Wie hat Ihre Beziehung begonnen: als private oder als künstlerische Partnerschaft?
Rolf Glittenberg: Wir waren zuerst privat ein Paar. Marianne
ist durch verschiedene Zufälle in diese Geschichte gekommen, es hing eigentlich
mit meinem Lehrer Wilfried Minks zusammen. Ich musste in seiner Klasse
Bühnenbilder und Kostüme machen. Letzteres war, ehrlich gesagt, nicht meine
Begabung, ich habe mich immer mit diesen Zeichnungen gequält. In Kassel
habe ich ganz am Anfang meiner Laufbahn ein Stück angenommen, ich glaube
«Der zerbrochene Krug» - ich sollte das zeichnen, und Marianne hat mich
netterweise gefragt, wie ich mir die Kostüme vorstelle, ich habe kleine
Skizzen gemacht, sie hat es gross gezeichnet, und wir haben es Wilfried
Minks gezeigt. Der fand es ganz toll. Einige Zeit später hat Minks in Bochum
den «Balkon» von Genet inszeniert und wollte unbedingt, dass Marianne die
Kostüme dazu mache.
Marianne Glittenberg: Als Erstes habe ich gesagt: «Wie komme
ich dazu? Das ist ein Beruf, den man gelernt haben muss. Ich habe keinerlei
Ahnung, wie man das macht.» Und er hat geantwortet: «Eben deshalb will ich
dich.» Er hat so lange angerufen, dass ich schliesslich zugesagt habe.
Dieser «Balkon» war für mich der Sprung ins kalte Wasser. Ich hatte bis
dahin am Schreibtisch gesessen, an der Uni studiert, an meiner Doktorarbeit
geschrieben. Im Hauptfach hatte ich Germanistik. Weil ich die Musik sehr
liebe, belegte ich im Nebenfach Musikwissenschaft, und mein Dissertationsthema
- über Wagner - hatte auch mit Musik zu tun. Wegen der Anfrage von Minks
habe ich es dann nicht zu Ende geführt.
Künstlerische Kommunikation
Damit war für Sie der Weg als Bühnenbildner bzw. als Kostümbildnerin
vorgezeichnet. Wie haben Sie in Ihren Berufen zusammengefunden?
Rolf Glittenberg: Am Anfang hatte ich für ein paar Stücke
auch die Kostüme entworfen, aber ich machte es ungern, hatte auch keine
Geduld, mit nörgligen Schauspielern zu arbeiten. Es geht ja nicht nur darum,
dass man einen Darsteller vorteilhaft anzieht, sondern man versucht, zusammen
eine Vorstellung zu entwickeln, wie man das Stück erzählen will. Je genauer
man das tut, desto mehr ist man darauf angewiesen, dass die Partner in
einer ähnlichen Weise denken. Und da es sich dann herausgestellt hat, dass
wir beide künstlerisch ausnehmend gut miteinander kommunizieren können und
wir auch beide den Wunsch hatten, mit speziellen Regisseuren zu arbeiten,
hat sich unsere Zusammenarbeit ganz selbstverständlich ergeben. Ich bin
darüber extrem froh. Es gibt Stücke, die ganz wesentlich über die Kostüme
erzählt werden.
Zum Beispiel?
Rolf Glittenberg: Strauss' «Rosenkavalier». Es gibt in unserer
Zürcher Inszenierung kein einziges Element, das historisch korrekt ist,
ausser dass die Farben wirklich alle Originaltöne aus dem 18. Jahrhundert
sind. Ich habe in England eine Firma gefunden, die sie noch heute herstellt.
Aber sonst wird das Historische durch Mariannes Kostüme eingebracht.
Marianne Glittenberg: Ich muss dazu ergänzen, dass ich mit
dem 18. Jahrhundert ähnlich frei umgegangen bin wie Rolf. Wir wollten eher
den Geist des 18. Jahrhunderts vermitteln, ein erfundenes Rokoko wie schon
bei Hofmannsthal. Das ist bei den Kostümen schwieriger, entweder ist es
ein Rokoko-Kostüm, oder es ist keines. Die Kostümkunde legt einen stilistisch
genau fest. Hier eine Lösung zu finden, die nicht konventionell ist, war
möglich dank der Situation, die Rolf im ersten Akt vorgegeben hat mit den
vereisten Fenstern, mit dem Winter. Darauf bin ich eingegangen. Die Leute
kommen von draussen, draussen ist es kalt, also haben sie Mäntel an usw.
Doch im Rokoko gab es eigentlich keine Mäntel, eher wattierte Röcke. Dann
gibt es in der «Antichambre» ja auch Arme, das deutete eher auf eine Dickens-Welt.
So bin ich in Richtung Empire gegangen, habe zeitlich ein bisschen gemogelt,
um im Erzählen der Geschichte genauer sein zu können, auch unkonventioneller
und trotzdem noch historisch, so, dass die Atmosphäre stimmt.
Gibt es ein bestimmtes Schema, wie ein Inszenierungskonzept
entsteht? Sie arbeiten ja immer wieder mit denselben Regisseuren zusammen.
Mit Sven-Eric Bechtolf und dem Dirigenten Franz Welser-Möst werden Sie
demnächst auch Wagners «Ring» in Wien erarbeiten. Entwickeln Sie die Konzepte
von Anfang an gemeinsam?
Rolf Glittenberg: Das Allerschwierigste im Leben eines Kostüm-
und Bühnenbildners ist, einen Regisseur oder eine Regisseurin zu finden,
mit denen man frei phantasieren kann. Es ist fast so, wie einen Lebenspartner
zu finden. Es gibt viele tolle Künstler in dem Beruf, aber passt man zusammen?
Künstlerische Verbundenheit ist etwas anderes als professionelle Zusammenarbeit
- die wir natürlich auch gemacht haben. Was Sie fragen, ist das Komplizierteste,
was es zu beschreiben gibt. Es läuft über so viele Punkte.
Wenn ich mich bei der Vorbereitung mit dem Regisseur treffe,
habe ich noch keine Vorstellung von der szenischen Lösung. Die Gespräche
sind am Anfang eher vage. Man sagt, ich stelle mir das so und so vor. Ich
bin dann meistens der Erste, der die Ideen konkretisiert. Ich mache zu Hause
in Hamburg viele kleine Modelle, alle weiss. Diese Modelle sieht Marianne.
Sie haben aber noch keinen emotionalen Gehalt. Es hat mehr mit Konstruktion
und mit Proportion zu tun. Dann zeige ich dem Regisseur ein kleines Modell.
Ich habe kein Problem, wenn er sagt: «Das stelle ich mir anders vor.» Das
finde ich besser, als wenn ich gezwungen wäre, etwas nach seinen Vorgaben
zu formulieren.
Marianne Glittenberg: Für mich ist es ein Privileg, dass wir
ein Paar sind und nicht nur ein Team. Ich finde es toll, dass ich zu Hause
auch Rolfs Papierkorb kenne, die verworfenen Sachen. Zu wissen, woher etwas
kommt, ist oft sehr nützlich für mich.
Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, ob Sie ein Engagement annehmen?
Marianne Glittenberg: Das Entscheidende ist selbstverständlich
der Regisseur, was er macht oder wie interessant wir ihn finden.
Und welche Bedeutung hat dabei das zur Diskussion stehende Stück?
Rolf Glittenberg: Ich bin völlig abhängig von der Musik. Wenn sie nicht zu mir spricht, mache ich das Stück nicht.
Marianne Glittenberg: Es gibt allerdings auch Opern, deren
Musik wir lieben, etwa Donizettis «Liebestrank» oder manche Rossini-Oper,
und die wir trotzdem nicht annehmen würden, ich vielleicht noch weniger
als Rolf, weil ich durch meine Herkunft von der Germanistik ein interpretatorisches
Schwerblut bin. Ich täte mich schwer damit, wenn ich nicht wirklich etwas
zu interpretieren hätte. Ich fange nicht bei den Kostümen an, sondern mache
auch jetzt noch das, was ich gelernt habe, nämlich den Text interpretieren.
Oder mir zur Musik etwas einfallen lassen.
Sie haben gesagt, die Musik sei für Sie entscheidend. Trotzdem haben Sie oft im Schauspiel gearbeitet.
Rolf Glittenberg: Als ich den Wunsch hatte, Bühnenbildner
zu werden, dachte ich eigentlich an die Oper. Doch für meine Lehrer war
Oper kein Thema. Vor allem aber gab es zu der Zeit keinen bedeutenden Regisseur
meiner Generation, der sich für Opern interessierte. Dass wir im Moment
mehr in der Oper als im Sprechtheater tätig sind, hat auch damit zu tun,
dass in der Oper viel früher geplant wird. Wenn Anfragen für Schauspielinszenierungen
kommen, sind unsere Termine meist schon besetzt.
Marianne Glittenberg: Darf ich in Klammern noch anfügen, dass
wir zwei Regisseure, mit denen wir sehr viel zusammengearbeitet haben,
nämlich Luc Bondy und Sven-Eric Bechtolf, quasi in die Oper eingeführt haben,
indem wir ihre ersten Musiktheaterinszenierungen ausgestattet haben - beide
Male war es Bergs «Lulu»?
Fiktive Welten
Nochmals zurück zu Ihrem «Rosenkavalier». Die Küche im Palais
Faninal hat viele Besucher überrascht und irritiert. Wie entsteht eine solche
Bildidee?
Rolf Glittenberg: Für die Bühnenbilder des «Rosenkavaliers»
gibt es ein grosses Vorbild: Alfred Rollers Ausstattung der Uraufführungs-Inszenierung.
Er hat für den zweiten Akt einen ganz intimen Raum mit zwei riesigen Kaminöfen
entworfen. Wenn man Dokumente späterer Aufführungen studiert, sieht es immer
aus wie ein Schaulaufen der Statisten, ein unbestimmter, repräsentativer
Festakt. Das hat mich gestört. Sven-Eric Bechtolf und ich wollten etwas
Spezielles finden. Aber was? Das Schlimmste bei einer Festvorbereitung ist,
wenn der Gast zu früh kommt. Diese Situation wollten wir zeigen. Dann haben
wir überlegt, was der Faninal eigentlich ist: Lieferant für die Armee,
das heisst nicht zwingend, dass er Waffenhändler ist, er könnte auch Pasteten
liefern. Die Küche ist ein Ort, wo viele Vorgänge ablaufen. Und Ochs ist
einer, der gern isst. So hat sich diese Idee allmählich aus verschiedenen
Elementen heraus kristallisiert. Wir wollten vor allem die Situation auf
spannende Art erzählen. Aber es sollte keine reale Küche sein, sondern ein
Zauberraum, Wie in Dornröschen.
Es gibt ja auch den Moment, wo die Figuren plötzlich erstarren, als würden sie einschlafen.
Genau. Das Fenster oben scheint realistisch zu sein, aber
es ist wie eine Schneekugel. Auch die Farbtöne sind irgendwie unwirklich,
das Blau ist kein normales Blau. Und der Schrank ist viel zu gross, die
Proportionen stimmen nicht. Es soll eine Fiktion von Realität sein. Man
braucht nicht zu wissen, was ich mir denke dabei. Ich glaube, dass Sven
die Idee mit der Küche hatte. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie so eine
Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Bühnenbildner funktionieren kann.
Es ist toll, wenn jemand sagt: «Küche» und nicht: «Ich stelle mir einen
roten Raum vor mit gelben Punkten.»
Marianne Glittenberg: Als Rolf mit dieser Küchenidee nach Hause
gekommen ist, hat sie mir vollkommen eingeleuchtet, weil ich fand, dass
man eine herrschaftliche Situation sehr gut aus der Sicht von Bedienten
erzählen kann, und so fand ich, dass man es auch wagen könnte, die übliche
grosse Freitreppe mit all den Statisten wegzulassen. Ich finde, von da unten
lässt sich auch gut nach oben gucken.
Ihre nächste Arbeit in Zürich ist «Pelléas et Mélisande»,
wiederum mit Sven-Eric Bechtolf. Ein Augenschein lässt darauf schliessen,
dass uns auch da eine fiktive Realität erwartet: Die Bühne zeigt eine Winterlandschaft,
durchsetzt mit Objekten einer industriellen Zivilisation.
Rolf Glittenberg: Das Problem bei «Pelléas» ist, dass das
Stück leicht in eine Form von Unkonkretheit, in eine «Schleierwelt» abdriftet.
Ich glaube, das ist falsch. Das Stück war sehr modern, als Debussy es schuf.
Er hatte eine ganz ungewöhnliche Vorstellung vom Theater. Das sollte auch
heute noch spürbar werden. Das ist das eine. Wir hatten aber auch eine gewisse
Angst vor der Langweile, die diesem Stück innewohnen kann. Wir wollten
etwas wirklich Interessantes daraus machen, eine fiktive Welt. Wenn man
ins Theater geht, sollte man etwas sehen, was es in der Wirklichkeit nicht
gibt. Es soll eine erfundene Geschichte sein mit Erinnerungsanklängen an
die Realität. Und es soll Raum sein für die Musik. Das ist für mich ganz
wichtig, nicht nur bei diesem Stück. Wenn ein Modell fertig ist, setzen wir
uns davor, hören das Stück nochmals, schauen das Modell an und überlegen:
Klingt es, oder klingt es nicht?
Eine fiktive Welt zu erschaffen: Was bedeutet das für die Kostümbildnerin?
Marianne Glittenberg: Ich habe noch selten so stark auf das
Bühnenbild reagiert wie hier. Es sind keine «psychologischen» Kostüme, wie
man sie macht, um eine Figur zu charakterisieren. Die Kostüme beschreiben
den Ort, nicht den Menschen, oder den Menschen als Teil des Ortes. Das habe
ich bis dahin noch nie gemacht. Ich sehe das Bild als eine Art Arktis in
einer Endzeit, wo langsam alles vermoost und die Natur im Begriffe ist,
sich die Welt, die wir besiedelt haben, zurückzuerobern. Das Ganze sollte
von aussen gesehen sein, wie ein Planet. Ich habe tatsächlich Fotos von
Planeten und Mondkratern auf Stoff drucken lassen, so dass die Figuren wirken,
als seien sie aus Mondgestein gemacht.
Emotionale Architektur
Sie sind beide bekannt für Ihren Perfektionismus. Das zeigt sich auch in den verwendeten Materialien. Wie finden Sie diese?
Marianne Glittenberg: Das ist ein wesentlicher Teil der Arbeit.
Zuerst kommt das Überlegen, das Entwerfen und Zeichnen, dann die Materialsuche,
schliesslich der Gang in die Werkstätten. Ich zeichne absichtlich immer
nur mit Bleistift, nicht mit Farbe. Früher hat man viel aquarelliert, da
konnte man einen lila Rock mit grüner Bluse dem Gewandmeister geben, der
kaufte den Stoff in Seide oder in Baumwolle, und das Kostüm war fertig.
Bei der Stoffsuche versuche ich, mir meine Figurinen nochmals zu entfremden,
einen zusätzlichen interpretatorischen Schub zu gewinnen. In der letzten
Phase kommt das Anpassen auf die Figur oder die Person des Sängers, der
Sängerin.
Rolf Glittenberg: Bei mir ist die erste Phase das weisse Modell.
Dann fange ich an, Farbvorstellungen zu entwickeln. Das geht manchmal auch
schon mit einer Materialvorstellung zusammen. Ein konkretes Beispiel ist
die Steinwand des grossen Turms in «Pelléas». Ich wollte eine bestimmte
Struktur, nicht glatt, sondern mit einer gewissen Tiefenwirkung, und erinnerte
mich an dieses merkwürdige Contra-H-Material, etwas ganz Billiges. Die
Wellblechwände in «Pelléas» waren zuerst weiss. Wir haben dann überlegt,
wie man den Eindruck von Vereisung erzielen könnte. Die Werkstatt hat diesen
Spray vorgeschlagen, der wie Diamantstaub aussieht. Ich versuche stets,
eine emotionale Architektur zu machen. Das ist sehr schwierig, weil Architektur
im Theater in der Regel schwer und klotzig wirkt. Bei einem gemalten Horizont
ist das viel einfacher. Wenn Sie eine Landschaft malen, teilt sich die Stimmung
den Zuschauern sofort mit. Bei gebauten Bühnenbildern muss man genau überlegen:
Wie ist die Struktur der Architektur? Welche Oberfläche hat sie? Welche
Farbe? Und wie ist das Licht dazu?
Noch eine Frage an die Kostümbildnerin: Im Schauspiel werden
heute sehr oft nur noch Alltagskleider getragen, oft Klamotten aus Secondhand-Geschäften.
Rolf Glittenberg: Der Beruf des Kostümbildners, vor allem im Schauspiel, droht auszusterben!
Wie rechtfertigen Sie den grossen Aufwand, den Ihre Kostüme erfordern?
Marianne Glittenberg: Rechtfertigen kann man es nur von der
Kunst her. Im Schauspiel gibt es Stücke, die in einem so alltäglichen Milieu
spielen, dass ein Röckchen, eine billige Strickjacke das Richtige ist. Aber
was mich und meine Arbeit betrifft, möchte ich auf der Bühne nicht dieselben
Menschen sehen wie auf der Strasse, eine gewisse Überhöhung gehört für
mich zum Theater. Ich will nicht primär Leute bekleiden, sondern ein Kostümbild
schaffen wie ein Bühnenbild, das als Ganzes zur Interpretation des Stückes
beiträgt. Auch bei den Kostümen ist die Erfindung wichtig, nach wie vor,
selbst wenn es ein zeitgenössisches Kostüm ist. Die Subjektivität dessen,
der die Kostüme entwirft. Wenn man eine Neuinszenierung macht und mich für
die Kostüme engagiert, dann gehe ich davon aus, dass man wissen will, was
ich zu dem Stück zu sagen habe. Ich bemühe mich, das zu finden, was nicht
zu kaufen, aber stückspezifisch ist, auf die Rolle, die Figur des Interpreten
zugeschnitten.