Thomas Mann - Bruno Walter - Hans Pfitzner
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.06.1994, Nr. 128, S. 9


Wenn Hans Rudolf Vaget in seinem Aufsatz "Präludium in München" (F.A.Z. vom 14. Mai) die "tieferen Gründe" für den Münchner Protest vom 16. April 1933 gegen Thomas Manns Wagnervortrag - also für jenen Vorgang, der schließlich zur Emigration Thomas Manns führte - in antisemitisch mitbestimmten Animositäten gegen das Münchner Wirken (1913-23) Bruno Walters zu entdecken meint, so setzt er damit einen tendenziösen Akzent, der das Geschichtsbild, gelinde gesagt, verzerrt. Aus dem in München umjubelten Bruno Walter wird in der Unterschrift des mitpublizierten Fotos gar ein "verfemter jüdischer Dirigent". Hier weiß ein Nachgeborener wieder einmal alles besser als der Betroffene selber, der (Walter) "in seiner Autobiographie von einer antisemitischen Hetze gegen ihn nichts zu wissen vorgab", was so auch wiederum nicht stimmt (vergleiche Walter: Thema und Variationen, Abschnitt IV, Kapitel 6). Walter betont jedoch, daß er bis zu seinem Weggang von München "nicht eigentlich unter politischer Anfeindung gelitten, und daß die Gründe meines Scheidens teils aus dem Gefühl einer Beendigung meiner Aufgabe, teils aus dem Gebiet des persönlichen Erlebens stammten", das heißt, aus "einer schweren Lage leidenschaftlicher Verstrickung, welche die Elemente tragischer Entwicklung enthielt". Dies läßt sich freilich nicht in politisches Feuilleton ummünzen.

Daß Thomas Mann mit Bruno Walter befreundet und 1916 für ihn eingetreten war, dürfte 1933 kaum eine Rolle gespielt haben. Von den Verzeichnungen des Artikels muß ich mich auf das über Hans Pfitzner Gesagte beschränken, den "eigentlichen Kopf der Thomas-Mann-Gegner". Eine solche Kennzeichnung ist genauso aus der Luft gegriffen wie der bereits 1922 kolportierte Verdacht, eine antisemitische Hetze gegen Walter sei von dem damaligen "Hans-Pfitzner-Verein für deutsche Tonkunst" ausgegangen. Die Absurdität dieser Unterstellung resultiert schon - wie Walter berichtet - aus der "Adresse, die mein Bleiben verlangte und von Namen des geistigen München wie Franz Stuck . . . und natürlich von Thomas Mann, Hans Pfitzner, Paul Nikolaus Coßmann und anderen unterzeichnet wurde". In Coßmanns "Süddeutschen Monatsheften" war der Artikel Walters erschienen, auf den sich Thomas Manns Verteidigung von 1916 bezog. Mitherausgeber dieser Zeitschrift, an der Seite seines jüdischen "Urfreundes" Coßmann, war zeitweise auch der mit Bruno Walter bereits seit gemeinsamen Berliner Jahren eng verbundene Pfitzner.

Sicherlich wäre es 1933 geboten gewesen, zu diesem Zeitpunkt Thomas Mann nicht anzugreifen. Pfitzner ist, wohl als einziger der Unterzeichner, öffentlich noch einmal in der Frankfurter Zeitung (2. Juli 1933) auf die Sache zurückgekommen, sein ganzes Verhältnis zu dem Schriftsteller resümierend und in größter Achtung. Gegen Ende seines Artikels schreibt er: "Thomas Mann als bedeutender Künstler und auch rein menschlich wird sicherlich der großen Hochschätzung auch derer gewiß sein können, die seine Entgleisung - denn als solche empfinde ich sie auch - nicht mitmachen." Daß die Implikationen und Folgen des Protestes nicht mitbedacht wurden, bleibt tragisch.

Professor Rolf Reuter, Präsident der Hans-Pfitzner-Gesellschaft, Berlin

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