Über allen Gipfeln ist Riefenstahl
Die Zürcher Oper liegt professionell im Trend: Eugen d'Alberts "Tiefland" erlebt neuerlich eine Renaissance
von Manuel Brug
Wahrlich, an dieser Oper klebt Blut wie Boden. Nicht nur, weil sie, wie
"Die Meistersinger" und "Die Lustige Witwe", zu Hitlers Lieblingswerken
zählte und Leni Riefenstahl sie in einen so inhaltlich obskuren wie
ästhetisch unzeitgemäßen Spielfilm verwandelt hatte, für den sie
Zigeuner aus Lagern als Statisten nutzte. Dafür allerdings konnte der
kosmopolitische, niemals an der Scholle klebende und im Übrigen lange
schon tote Eugen d'Albert nichts.
Er hatte sich 1903 einfach nur - wie so oft in seinem quecksilbrigen
Werk - geschickt, aber nicht gewissenlos dem Zeitgeist angepaßt und mit
"Tiefland" das überzeugendste Beispiel eines deutschen Verismo-Ablegers
geschaffen. Trotz des zweitklassigen Librettos steht die Oer
unverkrampft zu diesen Vorbildern. Doch während die italienischen
Speerspitzen der Gattung, allen voran Ottorino Respighi, später in
Richtung Faschismus drifteten, kann man solches d'Albert nicht
nachsagen.
"Tiefland" erzählt unbedingt naiv die Geschichte vom tumben Hirtentoren
Pedro, der aus den reinen Pyrenäen-Höhen ins stickig-sündige Tal geholt
wird, um Marta, die Geliebte des Großbauern Sebastiano, zu heiraten,
die dieser freilich nicht aufgeben will. Später springt Pedro
Sebastiano um und zieht mit der reuigen Marta zurück in die Berge.
Gottes Natur besiegt die Dekadenz menschengemachter Moderne: Luis
Trenker hätte solch scheinbar hoffnungslos gestrigen Zeitgeist atmendes
Stück nicht besser erfinden können. Dennoch ist d'Albert ein
fugenfreier Musik-Thriller mit atemlos tönendem Suspense gelungen.
Deshalb erlebt "Tiefland" immer wieder eine Renaissance. Die größten
Stars ihrer Zeit haben sich um diese Oper immer wieder als Sängerfutter
bemüht. In der Zeit des Nationalsozialismus aber auch in der
nachkriegszeit wurde das Werk oft gespielt. Dann stieß es nochmals in
den siebziger Jahren auf Aufmerksamkeit. Und jetzt zeichnet sich der
jüngste "Tiefland"-Trend ab.
Vor einiger Zeit entstand in Wien unter Bertrand de Billy eine packende
Neueinspielung (Oehms Classics). Nach der Deutschen Oper am Rhein
bringen in der bevorstehenden Saison Frankfurt, Wiesbaden, Braunschweig
und die Wiener Volksoper das Werk heraus. Mit prominenten Namen hat
sich soeben Zürich diesem ambivalenten Objekt angenommen.
Auch wenn dort sowohl der Dirigent Franz Welser-Möst (im Programmheft)
als auch der Regisseur (überflüssigerweise auf der Bühne) ihre Bedenken
anmelden, sie brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben. Ihnen ist
eine schlüssige, nie mißverständliche Deutung einer zugkräftigen, als
historischer Artefakt den Spielplan bereichernden Oper gelungen. Schade
ist eher, daß die Rezeptionsgeschichte den schillernden Eugen d'Albert (siehe Kasten) weiterhin als Ein-Werk-Komponist nur verengt wahrnimmt.
Welser-Möst läßt mit schwulstlosem Tonfall, fein, geschmeidig aber auch
donnernd sein tadelloses Orchester auftrumpfen. So schwingt er sich zum
Anwalt dieses melodisch-ökonomischen Bauerndramas auf. Er führt vor,
wieviel Leidenschaft, aber auch wieviel geschickte Kantilene hier
gebündelt sind. Als Bindeglied zwischen Richard Wagner und Engelbert
Humperdinck bis zu den Antike-Exzessen des frühen Richard Strauss ist
das mehr als nur hörenswert.
Zumal erstklassige Debütanten drauf los singen. Der wie immer
textschwache Peter Seiffert weitet zwar nicht nur das letale Schlußtrio
zum Quartett mit dem Souffleur aus, doch trumpft er mit endlosem Atem
und schneidig-leuchtender Tenor-Attacke auf.
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