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Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
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Eugen d'Albert: Tiefland
1. Juli 2006 (Première)
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Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung
Choreinstudierung
Marta
Pepa
Antonia
Rosalia
Nuri
Pedro
Sebastiano
Tommaso
Nando
Moruccio
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Franz Welser-Möst
Matthias Hartmann
Volker Hintermeier
Su Bühler
Jürgen Hoffmann
Ernst Raffelsberger
Petra Maria Schnitzer
Christiane Kohl
Liuba Chuchrova
Kismara Pessatti
Eva Liebau
Peter Seiffert
Matthias Goerne
Laszlo Polgár
Rudolf Schasching
Valeriy Murga |
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Imaginäre Bergwelt
einer Premieren-Besucherin)
Schwacher Hochdruck im Tiefland
Naiv gezeichnet
Ausgepeitscht im Kitschlabor
Ein Tiefland der sängerischen Höhen
Pathetischer Gesang im Gen-Labor
Verpackungskünstler
In die Bergwelt gebeamt
Zwischen Frankenstein und Riefenstahl
Aus jedem Dunkel steigt ein Licht
"Tiefland" in Zürich
Bergidyll aus dem Datenhandschuh |
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2. 7. 2006 / Chantal Steiner
Imaginäre Bergwelt
Als
letzte Premiere dieser Saison gelangte das selten aufgeführte Werk
Eugen d’Alberts, „Tiefland“, zur Aufführung. D’Albert, der von
1864-1932 lebte, war ein blendender Klaviervirtuose und hinterliess 24
Opern; die meisten dürften jedoch nur einem kleinen Publikum bekannt
sein.
„Tiefland“
war eine der Lieblingsopern Adolf Hitlers, so dass das Werk ab Mitte
des letzten Jahrhunderts nur noch sporadisch aufgeführt wurde. Nach dem
gestrigen Abend kann man das nur bedauern. Sicherlich ist das Werk kein
Meisterwerk, dazu fehlt die ganz eigene Handschrift. Wagners Einfluss
lässt sich genauso wenig verleugnen wie z.B. Puccini, Bizet, Mascagni
(„Cavalleria“) und die Zarzuela- und Operettengattung. Die
Orchestrierung ist jedoch sehr farbig, raffiniert und bildet einen
hervorragenden Klangteppich für die Stimmen. Das Orchester unter der
Leitung von Franz Welser-Möst packte die Aufgabe mit dem bereits von
ihm bekannten Engagement an, speziell die Holzbläser waren bestens
disponiert. Ein warmer, sinnlicher, plastischer Klang vermittelte alle
Schattierungen dieser expressionistischen Musikwelt.
Hochkarätige Stimmen…
Stimmlich
war es ebenfalls ein Leckerbissen. Ein hochkarätiges Ensemble –
Rollendébut für alle Beteiligten – wurde angeführt von Peter Seiffert
als Pedro. Von lyrischen Pianissimi bis zum dramatischen Fortissimo,
gekoppelt mit einer exzellenten Diktion (was übrigens für alle
Sängerinnen und Sänger gilt), entlockte der Sänger seiner Stimme alles.
Einziger kleiner Makel bleibt die nicht sehr ausgeprägte tiefe Lage.
Die Stimme verfügt immer noch über die für diese Rolle notwendige
Naivität, den Schmelz und die Durchschlagskraft. Eine hinreissende
Leistung! Das Gleiche gilt es von Petra-Maria Schnitzer zu sagen. Sie
verkörperte eine berührende, verzweifelte Marta. Erstaunlich, wie ihre
Stimme an Volumen zugenommen hat (ihre Ausflüge ins Wagnerfach lassen
sich nicht leugnen); trotzdem vermag sie die lyrischen, leisen Passagen
ebenso schön zu gestalten. Hier kommt ihr ihre Erfahrung im Liedgesang
sehr zustatten. Beide, Seiffert und Schnitzer, vermögen die Entwicklung
der unterwürfigen „Sklaven“ zu mündigen Bürgern glaubhaft zu gestalten.
Der
vor allem als Liedsänger bekannte und nur sporadisch Opern singende
Bariton Matthias Goerne verkörperte den Bösewicht Sebastiano perfekt.
Ich persönlich mag seine Stimme nicht sonderlich (sie ist mir etwas zu
spröde und zu guttural), doch auch ihm war seine Lieder-Erfahrung in
der Phrasierung positiv anzumerken. Er interpretierte seine Rolle
perfekt, sowohl stimmlich wie darstellerisch, auch wenn ihm vielleicht
ein Quäntchen Boshaftigkeit fehlte.
Erfreulich
war die Leistung von Lászlo Pólgar (der in seinen letzten Auftritten
nicht wirklich zu überzeugen vermochte). Die Stimme verfügte wieder
über die profunde Sonorität und Weichheit, die wir von früher gewohnt
waren. Ebenfalls überdurchschnittlich die naive Nuri von Eva Liebau und
der Nando von Rudolf Schasching. Die übrigen Protagonisten (Liuba
Chuchrova, Kismara Pessatti, Christiane Kohl, Valery Murga) sowie der
Chor des Opernhauses agierten auf gewohnt gutem Niveau.
…aber zwiespältige Inszenierung
Nun
zur Handlung: Das Libretto erzählt von einem Grossgrundbesitzer,
Sebastiano, Herr über das Tiefland. Dieser hatte die (minderjährige)
Marta gezwungen, seine Geliebte zu werden. Nun aber hat er Schulden und
will diese mittels Heirat mit einer reichen Frau tilgen. Da er aber
nicht auf Marta verzichten will, verheiratet er sie mit Pedro, einem
Hirten aus den Bergen. Dieser hatte zuvor geträumt, dass Gott ihm
endlich eine Frau geben werde. Daher willigt er – nachdem er Marta
gesehen hat – sofort in die Heirat ein, denn er verliebt sich umgehend
in sie. Marta jedoch nimmt an, dass er sich kaufen liess und will
vorerst von ihm nichts wissen. Der Älteste der Gemeinde, Tommaso, lässt
sich von Sebastiano auch überzeugen, dass diese Ehe für alle das Beste
ist, wird aber relativ schnell durch den Mühlknecht Sebastianos eines
Besseren belehrt und versucht, die Trauung zu stoppen.
Pedro
wirbt um Marta, die ihn aber abblitzen lässt. Er erzählt ihr, wie er
seinen ersten Taler, den er ihr schenken will, verdient hat: nämlich
indem er einen Wolf besiegt hat. Fast wäre er dabei selbst gestorben.
Marta erkennt langsam den ehrlichen Charakter ihres Mannes und verliebt
sich in ihn. Sie widersteht dem Ansinnen Sebastianos, die
Hochzeitsnacht mit ihm zu verbringen, und erzählt Tommaso, wie sie in
die missliche Lage gekommen ist. Tommaso rät, Pedro alles zu erzählen,
was Marta nach anfänglichem Zögern dann auch tut, wenn auch nicht
vollständig.
Sebastiano
vereitelt die Flucht der beiden und lässt Marta für sich tanzen, bis
diese sich wehrt und Pedro auch noch den Namen des Verführers
preisgibt. Da gibt es für Pedro kein Halten mehr und ein Kampf beginnt,
der für Sebastiano tödlich endet. Ein neues Leben in den Bergen kann
beginnen.
So
weit, so gut. Matthias Hartmann, noch bis 2009 Zürcher
Schauspielhausintendant, versetzte die Geschichte in die 1930er-Jahre
(was zurzeit grosse Mode zu sein scheint). Sebastiano ist Herr über ein
Wirtschaftsimperium. Tommaso und Nando sind ihm unterstellte
Wissenschaftler. Dadurch hat er Zugang zu den Vorstellungswelten der
Klone, die im Labor gezüchtet werden. Pedro lebt in einer imaginären
Bergwelt, die mittels – zugegebenermassen hervorragenden –
Videoprojektionen gezeigt wird.
Der
sehr ästhetische Innenraum der Mühle, in der die Handlung angesiedelt
ist (sie dient als Inbegriff des Tieflandes, das gemäss den Aussagen
Nandos die Ausgeburt des Bösen ist), wird in der Inszenierung
allerdings sehr konventionell dargestellt (Bühnenbild: Volker
Hintermeier) und die Geschichte nimmt ihren traditionellen Lauf.
Hervorragend ist jedoch die Personenführung und wunderschön sind die
Kostüme (Su Bühler). Das Stück ist spannend, es kommt nie Langeweile
auf. Aber die Aussage von Hartmann wird nicht wirklich klar. Am Ende
verwandelt sich die Bühne wieder in Tommasos Labor; er schickt Marta
und Pedro in die imaginäre Bergwelt zurück. Warum Tommaso, der sich
doch gegen Sebastiano gewandt hat? Warum entlässt er sie nicht in die
reale Welt? War alles nur ein Traum?
Ziemliche
Ratlosigkeit bei den meisten Besuchern. Allerdings war das Buhkonzert
für Hartmann wohl eher eine „politische“ Reaktion auf seinen
vorzeitigen Abgang nach Wien. Im Verlaufe dieser Saison war manche
Inszenierung schlechter (vor allem handwerklich) und wurde nicht so
ausgebuht.
Einhelliger Jubel hingegen für das gesamte musikalische Team. Der Staccato-Applaus hatte bereits in der Pause begonnen.
Fazit: ein musikalisch hoch stehender Abend mit einem Werk, das die Ent- oder Wiederentdeckung lohnt.
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3. 7 . 2006 / Christian Berzins
Schwacher Hochdruck im Tiefland
Zürcher Festspiele: Schauspielhaus-Chef Matthias Hartmann inszeniert am
Opernhaus wenig überzeugend Eugen d’Alberts «Tiefland», die Sänger sind
erstklassig.
In Glasgow 1864 geboren, in Riga 1932 gestorben, in Morcote begraben:
Eugen d’Albert war nicht nur während seines Lebens, nein, sogar nach
seinem Tod noch unterwegs. Ein einziges seiner 21 Bühnenwerke,
«Tiefland», konnte sich im Repertoire halten und macht nun Halt in
Zürich. Heute ist «Tiefland» nicht mehr als eine «interessante Rarität»
- wie so vieles am Opernhaus Zürich, das kurz auf den Spielplan kommt,
teuer produziert wird und bald für (fast) immer verschwindet.
Doch wir greifen vor: Auf dem Papier war ein spannender Abend zu
erwarten, auch darum, weil Matthias Hartmann inszenierte. Hartmann will
mehr aus dem Stoff holen, als drin ist. Er setzt der einfachen
Geschichte um einen Schafhirten, dem im Tal bös mitgespielt wird, eine
komplizierte, konstruierte Rahmenhandlung auf.
Pedro entstammt bei Hartmann einem Versuchslabor, wo man sich
Menschentypen aussuchen und in die Welt aussetzen kann. Gutsherr
Sebastiano braucht einen einfachen Mann, der seine Geliebte Marta
(schein-)heiratet, damit er selbst - befreit vom Dorfgeschwätz - eine
reiche Frau ehelichen kann. Marta soll aber seine Geliebte bleiben.
Pedro spielt nicht mit, bringt Sebastiano um und zieht mit Marta zurück
in die Berge. Menschenversuch misslungen? Man würde meinen, ja, doch
Professor Jekyll alias Tommaso (sehr innig gesungen von Laszlo Polgar)
setzt folgerichtig das Objekt Pedro erneut in seinen Käfig. Nun ist
aber auch Marta dabei. Es kommt zum finalen Hollywood-Leinwand-Kuss,
und die Liebe bezwingt die Wissenschaft.
Zu Tränen rührt das nicht, denn die Videowand (Sven Ortel) ist einmal
mehr weder ästhetischer noch intellektueller Gewinn. Die meiste Zeit
spielt sich die Handlung in einem 30er-Jahre-Mühle-Kontor (Bühne:
Volker Hintermeier) ab. Im grossen Rund kommen die Figuren nicht vom
Fleck. Zu viel ist nur Schnickschnack. Erst als Hartmann mit Ironie den
Schicksalsschlägen antwortet, nimmt man aus dem Geschehen etwas mit.
Im Gegensatz zur szenischen Umsetzung ist der Abend musikalisch
gelungen. Selbst Nebenrollen sind bestens besetzt: Eva Liebau etwa
macht mit ihrem so zarten Sopran aus der lieben Nuri geradezu einen
Engel. Das Protagonisten-Trio ist Weltklasse: Matthias Goernes
(Sebastiano) Spiel verschwindet unter dem Bärenmantel, aber sein
Bariton klingt bald umso bedrohlicher, bald schmeichelt er damit
zärtlich. Der szenisch ungelenke Peter Seiffert hat keine Mühe, Pedros
Gefühlsausbrüche im Fortissimo zu singen, kann aber auch in einem
unglaublichen Mezzavoce, also mit halber, klingender Stimme, erzählen.
Petra Maria Schnitzer (Marta) übertüncht eine etwas einseitige
Farbgebung mit ungeheuerlicher Leidenschaft.
Dirigent Franz Welser-Möst lädt diese Starkstrom-Leidenschaft nicht
noch mehr auf, sondern will sanft beweisen, wie viel in dieser Musik
drin ist. Doch Alberts ausgehorchte Lyrismen langweilen bald, seine
Ausbrüche sind stereotyp. Weil auf der Bühne nichts Konträres gezeigt
wird, ist bald einmal jede Wendung, musikalisch wie szenisch, im Voraus
durchschaubar. Eugen d’Albert wird wohl wieder reisen müssen.
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3. 7 . 2005 / Verena Naegele
Naiv gezeichnet
«Tiefland» von Eugen d’Albert am Opernhaus Zürich
Pedro ist ein Naturbursche, hoch in den Pyrenäen, Sebastiano ist ein
Mühlenbesitzer, tief im Tal. Und Sebastiano befielt seinen Vasallen ins
Tiefland, um Marta, seine Geliebte, zu heiraten - alles unter Zwang,
versteht sich. Aber am Schluss siegt natürlich die Liebe und
Naturhaftigkeit. Welch banales Libretto ist doch dieses 1903 kreierte
«Tiefland» von Eugen d’Albert. «Tiefland» wird zum Verismo gerechnet,
doch wo Tosca den Quälgeist Scarpia ersticht, da lässt sich Marta
zuerst verheiraten und dann zu ihrem Liebesglück bekehren. Bei
Regisseur Matthias Hartmann ist Marta ein richtig deutsches Mädel.
Überhaupt siedelt Hartmann das Stück im Vorfeld der
Blut-und-Boden-Ideologie an und betont damit, dass Leni Riefenstahl den
Plot einst auf Zelluloid bannte. Damit erweist er d’Albert freilich
einen Bärendienst, oder er zeigt auf geradezu zynische Art auf, wohin
er das Werk wünscht: ins Pfefferland. Jedenfalls geht sein Bemühen, die
Plakativität von Berg und Tal zu brechen gründlich in die Binsen.
VERGEIGT.
Im Prolog wird Pedro als eine im Labor gezüchtete Imagination
Sebastianos gezeichnet, der per Video in die Bergwelt gebeamt wird.
Allerdings bleibt Ausstatter Volker Hintermeier in Atmosphäre und
Technik in den 1930er Jahren, weshalb die «Laborglocken» an Filme wie
«Metropolis» erinnern und Staffage bleiben. Gerade damit wird auch die
Musik teilweise der Lächerlichkeit preisgegeben. D’Albert, der mit
spanischem Kolorit arbeitet, ist in deutschem Ambiente auf verlorenem
Posten. Da wird die von Peter Seifert grandios vorgetragene
Wolfserzählung im Habanera-Rhythmus buchstäblich vergeigt. Dabei hat
diese Musik durchaus ihren Reiz. Da blühen die Farben im reichhaltig
besetzten Orchester, von Franz Welser-Möst mit Verve und Sinn für
Kulinarik ausgekostet.
Einen schweren Stand haben die
Protagonisten neben Seifert. Petra Maria Schnitzers blasser,
eindimensionaler Sopran blüht hörbar auf, wenn sie einmal dramatischere
Töne anschlagen darf. Zwiespältig ist der Eindruck von Matthias Goerne
als Sebastiano, der extrem zwischen dem lyrischen Liedinterpreten und
dem dramatisch-pulvernden Operndespoten schwankt. Entschädigt wurde man
dafür durch Eva Liebau, die mit lieblichem Sopran die Nuri sang: Eine
naive Magd in einem (zu) naiv gezeichneten Stück.
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3. 7. 2006 / Roger Cahn
Ausgepeitscht im Kitschlabor
Starker Applaus für die letzte Premiere im Rahmen der Zürcher
Festspiele: Sänger, Dirigent und Orchester wurden gefeiert, die Regie
musste - wie meistens - einige heftige Buhrufe ertragen. Premiere war
am Samstag.
«Tiefland» von Eugène d'Albert (1864-1932) - im Hitler-Europa eine oft
aufgeführte Oper - tut sich auf den Nachkriegsspielplänen schwer. Das
Motto «auf der Alm, da isch kei Sünd» vermischt mit etwas «Blut- und
Boden»-Romantik hinterlässt auch in einer modernen Interpretation einen
fahlen Nachgeschmack.
Die Story ist grausam: Sebastiano, ein vor dem Bankrott stehender
Müller - ihm gehört im dekadenten Tiefland alles - verschachert seine
junge Geliebte an einen Tölpel aus den Bergen. So glaubt er sich
sicher, seine hübsche Marta zu behalten und gleichzeitig das Geld
seiner zukünftigen Frau zur Sanierung seines Imperiums verwenden zu
können.
Doch Marta entdeckt ihre Liebe zu Pedro und sieht darin einen Ausweg
aus ihrem Gefängnis. Höhepunkt der Oper: das tödliche Duell der beiden
Rivalen; Pedro bezwingt Sebastiano, wie er einst zum Schutz seiner
Schafe den bösen Wolf erlegt hatte.
Die Musik ist genauso kitschig wie die Geschichte. D'Albert leiht sich
in den dramatischen Momenten das Material bei Richard Wagner aus, in
den eher fröhlichen Szenen bei Johann Strauss. Die Arien erinnern an
seinen italienischen Zeitgenossen Puccini, und dazwischen tönt es auch
mal ganz nett schrill - das sind dann wohl seine eigenen Beiträge.
Schauspielhausdirektor Matthias Hartmann (43) umgeht die Szenen in der
heilen Bergwelt, indem er diese guten Menschen im Labor eines
Wissenschaftlers herstellen und die Natur symbolisch auf einem grossen
Screen erstehen lässt.
Der Abend verdankt seinen Erfolg der musikalischen Interpretation.
Franz Welser-Möst (45) führt Sänger und Orchester feinfühlig durch die
schwülstige Musik. Petra Maria Schnitzer zeichnet eine gefühlsstark
leidende Marta, Matthias Goerne singt den Bösewicht Sebastiano
überragend und Peter Seiffert wird als Gutmensch Pedro zum Star des
Abends.
Fazit: Eine geballte Ladung Edelkitsch in grandioser Verpackung.
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3. 7. 2006 / Herbert Büttiker
Ein Tiefland der sängerischen Höhen
Das
Libretto! Man kann zu Eugen d'Alberts einstigem Hit Fragen stellen. Die
Antwort geben in Zürich die Sänger: Petra Maria Schnitzer und vor allem
Peter Seiffert.
Nicht auf seiner Alp begegnen wir dem
Hirten Pedro, wenn der Vorhang aufgeht , sondern in einem Laboratorium.
Wie einige weitere Menschentypen steht er verkabelt in einem
Glasgehäuse und wird mit den alpenromantischen Klischeevorstellungen
programmiert. Der Bogen ist gross, den die Inszenierung schlägt, um
sich dem schlichten Kontrast von unverdorbener Bergwelt und sumpfigem
Tiefland zu verweigern, von dem Eugen d’Alberts 1903 uraufgeführte Oper
ausgeht. Aber das Genlabor aus der Zeit um 1900, in der die
Inszenierung die Handlung ansiedelt, erinnert eher an hoffmanneske
Phantastik als an die moderne «Matrix»-Kinowelt, von der in der
Opernhaus-Zeitschrift die Rede ist.
Naheliegender wäre es gewesen, mit der eingesetzte Videotechnik (Sven
Ortel), die den Sänger auf einer grossen Leinwand in die
Alpenlandschaft projiziert, auf die Anfänge des Kinos hinzuweisen. Denn
zum einen gibt es ja die ästhetischen Konvergenzen zwischen dem
«Verismo» der Oper – ihm wird «Tiefland» als Hauptwerk der Gattung im
deutschen Kulturbereich zugerechnet – und dem Film, und vor allem hätte
sich eine «Lichtspieltheater»-Szenerie bestens in den naturalistischen
Ansatz der Inszenierung gefügt, die nicht in ein abgelegenes
katalanisches Dorf führt, sondern in eine urban-gründerzeitliche
Industriewelt, genauer in die Chefetage eines grossen Mühlewerks. Dafür
hat Volker Hintermeier einen eindrücklichen Raum geschaffen, mit
Mobiliar und Bürotechnik von damals.
Grosses Theater
Hierher
hat sich der Unternehmer Sebastiano den ahnungslosen Pedro bestellt,
der die Welt nur aus der Illusionsfabrik kennt, um ihn mit Marta zu
verheiraten. Denn er möchte seine Mitarbeiterin, die er als junges
Mädchen «gekauft» hat, wegen einer notwendigen Kapital-Heirat zum
Schein in ordentliche Verhältnisse bringen, ohne das gegenseitige
Hörigkeitsverhältnis zu zerstören. Doch im Laufe der zwei Akte wird der
Deckmantel über der perversen Beziehung langsam weggezogen und die
Situation eskaliert bis zum Tod des Fabrikanten. Das geschieht in
packender Musik und ist grosses Theater, und gerade die Verschiebung
des Milieus ins Grossbürgerliche, erweist sich dabei als fruchtbarer
Ansatz.
Hartmann entdeckt damit ein Stück, das an
Ibsen denken lässt, und gibt den Figuren das neurotische Profil, aus
dem heraus auch D’Alberts Musikdramatik wächst. Da fächert sich ein
ganzes Panoptikum auf, mitgestaltet durch Su Bühlers unaufdringlich
prägnante Kostüme. In der Karikatur des Sekretärinnen-Trios im
Deux-Piece (Christiane Kohl, Liuba Chuchrova, Kismara Pessatti) ist der
Spielopernton ihrer Auftritte perfekt mitgehört. Eva Liebau macht in
der kindlichen Weise Nuris, die mit dem Putzeimer unterwegs ist, die
bekümmerte Existenz eines an den Rand gedrängten jungen Menschen
berührend hörbar. Ein scharfer Blick fällt auf alle Nebenfiguren, die
psychiatrische Rolle Tommasos (László Polgár), die Rolle des
aufbegehrenden Bürolisten (Valeriy Murga) und den Gehilfen Nando
(Rudolf Schasching), und der Chor ist als die graue Masse der Arbeiter
dem musikalischen Gewicht in der Partitur entsprechend gespensterhaft
präsent.
Musikalisch ist das alles eingebunden in eine durchkomponierte Musik,
die das Bühnengeschehen effektvoll vorantreibt. Franz Welser-Möst am
Pult steuert diesen Fluss mit grossem Sensorium für die Nuancen und
effektvollen Ausbrüche. D’Alberts Oper mag nicht so originär dastehen
wie «Tosca» oder «Salome», aber dass ihre psycho-motorische
Ausdruckskraft beträchtlich ist, macht das Opernhaus-Orchester mit
differenzierter Klangkultur deutlich.
Die Protagonisten, für die «Tiefland» eine grosse Herausforderung
bedeutet, haben hier einen starken Rückhalt, und zusammen mit dem
präzisen Terrain, das die Inszenierungen ihnen vorgibt, entwickeln sie
alle beeindruckende Rollendebüts. Mit seinem etwas verquollenen Bariton
ist Matthias Goerne nicht gerade prädestiniert für Sebastianos
herrischen Ton, umso mehr aber liegt ihm das hinterhältig
Psychopathische der Figur, deren Demontage er geradezu filmreif
gestaltet. Grenzenloses Potenzial scheint Petra Maria Schnitzers Sopran
zu besitzen. Kontrolliert und sich verausgabend schöpft sie alle
Facetten der Partie aus, von der Herbheit verschütteter Gefühle bis zu
den hysterischen Durchbrüchen und zur befreiten Emphase: ein Ereignis.
Sänger mit Charisma
Dass man dennoch dem Tenor Peter Seiffert die Krone reichen möchte, hat
nicht nur mit einer ebenso grossartigen Rollengestaltung zu tun,
sondern auch damit, dass die ganzen Frage um die trivialen Motive der
Oper sich in der Figur Pedros sammeln und von seinem Darsteller eben
auch gegenstandslos gemacht werden müssen: Das gelingt Seiffert, indem
er die ungelenken Klischees des Librettos in wirkliche Eigenschaften
verwandelt: mit glänzender und griffiger, dabei weicher Stimme, mit
emotional unverstelltem Gesang und klarem Sprachakzent. Der Schwung
seiner Berghymne, die dramatische Rhetorik der Ballade vom Kampf mit
dem Wolf, das sanfte Liebeswerben in den Duetten mit Marta, die
impulsive Tatkraft – das alles ist bei diesem Sänger mit Charisma
verkörpert.
Dass Pedro, nachdem er Sebastiano getötet hat, Marta in seine Arme hebt
und fortträgt «Hinauf in meine Berge, hinauf zu Licht und Freiheit!»,
ist nicht leicht zu inszenieren. Als ob nichts gewesen wäre? Die
Quarantäne des Genlabors, die als szenische Klammer hier nun das
problematische Pathos wieder zum Einsatz kommt, überzeugt leider ebenso
wenig wie im Vorspiel. Andererseits ist die Irritation hier wohl
unumgänglich, und es ist der Inszenierung hoch anzurechnen, dass sie
auch die Stärken des Werks erkannt hat und sie entschieden
herausstellt. Hartmann sollte das Buh verschmerzen, denn das Bravo für
Peter Seiffert und das ganze Ensemble hat auch mit einer
Glaubwürdigkeit zu tun, an der die Sänger und die Regie gemeinsam
gearbeitet haben.
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4. 7. 2006 / Fritz Schaub
Pathetischer Gesang im Gen-Labor
«Tiefland» ist eine Opernrarität. In der Zürcher Inszenierung werden die Liebesintrigen gemischt mit Gen-Technik.
Während die Klarinette im Vorspiel einsam ihre elegische Melodie bläst,
hebt sich der Vorhang über Vitrinen, in denen Menschen aufrecht stehen.
Später versinken die Vitrinen, auf der Bühne erscheinen wieder die
Menschen aus dem Labor, jetzt manipuliert: in deren Mitte Pedro, als
einfacher Hirte gewandet. Offensichtlich wollten der Zürcher
Schauspielhaus-Direktor und seine Mitarbeiter vom platten Naturalismus
«Tiefland» ist eine der wenigen deutschen Verismo-Opern ? wegkommen und
vermieden es, das Hochgebirge des Vorspiels realistisch zu
präsentieren. Allerdings erscheint die «Felsenhalde in den Pyrenäen mit
der einsamen Berghütte» auf einer Grossleinwand, auf die auch Gesten
und Mimik der Sängerdarsteller projiziert werden.
Kitsch-Ironie
Sebastiano, Besitzer einer Mühle, steht vor dem Bankrott. Er will
deshalb Marta, die er einst als Waisenkind aufgenommen hat, mit dem
Hirten Pedro vermählen, um seinerseits die Tochter eines reichen
Gutsbesitzers heiraten zu können. Natürlich würde er die Gattin des
übertölpelten Hirten weiterhin als Geliebte benützen. Er hat die
Rechnung indes ohne das Paar gemacht, denn Marta und Pedro sind nach
einer dramatischen Entwicklung in Liebe entbrannt. Hier erklimmen Musik
und Gesang in d'Alberts Oper Dimensionen von wagnerschem Ausmass. Ein
Pathos wird entfacht, dem Hartmann offensichtlich nicht traute:
Plötzlich flimmern rosa Papierchen über das Liebespaar, und der Chor
macht die Szene vollends zum Kitsch, was im Publikum Lacher auslöste.
So bewegt sich die Inszenierung zwischen ironischer Distanz zum Pathos
und Annäherung an moderne Gen-Manipulation, was ein Teil des Publikums
mit Buh-Rufen quittierte. Die Luzerner Inszenierung der Oper hatte 1995
der Vorlage mehr vertraut und sie in ein packendes Drama umgewandelt.
Vokale Tour de force
Auch nicht restlos überzeugt von den musikalischen Qualitäten ist Franz
Welser-Möst, der meint, nicht immer halte «der Inhalt der
verführerischen Verpackung stand». Aber der Generalmusikdirektor setzte
sich für die Partitur ein, als wollte er dies wettmachen. Er hielt sich
ganz an die Farbigkeit und die raffinierte, mit spanischem Kolorit
durchsetzte Instrumentation. Effektvoll und präzis wurden die jähen
Umschwünge vollzogen, fein die zarten Stimmungen eingefangen.
Die Oper weist dankbare Gesangspartien auf, die immer wieder grosse
Sänger aus dem Wagner-Fach angezogen haben. So auch hier mit Peter
Seiffert und Petra Maria Schnitzer. Beide vollbringen eine wahre Tour
de force. Seiffert muss seine Stimme auch im grössten Ausbruch nie
überstrapazieren, und seine (Lebens-)Partnerin bringt so etwas wie eine
psychologische Entwicklung in das plakativ-direkte Drama ein.
Hervorragend auch die anderen Darsteller, allen voran Matthias Goerne
(Sebastiano), László Polgár (Tommaso) und Eva Liebau (Nuri). Ihnen galt
hauptsächlich der Applaus des Premierenpublikums.
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3. 7. 2006 / Marianne Zelger-Vogt
Verpackungskünstler
Eugen d'Alberts «Tiefland» im Opernhaus
Die Geschichte ist einfach und nach dem Gut- Böse-Schema gebaut: Der
fromme Hirte Pedro bekommt vom mächtigen Grundbesitzer Sebastiano eine
Frau und als Zugabe eine Mühle im Tal. Einsam auf der Alp lebend, ahnt
er nicht, dass diese Frau die Geliebte Sebastianos ist und mit ihm
verkuppelt werden soll, da Sebastiano zur Sanierung seiner Finanzen
eine reiche Heirat plant. Es kommt, wie es kommen muss. Marta - so
heisst die bedauernswerte Waise, die in die Fänge Sebastianos geraten
ist - verliebt sich in den arglosen Pedro, im Zweikampf tötet Pedro
Sebastiano wie einst den Wolf, der in seine Herde eingefallen war, und
zieht mit Marta aus dem sündigen Tiefland zurück in die reine Bergwelt
der Pyrenäen.
Szenischer Überbau
Wenn das Zürcher Opernhaus sich nach mehr als fünfzig Jahren wieder auf
das einstige Erfolgsstück des kosmopolitischen Klaviervirtuosen Eugen
d'Albert besinnt, ist natürlich mehr zu erwarten als eine simple
Nacherzählung dieser deftigen Story. Schauspielhaus-Intendant Matthias
Hartmann hat schon bei Smetanas «Verkaufter Braut», seiner ersten
Operninszenierung, bewiesen, dass er einen volkstümlichen Stoff
mehrschichtig aufzubereiten versteht. Bei d'Alberts Musikdrama, einem
deutschsprachigen Ableger des Verismo, verfährt er nicht anders. Das
Vorspiel, in dem der perfide Pakt der Scheinehe geschlossen wird,
verlegt er in ein Laboratorium. Hier züchten Tommaso und Nando, von
Hirten zu Wissenschaftern avanciert, manipulierbare menschliche
Subjekte. Videobildschirme über den Vitrinen, in welchen die
Versuchspersonen stehen, und eine Grossleinwand für die
Heimatfilmszenen von der Alp mit den Protagonisten der Oper stellen den
medialen Gegenwartsbezug her (Bühne: Volker Hintermeier, Videodesign:
Sven Ortel) - die Stichworte heissen virtuelle Welt und Gentechnologie.
In der Haupthandlung - gespielt wird die gekürzte zweiaktige Fassung
von 1905 - zitiert Hartmann dann auch die Rezeptionsgeschichte. Das
pompöse Interieur von Sebastianos Firmensitz und Su Bühlers Kostüme
berufen sich auf die dreissiger Jahre des letzten Jahrhunderts, jenes
Jahrzehnt, in welchem «Tiefland» (eine von Hitlers Lieblingsopern) im
deutschsprachigen Raum zu den etablierten Repertoirestücken zählte.
Immerhin erinnern das Halbrund des Raumes, Lamellen im Obergeschoss
sowie drehende Räder und Ventilatoren daran, dass das Drama in einer
Mühle spielt. Sinnfällig wird dieser ganze Überbau nicht, und dass der
redliche Tommaso, der die verwerflichen Pläne Sebastianos erst nach und
nach durchschaut, Chef des Genlabors ist, leuchtet so wenig ein wie die
Verknüpfung des Schlusses mit dem Vorspiel.
Doch eine Personenregie gibt es hier ohnehin kaum, agiert wird
konventionell realistisch, mit den üblichen Sängerposen und pauschal
gruppiertem Chor. So steht denn der szenische Verpackungsaufwand in
eklatantem Missverhältnis zum künstlerischen Inhalt. Denn auch die
musikalische Substanz von «Tiefland» ist eher dürftig: eingängige, doch
konturlose Melodien, die sich schablonenhaft aneinander reihen, ein
schwer definierbares Gemisch stilistischer Anleihen, das Orchester mehr
untermalend denn tonangebend.
Prominente Besetzung
Verständlich, dass Franz Welser-Möst im Opernhaus-Magazin deutliche
Vorbehalte gegenüber dem Werk signalisiert. In der Aufführung lässt er
sich nichts davon anmerken, das Orchester bringt die Vorzüge der
Komposition, klangliche Farbigkeit und effektvolle Stimmungsmalerei, zu
voller Wirkung, passt sich den Sängerstimmen geschmeidig an und findet
nach dramatischen Exzessen rasch zurück zu leiseren Tönen. Doch weder
Hartmanns Inszenierung noch Welser-Mösts Dirigat kann die
Wiederbelebung von «Tiefland», noch dazu im Rahmen der Festspiele,
rechtfertigen.
Dies vermag einzig das Sängerpaar Peter Seiffert und Petra Maria
Schnitzer, das sich vorbehaltlos mit seinen Partien identifiziert und
tatsächlich als Idealbesetzung für Pedro und Marta gelten kann: Peter
Seiffert mit seinem unverkrampften Naturburschentum, seinem enormen
vokalen Potenzial und seiner mühelosen Höhe, die darstellerisch
differenziertere Petra Maria Schnitzer mit ihrem klar geführten Sopran,
der zwar nicht sehr reich an Farben ist, aber für die dramatischen
Kulminationspunkte erstaunliche Kraftreserven ausschöpfen kann.
Der Marta verfallene Machtmensch Sebastiano ist mit Matthias Goerne
ebenfalls prominent, doch nicht ganz rollenkonform besetzt. Seit seinem
Zürcher Wozzeck weiss man, dass Goerne ein Flair für komplexe
Charaktere hat - was Sebastiano nicht ist - und dass die Qualitäten
seines warm timbrierten Baritons nicht in schierer Kraftentfaltung
liegen. László Polgár als edler Tommaso, Christiane Kohl, Liuba
Chuchrova und Kismara Pessatti als Spötterinnen-Trio, Eva Liebau als
Magd Nuri und Rudolf Schasching als Nando komplettieren das Ensemble. -
Ein Sängerfest, aber kein Festspielereignis.
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3. 7. 2005 / Verena Naegele
In die Bergwelt gebeamt
«Tiefland» von Eugen d'Albert – Junifestwochen-Premiere in Zürich
Banal ist die Geschichte, blühend ist die Musik und bravourös ist der
Tenor: So das Fazit der reichlich langweiligen Festspiel-Premiere
«Tiefland» von Eugen d'Albert am Opernhaus Zürich.
Pedro ist ein Naturbursche hoch in den Pyrenäen, Sebastiano ist ein
dekadenter Mühlenbesitzer tief im Tal. Und Sebastiano befiehlt seinem
Vasallen, herunterzukommen ins Tiefland, um seine Geliebte, die hin und
her geschubste Marta, zu heiraten. Aber am Schluss siegt natürlich das
Gute, die Liebe und die Naturhaftigkeit. Welch banales Libretto ist
doch dieses 1903 kreierte «Tiefland» von Eugen d'Albert, welche
Lichtmeilen entfernt von der fast gleichzeitig entstandenen «Salome».
Zum Verismo wird die zweiaktige Oper gerechnet. Doch wo Tosca den
Quälgeist Scarpia ersticht und Carmen ihre Eigenständigkeit in der
Machismo-Welt behauptet, da lässt sich beim Deutschen die Marta zuerst
verheiraten und dann zu ihrem Liebesglück bekehren.
Blut-und-Boden-Ideologie
In Matthias Hartmanns Regie ist Marta ein richtig deutsches Mädel mit
blond lockendem Haar und züchtigem Kleid. Überhaupt siedelt Hartmann
das Stück im Umfeld der Blut-und-Boden-Ideologie an und betont damit,
dass Hitlers Filmerin Leni Riefenstahl den Plot einst auf Zelluloid
gebannt hat. Damit erweist er d'Albert freilich einen Bärendienst, oder
er zeigt auf geradezu zynische Art auf, wohin er das Werk wünscht: ins
Pfefferland.
Jedenfalls geht sein Bemühen, die kraftvolle Plakativität der
szenischen und musikalischen Welt von Berg und Tal zu brechen,
gründlich in die Binsen. Im Prolog wird Pedro als eine im Labor
gezüchtete Imagination Sebastianos gezeichnet, der per
Videoinstallation in die Bergwelt gebeamt wird. Allerdings bleibt
Ausstatter Volker Hintermeier in Atmosphäre und Technik in den
1930er-Jahren, weshalb die «Laborglocken» und andere futuristische
Utensilien an Filme wie «Metropolis» erinnern und reinste Staffage
bleiben. Zu übermächtig ist die deutschtümelnde hölzerne Wucht des
folgenden Mühleninterieurs.
Gerade damit wird auch d'Alberts Musik teilweise der Lächerlichkeit
preisgegeben. Er, der damaligem Geschmack entsprechend mit spanischem
Kolorit arbeitet, ist mit seiner Musik in deutschem Ambiente auf
verlorenem Posten. Da wird die von Startenor Peter Seifert grandios
vorgetragene Wolfserzählung im Habanera-Rhythmus buchstäblich vergeigt.
Dabei hat diese Musik durchaus ihren Reiz. Da blühen die Farben im
reichhaltig besetzten Orchester, von Franz Welser-Möst mit Verve und
Sinn für Kulinarik ausgekostet.
Einen schweren Stand haben die Protagonisten neben Peter Seifert, der
mit Nuancenreichtum, das Lyrische wie das Dramatische beherrschender
Gesangskunst brilliert und auch szenisch als naiver Bauernbursch
überzeugt. Doch was für einen Charakter soll Petra Maria Schnitzer nur
dieser Marta verpassen. Ihr blasser, eindimensionaler Sopran blüht
hörbar auf, wenn sie in der grossen Szene mit Tommaso zur Liebe findet
und wenigstens dramatische Töne anschlagen darf.
(Allzu) naiv
Zwiespältig
ist der Eindruck von Matthias Goerne als Sebastiano, der extrem
zwischen dem lyrisch geliebten Liedinterpreten und dem
dramatisch-pulvernden Operndespoten schwankt. Wie gerne würde man
diesen ausserordentlich kultivierten Bariton öfters auf der Bühne
erleben, wie sehr sehnte man sich nach seinem Zürcher Wozzeck zurück.
Entschädigt wurde man dafür durch Eva Liebau, die mit lieblichem, die
Kantilenen auskostendem Sopran die einfältige Nuri sang. Eine naive
Magd in einem (allzu) naiv gezeigten Stück.
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3. 7. 2006 / Michael Eidenbenz
Zwischen Frankenstein und Riefenstahl
Eugen d'Alberts Oper «Tiefland» war einst ein Hit - heute ist sie
nahezu vergessen. Das Zürcher Opernhaus versuchte die Rehabilitation.
Das Stück ist ein Problem. So viel war schon vor der Premiere am
Samstag klar. Sein Inhalt ist eine bigotte Geschichte mit
moralisierender Botschaft, seine Musik eine eklektische Vereinnahmung
manieristisch eingesetzter Stilmittel, die Komponist Eugen d'Albert bei
den Romantikern, bei Wagner und in Puccinis Umfeld vorgefunden hat.
Gleichzeitig war das Stück nach seiner Uraufführung von 1905 aber auch
jahrzehntelang äusserst beliebt. Es hat als erste veristische Oper in
deutscher Sprache Musikgeschichte geschrieben und bietet effektvollen
Gesangsstoff für gute Stimmen.
Grund genug, mag man sich beim Zürcher Opernhaus gesagt haben, um es
mal wieder zur Diskussion zu stellen. Und zwar gleich unter Aufbietung
der prominentesten Interpretenkräfte: Am Pult stand Chefdirigent Franz
Welser-Möst persönlich, inszeniert hat Schauspielhaus-Direktor Matthias
Hartmann, und auf der Bühne agierte eine Topbesetzung. Wie haben sie
alle sich mit der problematischen Vorlage zurechtgefunden?
Am leichtesten hatte es wohl Franz Welser-Möst. Die Musik Eugen
d'Alberts ist wahrlich entgegenkommend, ist geschmeidig und in jedem
Moment selbst erklärend. Ob sie nach «Tristan» klingt, ob sie
spanisches Kolorit zur geografischen Lokalisierung der Story bemüht, ob
sie in geschlossenen Nummern operettenhafte Tonfälle streift oder in
wagnerscher Manier Leitmotive einsetzt (einige davon so penetrant, dass
man sie kaum mehr aus den Ohren bringt): Gedeutet werden muss da
nichts, es genügt, sie mit der nötigen Sorgfalt blühen zu lassen, was
Welser-Möst und dem Orchester der Oper denn auch tadellos gelang. Wobei
angenehmerweise im Zweifelsfall die Klangvariante des Charmes und der
Eleganz jeweils dem larmoyanten Auf-die-Tube-Drücken vorgezogen wurde.
Eine gewisse Noblesse des Ausdrucks war dadurch zu retten: Süss, aber
nur selten ölig glitt dieser narkotisierende Stoff in die Gehörgänge.
Ungleich grösser sind dagegen die Probleme, welche die Handlung an eine
zeitgemäss verstandene Regie stellt. Der bodenständige, grundehrliche
Hirte Pedro, gewohnt, mit dem bösen Wolf auf Augenhöhe zu kämpfen,
gelangt zwecks Heirat und Übernahme einer Mühle von den unberührten
Bergen ins Tiefland, wo prompt Machtmissbrauch und skandalöse Moral
herrschen. Seine Ehe erweist sich als Komplott, arrangiert vom
triebhaften Gutsbesitzer Sebastiano, der die Braut Marta seit
Kindstagen sexuell ausbeutet. Die Zweckehe dient dazu, den moralischen
Schein zu wahren und ihm gleichzeitig weiterhin den Zugang zu Martas
Schlafzimmer zu sichern. Grosse Empörung, als alles auskommt, Pedro
besinnt sich seiner autonomen Herkunft, erwürgt den Bösewicht und zieht
mit Marta wieder «hinauf in meine Berge, hinauf zu Licht und Freiheit».
Eine Kopfgeburt
Kein Wunder, hat solches besonders das Publikum der
Blut-und-Boden-begeisterten 30er-Jahre entzückt. Kaum erstaunlich auch,
dass Leni Riefenstahl den Stoff 1940 zu verfilmen begann. Unmöglich
aber, solchen «Heidi»-Kitsch heute noch wörtlich zu nehmen. Matthias
Hartmanns Inszenierung denkt denn auch nicht daran, das zu tun. Hier
sind Pedro und seine hehren Berge nicht real, sondern wurden vom bösen
Sebastiano in einer Art adrett verspieltem Frankenstein-Labor gezüchtet.
Die heile Alpenwelt ist also eine Kopfgeburt aus der Zeit der
Entstehung der Oper, sichtbar wird sie einzig in einer Videoprojektion,
deren Farbfiltertechnik wiederum die Riefenstahl-Ästhetik zu zitieren
scheint (Video: Sven Ortel). Der Rest der Story spielt dann im mit
bombastischen Furnierwänden verkleideten Luxuskontor einer
Industriemühle (Bühnenbild Volker Hintermeier); zuletzt lassen sich
Pedro und Marta wieder in ihren Laborglaskästen ins Gebirge beamen.
So weit, so klar; die pflichtschuldige Verfremdung wird also
zuverlässig geliefert. Allerdings wird man den Eindruck nicht los, dass
Matthias Hartmann nach dem verblüffenden Anfang etwas die Lust an
weiterer Detailarbeit verloren hat. Einmal noch greift er deutend ein
und lässt, als das Liebesduett von Pedro und Marta endgültig zuckrig
wird, ironisch rote Blüten regnen. Im Übrigen aber ist weit gehend ein
Agieren und Hantieren in konventioneller Opernmanier zu sehen. Es
scheint mal wieder die Eigengesetzlichkeit der Maschinerie Oper
gewonnen zu haben, die da lautet: Man will schöne Stimmen hören! Und
die kriegt das Publikum auch.
Sensationelle Sänger
Ein sensationeller Peter Seiffert verkörpert hinreissend in ganzer
vokaler und physischer Fülle den Pedro. Und weil er seine Stimme so
eminent ausdruckssicher zu führen weiss, glaubt man ihm den naiven
Hirten sogar einigermassen. An seiner Seite nicht minder grandios Petra
Maria Schnitzer als Marta: Das Bühnenehepaar Seiffert-Schnitzer, das
auch im realen Leben eines ist, scheint zeitweise die Sache in die
eigenen Hände zu nehmen und dominiert das Geschehen durch seine pralle
Bühnenpräsenz. Da hat es ein anderer Star wie Matthias Goerne nicht
mehr leicht, dem schmierigen Sebastiano Gewicht zu verleihen. Auch
László Polgár als greise Moralinstanz Tommaso steht manchmal trotz
aller Routine etwas unbeholfen auf der Bühne. Dafür zeigen Valeriy
Murga als sein jüngerer Verbündeter Moruccio und besonders die
entzückende Eva Liebau als mädchenhafte Magd Nuri prägnantere
Charaktere.
Es waren Rollendebüts für sämtliche Beteiligte; Eugen d'Alberts
einziger anhaltender Opernerfolg scheint sich also tatsächlich aus dem
Standardrepertoire verabschiedet zu haben. Eine nachhaltige
Rehabilitation dürfte durch die Zürcher Produktion - trotz Staraufgebot
- nicht zu erwarten sein; etwas mehr als eine Maus gebar der hehre Berg
dennoch - und hat immerhin ein freundlich mildes Sommerlüftchen ins
Zürcher Tiefland geschickt.
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3. 7. 2006 / Werner Pfister
Aus jedem Dunkel steigt ein Licht
Nach über fünfzig Jahren kehrt «Tiefland», einst Kassenschlager an
Stadt- und Staatstheatern, ans Opernhaus zurück. Ein Erfolg auch heute;
die Inszenierung indes löste einigen Protest aus.
Zugegeben, die Oper «Tiefland» macht es sich mit ihrer naiven
Schwarz-Weiss-Malerei, mit ihrer Einteilung in Gut und Böse (allzu)
leicht und uns damit schwer. Wer droben wohnt, in würzig reiner
Bergluft und herzwarmer Eintracht mit den Tieren auf der Alm und also
näher dem Himmel, der ist gut (der Hirt Pedro). Wer drunten lebt, im
dekadenten Tiefland, wo Industrialisierung und Profitoptimierung den
Menschen längst dem Leben entfremdet haben und in Missgunst und
buhlerische Sünde treiben, ist schlecht (vor allem Sebastiano).
Und erst recht der Glaube daran, dass dieses Gute über das Böse siegen
kann (und wird), ist heute bestenfalls noch Stoff für Berg- und
Heimatromanheftli aus dem Kioskangebot, «Herzen zwischen Alpenrosen»
heissen sie oder «Aus jedem Dunkel steigt ein Licht». Folgerichtig hat
sich Matthias Hartmann für eine radikale Aktualisierung der Oper
entschieden und ihren Inhalt, jedenfalls was das Vorspiel betrifft,
entsprechend umgeschrieben.
Frankenstein
Sie spielt nun ausschliesslich im Tiefland. Die heile Bergwelt indes
ist eine von vielen imaginären Vorstellungswelten, in die Sebastiano
seine in einem Genlabor gezüchteten, gleichsam biografielosen Lebewesen
nach Belieben hinein versetzen kann. Das tönt nach x-beliebiger
TV-Science-Fiction-Soap und ist leider auch nicht mehr, operiert mit
naiv grusliger Gefühligkeit à la Frankenstein: ein Versuchslabor,
Sebastiano an der Kontrollzentrale, vier vorderhand «bewusstseinsleere»
Menschen (unter ihnen Pedro), denen nun per Drähte und Arm-Manschetten
je eine innere Vorstellungswelt einkodiert wird. Lichtlampen blinken
bunt dazu - ob das nun wirklich «glaubhafter» ist als das zugegeben
naive Opernlibretto?
Zu sehen ist das, rein äusserlich, auf der Bühne und gleichzeitig,
nämlich «innerlich», in einer Video-Installation, die technisch den
Fehler hat, dass Bild und Ton nicht wirklich synchron laufen. Aber all
das vergisst man spätestens nach diesem Vorspiel, das wie ein modern
aufgemotztes Märchen daher kommt, denn ab Akt eins wird so ziemlich
gespielt, was in der Partitur steht, wenn auch nicht in den Pyrenäen
und Ende des 19. Jahrhunderts, sondern in Deutschland zur Zeit des
aufschwungvitalen Tausendjährigen Reichs.
Idealbesetzung
Das
bekommt der Aufführung sehr, bekommt der schwer lastend
deutschtümelnden, nussbaumfournierten Kontor-Architektur des
Bühnenbildes von Volker Hintermeier ebenso wie den politisch wunderbar
korrekten Kostümen (Su Bühler). Und bekommt dem Spiel, von Matthias
Hartmann nun schnörkellos und mit gutem Gefühl für Tempo und Timing
inszeniert. Das will etwas heissen, denn die Musik fordert mit
eingeschobenen Erzählungen und retardierenden Rückblicken immer wieder
ihren Tribut.
Dafür steht in den Hauptpartien eine
Idealbesetzung zur Verfügung. Peter Seiffert (nur wenige Wochen nach
seinem Tristan-Debüt in Berlin) singt und agiert als Pedro mit
heldentenoraler (auch mal herrlich «tumber») Siegfried-Attitüde: ein
vokales Verwöhnfest erster Güte. Petra Maria Schnitzer macht als Marta
die innere Entwicklung von einer als Folge früher sexueller Übergriffe
devot gewordenen Geliebten zur selbstbewussten liebenden Gefährtin
Pedros in jeder Geste, in jedem Ton glaubhaft. Matthias Goerne bringt
als Sebastiano, als schwerfälliger Bösewicht im Wolfpelz, seinen dunkel
verschatteten, in der Höhe mächtig expansiven Bariton zu prächtiger
Wirkung.
Keinerlei Klangsuppe
Eine Entdeckung in den kleineren Partien ist Eva Liebau als ungemein
anrührende Nuri. Bei László Polgár als Tommaso vermisst man indes eine
wirklich bassgewaltige Autorität. Pfiffig, immer wieder aufreizend und
zuweilen auch nervig und ganz auf den «Mädel-Stil» der dreissiger Jahre
zugeschnitten: Christiane Kohl, Liuba Chuchrova und Kismara Pessatti
als Pepa, Antonia und Rosalia. Übrigens für sämtliche Beteiligten ein
Rollendebüt!
Dass «Tiefland» mehr ist als ein deutscher Zweitaufguss des
italienischen Verismo, beweist Franz Welser-Möst, indem er d'Alberts
Musik, stilistisch oft etwas gar kunterbunt zwischen Wagner, Meyerbeer
und Brahms mäandrierend, mit gleichsam doppelter Sorgfalt dirigiert.
Und siehe da, plötzlich ist man fasziniert von den Finessen der
Instrumentation, von der Fülle des melodischen Einfalls und der hell
schimmernden Luzidität des Klangs. Nichts von kaloriengesättigter
Klangsuppe mit obenauf schwimmenden Fettaugen, nichts von blutleerem
Epigonentum. Das ist vielleicht die grösste Überraschung bei diesem
respektablen Revival und wurde entsprechend frenetisch bejubelt.
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2. 7. 2006 / Jörn Florian Fuchs
"Tiefland" in Zürich
Eugen d'Alberts Oper von Matthias Hartmann inszeniert
Eugen d'Albert schrieb zwar mehr als 20 Opern, fabrizierte aber nur
einen einzigen Hit: "Tiefland". Sie war ein Renner auf den Opernbühnen,
allerdings in den 20er bis 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Matthias Hartmann hat sich des Werkes angenommen und es in Zürich
inszeniert.
Das
damalige Publikum war begeistert von großen Emotionen, wilden Kämpfen
und einer Flucht in die Berge. Der distanzierte Blick von heute fällt
ein anderes Urteil: Inhaltlich ist das alles veritabler Kitsch, was
weniger am Stoff selbst, sondern vor allem an seiner textlichen
Ausgestaltung liegt. Recht hartnäckig hält sich zudem das (Vor-)Urteil,
"Tiefland" sei eine, wenn nicht die einzige, veristische Oper deutscher
Provenienz. In der Tat finden sich zwar veristische Anklänge, etwa an
Mascagni, aber sie erreichen dieses Niveau wirklich nicht annähernd. Zu
schwerfällig fließen die großen symphonischen Bögen dahin, zu
nichtssagend-illustrativ sind viele der verwendeten Leitmotive, bei
denen man außerdem deutlich einen schlecht kopierten Wagner heraushört.
Und letztlich ist die Geschichte um arme Hirten, reine Bergwelten und
böse Mühlenbesitzer auch nicht besonders kurzweilig erzählt, sondern
besitzt ziemliche Längen. Am stärksten ist d'Alberts
Wagner-Verismo-Gemisch dort, wo auf beide Einflüsse verzichtet wird,
etwa im Vorspiel, wo eine Solo-Klarinette wunderbare Hirtenmelodien zum
Besten gibt.
So war man zunächst erstaunt, was wohl
einen der klügsten Regie-Köpfe des gegenwärtigen Theaters an solch
einem Werk interessieren mag. Matthias Hartmann begeistert sich nicht
für den Kitschfaktor der Geschichte und macht aus "Tiefland"
erfreulicherweise keinerlei "Triefland". Stattdessen leistet er einen
veritablen Beitrag zur Hirnforschungsdebatte, in deren Zentrum zwei
Fragen stehen: ob wir uns unsere Welt nur einbilden und ob wir einen
freien Willen besitzen.
Auf der Zürcher Opernbühne stehen anfangs vier Männer in großen, gut
verkabelten Glaskästen, darüber hängen Monitore und zeigen weißes
Rauschen. Plötzlich naht eine Riege Weißkittel heran, einer schlüpt in
einen Datenhandschuh und zaubert damit farbig-bewegte Bilder auf die
Monitore. Besonders schön ist die Projektion eines Bergpanoramas, das
der dazugehörige junge Mann sichtlich geniesst. Es ist Pedro und der
Abstieg ins tiefe Land seines Unter- oder vielleicht auch
Überbewusstseins kann beginnen.
In Pedros Schein-Welt ist die Mühle ein großer, mit dunklem Holz
verkleideter Raum, der leicht surreale Züge trägt. Es gibt einen
Bürotisch, eine klapprige Schreibmaschine und ein Fließband, auf dem
eingetütetes Brot vorüberfährt. Hier spielt sich nun das Liebesdrama um
Gewalt, Schwindeleien und eskapistische Hoffungen ab. Pedro erkennt,
dass man ihn benutzt, er will und kann aber nicht von Marta lassen, die
ihn anfangs ablehnt, dann jedoch herzzerreißend liebt.
Matthias Hartmann nimmt vor allem im ersten Aufzug die Textvorlage
ernst und zeigt die Figuren so wie sie sind: mehr Abziehbildchen denn
echte Charaktere. Im Verlauf des Abends jedoch löst er sich von diesem
leicht spöttischen Umgang mit d'Alberts Personal und inszeniert nun
eine Art psychologisches Drama um Macht und Machtüberwindung mittels
Liebe. Vor allem das einander aufrichtig liebende Paar gewinnt deutlich
an Kontur und Format.
Allerdings kann auch der eindrucksvolle Gesang von Peter Seiffert und
Petra Maria Schnitzer nichts daran ändern, dass am Schluss wieder die
Labor-Glaskästen herunterkommen und das Paar gnadenlos trennen.
Immerhin, auf einem Monitor sieht man die beiden in einer innigen
Kussszene vereint, im Hintergrund leuchtet ein schönes Bergpanorama.
Unweigerlich hat man dabei die Assoziation "Obersalzberg" und erinnert
sich, dass "Tiefland" zu den erklärten Lieblingsstücken Hitlers gehörte
und von seiner Lieblingsregisseurin, Leni Riefenstahl, verfilmt wurde.
Die Oper "Tiefland" hat jedoch noch eine ganz besondere Volte, denn
einige Stellen erinnern verdächtig an ein Werk, dass Hitler wohl nicht
kannte: Halévys "La Juive".
Das Zürcher Festspielpublikum war von Hartmanns intelligenter
Inszenierung hörbar unbegeistert und buhte sich die Seele aus dem Leib.
Ungebrochenen Jubel bekam die ohne Einschränkung formidable
Sängerbesetzung, inklusive dem bestens gelaunten Matthias Goerne als
Sebastiano, und Franz Welser-Möst, der das Opernorchester
straff-zupackend und wunderbar kitscharm durch die Partitur jagte.
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Impressum
Kontakt |
5. 7. 2006 / Jörn Florian Fuchs
Bergidyll aus dem Datenhandschuh
Matthias Hartmann, ab 2009 Burgtheaterdirektor, inszeniert - mit Franz
Welser-Möst am Pult - Eugen d'Alberts "Tiefland". Eine intelligente
Lesart, die vom Publikum aber nicht gewürdigt wurde.
Eugen
d'Albert schrieb zwar mehr als zwanzig Opern, fabrizierte aber nur
einen einzigen Hit: Tiefland. Die Story um den jungen Hirten Pedro, der
in eine Schein-Ehe mit Marta gedrängt werden soll, damit der reiche
Mühlenbesitzer Sebastiano ein Mädel aus gutem Haus heiraten kann, ohne
auf seine Geliebte - Marta - verzichten zu müssen, war ein Renner,
allerdings in den 20er- bis 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Das damalige Publikum war begeistert von großen Emotionen, wilden
Kämpfen und einer Flucht in die Berge. Der distanzierte Blick von heute
fällt ein anderes Urteil: inhaltlich ist das alles veritabler Kitsch,
was weniger am Stoff selbst, sondern vor allem an seiner textlichen
Ausgestaltung liegt. Recht hartnäckig hält sich zudem das (Vor-)Urteil,
Tieflandsei eine, wenn nicht die einzige, veristische Oper deutscher
Provenienz.
In der Tat finden sich zwar veristische Anklänge, etwa an Mascagni,
aber sie erreichen dieses Niveau wirklich nicht annähernd. Zu
schwerfällig fließen die großen symphonischen Bögen dahin, zu nichts
sagend illustrativ sind viele der verwendeten Leitmotive, bei denen man
außerdem deutlich einen schlecht kopierten Wagner heraushört. Letztlich
hat die Geschichte auch ziemliche Längen.
Was nun interessiert einen der klügsten Köpfe des gegenwärtigen
(Regie-)Theaters an so einem Werk? Matthias Hartmann begeistert sich
nicht für den Kitschfaktor der Geschichte und macht aus
Tieflanderfreulicherweise kein "Triefland". Stattdessen leistet er
einen veritablen Beitrag zur Hirnforschungsdebatte, in deren Zentrum
zwei Fragen stehen: ob wir uns unsere Welt nur einbilden und ob wir
einen freien Willen besitzen.
Auf der Zürcher Opernbühne stehen anfangs vier Männer in großen, gut
verkabelten Glaskästen, darüber hängen Monitore und zeigen weißes
Rauschen. Plötzlich naht eine Riege Weißkittel, einer schlüpft in einen
Datenhandschuh und zaubert damit farbig-bewegte Bilder auf die
Monitore. Besonders schön ist die Projektion eines Bergpanoramas, das
der dazugehörige junge Mann sichtlich genießt. Es ist Pedro und der
Abstieg ins tiefe Land seines Unter-, oder vielleicht auch
Überbewusstseins kann beginnen.
Schwindel, Gefühle
In Pedros Schein-Welt ist die Mühle ein großer, mit dunklem Holz
verkleideter Raum, der leicht surreale Züge trägt: Ein Bürotisch, eine
klapprige Schreibmaschine, ein Fließband, auf dem eingetütetes Brot
vorüberfährt. Hier spielt sich nun das Liebesdrama um Gewalt,
Schwindeleien und eskapistische Hoffungen ab.
Hartmann nimmt vor allem im ersten Aufzug die Textvorlage sehr ernst
und zeigt die Figuren so, wie sie sind: mehr Abziehbildchen denn echte
Charaktere. Im Verlauf des Abends jedoch löst er sich vom leicht
spöttischen Umgang mit d'Alberts Personal und inszeniert ein
psychologisches Drama um Macht und Machtüberwindung mittels Liebe.
Allerdings kann auch der eindrucksvolle Gesang von Peter Seiffert und
Petra Maria Schnitzer nichts daran ändern, dass am Schluss wieder die
Labor-Glaskästen herunterkommen und das Paar gnadenlos trennen.
Immerhin, auf einem Monitor sieht man die beiden in einer innigen
Kussszene vereint, im Hintergrund leuchtet das Bergpanorama.
Unweigerlich assoziiert man an dieser Stelle den Obersalzberg und
erinnert sich, dass Tieflandzu den erklärten Lieblingsstücken Hitlers
gehörte und von Leni Riefenstahl verfilmt wurde.
Das Zürcher Festspiel-Publikum war von Hartmanns intelligenter
Inszenierung indes hörbar unbegeistert und buhte sich die Seele aus dem
Leib. Ungebrochenen Jubel bekam die formidable Sängerbesetzung.
Neben dem unschuldig liebenden Paar ragten Matthias Goernes kräftig
herumwütender Sebastiano und der samtweich-dahinschmelzende Sopran von
Eva Liebau (als tratschendes Hausmädchen mit deutlichen Interessen an
Pedro) heraus. Franz Welser-Möst befreite das "Tiefland"von allem
Kitsch und jagte das Zürcher Opernorchester straff durch die Partitur,
ließ den Streichern aber zuweilen auch ausgedehnte Atemstrecken.
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