Walter Zimmermann
Soll man Hans Pfitzner verbrennen?
Ohne Leitklang: Zwei nachgeborene Komponistenkollegen
zum politischen Aufführungsstreit um eine Kantate

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.10.2007, Nr. 236, S. 39


Also da hat doch der Zentralrat der Juden in seiner Pressemeldung etwas übertrieben: "Die Aufführung der Kantate ,Von deutscher Seele' des umstrittenen Komponisten Hans Pfitzner ist der dreiste und gemeingefährliche Versuch, durch Provokation einen unbelehrbaren Antisemiten salonfähig zu machen." Der Titel "Von deutscher Seele" ist doch ganz zutreffend. Das Konzert war mäßig besucht. Die Provokation von Ingo Metzmacher ging also an hand der Zuhörerreaktionen nicht auf. Sie kann nicht aufgehen, weil die Komposition aus sich heraus sie nicht erzeugen kann. Ich kannte die Kantate von der Einspielung mit Joseph Keilberth und den Bamberger Sinfonikern. Jetzt erst in diesem pointierten Zusammenhang als Festveranstaltung wurde die ganze spießbürgerliche Biederkeit dieses Werks deutlich.

Ich verstehe nicht, warum sich ein der Moderne bisher zugewandter Dirigent auf so platte Weise Aufmerksamkeit verschaffen möchte. Die hat er ja nun auch durch einige mechanistische, an dem Kern der Problematik vorbeischreibende Pressemeldungen bekommen. Aber das Stück ist eben keine Wiedergutmachung eines Verschmähten, sondern das Charakterporträt eines Griesgrams, der voller Ressentiments war, und dies ist bis ins kompositorische Detail zu spüren. Die breit ausladenden Zwischenspiele sind eben nicht, wie im Programmheft steht, an Debussys "Nocturnes" orientiert, dafür fehlt ihnen die Innenspannung von Ausdruck und musikalischer Architektur, die Debussy bis in die kleinste Wendung hinein beherrschte.

Bei Pfitzner ist an die Stelle des kompositorischen Skrupels eine selbstkritikfreie Zone getreten, die er sich durch seinen Antimodernismus zusammengebellt hatte. Seine Kantate ist ein Prachtstück des im eigenen Saft schmorenden mürrischen Grüblers, der, nachdem Busoni und Berg mit Pamphleten liquidiert worden waren, es sich nach den Rufmorden "spitzwegerisch" einrichten durfte. Nietzsche flüchtete vor solch ressentimentbeladenen Deutschen an die Riviera und in den Wahn. Pfitzner hingegen spekulierte mit seiner Einigelung auf die Schutzmacht, der er dann auch seinen Tribut zollte, in Form der "Krakauer Begrüßung" (1944) für den Generalgouverneur von Polen Hans Frank, der auf seiner Burg hoch oben zwischen Krakau und Auschwitz residierte.

Auch Eichendorffs Gedichten hätte eine Aufhellung des Geistes, die sie ja auch in sich tragen - wie Adorno festgestellt hat -, besser angestanden als diese lauwarm köchelnde Ursuppe, in die sie in den Orchesterzwischenspielen hinabgezogen wurden. Die aufgesetzt pietätvolle Drohung der protestantischen Bläserchoräle deutete die Eichendorffschen Gedichte ins Dräuende um, auf das nur ein befreiender Schlag folgen konnte, der der zwei Synchronpauker. Wo war da nun die Eichendorffsche Leichtigkeit geblieben? Sogar der Hahn kräht keifend vom Dach. Alles deutete in Richtung: "Schaut, dies haben wir verloren, wir holen es uns zurück!", so dass auch diese luftigen Eichendorffschen Gedanken mit Ressentiment beladen wurden.

Ich frage mich, warum Ingo Metzmacher ein so bieder-pompöses Stück am Tag der Deutschen Einheit spielen mochte, gefolgt in den nächsten Konzerten von Liszts "Les Préludes" mit der Sondermeldungsfanfare, die vor achtundsechzig Jahren jeden Sieg der Deutschen im Osten am Reichsradio ankündigte. Sollte hier, wenn auch unbewusst, nicht doch eine versteckte Parallelwelt zum Tag der "Wiedervereinigung" herausposaunt werden?

Walter Zimmermann wurde 1949 geboren. Zu seinen wichtigsten Werken zählen der Zyklus

"Lokale Musik", "Hyperion" und "Voces".

Dieter Schnebel

Ich kenne wenig von Pfitzner, er wird ja auch kaum gespielt. Ein Streichquartett in cis-Moll beeindruckte mich. Ein guter Freund, ein berühmter amerikanischer Pianist und Komponist linker politischer Musik, erzählte mir einmal bei einer Autofahrt durch die Maremma, er habe im Radiosender Rai3 ein großes Stück von Pfitzner gehört, die Kantate "Von deutscher Seele", und er fand das eindrucksvolle Musik. Als nun just dieses Stück durch das DSO aufgeführt wurde, ging ich in Erinnerung an Frederics Wort in dieses Konzert, obwohl einige enge Freunde mir abrieten, teils wegen Pfitzners problematischen politischen Ansichten, teils auch wegen unerträglicher Langeweile.

Beim Hören der ausgezeichneten Aufführung durch Ingo Metzmacher fand ich freilich Frederics Urteil bestätigt: eine sehr eigene, poetische Musik, überwiegend melancholisch, über wunderbare Texte von Eichendorff. Der Titel "Von deutscher Seele", den ich auch störend empfand, schien mir eher fehl am Platz. Pfitzners ursprüngliche Idee "Eichendorffiana" war passender. Das Stück aus den zwanziger Jahren, spätromantisch, durchaus auch der Musik des Freundes Gustav Mahler verwandt, war in einer Zeit entstanden, als die Nazis noch unbedeutend waren. Und deutsch fühlte sich ja damals auch ein unverdächtiger Musiker, der mit seiner Erfindung der Zwölftontechnik der deutschen Musik weitere "Vorherrschaft" (!) garantieren wollte: Arnold Schönberg. Vielleicht wurde Pfitzner auch in den Konzerten seines Vereins für musikalische Privataufführungen gespielt.

Dieter Schnebel wurde 1930 geboren. Zu seinen wichtigsten Werken zählen "Missa", "Sinfonie X" und "Majakowskis Tod".

Kastentext:

"Von deutscher Seele": Dafür und dagegen

Am Tag der Deutschen Einheit setzte Ingo Metzmacher, der neue Chefdirigent des Deutschen Symphonie Orchesters Berlin, bei einem Konzert in der Berliner Philharmonie Hans Pfitzners Orchesterkantate "Von deutscher Seele" aufs Programm (F.A.Z. vom 6. Oktober). Die Entscheidung, an diesem Feiertag das Werk eines Komponisten aufzuführen, der sich in seiner antisemitischen Haltung dem NS-Staat andiente und Auftragskompositionen für das Regime schrieb, wurde kontrovers diskutiert. Dieter Graumann, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, bezeichnete ihn in einer Pressemitteilung als "gemeingefährlichen Versuch, durch Provokation einen unbelehrbaren Antisemiten salonfähig zu machen". Metzmacher erwiderte Graumann in einem Brief, er spiele Pfitzner nicht, "um ihn reinzuwaschen, nicht um ihn zu feiern, sondern um ihn zur Diskussion zu stellen". Nun melden sich zeitgenössische deutsche Komponisten zu Wort und stellen ihre Einstellung zur Debatte.

F.A.Z.

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