HANS RICHTER

FERRUCCIO BUSONI

da Dada profile, Zürich 1961, pp. 22-23

Im Weimarer Park, von Goethe vorsorglich gepflanzt, steht eine gotisierende Halle, nun schon moosbewachsen.
«Hier, um diese Halle, unter diesen Goethe-Bäumen hörte die Bevölkerung von Weimar andächtig zu, wie Busoni da drinnen stundenlang auf dem Flügel phantasierte. Und da drüben, am Ausgang des Parks, wohnte und spielte zwanzig Jahre früher Franz Liszt, den der junge Busoni noch als Lehrer hatte», erhlärte mir Hofbäckermeister Schmidt, mit dem ich gerade, 1909 als Student, ein Abkommen getroflen hatte, Bilder gegen Brot und Kuchen einzutauschen.
Unter diesen alten Bäumen in diesem romantischen Goethepark wurde der schöne Name Busoni für mich selbst zur Melodie.
Als ich ihm acht Jahre später vorgestellt wurde, sass er vor dem Hauptbahnhof in Zürich auf dem Rande des weder alten noch romantischen Kaspar Escher-Brunnens. Er schien mir noch immer von dem geheimnisvollen Glanz seines nicht-gehörten Spiels verklärt. An diesem Brunnen empfing er. Wir standen um ihn herum: Rubiner, Hardekopf, Musiker und Schriftsteller, und diskutierten über Kunst und Krieg, Musik und Menschen. Dann zog er sich in den Wartesaal erster Klasse des Zürcher Hauptbahnhofes zurück, um zu komponieren. Die totale Anonymität des Ortes, das jedes individuelle Gespräch ertränkende Summen der Vielen, vermischt mit dem Geklapper der Teller und Stühle, der ständige schattenhaft hastige Wechsel der Gäste schienen ihn zum einzi-gen wirklich zum Orte Gehörigen zu machen und die völlige Isolierung zu geben, die er für seine Inspiration beanspruchte.
Von Dada [* **] war er weit entfernt. Obgleich er als Mittelmeer-Mensch das Spielerisch-Skeptische bejahte, war er doch mehr von dem fanatischen Ernst Rubiners angezogen. Meinen romantischen Enthusiasmus ihm gegenüber belohnte er mit gelegentlichen Gesprächen und Notizen über Kontrapunkt, mit dem ich mich damals intensiv beschäftigte.
Eines Abends, als wir mit Sacharoff und Clotilde von Derp aus dem Theater kamen, liess er sich schließlich erbitten, in meine Wohnung mitzukommen und auf dem Klavier zu spielen, da-mit ich ihn endlich in Wirklichkeit hörte. Zu meinem ewigen Bedauern wurde nichts daraus, da das Klavier verstimmt war und er sich wei-gerte, darauf zu spielen. So blieb sein Spiel für mich ungehört, doch mit den Goethe-Lisztschen Bäumen im Weimarer Park ideal verhaftet.
Die Uraufführung seiner Oper «Arlecchino» im Zürcher Stadttheater aberhörte ich. Ihr Klang, ihre Handlung [in Bergamo] sind mir als elegantbeschwingte Rokoko- oder Spätbarock-Ornamente, wie man sie in Italienso oft sieht - in Gold und Rosa über einem in Tradition ergrauten Haus- in Erinnerung geblieben. Eine erleuchtend fröhliche Erinnerung im Gegensatz zu gewissen modernen Opern, die ich eben dort hörte, aberbei denen man wie von Furien durch vier Stunden gehetzt wurde. Zu den internationalen Sensationen, die Zürich damals bot, gehörtenauch die Tanza-bende Sacharofls. Dieser phänomenale Russe und die bildschöne Clotilde von Derp erscheinen mir heute wie eine europäische Version der damals noch unbekannten Kabuki-Tänzer, zum mindestenwas die farbige Heftigkeit der Kostüme anbelangt. Barock in den tollsten Farben. Der asiatisch wilde Sacharoff und die zarte aschblonde Schönheit Clotildes übten eine tolle Faszination auf mich aus, obgleich michnachher unsere Laban-Laborantinnen von der Seehofstrasse darüber belehrten, dass das alles ganz falsch sei, und ich als Dadaist den Verführungen solcher Darbietungen nicht zu unterliegen hätte.