische Überbauten aufzubuckeln. Mozart und sein Librettist
Da Ponte waren nicht zum wenigsten (auch) Theaterpraktiker. Die
klingende Oberfläche erzählt im Grunde schon alles. Sören Kierkegaard
hat diese Oper gar für szenisch unaufführbar gehalten.
Nach dem optisch wenig berauschenden «Don Giovanni» von Jürgen Flimm
und Erich Wonder vor sieben Jahren am Opernhaus Zürich präsentieren nun
daselbst im Mozart-Jahr der Regisseur Sven-Eric Bechtolf und die
Ausstatter Rolf Glittenberg (Bühne) und Marianne Glittenberg (Kostüme)
einen neuerlichen Deutungsversuch. Und zwar mit dem Ansinnen, das Werk
gerade nicht auf eine Aussage festnageln zu wollen. So ist das
variierte Einheitsbühnenbild, das Stilelemente des Art déco zitiert,
mehr ein abstrakt welttheatrales Gefäss für die schnell sich wandelnden
Situationen als ein realistisches Setting. Viele Gassen staffeln sich
perspektivisch in die Tiefe. Die Grösse der wechselnd möblierten
Spielfläche ändert sich durch heruntergelassene Vorhänge. Die noblen
Kostüme atmen spanische Grandezza.
Die Regie öffnet den Zweiakter auch sonst aus einer streng gebundenen
Werkimmanenz. Zum eigentlichen Personal tritt eine Komparserie mit
Tänzerinnen und Tänzern (Choreografie: Stefano Giannetti), die das
Geschehen kommentieren und konterkarieren. Plötzlich haben da im Fond
der Bühne Männlein und Weiblein Rencontres en suite, bei denen – Eros
und Thanatos – Sie Ihn oder Er Sie in den schnellen Tod würgt. Ein
andermal agieren Figuren der Oper zwischen einem Menschenwald, der das
Geschehen gleichsam räumlich-zeitlich weitet. Und die fünf
verführerischen Damen, die sich bei einer Arie um Don Ottavio
gruppieren, verweisen womöglich auf einen Triebstau in dem Manne.
Es gibt das Gefahrenmoment einer ästhetisch gestylten Bühnenatmosphäre.
Bechtolf und die Glittenbergs schaffen es aber, dass an diesem Abend
gewisse produktiv irritierende Sinn-Resonanzräume mitschwingen und die
durchaus erschreckende Dämonie des «Don Giovanni» über die Rampe kommt.
Bechtolf, übrigens selbst auch Schauspieler, leistet, wie in diesem
Hause schon früher zu beobachten, viel in Bezug auf die
Personenführung.
Licht und Schatten
So gab Simon Keenlyside an der Premiere einen schlank-ranken Don
Giovanni, der flink charmieren kann, dem zugleich aber die Diablerien
bedrohlich-anarchisch herausfahren. Ein auch stimmlich sehr wendiger
Singdarsteller, der das Volumen seines Baritons gut auf die
Erfordernisse der Situationen justieren konnte. Der mit klangvollem
Bassbariton aufwartende Anton Scharinger schlug ohne Outrierungen
buffoneske Funken aus der Rolle des Dieners Leporello und grundierte
diesen Part mit Zeichen des Entsetzens vor dem Tun des lasterhaften
Dienstherrn. Mit tragfähigem und gut fokussiertem Sopran sang Eva Mei
die vokalstilistisch vergleichsweise stark in der Welt der Opera seria
verankerte Donna Anna. Piotr Beczala in der Rolle des Don Ottavio
führte seinen Tenor in der Arie «Dalla sua pace» mit zu viel Druck.
Malin Hartelius bewegte ihren timbreschönen Sopran technisch sehr
sicher, hat aber doch etwas zu wenig vokale Durchschlagskraft für die
Rolle der Donna Elvira. Martina Jankova zeichnete mit ihrem Sopran
feine Leuchtspuren in den Hörraum und war auch schauspielerisch eine
untadelige Zerlina. Reinhard Mayr überzeugte als (zu Recht)
eifersüchtiger Masetto. Alfred Muff lieh seine sonore Stimme der Rolle
des Komturs, mit welcher das Tor zu einer jenseitigen Welt
aufgeschlagen wird. Den Chor hat Ernst Raffelsberger einstudiert.
Das Orchester der Oper Zürich, das diesmal für die Rezitative kein
Cembalo einsetzt, sondern ein Hammerklavier, liess uns am
Premierenabend in der Ouvertüre jenen metaphysischen Schauer, der schon
hier intoniert wird, noch ein bisschen vermissen. Es kam dann aber zu
einem Licht und Schatten schön zuteilenden Spiel, das sich
tempodramaturgisch vom huschenden Presto bis hinunter zum geduldig
musizierten bedächtigen Zeitmass erstreckte. Wo geboten, konnte der
Dirigent dieser Produktion, Franz Welser-Möst, kraftvoll hinlangen.
Nicht ganz immer optimal klappte es mit der Koordination zwischen
Bühnengesang und Orchesterbegleitung.
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9. 5. 2006 / Urs Mattenberger
Zeitlose «Basic-Instinct»-Party
Am Sonntag hatte am Opernhaus Zürich Mozarts «Don Giovanni» Premiere.
Simon Keenlyside als jugendlich-draufgängerischer Protagonist ist das
Ereignis. Mit seinem Justin-Timberlake-Charme wirkt dieser Don Giovanni
wie ein Vertreter der modernen Spassgesellschaft.
Mozarts «Don Giovanni» ist endlich wieder ein echter Verführer.
Regisseur Sven Bechtolf nutzt das für einen Erotikthriller: spannend
bis zum aufgesetzten Schluss.
Regisseur Sven-Eric Bechtolf zählt viele Gründe auf, wieso man Mozarts
«Don Giovanni» kaum noch angemessen inszenieren kann. Zum einen ist
politisch unkorrekt, dass ein skrupelloser Frauenheld zum
Sympathieträger wird, nur weil er erotische Sehnsüchte verkörpert. Zum
andern fehlt für eine glaubwürdige Darstellung des Erotomanen oft der
passende Sänger, weshalb die Oper oft als eine Art Abgesang
interpretiert wird: Don Giovanni bleibt als Verführer glücklos, weil
eine moderne Gesellschaft, wie sie der Musterbräutigam Don Ottavio
repräsentiert, sexuelle Libertinage nicht mehr duldet.
Der aktuelle Zürcher Don Giovanni ist da erfrischend anders. Simon
Keenlyside verkörpert mit jugendhaftem Justin-Timberlake-Charme den
smarten Verführer, aber sein strömender, durchsetzungskräftiger Bariton
markiert zugleich rücksichtslose, kraftstrotzende Männlichkeit. Damit
strahlt er erotische Faszination unmittelbar aus und wirkt als
überraschend moderner Vertreter der Spassgesellschaft.
Bedrängt wird er von spannenden Charakteren und hochkarätigen Stimmen.
Piotr Beczala wertet mit strahlkräftigem Tenor den Don Ottavio zum
sensiblen Gegenspieler des Frauengeniessers auf. Eva Mei gibt seine
Verlobte Donna Anna mit kristallklarem Sopran, als wäre sie nach der
Begegnung mit Don Giovanni innerlich erstarrt. Selbst die gedemütigte
Donna Elvira ist hier keine Rachefurie: Malin Hartelius spielt mit
bezaubernd leichter Stimme eine verletzte Frau, die irritiert ist über
ihre erotische Verführbarkeit. Anton Scharinger sorgt als Leporello für
handfeste Komik, dem Komtur verleiht Alfred Muff imposante Wirkung. Und
das Orchester der Zürcher Oper macht unter Franz Welser Möst die
Partitur feinnervig, aber mit viel schneidender Hochspannung zum
Ereignis.
Zeitlose Party
All dem verdankt die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf dann doch hohe
Qualitäten. Bechtolf streicht den universalen Charakter dieses
Don-Giovanni-Typus hervor, indem er eine zeitlose Party inszeniert: Die
durch Projektionen verlängerte Raumflucht ist vom Barocktheater
inspiriert (Rolf Glittenberg), die schicken Kostüme zitieren unter
anderem die Fünfzigerjahre, die Lounge-Möblierung ist wie von heute.
Stark ist die Personenregie, die aus der Oper einen spannenden
«Basic-Instinct»-Thriller macht, der bei allem Realismus doch seine
symbolische Seite hat. Wenn Donna Anna Don Giovanni verwünscht und
dabei reihenweise die Partygänger ohrfeigt, ist klar, dass da der Macho
in uns allen mitgemeint ist. Und wenn sich um den edlen Don Ottavio
leicht geschürzte Partydamen versammeln, zeigt sich, dass auch Vernunft
nicht vor erotischer Bedrängnis schützt. Erst am Schluss kippen die
kaleidoskopischen Bilder ins Banale, wenn Bechtolf den Auftritt des
Komturs mit einer afrikanischen Statue als Voodoo-Zauber interpretiert.
Da wirkt Keenlysides heutiger Don Giovanni paradoxerweise viel
zeitlos-archaischer.
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9. 5. 2006 / Marianne Zelger-Vogt
Der eine und die anderen
Mozarts «Don Giovanni» im Zürcher Opernhaus
«Kann man das inszenieren?» So fragt zu wiederholten Malen der
Regisseur Sven-Eric Bechtolf in seinem eloquenten Programmheft-Beitrag
über die Figuren von «Don Giovanni». Die Antwort lautet stets negativ,
mit Abstufungen zwischen «kaum» und «nein, nein, nein». Dennoch hat
Bechtolf Wolfgang Amadeus Mozarts Oper inszeniert - wer könnte diesem
Stück widerstehen? Und er hat es, im Verein mit dem Ausstatterpaar Rolf
und Marianne Glittenberg, auf sehr spezielle Art auf die Bühne des
Zürcher Opernhauses gebracht. Den einheitlichen architektonischen
Rahmen bildet ein Saal im Art-déco-Stil mit goldenen, wellenförmig
strukturierten Seitenwänden, die Gassen bilden wie im Barocktheater.
Szenische Ästhetik
Raffiniert, mit kühler Eleganz ist das komponiert, bis hin zu den
Beleuchtungskörpern und dem schwarzen Mobiliar. Und wenn sich der Raum
in der Tiefe der Rückwand spiegelt, eröffnet sich eine Perspektive ins
Unendliche wie in der Geschichte des grossen Verführers. Auch Marianne
Glittenbergs Kostüme - Roben in erlesenen Stoffen für die Damen,
schwarze und weisse Smokings für die Herren, eine rote Samtjacke für
den Titelhelden - holen die Figuren nahe an die Gegenwart heran und
verankern die Handlung zugleich in einer gehobenen, freizügigen
Gesellschaftsschicht, in die als Mitläufer auch Don Giovannis Diener
Leporello und das bäuerliche Paar Zerlina und Masetto integriert sind.
Von Beginn an ist diese mondäne Gesellschaft, die immer wieder in
moderne Tanzschritte fällt, gegenwärtig. Die eröffnende Szene zwischen
Donna Anna und Don Giovanni findet während einer Party statt, die
eigentlich bis zum Schluss fortdauert. Das - durchaus reziproke, mit
Gewaltbereitschaft gepaarte - Verführungsspiel zwischen den
Geschlechtern, von Bechtolf nach dem Prinzip der Verdoppelung und
Multiplizierung in Szene gesetzt, treibt alle um - und insofern ist Don
Giovanni in Bechtolfs Lesart gar nicht so anders als seine Mit- und
Gegenspieler.
Einzigartig wird er vor allem durch seinen Interpreten, Simon
Keenlyside. Die unnachahmliche Wendigkeit sowohl seines Körpers wie
seiner Stimme - eines hellen, geschmeidigen, selbst im zartesten Piano
noch kernigen Baritons - macht ihn als Figur und als Darsteller zu
einer Ausnahmeerscheinung. Und der Eindruck, den er vor gut fünf Jahren
in der letzten Zürcher «Don Giovanni»-Inszenierung erweckte, bestätigt
sich aufs Schönste: Das ist ein Don Giovanni, der an Charisma seinen
grossen Vorgängern gleichkommt, aber in seiner fast burschikosen
Natürlichkeit - lässig und lauernd gespannt in einem - sehr heutig
wirkt.
Heller Klang, leichte Stimmen
Mehr noch als szenisch unterscheidet sich die Neuproduktion von der
vorangegangenen musikalisch. Anders als damals Nikolaus Harnoncourt
setzt Franz Welser-Möst auf einen leichten, transparenten Klang, ein
fast kammermusikalisches Musizieren, das sein Zentrum im Pianobereich
hat. Den Rezitativen verleiht die Hammerklavier-Begleitung Nachdruck.
Die Tempi sind sehr flüssig, werden allerdings in den bäuerlichen
Szenen (die auf der Bühne als solche nicht wahrnehmbar sind) deutlich
abgebremst, nicht immer synchron zu den Solisten. Auch im Orchester -
es sitzt im hochgefahrenen Graben, fast auf Parketthöhe - mangelt es
gelegentlich noch an Präzision. Im Gesamtduktus aber präsentiert sich
die Aufführung wie aus einem Guss, hochästhetisch, delikat kunstvoll,
doch trotz den zahlreichen Entkleidungsszenen wenig sinnlich.
Dem entspricht, dass die Partien durchweg mit leichteren Stimmen
besetzt sind als bei Harnoncourt und Flimm, ausgenommen der imposante
Komtur von Alfred Muff, eine Art Übervater, dem Piotr Beczalas Don
Ottavio äusserlich angenähert wird. Mit dem Glanz seines Timbres und
den Finessen seiner Stimmführung verkörpert Beczala als Gegenbild Don
Giovannis den empfindsamen, zart fühlenden Männertypus, dem die Regie
auch erotische Anziehungskraft zugesteht. Nicht sehr reich an
Farbvaleurs ist daneben Eva Meis Sopran, der in den hohen Lagen der
Donna- Anna-Partie zu Schärfe neigt. Ob Malin Hartelius' Stimme schon
reif ist für die Rolle der Donna Elvira, blieb bei ihrem Rollendébut
offen. Unter dem Premierendruck entwickelte sie ein Vibrato, das man an
ihr sonst nicht kennt. Mit seinem warmen, lyrisch grundierten Bariton
passt Anton Scharinger als zum Butler avancierter Leporello akkurat ins
Besetzungskonzept, während Martina Jankovás charmante Zerlina und
Reinhard Mayrs markanter Masetto das Brautpaar stimmlich und
darstellerisch nobilitieren.
Ein paar Widerhaken hat Bechtolf in seine Inszenierung denn doch
eingebaut, in Form von Verstössen gegen die Aufführungsnorm: Statt
Champagner gibt es bei Don Giovannis Festgelage Campari Orange, die
Statue des Komturs wird ersetzt durch ein archaisches afrikanisches
Idol, herbeigetragen von jener dunkelhäutigen Frau, die den Vater Donna
Annas nach seiner Ermordung betrauert. Im Inneren ist diese Holzfigur
ausgestattet mit einer magischen Kraft, die nach dem obligaten
Handschlag den Tod des Titelhelden auf offener Bühne herbeiführt, ohne
Höllenfahrt in die Versenkung. Und schliesslich erhalten die
Überlebenden zum lieto fine hübsch verpackte Geschenke als Wegbegleiter
in ihr künftiges Leben - Gags, die kaum mehr als ein Achselzucken
verdienen.
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9. 5. 2006 / Bruno Rauch
Sinnenfest und Voodoozauber
Die Rache des ermordeten Komturs als Voodoomagie zu inszenieren ist originell, aber kaum plausibel. Musikalisch jedoch überzeugt der «Don Giovanni» des Opernhauses Zürich.
Weder sevillanische Gassen noch ländliche Gegend: Für das amouröse
Treiben und Scheitern Don Juans hat Bühnenbildner Rolf Glittenberg eine
goldschimmernde Art-Déco-Szenerie aus gestaffelten Rahmen gebaut, die
sich wie ein barocker Bühnenprospekt nach hinten perspektivisch
verjüngt. Schwarze Sessel und eine gestylte Bar möblieren die Bühne.
Auf der Rückwand setzen sich Bild und Aktion durch spiegelbildliche
Kameraprojektionen ins Unendliche fort.
Charleston statt Menuett
Die Kostüme von Marianne Glittenberg - kostbare Korsagen für die Frauen
und Smokings für die Herren - verweisen mehr auf die 1950er-Jahre denn
auf die Twenties, obwohl auf dem Ballfinale des ersten Aktes
Charlestonschritte angedeutet werden statt eines Menuetts. Das Spiel um
Eros und Thanatos kennt weder zeitliche noch örtliche noch stilistische
Schranken. Dennoch bleibt vieles einer etwas oberflächlichen Ästhetik
verhaftet. Ausgehend vom Konzept, dass im Voodookult Diesseits und
Jenseits nicht getrennt sind und jederzeit Kontakt mit den Geistern der
andern Welt möglich ist, lässt Regisseur Sven-Eric Bechtolf das
Standbild des ermordeten Komturs als afrikanische Holzfigur
herbeitragen. Das scheint, selbst angesichts von Don Juans
archetypischer Universalität, etwas weit hergeholt.
Hinreissender Don Simon
Überzeugend sind Personenregie und vokale Leistung. Tänzerisch bewegen
sich alle - Verführte, Diener, Nebenbuhler, Ballgäste - auf der Bühne,
gleichsam im erotischen Taumel gefangen, vom Fluidum des treibenden
Pols kontaminiert. Und Simon Keenlyside lässt sie schonungslos tanzen.
Mit seinem sinnlich timbrierten, geschmeidigen Bariton ist er die
ideale Verkörperung des Titelhelden. Sein aalglatter Charme und seine
körperliche Agilität treffen das Wesen des Don Juan perfekt: ein
schillernder Erotomane. Anton Scharringer als sein Alter Ego Leporello
versprüht buffonesken Witz und servilen Eifer. Mit ihrem
unangestrengten Sopran ist Eva Mei eine etwas kühle Donna Anna,
oszillierend zwischen Abneigung und Faszination. Piotr Beczalas
ergrauter Grandseigneur Ottavio verströmt tenoralen Schmelz, gepaart
mit viriler Strahlkraft. Malin Hartelius überrascht in der Rolle der
Elvira. Sie überzeugt weniger als Rächerin denn als zutiefst verletzte
Liebende. Spielwitz und vokale Leichtigkeit prägen Martina Jankovas
kokette Zerlina. Ihr zur Seite steht Reinhard Mayr, während sich Alfred
Muff als sonorer Komtur profiliert. Gestützt wird das vortreffliche
Ensemble vom motivierten Orchester unter Franz Welser-Möst, der auf
gemässigte Tempi setzt und plastisch, nuancenreich modelliert. Trotz
szenischer Fragezeichen ein bewegender Abend.
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9. 5. 2005 / Tobias Gerosa
Betörend statt verstörend
Ein glatter Mozart: «Don Giovanni» am Opernhaus Zürich
Franz Welser-Möst und Sven-Eric Bechtolf zeigen «Don Giovanni»
buffonesk, cool, in einem edlen Ambiente. Trotz hohem Niveau vermögen
sie jedoch der Figur keine neuen Facetten abzugewinnen.
Sven-Eric Bechtolf hat in den letzten Jahren mit seinen ersten Opern in
Zürich – «Lulu», «Die tote Stadt», «Pelléas» – schonungslos genaue
Beobachtungen am lebenden Objekt inszeniert; am Pult stand jeweils
Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst. Das Gespann ist dasselbe, die
Absicht auch, doch der Funke springt nicht: Ästhetisch zu schauen und
zu hören, bleibt dieser Anfang zu einem neuen Da-Ponte-Zyklus
inhaltlich unentschieden.
Einzelheiten
Das
Geschehen spielt sich in einem eleganten Ballsaal mit goldenen Wänden,
der sich hinten videovermittelt im Unendlichen verliert (Rolf
Glittenberg), ab. Zwischenvorhänge verkleinern den Raum bei Bedarf bis
auf einen schmalen Streifen an der Rampe. Das Leben ist ein Fest in
Kostümen der 1940er (Marianne Glittenberg), hier jagt Don Giovanni,
hier heiraten Zerlina (Martina Jankova charmant, aber mit störendem
Vibrato) und Masetto (Reinhard Mayr), hier wird der Komtur (Alfred
Muff) aufgebahrt.
Wenn Donna Anna hereinstürzt,
richtet sie ihre Wut auf die Männer allgemein – dafür stehen schon
Tanzpaare bereit. Immer wieder tauchen sie auf als Charleston tanzendes
Volk oder zur Vergötterung des weisshaarigen Langweilers Don Ottavio
(glänzend singend: Piotr Beczala). Mehr als individuell einleuchtende
Einzelideen ergeben sich daraus nicht. Bechtolf spricht im Programm von
düsterem Glanz und von Rätselbildern und will in «Don Giovanni» keine
Botschaft sehen – im Endeffekt weiss man nicht so recht, welche
Geschichte er eigentlich erzählen will.
Immerhin ist Bechtolf Theatermensch genug, um zwischen den Personen
immer wieder starke Momente zu erzeugen. Warum aber Donna Anna bei Eva
Mei mehr Dame als junges Mädchen ist, edel bis in die Koloraturen der
Verzweiflung, oder was Donna Elvira antreibt, wenn nicht dramatischer
Furor (über den Malin Hartelius leider nicht verfügt), bleibt
unbeantwortet. Auch Leporellos Komödiantik wirkt beim etwas dumpfen
Anton Scharinger zwar unmittelbar, bleibt aber auch Einzelmoment.
Giovanni Bond
Im Zentrum des gesamthaft doch sensibel aufeinander reagierenden
Ensembles steht er: der Don Giovanni von Simon Keenlyside. Die anderen
sind nicht mehr als seine Trabanten, angewiesen auf sein Licht. Eine
einleuchtende Idee, praktisch aber rasch wenig interessant.
Es ist frappierend zu sehen, mit welcher Leichtigkeit und Natürlichkeit
der Engländer agiert, cool wie James Bond und mit hinreissendem
Bariton. Gerade in der Mezzavoce betört er mit perfektem Legato und
enormem Ausdrucksspektrum, dazu seine Bühnenpräsenz. Nur gefährlich
wird er nie, dieser Giovanni schmeichelt mehr, als dass er dämonisch
unwiderstehlich wäre.
Das liegt auch an Franz Welser-Möst, der mit dem blendend aufgelegten
Opernhausorchester viele wunderschöne, subtile Details herausarbeitet
und einen exquisiten Gesamtbogen spannt, mit durchwegs langsamen bis
sehr langsamen Tempi das Unheimliche und Vorwärtstreibende der
Don-Giovanni-Partitur aber dem Schönklang unterordnet. Bei aller
Ästhetik und Klasse wirkt dieser Don Giovanni geglättet, das
Verstörende und Beunruhigende Giovannis fehlt.
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9. 5. 2006 / Reinmar Wagner
Schicksal, nimm deinen Lauf
Franz Welser-Möst, Regisseur Sven-Eric Bechtolf und Titelheld Simon
Keenlyside: Dieses Dreigestirn machte die neuste Zürcher
Opernproduktion zum sehens- und hörenswertesten «Don Giovanni» seit
Harnoncourt/Kusej in Salzburg.
Am Ende gibts Geschenke: ein Kreuz für Elvira, die ins Kloster geht;
einen Mixbecher für Leporello, der sich einen neuen Dienstherrn suchen
will; eine Saftpresse für Zerlina und Masetto, die hauptsächlich an
Kulinarisches denken; eine Uhr für Ottavio, der noch ein Jahr auf seine
Angebete Anna warten muss.
Anna packt ihr Geschenk nicht aus. Was wohl drin gewesen ist? Besser,
wir wissen es nicht! Denn das Geheimnis ist auf jeden Fall grösser, als
es seine Auflösung hätte sein können. Was hatte Don Giovanni, der von
geheimnisvollen Mächten Entrückte Anna schenken wollen? Voodoo? Auf
jeden Fall etwas Animistisches, Schamanistisches, Afrikanisches.
«Steinerner Gast» aus Holz
Sven-Eric Bechtolf stand am Zürcher Opernhaus vor dem Dilemma aller
«Don Giovanni»-Regisseure: den finalen Höllensturz des Erzverführers
legitimieren zu müssen. Er hat sich eines der wenigen übernatürlichen
Elemente bedient, welchem Menschen aus der Zeit dieser Inszenierung –
irgenwo zwischen Art Déco und Fünfzigerjahre – übernatürliche
Fähigkeiten zutrauen könnten.
Ja gut, der «Steinerne Gast» ist eine afrikanische Holzstatue – das
verzeihen wir einer Inszenierung noch so gerne, die sich ansonsten fast
schon akribisch (und mit stupender Virtuosität) darum kümmert, den
gesungenen Texten durch die Szenerie Sinn zu vermitteln. Allein wie
Simon Keenlyside am Premierensonntag agierte, wie er immer wieder durch
knappe, aber überaus präzise Gesten den Willensmenschen Don Giovanni
deutlich machte, war eine Augenweide.
Reigen erotischen Begehrens
Don Giovanni steht nicht für ein Individuum, sondern als Chiffre für
die unermüdliche Jagd nach erotischer Lust. Ein Männertraum, dem Mann
selbst um den Preis dieses Endes wohl nur allzu gerne nachleben würde.
Wie im Kaleidoskop splittert Bechtolf die Figuren auf in ein gutes
Dutzend Tänzerinnen und Tänzer, lässt den Reigen erotischen Begehrens
in vielen Variationen tanzen. Und dennoch: Selten stand ein Don
Giovanni so sehr im Zentrum, selten hatte er so viel reale
Verführungskraft wie bei Keenlyside/ Bechtolf. Nur Donna Annas
exponierte Stellung im Finale macht ihm Konkurrenz. Don Ottavio, den
bereits senil gewordenen Langweiler, wird sie nicht heiraten, so viel
ist klar. Aber was sonst? Sie wird tun, was Giovanni vorausgesehen hat.
Was war bloss in dem Paket?
Malin Hartelius als Elvira konnte bei ihrem Rollendebüt nicht wirklich
die Tiefen und Abgründe ihrer Figur hörbar machen. Zu gleichmässig, zu
«schön», zu wenig farbig und aufgefächert war ihr Gesang dafür. Eva Mei
als Donna Anna sang nicht wesentlich anders. Aber sie schaffte es,
hinter den schönen Tönen und perlenden Koloraturen ein Geheimnis offen
zu lassen. Ganz klar die Beste unter den Frauen war Martina Janková als
Zerlina, die nicht nur in all ihren Szenen Temperament und Quirligkeit
ausspielte, sondern auch der oft eindimensionalen Figur viel Tiefe
verlieh.
Höchstleistung im Orchestergraben
Anton Scharinger als Leporello war diesem dominanten Don Giovanni
darstellerisch wie sängerisch ein Widerpart von beeindruckender Präsenz
und rollendeckender Prägnanz. Dasselbe gilt hier auch für den Masetto
von Reinhard Mayr. Piotr Beczala sang den Ottavio nicht ganz
schwerelos, aber immer noch mit beeindruckender stimmlicher Schönheit
und gewohnt souverän war Alfred Muff als Komtur.
Musikalische Höchstleistungen kamen auch aus dem Orchestergraben.
Klangfarblich und artikulatorisch waren viele Elemente historisierender
Spielweisen in erstaunlicher Selbstverständlichkeit und technischer
Beherrschung vorhanden. Aber Welser-Möst tat weit mehr: Die Wahl seiner
Tempi verriet Überlegenheit und Eigenständigkeit, und was er an Details
und Akzenten, an Mittel- und Bass-Stimmen herausarbeitete, war gerade
in diesem viel gespielten Repertoire-Hit schlicht sensationell.
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9. 5. 2006 / Susanne Kübler
Mit Voodoo-Zauber gegen den Verführer
Das Zürcher Opernhaus hat einen neuen «Don Giovanni». Mit einem ausgesprochen sympathischen Titelhelden.
In der Ouvertüre jagen sich die Emotionen, schicksalsschweres d-Moll
kippt in unbeschwertestes D-Dur - und auf der Bühne stehen reglos die
Paare, die diese Emotionen vermutlich durchleben. Der Auftakt zum neuen
Zürcher «Don Giovanni» (und zu einer neuen Trilogie von Mozarts
Da-Ponte-Opern mit dem Regisseur Sven-Eric Bechtolf und dem Dirigenten
Franz Welser-Möst) ist symptomatisch: Die Musik erzähle schon alles,
schreibt Bechtolf im Programmheft, und vieles davon lasse sich nicht
inszenieren. Also tut er es nicht.
Schon der Raum lässt fast alles offen. Ein Ballsaal könnte es sein, in
dem sich aufgeputzte Frauen und Männer paaren, verlassen, umbringen.
Ein Theater vielleicht auch, mit den an Barockbühnen erinnernden
Seitengängen und den unterschiedlich drapierten Zwischenvorhängen. Oder
noch eher ein rein metaphysischer Ort, der sich in zugespitzter
Perspektive und manchmal verstärkt durch Spiegelung im Unendlichen
verliert.
Bubenhafter Charme
Hier, in Rolf Glittenbergs prächtig vieldeutigem Interieur, treffen
sich nicht nur die mozartschen Protagonisten. Neben Donna Anna, Donna
Elvira & Co. bringt Bechtolf noch weitere, namenlose Figuren auf
die Bühne, die in Abendgarderobe (Marianne Glittenberg) und streng
stilisierten Choreografien andere oder auch ähnliche Liebes- und
Leidensgeschichten erleben. Sinnig oft, witzig manchmal, zuweilen auch
eher rätselhaft (und warum sie beim finalen Festmahl nicht mehr
auftauchen, bleibt unklar).
In dieser Masse ist auch Don Giovanni nur einer von vielen. Weder sein
Testosteronspiegel noch seine Kälte sind rekordverdächtig, er erreicht
weder auf der Skala des Bösen noch auf jener des Erotischen
Spitzenwerte. Er ist kein Zyniker wie der letzte Zürcher Don Giovanni
(der sich in der 1999er-Inszenierung von Jürgen Flimm nur gerade drei
Spielzeiten im Programm gehalten hat) und auch nicht jenes abstrakte
«Wesen», als das ihn der von Bechtolf zitierte Kierkegaard sieht.
Sondern ein gut aussehender Mann mit hinreissend bubenhaftem Charme und
der warmen, beweglichen Stimme von Simon Keenlyside, ziemlich
narzisstisch und doch, abgesehen von seinem etwas leichtfertigen Umgang
mit Messern und Pistolen, enorm sympathisch. Er ist jener, nach dem
sich alle umdrehen, wenn er den Raum betritt. Und in dieser Aufführung
auch jener, über den sich alle anderen Figuren definieren.
Distinguierte Wut
Wer ist Donna Anna, die so hartnäckig um ihren ermordeten Vater
trauert, aber sich dabei Don Giovannis Samtjacke umhängt? Wer ist Donna
Elvira, die sich in ihren Gefühlen selber so sehr aufgibt, dass sie am
Schluss die Erlösung etwas überraschend im Voodoo-Zauber suchen muss?
Bechtolf deutet nicht aus, er gibt nur Hinweise - die auffallend oft
und passend zur Bühne in Richtung Barockoper zielen. Die wahren
Protagonisten sind hier die Gefühle, die Affekte, die im einen Moment
ihren Höhepunkt erreichen und im nächsten ins Gegenteil umschlagen. Die
Geschichte des Don Giovanni wird so zu einer Folge prototypischer
Konstellationen.
Es hat damit zu tun, dass die so durchdachte, zurückhaltende Regie
zuweilen etwas steif wirkt. Sie regt an, aber sie packt nur teilweise -
und trifft sich darin mit der Musik. Franz Welser-Möst und das erhöht
platzierte Orchester der Oper musizieren transparent, detailfreudig,
kontrastbewusst; die Rezitative werden dank der sparsamen, flexiblen
Begleitung von Hammerklavier und Cello zu echten Dialogen. Aber in den
Arien wählt Welser-Möst - bis auf Don Giovannis wahrhaft höllischen
Untergang - eher langsame Tempi, in denen die minuziösen
interpretatorischen Überlegungen fast zu viel Gewicht bekommen. Da
kommt selbst der für Manieriertheiten gänzlich unanfällige Anton
Scharinger als Leporello in einen Gestaltungszwang, der seinem
urmusikalischen Temperament zu Beginn nicht gut tut.
Auch sonst wird zuweilen eher schön als vital gesungen. Malin Hartelius
als Elvira etwa pflegt eine klanglich subtile, ausgesprochen
distinguierte Art der Wut (man erinnert sich an die tobende Cecilia
Bartoli in der Flimm-Harnoncourt-Produktion). Auch Eva Mei als Donna
Anna singt eher ergreifende Trauerarien, als dass sie wirklich trauern
würde - wobei das zu einer Figur passen mag, die ihre Gefühle abklemmt
und sich mit einem Don Ottavio verbandeln lässt. Dieser ist hier ein
älterer, bestimmt reicher, bis zur Langeweile sanftmütiger Herr, dem
Piotr Beczala eine geschmeidige, zu ziemlich unmozartschen
Tenorschluchzern neigende Stimme gibt: kein ernst zu nehmender
Gegenspieler für Don Giovanni, auch wenn ihm die vielen
Softie-begierigen Frauen auf der Bühne zu Füssen liegen.
Andere zeigen trotz (oder dank) der Offenheit der Inszenierung sehr
persönliche Rollenporträts. Der Zerlina von Martina Janková etwa fährt
der vokale Übermut immer wieder direkt in die Beine, während Reinhard
Mayrs gar nicht tölpelhafter Masetto allein für seine Tanzverweigerung
ein Sonderkompliment verdient hat. Alfred Muff verursacht als Komtur
Gänsehaut, Scharingers Leporello wird im Verlauf des Abends immer
lebendiger, melancholischer und stimmgewaltiger. Und schliesslich und
vor allem ist da Simon Keenlyside: Von seinen Verführungskünsten war
schon die Rede, zu rühmen bleibt sein Untergang. Frech lacht er noch
vor der Voodoo-Statue des Komturs, aber dann, das wird auch ihm klar,
gilts Ernst. Eisig wird sein Timbre, starr der Ausdruck, die
Fussgelenke halten nicht mehr, unsichtbare Fäden scheinen ihn zu Boden
zu ziehen. Eindrücklicher wird selten gestorben in einer Oper. Und die
Lebenden, auf der Bühne wie im heftig applaudierenden Publikum, sind
alle ein bisschen verloren danach.
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9. 5. 2006 / Sibylle Ehrismann
Goldenes Fest für Auge und Ohr
Don
Giovanni, der Frauenverführer par excellence, kommt auf die Zürcher
Festwochen hin nach Zürich. Im Opernhaus war am Sonntag Premiere, in
goldener Kulisse und mit Voodoo-Zauber.
Das Opernhaus
Zürich nimmt auf die Festwochen hin Mozarts «Don Giovanni» ins
Programm. Franz Welser-Möst lässt dafür den Orchestergraben hochfahren,
das auf modernen Instrumenten spielende Orchester wirkt entsprechend
direkt präsent. Sven-Eric Bechtolf führt das hervorragende
Sänger-Ensemble mit Simon Keenlyside in der Hauptrolle szenisch quirlig
und doch konsequent, in einem Einheitsbühnenbild von Rolf Glittenberg,
einer Art modernem goldenem Spiegelsaal.
Don Giovanni lässt erschauern
Don Giovanni, der ruchlose Verführer, der respektlose Spieler und
Selbst-Befriediger. Doch Mozart ist alles andere als ein Moralist, sein
Don Giovanni hat Charme und Herz, und auch die leidenden Treuen sind
nicht einfach die Deppen. Auf diesen Ausgleich der beiden
Spannungsfelder setzt auch die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf. Mit
Simon Keenlyside, dem zurzeit wohl gefragtesten Don Giovanni, prägt
kein selbstüberheblicher Macho-Typ die Szene, sondern ein charmanter,
subtil verführerischer Mann von eher weicher Art. Und der kann singen,
dass einem der Schauder über den Rücken läuft.
Sein Gegenüber, der mit seiner Donna Anna um ihren ermordeten Vater
trauernde Don Ottavio, wird von Bechtolf nicht einfach als treuer Depp
gezeichnet. Piotr Beczala singt diese Partie mit Intensität und warmer
Seelenkraft, und siehe da, die Frauen (Tänzerinnen) scharen sich in
dieser Inszenierung auch um ihn. Diese Balance der Sympathien und
stimmlichen Timbre erzeugt durch den ganzen Abend hindurch eine
interessante dramaturgische Spannung.
Vielschichtige Frauenfiguren
Auch
die Frauen werden nicht einfach als rachesüchtige Keiferinnen oder
Unschuldstäubchen gezeichnet. Eva Mei schafft es, als Donna Anna hinter
der Trauer um den Vater auch eine heimliche Sehnsucht nach dem
Verführer durchschimmern zu lassen. Sie singt mit warmer und doch
schlank focussierter Stimme, die ausgezeichnet zu Beczalas glutvollem
Tenor passt.
An die leichte Stimme von Malin
Hartelius muss man sich bei ihrem Debüt als Donna Elvira zuerst
gewöhnen. Wirkte sie anfangs noch etwas unter Druck und verunsichert,
steigerte sie sich in ihrer letzten Arie dann eben nicht in eine
temperamentvolle Verzweiflung, sondern in eine lyrische Verinnerlichung
der widerstreitenden Gefühle. Trotz spürbarer Anstrengung weiss
Hartelius mit hervorragender Technik auch die dramatischen
Anforderungen der Donna Elvira überzeugend und mit neuen Fazetten zu
meistern.
Ein brillantes «Mozart-Frauchen»
Von
einer Paraderolle kann man bei Martina Jankovás Zerlina sprechen.
Unerhört die Zwischentöne, die sie im Hin und Her von Treuepflicht und
Lebenslust hervorzuzaubern vermag. Das ist ein Spiel der Töne und
Phrasierungen auf höchstem Niveau, ein Mozart-Frauchen von brillanter
szenischer Präsenz. Ihr Masetto, von Reinhard Mayr rührend schlacksig
charakterisiert, vermag in diesem hochkarätigen Stimmenensemble auch
stimmlich eine eigene Farbe einzubringen.
Sven-Eric
Bechtolf führt die Figuren temporeich, lässt sie rennen und auf die
Möbel springen, ein physisch anstrengendes, zwischendurch auch grobes
Aufeinanderzu und Voneinanderweg. Ausgelebt wird dies hauptsächlich im
Dialog des «Don Giovanni» mit dem Leporello, den Anton Scharinger mit
herrlichem schauspielerischem Temperament verkörpert. Zudem singt der
einstige «Papageno»-Paradedarsteller trotz intensivem Körpereinsatz mit
sicher kontrollierter Stimme und tölpischer Ausstrahlung.
Einheitsbühne mit Projektionen
Ermöglicht
wird dieses Tempo durch den offenen Bühnenraum, einen goldenen
Spiegelsaal mit endlosem Fluchtpunkt gegen hinten und mehreren
Seiteneingängen. Verschiedene Vorhänge erlauben schnellste
Szenenwechsel - und doch wirkt diese Einheitsbühne mit der Zeit etwas
gar statisch und ermüdend. Auch die Regie-Idee, die Hauptfiguren zu
vervielfachen und so den Eindruck des Allgemeingültigen zu betonen, ist
zwar interessant; doch steht sie auch etwas im Widerspruch zu Mozarts
einzigartigen Charakteren.
In dieser «goldenen»
Umgebung wirkt dann auch die Auflösung der Geschichte etwas befremdend,
das Erscheinen des Komturs. Bechtolf behilft sich mit einer Art
«Voodoo»-Götterfigur aus Holz, welche eine schwarze Dienerin des
Ermordeten mit sich trägt. Sie wirkt in diesem goldenen Prunksaal eher
klein und mager, während die Musik stampft und dröhnt mit steinerner
Wucht.
Alfred Muff, ein stimmgewaltiger Komtur, steht hinter einer Pyramide
von Gläsern, die Don Giovanni für seinen Gast auf dem Tisch aufgebaut
hat. Zwar stört die fremde Kultur etwas, die damit in diese
«Konsumwelt» hineinreicht, und doch hat die Geister-Kraft dieser
mageren Holzfigur auch etwas für sich. Warum nicht?
Fast zu präsentes Orchester
Weshalb
Franz Welser-Möst trotz den modernen Instrumenten das Orchester nicht
im Graben belässt, ist nur schwer nachzuvollziehen. Die Präsenz des
Orchesters wird dadurch nicht nur betont, die Lautstärke in den
dramatischen Zuspitzungen ist, von Welser-Möst erst noch heftig
zupackend interpretiert, dann doch etwas übertrieben. Nicht ganz
überzeugend ist auch der Einsatz eines Hammerklaviers anstelle des
Cembalos in den Rezitativen. Das hat einen eher schwerfälligen und
klanglich zu üppigen Basso continuo zur Folge.
Die
Arien jedoch setzte der Dirigent vor allem im ersten Akt derart langsam
an, dass die Sängerinnen und Sänger mit dem Atem ringen mussten. Die
Register-Arie des Leporello etwa, und auch die an sich atemlose
Rachearie der Donna Anna, verloren dadurch an Wirkungskraft. Der
Applaus des Premierenpublikums war begeistert, einzig für das
Regie-Team gab's vereinzelte Buhrufe.
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9. 5. 2006 / Werner Pfister
Sigmund Freud lässt grüssen
Ein Mozart ganz im schwülen Treibhausklima des Art déco der Wiener
Secessionskünstler. Neurotiker bevölkern die Bühne, und um deren
Psychologie - mit einem Freud'schen Schielblick zur Psychologie der
Naturvölker - geht es hier.
Als «dramma giocoso» bezeichnete Mozart seinen «Don Giovanni», im
persönlichen Werkverzeichnis gar als «Opera buffa»; trotzdem, diese
«Oper aller Opern» (E. T. A. Hoffmann) lässt nicht mit sich spassen.
Don Giovanni, das ist - nach Kierkegaard - die «Genialität des
Sinnlichen», das ist erotisch-sexuelle Potenz, die den Mann von Frau zu
Frau treibt, das ist Kraft, Freude, Lust, Anarchie. Das ist die
Inkarnation jener Sinnlichkeit, die weder Grenzen kennt noch akzeptiert
und genau darin im Widerspruch zu den gesellschaftlichen Normen steht
und darum nur als Wunschbild vegetiert, ins Unbewusste verdrängt, als
Tabu verteufelt und letztlich doch nicht des Teufels. (Übrigens, bei
der Prager Uraufführung des «Don Giovanni» 1787 sass Casanova im
Publikum.)
Don Giovanni ist kein Individuum im herkömmlichen Sinn, sondern
(wiederum nach Kierkegaard) ein Impuls; reines Sein also, das sich
nichts beweisen muss. Und entsprechend will uns auch seine Geschichte
nichts beweisen, am wenigsten die vermeintliche Moral am Ende der Oper:
«Questo è il fin di chi fa mal» (Also stirbt, wer Böses tut). Denn
Mozarts Musik stellt Don Giovanni unzweifelhaft als Sympathieträger
dar. Er lebt grenzenlos aus, was wir nur in engen Grenzen dürfen - also
auch jene erotischen Nachtseiten des Lebens, von denen wir nur
tagträumen können. Auf dieser Dichotomie fusst Sven-Eric Bechtolfs
Inszenierung, ablesbar an der Lebensbefindlichkeit aller Figuren, die
zwischen Trieb und Ordnung, zwischen Ausleben und Unterdrücken hin und
her gerissen, fast zerrieben werden. Ein Schicksal gleicht dem andern,
eines setzt sich im andern fort, tiefenpsychologische Spiegelung bis
ins Unendliche - und genau das zeigt der entsprechend
tiefendimensionale Bühnenraum von Rolf Glittenberg.
Ein einziger Raum, zehn Gassen zu beiden Seiten, welche schnellste
Verwandlungen hinter schnell gezogenen Vorhängen ermöglichen. Im
Gegensatz zur Pariser Art-déco-Avantgarde, die im Überflüssigen das
Notwendige sah, beschränkt sich Glittenbergs Raumausstattung auf die
elitäre Eleganz des Kostbaren: die Wände aus lauter Gold,
schwarzlederne Sitzgruppen, die auch zum Liegen dienen, dazu ein
Bar-Tresen für Don Giovannis frivole Feste.
Gefestet wird einen ganzen Abend lang - mit einem Heer von Tänzerinnen
und Tänzern. Zu Beginn allerdings stehen sie regungslos wie Puppen da,
und mit einem Staublappen wird ihnen der letzte Glanz verpasst. Keine
Individuen, sondern - ein Grundkonzept von Sven-Eric Bechtolfs
Inszenierung - Spiegelungen der Protagonisten allesamt. In ihnen, mit
ihnen wiederholt sich und setzt sich fort, was den Protagonisten
geschieht, jenes abgründige Spiel erotischen Getriebenseins, das zur
Lust strebt und noch mehr Schmerzen zufügt.
Verführung
Frauen
werden oft bis auf ihre Dessous ausgezogen, auf ihr Fleisch reduziert,
die Männer auf ihre Potenz. Die Kunst der Verführung geht nahtlos in
die Abscheu einer Vergewaltigung über; beides liegt sich, psychologisch
gesehen, gefährlich nahe. Umgekehrt erreicht die Inszenierung gerade
dort einen Höhepunkt, wo sie die (durchaus schmerzliche) Verwunderung
der Frauen über ihre eigene Verführbarkeit zum Ausdruck bringt und wo
sie die Frau selber zur Verführerin macht.
Ein
Ausscheren aus diesem (unmenschlichen) Spiel, diesem (animalischen)
Mechanismus der Sexualität, gibt es offenbar nicht, und darin erreicht
Bechtolfs Inszenierung eine beeindruckende Schlüssigkeit. Dass er diese
schwarz schattenden Nachtseiten der menschlichen Triebhaftigkeit immer
wieder virtuos mit den hellen Lichtseiten eines unbekümmerten
Spieltriebs, eines genuinen Komödiantentums zu verbinden vermag,
verdient noch mehr Respekt.
Die 450. Vorstellung
Und er kennt seinen Sigmund Freud, dessen 150. Geburtstages wir dieser
Tage ja gedenken. Von der Sexualität als Tabu ist es zu «Totem und
Tabu» (Freuds Aufsatzsammlung von 1913) nur noch ein kleiner Schritt.
Bechtolf scheint ihn in der Szene des Komturs zu gehen, der als
steinerner Gast (als sein eigenes Friedhofdenkmal) gleichsam
wiederbelebt auftritt. Dass die «Psychologie des Neurotikers» (und
sexuelle Neurotiker sind sie bei Mozart respektive bei Bechtolf alle)
mit der «Psychologie der Naturvölker» Übereinstimmungen aufweise, liest
man bei Freud. Ob allerdings die Magie des Animismus, mit der Bechtolf
den toten Komtur erneut zum Leben «beseelen» lässt, eine geeignete
Grundlage für diese doch eher als oberflächliches Theaterspektakel
gedachte Szene hergibt, bezweifle ich.
Der szenischen Virtuosität im Spiel mit den Licht- und Nachtseiten
entspricht die musikalische. Franz Welser-Möst, der bei dieser Premiere
zum 450. Mal am Pult des Orchesters der Oper Zürich stand, lässt dieses
nicht in seinem angestammten Graben, sondern auf Parkett-Ebene
musizieren. Entsprechend satt und vehement zupackend ist der Klang,
federnd und behende; hier ist Mozart als Dramatiker zu hören, als
kraftvoller Geist. Gleichzeitig beeindruckt Welser-Möst durch einen
artikulatorischen Charme und durch eine wie in kostbaren Samt
gekleidete Sanglichkeit, anrührend und brillant.
Potent und impotent
Dazu passt der Hammerflügel, mit dem die Rezitative begleitet werden,
hervorragend. Zudem räumt Welser-Möst den Sängern die Freiheit zu
kleinen Verzierungen ein. Und diese Sänger lassen allesamt kaum Wünsche
offen. Am wenigsten Simon Keenlyside als Don Giovanni: Ein potentes
Mannsbild wie aus dem Fitness-Studio, ein Ausbund an lustbetonter
Vitalität mit kraftvoller, aber nie kraftmeiernder Stimme, unglaublich
flexibel auch im Piano, einschmeichelnd und aufbrausend je nachdem.
Eva Mei spielt als Donna Anna ganz die stolze Pose aus,
schauspielerisch in jedem Schritt, in jeder Geste perfekt, stimmlich
manchmal mit etwas kühlem, aber dennoch edlem Glanz. Malin Hartelius
singt zum ersten Mal Donna Elvira, und sie tut das ohne jene
hysterische Aufgekratztheit, wie man sie sonst in dieser Partie immer
wieder hört (und dann zum Verdruss unserer Ohren). Diese Elvira
fasziniert durch vokale Menschlichkeit und eine beseelte Pianokultur,
die gleichsam das emotionale Innenleben auf den Lippen trägt.
Anton Scharinger ist ein wendiger Leporello, der mit Papageno irgendwie
ein klein bisschen verwandt zu sein scheint. Dass er die Partie seit
zwanzig Jahren singt, hört man ihm ein wenig an. Umgekehrt ist Piotr
Beczala als Ottavio noch fast ein Novize, und er singt die Partie mit
glühend jugendlichem Impetus, aber jederzeit sicherer Kontrolle in den
Kantilenen. Dass die Regie ausgerechnet aus ihm einen alten,
weisshaarigen (impotenten?) Mann gemacht hat, will deshalb nicht recht
einleuchten. Martina Jankova und Reinhard Mayr ergänzen als Zerlina und
Masetto das Ensemble beide in bewundernswerter Bestform.
Beim Schlussapplaus ein paar Buhrufe beim Erscheinen des Regisseurs, die aber sofort niedergebrüllt wurden.
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9. 5. 2006
Don Giovanni de chair et d'os
Simon Keenlyside captive et épate la galerie dans la nouvelle production de Zurich.
Don Giovanni, c'est lui. Simon Keenlyside déboule sur la scène avec la
souplesse et la voracité d'un tigre, tout en jambes et en muscles, les
pectoraux à l'air. Mauvais garçon à souhait, gentleman aussi - avec ces
sourires aguicheurs et ces mimiques de faux-cul que seuls les Anglais
savent afficher pour se faire pardonner -, le baryton londonien est le
séducteur par excellence. L'Opéra de Zurich est tombé sous son charme,
et ce n'est pas par hasard si une avalanche de «bravi» a salué sa
prestation, dimanche soir, à la première de Don Giovanni, dans une
nouvelle mise en scène de Sven-Eric Bechtolf.
Ce n'est pas la première fois que Simon Keenlyside se mesure au tueur
de cœurs en série. Le Théâtre de la Monnaie à Bruxelles avait déjà joui
de son talent d'acteur et de sa voix charnelle (mise en scène de David
MacVicar). Après Vienne, le voici qui se plie une fois de plus à
l'exercice avec l'agilité d'un caméléon. Tout, dans ses gestes, dans
ses intonations de voix (du murmure au cri), compose une incarnation si
animale qu'on n'ose l'imaginer avec les vraies femmes...
Don Giovanni, c'est «l'homme de vent contre l'homme de pierre» (Pierre
Michot dans Mozart, opéras, mode d'emploi); «son costume n'a pas de
poches», comme le suggère Piotr Kaminski dans l'encyclopédie Mille
opéras. C'est bien la vision qu'en a le metteur en scène Sven-Eric
Bechtolf, un favori de Zurich, lequel choisit de parer le cavalier de
vêtements d'autant plus classe qu'ils trompent sur la marchandise.
Dans un décor des années 20 - une grande salle de palais aux dorures un
rien kitsch et aux perspectives sans fin -, les victimes et bourreaux
de Don Giovanni traquent la bête insaisissable. Très stylisée, avec des
arrêts sur image comme au cinéma et des gestes empruntés à la danse
(chorégraphie de Stefano Giannetti), la mise en scène flaire le sexe
d'un bout à l'autre. Le plus habile, ce sont ces figurants qui jouent
des scènes de séduction et de viol à l'arrière-plan. Car sitôt qu'il
arrive, Don Giovanni réveille les pulsions les plus enfouies et
inavouables.
Ainsi, Donna Anna - dont le père a été assassiné par Don Giovanni -
chante la vengeance du félon tandis que des hommes font littéralement
tomber leurs fiancées en leur injectant du venin mortel dans le cou. Le
strip-tease sert d'arme tentatrice. A peine Don Ottavio a-t-il entamé
son chant de fidélité à Donna Anna que des jeunes femmes l'approchent
et se déshabillent. Enfin, le strip-tease (non intégral, rassurez-vous)
sert à récupérer son fiancé: Zerlina, qui a succombé au beau chevalier,
se met à califourchon sur Masetto roué de coups pour le consoler et lui
apporter un «baume naturel»... .
Ce Don Giovanni lubrique et fripon, évoluant dans une faune bourgeoise
qui cherche à péter plus haut que son cul, a l'avantage de montrer
combien chaque protagoniste s'inscrit en miroir par rapport à Don Juan.
L'usage de la vidéo, dans la première scène, crée précisément un effet
de miroir en dédoublant les protagonistes sur plusieurs plans: la
tromperie de Don Giovanni est sans fin. On restera perplexe, en
revanche, sur cette idée de statuette africaine pour représenter le
Commandeur à la dernière scène. Coquetterie animiste New Age...
Chef titulaire de l'Orchestre de l'Opéra de Zurich, Franz Welser-Möst
dirige avec bon goût, cisèle les motifs mozartiens. Il manque toutefois
un zeste de folie - ce chef est décidément trop bon garçon. Et certains
airs, comme celui du catalogue, traînent.
Mention spéciale pour Martina Janková: la soprano tchèque, au chant si
ductile et fruité, s'impose en prima donna - comme l'aurait voulu
Mozart selon Piotr Kaminski. Ni Eva Mei, fine musicienne mais raide et
froide en Donna Anna, ni Malin Hartelius (voix trop menue pour Donna
Elvira) ne sont à leur place. Anton Scharinger, en Leporello, doit
encore trouver ses marques. Reinhard Mayr (Masetto colérique) et Piotr
Beczala (Don Ottavio au cœur d'artichaut et aux accents quasi
pucciniens) font davantage contrepoids à Don Giovanni. Entre-temps,
l'assistance est suspendue aux lèvres de Simon Keenlyside.
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9. 5. 2006 / Wilhem Sinkovicz
Die schlimmen Buben in der Liebesschule
Don Giovanni in Zürich. Franz Welser-Möst eröffnet mit Sven-Eric Bechtolf neue Mozart-Perspektiven.
Zürich war in Sachen Mozart über viele Jahre hin eine Pilgerstätte für
Musikfreunde, die an neuen Interpretations-Perspektiven interessiert
waren. Nikolaus Harnoncourt war dort auf die großen Opern des
Jahresregenten sozusagen abonniert - nun studierte Franz Welser-Möst
als sechzigste (!) seiner Zürcher Premieren endlich eine der
Da-Ponte-Opern ein. Und neuerlich darf man von einer Umwertung aller
Mozart-Werte sprechen. Das klingt gleich wieder anders, frischer,
lebendiger, doch auch gewichtiger als gewohnt.
Schluss mit dem Gehudel. Das scheint Welser-Mösts vordringlichstes
Motto zu sein: Seine Tempodramaturgie lässt des öfteren aufhorchen. Wo
in den vergangenen Jahren immer neue Geschwindigkeitsrekorde
aufgestellt wurden, nimmt man sich plötzlich Zeit. So darf Anton
Scharinger etwa die Registerarie nach Nuancen durchforsten und für
charakterliche Feinabstimmung sorgen, womit die Figur des Leporello
entschieden an Tiefgang gewinnt. Das nämliche gilt für die Solo-Szenen
der Donna Elvira, die Malin Hartelius vorsichtig, aber mit großem
Ausdruck gestalten darf. Auch die Holzbläser des Zürcher
Opernorchesters haben dank Mösts umsichtig modellierender Vorgangsweise
Zeit und Möglichkeit, alle verschmitzten und sensiblen Fußnoten
anzubringen, mit denen Mozart sein psychologisches Gespinst versieht.
So stellt sich einer bewussten Verlangsamung des Grundzeitmaßes zum
Trotz dank der Lebendigkeit und Vielgestaltigkeit der Einzelstimmen
sogar der Eindruck subtilerer, bunterer Komödiantik und größerer
Dynamik ein. Der Ablauf ist von höchster Innenspannung und entwickelt
sich bis zur musikalisch atemberaubend intensivierten Höllenfahrt
zwingend. Damit kann Sven-Eric Bechtolfs Regie nicht ganz mithalten,
wenn sie auch von zeitweise fanatisch zugespitzter Dramatik ist und die
Möglichkeiten realistischen Spiels wie surrealer Bühneneffekte virtuos
nützt.
Den Don Giovanni, Simon Keenlyside, zeigt uns die Regie als schlimmen,
verzogenen Buben, der sich oft selbst über seine magische
Anziehungskraft auf die Frauen zu wundern scheint, doch ohne jede Scham
seinen hormonellen Profit aus ihr zieht.
Piotr Beczala, stimmlich reifer, mehr an Verdis Schmelz und Espressivo
als an Mozarts klassischer Linienführung geschulter Don Ottavio, bildet
zu diesem Anarchisten den politisch korrekten Gegenpol; mag er auch mit
allem Recht haben, was er sagt und sinnt - in den virtuos bewältigten
Koloraturen der B-Dur-Arie zumal - gegenüber dem rechtlosen Zustand,
den die normative Kraft der faktischen Anwesenheit des Don Juan
heraufbeschwört, ist jegliche Moral- und Justiz-Vorstellung machtlos.
Da wird der brave Mann zum geborenen Verlierer; auch seiner geliebten
Donna Anna gegenüber: Wenn Ottavio in ihre Arme sinken will, senkt der
Regisseur rasch den Vorhang zwischen die beiden.
Manch heikles Ensemble in Mozarts Beziehungsgeflecht deutet Bechtolf
auf diese Weise penibel und mit szenischem Feinschliff. Vor der Macht
der Metaphysik aber versagt sein Zugriff. Aus dem steinernen Gast wird
eine harmlose Voodoo-Figur aus Holz. Das wirkt in katholischen Landen
noch immer nicht, mag Keenlyside auch noch so schmerzerfüllt im kühl
goldglitzernden Art Deco Ambiente Rolf Glittenbergs zusammensinken: Die
kalten Schauer jagt dem Zuschauer die Musik über den Rücken, Chor,
Orchester, der dumpf dröhnende Komtur des Alfred Muff und Anton
Scharingers bis ins apokalyptische Entsetzen hinein genau
artikulierender Hasenfuß.
Interessanterweise drückt sich der Regisseur vor allem vor den
hintergründigen Szenen, die das Werk umrahmen. Nebst der Höllenfahrt
ist auch der erste, viel diskutierte Auftritt Donna Annas und Giovannis
uninszeniert, geht in einem Statisten-Gewirr unter, das nur den Blick
auf einen verwirrten Kuss freigibt: Anna küsst den Unhold. Aber weiß
sie, wer er ist? Und dass es derselbe ist, den sie eben als Wüstling
verfolgt hat? Die seit der Romantik heftig diskutierte Frage nach der
tatsächlichen Beziehung zwischen diesen beiden Figuren will Bechtolf so
wenig beantworten wie viele seiner Vorgänger.
Doch gelingt ihm in der Folge eine spannend entwickelte Produktion, die
im entscheidenden Moment doch der Musik den Vorrang lässt, was außer
der spitz und dünn tönenden Anna von Eva Mei so gut wie alle Solisten
wunderbar nutzen, nicht zuletzt das Bauernpaar, dem Reinhard Mayr und
vor allem die beseelt singende Zerline der Martina Jankova herzhaftes
Profil verleihen.
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12. 5. 2006 / Manuel Brug
Mord im Ballsaal
Simon Keenlyside glänzt im Zürcher Da-Ponte-Zyklus als Don Giovanni
Schlechte Zeiten für Opern-Verführer. Zwar lädt Don Giovanni dank des
Mozart-Jahrs noch häufiger als sonst in seiner 219jährigen
Bühnenkarriere den Steinernen Gast zum leider letzten Liebesmahl. Doch
kaum noch darf er das als viriler Bariton-Macho tun. Der Mythos ist
längst irdisch geworden: als Nadelstreifen-Manager, Vorstadt-Casanova,
als kleiner Fiesling und fades Würstchen. Als einer, der mit seinem
unmoralischen Anspruch stört in einer Gesellschaft, die es sich bequem
auch zwischen amourösen Normen eingerichtet hat.
In Zürich jedoch, wo das bewährte Tandem Franz Welser-Möst (in seiner
60. Premiere!) und Sven-Eric Bechtolf eben beginnen, den noch nicht
zehn Jahre alten Da-Ponte-Zyklus von Harnoncourt/Flimm zu ersetzen,
darf Giovanni ein Luxusgeschöpft sein. Einer, der sich in einem als
golden barocke Kulissenbühne gestaffelten Art-Deco-Ballsaal den Ennui
von der Dandy-Seele tanzt. Simon Keenlyside singt und spielt den Don
wie eine Lebensrolle. Trotz Terfel, Hampson, Gilfrey, Skovhus - er
dürfte die augenblicklich glaubwürdigste Verkörperung des männlichen
Eros light sein. Wunderbar weich, doch auch markant vokal
dahinfließend, mokant mit den Worten spielend. Ein ewiger Jüngling im
athletisch geformten Man's Health-Body, verschmitzt, mit einem Anflug
von Zynismus und Horror Vacui. Einer, der mit Opfern generös spielt,
dann eiskalt zuschlägt: European Psycho. Schön, daß dieser sich oft dem
Betrieb verweigernde Sänger nun einen CD-Vertrag mit Sony hat.
Simon Keenlyside ist das unbestrittene Zentrum dieser raffinierten wie
glamourösen Inszenierung. Sven-Eric Bechtolf, der seinen Spielern viel
Freiheit läßt, verortet sie in Rolf Glittenbergs am Anfang und Ende als
sich ewig widerspiegelnde Partyröhre. Figuranten sind im ewigen Tanz
erstarrt oder posieren leer, das ewige Fest als
Schaufenster-Ausstellung.
Darin fügen sich zwanglos die anderen Charaktere, von Franz Welser-Möst
und dem anfänglich noch etwas unsauberen Zürcher Opernorchester mit
ausgewogen balancierten Tempi und hellstrahlendem Klang sich fast zu
ostentativ von der kantigen Harnoncourt-Dramaturgie absetzend. Anton
Scharinger ist ein wendiger Leporello, Alfred Muff ein solider Komtur.
Piotr Beczalas Ottavio ist nicht nur vokal zupackender als üblich,
Reinhard Mayrs Masetto gibt sich gepflegt aufmüpfig.
Giovannis wahre Gegner sind die Frauen: Eva Mei als zitronige Anna in
Verführerischrot, später trägt sie nostalgisch Giovannis Abendjacke.
Malin Hartelius als angenehm unhysterische Elvira versucht eine noch
ausbaufähige, doch lyrisch koloraturgewandte Facherweiterung. Souverän
Martina Janková als Zerlina-Girlie.
Zum Ende hin mißtraut Bechtolf freilich seinem undogmatisch
überzeitlichen Ansatz, mag Metaphysik nicht: Giovanni muß am Tresen
sterben, niedergestreckt von einem afrikanischen Fetisch, den die
schwarze Geliebte des Komturs aufgebaut hat.
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8. 5. 2006 / Wolfgang Huber-Lang
Jubel um Zürcher "Don Giovanni" von Bechtolf und Welser-Möst
Zu
einem nahezu uneingeschränkten musikalischen Fest wurde gestern,
Sonntag, Abend die von Franz Welser-Möst dirigierte Premiere von
Mozarts "Don Giovanni" im Opernhaus Zürich. In einem von goldenen
Portalen eingefassten Ballsaal entfaltete die Oper all ihre Dramatik.
Im Zentrum stand ein Don Giovanni mit James Bond-Appeal. Simon
Keenlyside bekam jedoch von Regisseur Sven-Eric Bechtolf einen
veritablen Gegenspieler verpasst: Piotr Beczala sang sich als Don
Ottavio mit glühenden Treueschwüren und strahlender Tenorstimme in die
Herzen der Damen.
Fast möchte man glauben, Don
Ottavio sei der eigentliche Frauenheld. Beczala, vor vielen Jahren
Ensemblemitglied in Linz, hat eine der schönsten und tragendsten
Stimmen dieses Abends. Sein betörender Lobgesang auf Beständigkeit
klingt der Weiblichkeit wie ein Lockruf. Bechtolf lässt davon die Schar
der Tänzerinnen, die er in dem mittels Videoprojektion manchmal ins
Unendliche nach hinten verlängerten, manchmal mit Sitz- und Liegemöbel
oder einer mobilen Stehbar eingerichteten Saal (Bühne: Rolf
Glittenberg) in vielen stummen Szenen Geschlechterkampf und Paartanz
ausführen, magisch angezogen werden und dahinschmelzen, bis sie Ottavio
wie eine Trophäe auf Händen von der Bühne tragen. Einzige Handicaps
dabei sind die grässliche, helmartige graue Perücke, die Beczala zu
tragen hat, und eine mimische und darstellerische Statik, die den
Sänger, der im kommenden Festspielsommer auch in der Kusej-Inszenierung
des "Don Giovanni" als Widerpart von Thomas Hampson zu sehen sein wird,
gegen seinen Kontrahenten den Kürzeren ziehen lässt.
Denn Keenlyside ist nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch
hoch präsent. Zu Beginn zeigt er sich bei der misslungenen Verführung
von Donna Anna mit nacktem Oberkörper als beeindruckend durchtrainiert,
seine ganze Rollenanlage ist die eines Gentleman-Schurkens mit
Augenzwinkern, eines Geheimagenten im Dienste der Libido, der viel
lacht und Kampfgetümmel, in denen noch so viele Springmesser
aufblitzen, gewöhnlich unverletzt und mit einer zynischen Bemerkung zu
verlassen pflegt. Anton Scharinger, der seinen Leporello ebenfalls
tadellos singt, verbleibt dabei in traditionellerer Figurenzeichnung,
Alfred Muff als Komtur beeindruckt mehr als Toter denn als Lebender,
nur Reinhard Mayr als Masetto kann da nicht ganz mithalten und bleibt
blass.
Unter den Damen sticht Martina Janková als Zerlina heraus, die nicht
nur eine überzeugende schauspielerische Leistung im Zwiespalt zwischen
den verschiedenen von den Männern gebotenen Zukunftsversprechen,
sondern auch eine über eine geschmeidige und dennoch klar geführte
Stimme verfügt, die mal nach reinem Herzen, ein anderes Mal nach purem
Sex klingt. Ihre Arien und Duette zählten zu den akklamierten
Höhepunkten der Premiere. Die Donna Elvira hat es als Spielverderberin
immer etwas schwerer, und Rollendebütantin Malin Hartelius schlug sich
achtbar, ohne zu tragischer Größe zu finden. Und Donna Anna? Eva Mei
sang sie innig, um Gestaltung bemüht, aber sehr konventionell. In
Bechtolfs Inszenierung, die wendig immer wieder nach überraschenden
Bildern sucht, um die tausendfach gesehene Geschichte spannend zu
erzählen (was ihm mal mehr, mal weniger schlüssig gelingt, aber
keineswegs die paar Buhs verdient hat, die sich beim Regisseur unter
den finalen Jubel mischten), hat sie es schwer.
Das alles wären aber vergebliche Mühen gewesen, wären nicht das
Orchester der Oper Zürich und Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst,
der den Klangkörper - dem er bereits seit 1995/96 als Chefdirigent
vorsteht - an diesem Abend zum 450. Mal leitete, in derart glänzender
Form gewesen. Dem Dirigenten (der die Rezitative vom Hammerklavier
begleiten lässt) und seinen Musikern merkt man ab der ersten Sekunde
die Hauptsache an: Sie haben Spaß an ihrer Arbeit und an Mozarts Musik.
Einen derart gelösten Dirigenten, der mit einem aufmunternden Lächeln
den ersten Einsatz gibt, der sich mit Leichtigkeit und Raffinesse durch
die Partitur bewegt und sie nicht bloß abarbeitet, der immer wieder
auch über die Bühnen-Vorgänge schmunzeln kann, im nächsten Augenblick
aber an Dynamik und Dramatik nichts zu wünschen übrig lässt, das hat
man selten gesehen. Und vor allem: gehört. Man versteht, dass Alexander
Pereira die Zürcher Bedingungen über den grünen Klee lobt. Und man
beginnt sich auf den "Ring" zu freuen, den Bechtolf und Welser-Möst für
die Wiener Staatsoper vorbereiten. Dann allerdings sitzt das
Staatsopernorchester im Graben...
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10. 5. 2006 / Oliver Schneider
Eine Deutung mit Fragezeichen
"Don Giovanni" in Zürich mit afrikanischem Kolorit in der Regie von Sven-Eric Bechtolf
Jubel für Dirigent, Orchester und die Solisten und wenige Buhs für das
Regieteam täuschen nicht darüber hinweg, dass die Neuinszenierung des
"Don Giovanni" am Opernhaus Zürich szenisch wie musikalisch nur
teilweise zu überzeugen vermag. Eine Klasse für sich ist allerdings der
Don Giovanni von Simon Keenlyside.
Vorletzte Szene: Donna Elvira und Leporello erschrecken nicht vor der
Marmorstatute des Komturs. Nein, Leporello trägt eine kleine
afrikanische Holzfigur herein und setzt sie auf einen Stuhl. Schon
vorher taucht die Figur auf, nämlich auf dem Friedhof. Don Giovanni hat
sich zu seinem letzten Mahl das blutige Dinner Jacket übergeworfen, das
der Komtur bei seiner Ermordung trug. Mit seinem Spiel macht Simon
Keenlyside in dieser Szene eindrücklich deutlich, dass Don Giovanni
einen nur von Lust getriebenen, abgrundtiefen, diabolischen Charakter
besitzt. Sein Ende kann nur eine Höllenfahrt sein. Kein Quäntchen der
Dramatik wird hier verschenkt, weder szenisch noch musikalisch. Diese
fünfzehn Minuten gehen unter die Haut. Jedoch, die Szene stand in einem
seltsamen Widerspruch zum Rest des Abends.
Regisseur Sven-Eric Bechtolf und sein Ausstattungsteam (Bühnenbild:
Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg) lassen das Dramma
giocoso in einem goldenen Einheitsbühnenbild spielen, das Bühnenbilder
des 18. Jahrhunderts mit Prospekten, perspektivischen Kulissen und
Gassen dazwischen zum Vorbild hat. Durch das Herablassen oder
Hereinschieben von Vorhängen sind rasche Szenenwechsel möglich. Ein
ästhetisches, aber unterkühltes Ambiente. Sofas, Chaiseslonguen und
eine Bar erinnern an die Art Déco-Zeit. Bei Mozart und Da Ponte sind
die Protagonisten Adelige und Bauern, bei Bechtolf bilden Sie eine
elegante Abendgesellschaft. Standesunterschiede gibt es nicht wirklich,
es sei denn, ein solcher manifestiere sich darin, dass Zerlina im
Gegensatz zu Donna Anna und Donna Elvira keinen Schmuck trägt. So weit
so gut.
Entscheidend ist, dass Bechtolf den Don Giovanni bis zur Friedhofsszene
nicht als Lüstling und Freigeist sieht. Bei ihm ist er der Liebling
aller Frauen, ein Sympathieträger sondergleichen. Nicht er muss die
Frauen verführen, sondern diese werfen sich ihm förmlich an die Brust,
unabhängig davon, welchem Stand sie angehören. Zerlina kokettiert
offenkundig mit ihm, und bei Donna Annas Schilderung vom nächtlichen
Eindringen Giovannis in ihr Zimmer legt ein Bewegungschor den
wirklichen Ablauf der Szene oder zumindest Annas Wunschvorstellung
davon offen. Ein krasser Gegensatz zu den Worten, die sie singt.
Problematisch wird bei dieser Interpretation der Schluss. Denn wieso
sollte ein Verführter zur Hölle fahren? Bechtolf vermag den logischen
Bruch nicht zu erklären. Auch die Reminiszenzen an Afrika – die besagte
Holzplastik und eine Farbige als ständige Begleiterin des Komturs – und
die eine oder andere Bebilderung durch den Bewegungschor lassen Fragen
nach dem Sinn aufkommen.
Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst stand an diesem Abend zum 450.
Mal am Pult des Opernhaus-Orchesters. Es entfaltete einmal mehr einen
wundervoll transparenten, präzisen und weichen, wenn auch analytischen
Schönklang. Den lyrischen Momenten und den leichten Stimmen der Frauen
kam die Interpretation von Welser-Möst zupass. Woran es aber fehlte,
war – abgesehen von Don Giovannis Höllenfahrt – der packende Zugriff in
dramatischen Situationen. Spannungsabfälle waren die Folge. Die
langsamen Tempi, das hat Nikolaus Harnoncourt im Salzburger Don
Giovanni bewiesen, sind auf jeden Fall nicht daran schuld.
Einen gemischten Eindruck hinterliess auch das Sängerensemble. Nach dem
Salzburger Pelléas steht Keenlyside in Zürich wieder in einer seiner
Paraderollen auf der Bühne. Mit seiner balsamisch-lyrischen und in
allen Lagen ausgeglichenen Stimme ist er eine Idealbesetzung, vor allem
in dieser Produktion. Musikalisch geriet das Duett Là ci darem la mano
mit der einmal mehr Sopranglanz einbringenden Martina Janková als
liebäugelnde Zerlina zu einem der Höhepunkte des Abends. Die
Spielfreude merkte man Anton Scharingers Leporello förmlich an, auch
wenn sein übertrieben-komisches Agieren zuweilen an die Grenze des
Erträglichen stieß. Musikalisch gefiel er trotz einer gewissen
Eindimensionalität und Rauheit.
Piotr Beczala reduzierte den Ottavio auf den netten Begleiter ohne Pep,
liess aber musikalisch mit seinem edel gefärbten, schlanken Tenor keine
Wünsche übrig. Er wird die Rolle im Sommer auch in Salzburg in der
Wiederaufnahme der Kusej-Produktion verkörpern. Die Überraschung des
Abends war der aus Greiskirchen stammende Oberösterreicher Reinhard
Mayr, der den eifersüchtigen Masetto (fast) zu einem ernsthaften
Gegenspieler Don Giovannis werden liess. Alfred Muff als Komtur trug
zum guten Eindruck der Herrenriege bei. Schwachpunkte waren leider
Malin Hartelius als Elvira und Eva Mei als Donna Anna. Malin Hartelius
gab an diesem Abend ihr Debüt als verlassene Ehefrau. Die lyrischen
Qualitäten ihrer Stimme kamen in der Arie In quali eccessi im zweiten
Akt eindrücklich zur Geltung. Doch für den Rest der Partie wirkte ihre
Stimme zu weich, zu undramatisch. Eva Mei sang die Donna Anna zwar ohne
Fehl und Tadel, gab ihr aber auch kein Profil.
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