FERRUCCIO BUSONI

BRIEFE AN SEINE FRAU
1913-1923


work in progress

1913





(London,) den 19.Jan. 13
Wie schön könnte die Turandot sein! (Ob ich nicht lieber eine Oper aus dem Vorhandenen mache?) Aber nicht so wie gestern in London, wo ich nach dem 2. Act hinaus mußte! Tanz und Gesang habe ich noch gesehen, sie machten es auf der Bühne, aber dann ging ich endgültig. Wie das geendet, ob mit Erfolg, weis ich heute noch nicht. Morgen werden wir lesen.
Mit Schauspiel-Direktoren wird es nie gut werden.
Am selben Nachmittag hörte ich Mahler’s Siebente, welche mir eine große Enttäuschung (und eine kleine Genugthuung) bereitete - und auch heute hörte ich Orchester-Musik, am Regen--Sonntag, Bruchstücke aus Wagner und Le Rouet d’Omphale von St. Saëns - immer genieße ich den “Dramatiker” Wagner am besten im Konzert und auch immer wieder erfreue ich mich an der “leichten Hand” des Franzosen.
Ich habe den Aphorismus verfaßt: “Theater-Werke soll man schreiben, aber nicht aufführen” (wozu ich gute Aussicht habe).
Ich bin nicht so froh, wie ich erwartete, hoffe aber vom Nocturne das Richtige...


(London,) 21. I. 13
Die Musik zur Turandot hatte mehr Erfolg als das Stück. Man kann eben den Leuten niemals zu Schlechtes geben! Denke Dir: ein Orchester von etwa 20 Mann, die falsch spielen; einiges 4-5 mal hintereinander wiederholt, einiges gestrichen, gesprungen; das Ganze im Va-riété-Styl vorgetragen. Und weil dem Regisseur diesmal wieder zu wenig Musik war, Stücke von St. Saëns und Rimsky-Korssakoff dazwischen eingeschoben! Imagine! - Das Stück zurücknehmen? Der Direktor sagt, er habe es bezahlt, er ist im Recht. Prozeß machen? Wem?
Bis der Prozeß beendigt, ist die Saison vorüber...
Wie denkst Du über Turandot als Oper - und zwar in italienischer Sprache, nach Gozzi -
“Morte vogl’io o Turandotte in sposa” (quasi, quasi - mi parrebbe -)
Auf Wiedersehen, liebe Frau Gerda, Dein Ferruccio, der in einem unbestimmten Moment des Lebens steht.


Dieser Brief soll ein kleines Dokument abgeben, über einen Einfall, der für mich bedeutsam werden dürfte. Mit dem Nocturne Symphonique werde ich die Reihe vorbereitender Arbeiten vorläufig als abgeschlossen betrachten müssen; womit nicht ausgesprochen ist, daß ich “cammin facendo” nicht mein musikalisches Vocabularium stetig vermehre.
Dem Alter und dem Stand meiner Reife nach, glaube ich aber nicht weiter zögern zu sollen, ein Haupt- und Monumental-Werk in Angriff zu nehmen, auf das schließlich alles Gethane gezielt hat.
Zugleich möchte ich den Lauf meines Stromes zu seiner Quelle zurückbiegen und versuchen daß mein Hauptwerk auch für Italien dasselbe bedeutete. Da muß man aber in’s Vollste greifen, um mit einem Schlage alle Köpfe und alle Herzen zu treffen.
So meinte es Wagner mit den Nibelungen, die aber dem deutschen Volke verhältnismäßig fremd waren und nicht so direkt an’s Ziel gelangten.
Italien besitzt Dante, der Allen gleich theuer und in den Hauptepisoden volkstümlich ist, trotz seiner Größe. Und sogar außerhalb Italiens.
Der Kinematograph brachte mich auf diese Idee, als ich am “Strand” Dante’s Hell als “Film” angezeigt sah. Ich würde nicht bei der Hölle stehen bleiben, aber auch nicht bis zum Himmel mich vermessen; sondern mit der Begegnung der Beatrice enden.
Piazza della Signoria, mit Dante auf dem Stein sitzend, worauf er zu träumen pflegte; eine die Charakteristik der Zeit wiedergebende Straßen-Scene, vielleicht auch Beatrice vorübergehend. Und darauf etwa 6 Bilder der bezeichnendsten Episoden, Ugolino, Paolo e Francesca, ein paar Massenbilder, endlich das Aufsteigen mit Beatrice. - Und natürlich: in Italiano.
So, das ist wenigstens ein Anhaltspunkt auf längere Zeit...
[London,] 25. Jan. 1913


(Cassel,) 26. II. 13
Wenn ich arbeiten könnte, nichts würde mich irritieren; aber seit über 3 Monaten ist Stillstand - - da zweifelt man an sich selber, wie in den Jahren der Adolescenz...
Das Wetter ist unvergleichlich schön, in den vier Jahren hat man mehrere hübsche Gebäude aufgeführt; so daß die Stadt diesmal sehr reizend aussieht...
Folgendes fiel mir ein: wenn man “Ahnungen” und “Voraussehen” zugiebt, wenn man in die Zukunft schauen kann (wenn auch nur auf kleinste Augenblicke und kürzeste Strecken) so ist es logisch, daß man dieselbe Fähigkeit auch in die Zeit zurück hat; und das wäre doch endlich eine Erklärung für das sogenannte Gespenster-Sehen. Das Gespenstersehen wäre nichts anderes, als ein augenblickliches und unsicheres Schauen - - in die Vergangenheit. - Alles gestaltet sich in der Form des Kreises, und so muß es auch das “Hellsehen”. Es ist wie bei einer Station des Marconi-Telegraphs, die nach allen Richtungen gleich weit reicht...
Auch das gleichzeitige “Sehen” - auf Entfernungen - ist dasselbe, wie das Voraus- und Zurückschauen. Ich beschäftige gerne meinen Geist und versuche mir die Fragen zurechtzulegen. Wenn’s nicht hilft, schadet es nicht. -
Ich werde mich entschließen an d’Annunzio zu schreiben und glaube fast, daß mir das Leonardo-Motiv sympathischer ist, als Dante. Du hattest wieder ein richtiges Gefühl. Moi, je raisonne trop.
Ich glaube, daß diese Zeit der Unterbrechung doch mich reift und über mich selbst mir Klarheit schafft. Wir wollen es so deuten...


Es freute mich, daß Du meine kleine Theorie über Gespenstersehen gut gedacht fandest. Es ist ein charakteristisches Moment bei Berichten über Geistersehen, daß Einer sieht, während andere, die mit ihm sind, Nichts wahrnehmen. Auch dieses Moment spräche für meine Theorie; weil nur Einzelne die Gabe des Hellsehens haben. Es wäre zu untersuchen, ob dieselben Menschen, die Geister sahen, auch sonst hellseherisch veranlagt waren; was ein starkes Fundament geben würde.
Ich lese das Neueste von Wassermann “Der Mann von vierzig Jahren”; es sollte den Untertitel führen: “ein Buch für Männer über 40.” - ... Es ist gut geschrieben, stellenweise ausgezeichnet, doch fehlt mir die höchste Spitze.
Wassermann muß es leidend selber fühlen, sagte er mir doch einmal ungefähr: Ich würde meine sämmtlichen Werke daran geben, um Balzac’s “Le chef-d’oeuvre inconnu” geschrieben zu haben...
[London,] am 2. März 1913


Gestern Abends hatte ich die erste Freude seit langer Zeit; d’Annunzio hat mir telegraphisch geantwortet: “Felicissimo, mi dica se verrà Parigi per incontrarci.”
Das hat mich ganz jung gemacht und nun werden wir sehen...
Halb aus Gutmütigkeit, halb aus Vergnügen zur Sache, habe ich Maudi ein Scenarium ausgearbeitet.
Unter dem sehr guten Titel “Der Tanz vom Leben und vom Tode” sollte die Geschichte eines Mädchens in Bildern vorüberziehen. - Eine “Music-Hall” auf der Bühne kommt vor, worauf eine Beardsley-Scene gespielt wird, - ein Pariser Ball-Lokal, - ein Tanz mit Leierkasten in den Straßen von London; - der Schluß ist (nach meiner Art) mystisch, in einer Kirche, vor einem merkwürdigen Altar; darauf ist eine Gruppe, das Kreuz in der Mitte, rechts und links die Figuren des Todes und des Engels der Auferstehung. Es giebt einen Todtentanz und noch sehr Vieles. Es könnte etwas sehr Gutes werden, lebendig und wahr; dabei ist’s von den Stoffen, die bleiben. Aber. - (Es kommen alle Arten Tänze vor; beginnt mit einer Art getanzten Lawn-Tennisspiels; Zigeuner-Tanz, Pantomime, Grande Valse et Cancan, Straßen-Tanz, Selbstmordtanz (auf dem Geländer einer Brücke), religiöser Tanz und Todtentanz.)
Für die Tempel-Geschichten habe ich doch kein Zeug; das ist, was bei den Komponisten die Oratorien sind. (It’s english, you know.)
Nach Cambridge fuhren wir Automobil, um zurück zu können, da kein Zug mehr ging. Beim Hinfahren reg-nete es biblisch und wir verloren den Weg: eigentlich war es ganz lustig (für ein mal!) und ich kam eine Viertelstunde später, als der angesetzte Beginn des Concertes, an. [Geo Albert] Backhaus wartete im Regen vor dem Concerthause, zur Verherrlichung seines Cylinders. Er wollte die chromatische Fantasie selber spielen, damit das Publikum nicht warte!!
Ich habe das Gefühl, daß jetzt alles wieder gut gehen wird; neuer Frühling, neue Knospen.
Den “Mann von 40 Jahren” habe ich ausgelesen; es fällt gegen Schluß etwas ab. Der Mann geht zum Schluß in den deutsch-französischen Krieg. Da das Buch kein Roman, sondern eine psychologische Studie ist, so fragt sich der Leser: wohin rettet sich der Mann von 40 Jahren, der nicht 1831 geboren ist? Und also nicht in den deutsch-französischen Krieg gehen kann? (Die Beschreibung des Krieges ist nicht groß.) -...
London, 6. März 1913


London, 10. Mz. 1913
Ich habe gestern Abend den Teufel geigen gesehen, und war noch ganz anders als Liszt ihn sich dachte. Er hatte ein ganz dunkles, fast schwarzes, und ganz dicht mit einem kurzen noch schwärzeren Bart bewachsenes Gesicht; zwei Augen wie Kohlen und eine blutrothe dicke Unterlippe. Auf dem Kopfe trug er etwas wie einen schwarzen runden Hut ohne Krempe, ein wenig schief aufgesetzt. Er war breit und stark. Unter dem schwarzen Überzieher hatte er einen schwarzen Frauenrock an, bis zur Erde. Die Geige hielt er in der rechten Hand, als Symbol der Verneigung, und strich mit der Linken. Er guckte böse und rührte sich nicht von der Stelle. Er sah gefährlich kräftig aus mit einem übertrieben herausragenden Unterkiefer, auf dem die dicke rothe Lippe saß. Außer dieser Lippe, war alles schwarz. Aber er war kein Neger, eher vielleicht ein Indier. Das war in der Nacht, in den Straßen von London. -
Inzwischen langten drei liebe gute Briefe von Dir an, mit so herrlicher Empfindung geschrieben - danke!...
Eben habe ich an den 12 Etuden op. 10 von Chopin 2 Stunden geübt. Ich spiele sie jetzt ganz anders. (Meistens habe ich die anderen 12 gespielt.)
Ich freue mich...


(Mannheim,) 26. Mai 1913
Gestern Abends kamen noch Bodanzky und Direktor Wichert (Kunsthalle) in’s Hotel. Es gab ein sehr gutes Gespräch über Textbücher, Wagner, Malerei, nebst Anekdotischem. Wichert ist schnell und humoristisch, das heißt also gescheidt...
Er wollte einen Verein gründen “die Lücke”, der alles Angenehme, was der Stadt fehlt, in’s Leben rufen soll. Das ist ein braver Museumsdirektor!...
Jetzt habe ich Ferienstimmung, freue mich auf das Alleinsein, auf das Nachhausekommen, auf das Ordnen meiner Bücher und, endlich, meiner Gedanken.
Die Brautwahl wurde bewundernd erwähnt, Bodanzky wurde sehr warm und lobte mit Verständnis. Überhaupt haben wir uns gestern Abends über alle Themen des Gespräches vortrefflich verstanden.
Zur Rettung des Textbuches der Zauberflöte hat Pfitzner ein schlagendes Wort gefunden. Er sagt: Alle sind einig über den angeblichen Blödsinn in der Zauberflöte; nur Einer hat eine Fortsetzung dazu geschrieben, und das war - Goethe.
Auf Grund der mystischen Stimmung von Goethens zweytem Theil, will Bodanzky eine neue Inscenierung der Zauberflöte versuchen. - Du siehst, es war ein gedan-kenreicher, anregender Abend. Etwas von den Serapionsbrüdern; sogar viel der Art. -
Mit dankbarer Freude sehe ich auf diese beiden Monate zurück und singe, nach eigenem Text und Musik,
“Alles hat sich wohlgefügt”.
Ich bin moralisch gestärkt und erhoffe noch Vieles und Gutes. Mit d’Annunzio will ich noch einen Versuch machen, sonst muß ich mir anders helfen. -
Ich bin auch dankbar, daß Du alles miterleben konntest und vergesse nie, daß Du in schlimmeren Augenblicken ebenso gut gewesen bist, wie in den glücklichen...


(Paris, le) 23. Jn. 1913
Ich traf d’Annunzio zu Hause, rue Bassano 11, in einem japanischen Frauenmorgenrock, sehr blaß, sehr vertieft im Ausdruck und gealtert. Er gab das Bild vom Mephistopheles, als er den Schüler empfängt.
“Ich schreibe gerade an einem Buche: "L’homme qui a volé la Gioconda", denn die Gioconda ist bei mir, und ich werde sie dem Louvre zurückstehen, sobald das Buch erschienen ist”. Was er dann berichtete ist entweder bewußt gelogen, oder er glaubt selber daran, oder - was in’s Unerklärbare geräth! - wäre am Ende wahr; jedenfalls ist es eigenartig genug, es hier festzuhalten.
“Der Mann, der die Gioconda stahl, stammt aus einer sechshundertjährigen Familie von mystischen Malern. Er brachte sie zu mir (es ist ja polizeilich festgestellt, daß er den Zug Paris-Bordeaux nahm) nach Arcachon.
In dieser Figur hatten sich so viele Jahrhunderte von Anbetung und Liebe angesammelt, daß das Gefühl vieler Tausende von Männern endlich seine Lebendigkeit dem Bilde mitgetheilt hatte. Es war allerdings nötig, einen Mann zu tödten, um etwas Unmittelbares vom Herzblut ihr eigen zu machen; aber die mystische Handlung ge-lang, und ich lebte vier Tage lang mit der Gioconda. Länger reichte die Macht nicht aus, sie festzuhalten, und sie zerfloß. Auf dem Bilde ist nur die Landschaft und in der Landschaft nur ihr Lächeln zurückgeblieben; in der Landschaft ist die Geste ihres Lächelns geprägt geblieben (das wiederholte er mit vielem Wohlgefallen) aber die Figur ist verschwunden. In diesem Zustande wird der Louvre das Bild zurückerhalten.”
Es gibt eine ähnliche Geschichte von Poe, im umgekehrten Prozeß. Dort malt ein Künstler so lange an einem Frauenporträt, bis die höchste Lebendigkeit und Wahrheit des Ausdruckes erreicht ist; in diesem Augenblick ist das Modell todt, das Leben in das Gemälde übergegangen. -
Zuerst wollte er nicht recht an die Möglichkeit eines Leonardo auf der Bühne glauben. “Ich scheue mich ihn sprechen zu lassen, wie ich auch nicht Christus oder Napoleon meine Worte geben würde”.
Dann: der Mangel an Leidenschaft und Gefühl in Leonardo, war ihm gegen das Drama.
“Ein Gehirn, von einem Skelett getragen, wie die Fackel vom Leuchter”.
Als ich aber, als Schlagwort, den Begriff “italienischer Faust” aussprach, begann er Möglichkeiten zu sehen. “Kein historischer Leonardo, sondern ein symbolischer.” “Das Mystische müßte hinzukommen.” “Eine Serie von Bildern ohne dramatische Verbindung.”
Da hatte ich ihn, wo ich wollte.
Er sprach dann von gemeinsamer Arbeit in Arcachon, wo die Landschaft keine bestimmte Form hätte. “Die Wolken sind die Wellen, und die Wellen der Wald, und sie ist unfaßbar.”
Er war sehr anregend, manchmal mußte ich aber lächeln. - Wir sehen uns morgen wieder. -
Dagegen war eine gestrige Konferenz Marinettis viel realistischer und materieller. Kaum hatte ich den Brief an Dich abgeschickt, als ich ihm im Hotel (mit Boccioni) begegnete. Boccioni hat “futuristische Skulptur” ausgestellt.
Die Idee ist, in einer Form mehrere Bewegungen eines Körpers mit architektonischer Wirkung zu geben. So siehst Du ein Bein, das sich hebt und zugleich nach vorwärts und nach rückwärts sich bewegt, die Muskeln sind entsprechend vielfach gestaltet. Es ist viel Studium darin, aber es sieht häßlich und unverständlich aus, namentlich wenn der Mann, anstatt des Kopfes, ein Spielzeughäuschen trägt, aus Gründen, die der Boccioni mir mit vieler Theorie erklärte. Die Konferenz endete in Streit. Gegen diese Kunst und die Incarnation der Monna Lisa, als Maitresse Gabriele’s, ist Schönberg’s Pierrot Lunaire eine laue Limonade!
Viele Eindrücke!! Heute Abends gehe ich in die Pisanella...


(Paris,) 23. Jn. 1913
Die Welt ist voller Überraschungen. Pugno componiert im Bunde mit einer 22jährigen Pariser Dame “la città morta” von d’Annunzio. Und, was das Pointierte dabei ist, d’Annunzio glaubt daran. Zwar sagt er selbst witzigerweise: “Pugno habe sich von einer Jungfrau befruchten lassen”, aber zwischen dem Aphorismus und der Thatsache ist noch viel Raum zum Kopfschütteln. -
Diese Stelle von Paris ist sicher die Anziehendste. [1]
Ich sitze am offenen Fenster und es ist die Zeit, wenn das Tageslicht blau wird und die Laternen gelb scheinen. Mädchen, von der Arbeit kommend, ziehen vorbei.
Hier verbindet sich der Reiz des europäischen Südens mit jenem der historischen Weltstadt. Ich glaube nicht, daß anderswo, in unserer Zeit, diese Kombination so vollkommen anzutreffen wäre. -
Nun gehe ich zum Chatelet und zur Pisanelle, ou “la mort parfumée”. Ich werde M.lle Rubinstein sehen, von der Einer behauptet, sie könne nicht sprechen, aber tanzen; ein Anderer, sie könne nicht tanzen, habe aber einen schönen Körper; ein Dritter, ihr Körper wäre nicht weiblich, also nicht schön. - Sie ist selbst wie der heilige Sebastian, von allen Pfeilen durchbohrt...

[1] Hotel Restaurant Foyot.


(Paris, le) 24. Jn. 1913
Gestern Abends Théâtre du Chatelet. Voller Saal, meistens Frauen. Großes Orchester. Dilettantische Musikmacherei, die zu Allem paßt und zu Nichts.
Vorhänge mit großen Mustern à la Reinhardt. Hinter dem Vorhang wieder ein Vorhang.
Tamtam-Zeichen. - Die erste Dekoration zeigt einen Saal aus dem Kreml. Wie kommt der nach Cypern? Gospodin Bakst (vom russischen Ballett) hat ihn gemalt. Fräulein Rubinstein ist auch Russin. Das halbe Publikum - jetzt merke ich es - besteht aus Russinnen. Eine gewesene Schönheit, die neben mir zu sitzen kommt, spricht mich als Mr. Schaljapin an! Ich bedaure. - “Mais quelle ressemblance! Je le connais personnellement!!” Da kann man feststellen, wie die Menschen sehen.
Der erste Akt ist langweilig und wirkt nicht. Eine unsichtbare Bettlerin singt hinter der Bühne und spricht auch hinter der Bühne. Man hört, daß die Singende und die Sprechende zwei verschiedene Menschen sind.
Der zweite Akt zeigt einen Hafen. Er ist ganz roth, rothe Mauern, rother Boden, rothe Schiffe; etwas blaues Wasser dazwischen. Die Sklavin Rubinstein wird versteigert; dann kommt der junge König, der gibt ihr seinen weißen Mantel und sein weißes Pferd, und Fräulein Rubinstein reitet im Triumph davon. Sie hat weder getanzt, noch gesprochen, stand nur auf der Bühne in Stoffe eng gewickelt, mit viereckigen Mustern.
Dritter Act: eine unverständliche Dekoration. Es kommen mehrere Nonnen und da weiß man, daß man im Kloster ist - - Klosterhof? -
Ich bin so müde und so gereizt, daß ich in den Regen hinausgehe. Es geht kein Mensch mehr auf der Straße, obwohl es erst halb elf ist. Die rue de Rivoli mit ihrer langen Reihe von Laternen (eine in jedem Bogen) wirkt fast grausam. -
Ich weiß, daß die Pisanelle im letzten Act unter Rosen erstickt wird. Daher der Name: la mort parfumée. Bei d’Annunzio geht es sehr viel auf Farben hinaus. Braune Araberinnen mit roten Rosen; weißes Pferd, weißer Mantel. Auch gibt er kunstgewerblichen Gegenständen viel Raum. -
Die französische Sprache auf der Bühne ist erschrek-kend. Diese Deklamation, bei Worten wie: blasphème, innocente, mit dem langen Wiehern auf dem Accent und dem übertriebenen e-muet, klingt auf die Länge wie schlechter Gesang.
Das Ganze machte einen antiquirten, deklamatorischen, pathetischen, bunten Eindruck, mit aufgeregten Gesten, langen Tiraden und unerklärbarem Stechen, Todtfallen, rebellischem Geschrei; - humorlos, schwerblütig; ein ästhetisch-affektierter Wildenbruch.
Vielleicht, daß ich diesmal einer großen Erscheinung verständnislos gegenüber gestanden bin. Es ist möglich. Ich hatte auch eine zu schnelle Folge von künstlerischen Emotionen in den letzten Tagen und bin davon theils verwirrt, theils abgestumpft. -…



(Paris, le) 26 Jn. 1913
Könnte ich, wie d’Annunzio, mit dem zufriedensten Lächeln behaupten, daß ich nicht glücklich, vielmehr sehr unglücklich bin (er sah dabei ganz selig aus!) “denn wie könnte ich schaffen, wenn ich nicht unglücklich wäre!”; könnte ich dasselbe mit so innerer Satisfaction von mir sagen, es ginge mir besser, als es mir hier in Paris geht. Diese Stadt wirkt so verschieden, wie gewisse Frauen, die unsympathisch sind und doch reizen könnender sehr sympathisch und geistreich, aber einen kalt lassen. überdies hat Paris von beiden Arten was. (Leider ist es grau und kühl.)
Wie altmodisch und überreif dieses Paris ist, wie vereinigt es alle Interessen, bei so ausgesprochener Gleichgültigkeit. - Vielleicht, daß d’Annunzio eher hierher gehört, wie Oscar Wilde, wie Meyerbeer.
Auf d’Annunzios Etagère stehen Bücher, alte und neue, - - - zum Beispiel über die Insel Cypern. In jedem Bande stecken 3-5 lange Papierstreifen, als Zeichen. Diese Stellen benutzt er, sehr wahrscheinlich, wo er was braucht - zu seinem eigenen Buch; er weiß die Sachen nicht, er holt sich das Wissen gelegentlich (er ist ja Künstler und nicht Gelehrter!) und hat eine prompte Intuition für das, was passend oder wichtig ist. -
Wie die Nacht in einer Stadt die Valeurs und die Bedeutung der Straßen durch die Beleuchtung ordnet, in glänzende und in obscure Wege eintheilt, die Hauptrichtungen durch stärkeres Licht bezeichnet; - während am Tage alles gleich hell ist; - man findet bei Nacht sicherer den Weg, man vermeidet alles Dunkle oder wird durch das Helle wieder zurechtgewiesen: das wurde mir erst hier vor ein paar Abenden klar. - Daß man auf so simple Schlüsse so spät kommt!...


(Paris,) 27. Juni 1913
Gestern lud mich d’Annunzio zu einem späten Diner ein; er hatte eine große Russin mit sich (ein Ausbund von Dilettantismus!) die sich aber ganz gut benahm... Er sagte, daß er in zwei Jahren stirbt (mit derselben Miene, wie er von seinen vier Tagen mit der Gioconda berichtete), worauf die Russin große, erschreckte und flehende Augen machte, und ich ziemlich offen lachen mußte. Wenn er merkt, daß man ihn durchschaut, dann lächelt er selbst und sagt: “sì, ma è così”. Er gibt das Spiel auf mit dem Lächeln und hält es aus Anstand aufrecht mit den Worten: “ob Ihr’s glaubt oder nicht, so ist es”. Das Schlimme ist, daß er etwas von meinen Kompositionen hören will, um sich danach zu richten (so sagt er), aber eigentlich zum Examinieren (so fühle ich); - es ist sinnlos und demüthigend und ich weiß nicht, wie ich mich aus dieser Situation herausziehe. Es ist möglich, daß ich plötzlich abreise und alles stehen lasse. - (Dir brauche ich nicht zu erklären?)
Den R. beschreibt er als einen gewöhnlichen unintelligenten Menschen von kommerzieller Routine und doch will er von diesem die Sache gewissermaßen abhängig machen. R. kommt selber am Montag hierher und ich glaube, daß ich eine Begegnung nicht aushalte. Ich bin wieder sehr unklug, ich weiß es und werde mir alles noch überlegen, aber ich habe es satt, Gift zu schlucken mit dem Vorwand, zu einem Glase Wein eingeladen zu sein.
Dabei gewinne ich aus d’Annunzio’s Gesprächen die Überzeugung, daß - sobald er dichten würde - das Ding zu meinem innersten Gefallen gerathen könnte; nur das Mystifizieren und die praktischen Ideen sind mir bei ihm dissonierend. Dabei sagt er richtig: “wozu sollen wir uns 3-4 Jahre plagen, um mit dem fertigen Werk nichts anfangen zu können?”
So stehen die Sachen und bis Abends werde ich mit mir selbst entscheiden...


Nach Alt-Aussee
[Berlin,] den 16. Juli 1913
...Ich spielte eifrig Liszt’sche Sachen durch: es ist merkwürdig, auf wie wenige und einfache Formeln sich seine Passagen-Technik reduzieren läßt. - (Alle anderen “Claviersetzer” wollen zu viel und füllen übermäßig aus.)
Ich arbeite täglich und hoffe, Dir etwas produzieren zu können...


Nach Alt-Aussee
[Berlin, 18. Juli 1913]
...Der Tag brachte eine schöne Ansichts-Sendung von Haschke, darunter Delacroix’s Bilder zu Goethe’s Faust (die mir immer besser gefallen) und eine seltene Ausgabe von Lichtenberg, mit Kupfern von Chodowiecki. Endlich die offizielle Ernennung von Bologna [1] in einem schön abgefaßten Schreiben...
Berlin verstellt seine Bauten, wie man im Hause Möbel verstellt... “Änderungen” sind hier meist “Verbesserungen”: das ist auch ein Unterschied von Paris, wo fast alles Neue häßlicher ist, als das Alte...
Die indianischen Motive sind nicht sehr ergiebig, noch fruchtbar; ich werde viel Eigenes hineinpropfen müssen, in die Rhapsodie. -
Das Nocturne symphonique scheint mir, nach definitiver Prüfung und Durchsicht, eine Art Vollkommenheit an sich zu haben...

[1] Zum Direktor des Liceo musicale.


Nach Alt-Aussee
Berlin 20. Juli 1913
Ich habe nichts zu berichten, das Wetter ist schlecht, meine Stimmung passabel; doch ich werde täglich klarer, schlafe sehr gut, die Indianerin geht vorwärts. Gestern beschäftigte ich mich mit Übersetzen, weil ich Benni mit zwei Gedichten Poe’s bekannt machen wollte...


Nach Alt-Aussee
Berlin 22. Juli 1913
...Die Indianer ziehen, die Gedanken regen sich; heute entstanden wieder Aufzeichnungen über Melodik. Vielleicht interessieren sie Dich...
Absolute Melodie: eine Reihe von wiederholten (1), steigenden und fallenden (2) Intervallen, welche rhythmisch gegliedert und bewegt (3), eine latente Harmonie in sich enthält (4) und eine Gemüthsstimmung wiedergibt (5); welche unabhängig von Textworten als Ausdruck (6), unabhängig von Begleitstimmen (7) als Form bestehen kann, und bei deren Ausführung die Wahl der Tonhöhe (8) und des Instrumentes keine Veränderung auf ihr Wesen ausübt. -
Die Melodie, zuerst selbständig, vereinte sich in der Folge mit begleitender Harmonie, verschmolz sich später mit dieser zu untrennbarer Einheit, aus der neuerdings sich zu befreien die stetig fortschreitende Poly-Harmonik ihr zum Ziel macht.
Im Widerspruch zu eingewurzelten Gesichtspunkten muß hier behauptet werden, daß die Melodie sich fortwährend entfaltet hat, an Linie und Ausdrucksfähigkeit gewachsen ist und dazu gelangen muß, die Universal-Herrschaft in der Composition zu erringen. - Am tiefsten stand ihre Qualität und am geringsten war die ihr zufallende Rolle, zur Zeit der “melodien-reichen” Opern und Salon-Compositionen; weil sie damals am leichtesten faßlich zugeschnitten und von den übrigen Bestandtheilen des musikalischen Kunstwerkes abgetrennt werden mußte, - ein verdorbenes Volkslied.
[Gestrichen:] Charakteristisch für ihre Verfallsperiode ist, daß die Melodie immer einzeln und in der führenden Stimme (meist Oberstimme) auftritt. Die Versuche, ihr eine zweite oder mehrere andere melodische Stimmen entgegen zu stellen fallen äußerst schwach aus, indem diese ausnahmlos der ersten untergeordnet und die geringeren bleiben.

In der Literatur des Clavieres nimmt die “Transcription” einen wichtigen Raum ein und, recht besehen, ist jedes Klavierstück bedeutender Art die Reduction eines größeren Gedankens für ein praktisches Instrument. Aber dieses Umgestalten ist zu einer selbständigen Kunst geworden; gleichviel, ob die Setzung eigene oder fremde Motive als Ausgangspunkt nimmt. Daß auch die reine “Übertragung” ein künstlerisches Moment in sich birgt, zu dieser Anschauung haben Bach, Beethoven, Liszt, Brahms sich offenbar bekannt; indem sie selbst der “Transcription” mit Liebe und Ernst gepflogen haben.
In der That hat es die Kunst der Transcription möglich gemacht, daß das Clavier von der gesammten Musikliteratur Besitz ergriffen hat; wobei allerdings so viel Unkünstlerisches mit unterlaufen mußte, daß dieser Kunstzweig, infolge leichtfertiger und billiger Verallgemeinerung in der Schätzung solcher Männer, denen das “Ernstsein” ein unentbehrlicher Mantel ihrer sonstigen Nacktheit ist, sank und als unwürdig befunden wurde.


Nach Alt-Aussee
Berlin den 23. Juli 1913
Das Wetter ist kühl, aber klarer und manchmal sogar sonnig, seit 2 Tagen; es läßt mich hoffen, daß Du auch etwas davon erlebest und genießest. Es war ein freudloses Dasein, das ich nun fast 2 Wochen getragen...
Ich kann den Augenblick nicht erfassen und bin mir des so vielen Guten und Schönen, das mir zufällt, nicht insgesammt bewußt; lasse mich durch Kleinigkeiten verwirren (und das zu überwinden, habe ich doch so sehr an mir geübt!). Es gibt kurze Momente, wo ich Kraft und Freiheit empfinde und das Glück plötzlich ahne. - Gottlob, es geht mir gut und ich denke klar und ich habe Zeit vor mir...
Ich arbeite täglich und bin bei meinem Stück an dem mißlichen Moment, mehrere Ideen in eine Form zu zwingen. Es wird, hoffe ich, gut...


(Heidelberg,) 17. S. 1913
Ich werde aus den Briefen dieser nächsten Zeit an Dich eine Art Tagebuch machen; täglich daran schreiben, wenn auch nicht täglich posten.
Hier empfingen mich Kälte und Regenwetter, aber dafür begrüßte mich gleich am Bahnhof die reizende Frau Lilly (geb. Meyer), die zufällig da war. Es war eine so freundliche Begrüßung, daß ich sie als einen guten Anfang deute.
Die Abreise gestern wurde mir sehr schwer, denn sie führt zu halb unbekanntem Terrain; das, glaube ich, machte mich unruhig. - Ich schrieb auch an Frau B. (à propos de sa vie nouvelle) daß man das Leben fortwährend von Neuem beginnt. - Heute früh hatte ich auch so eine ähnliche Empfindung, wie damals, als ich zuerst nach Leipzig fuhr.
Schade, daß es so grau ist!
Für das Nocturne symphonique hatte ich mir eine schöne Ausgabe gedacht, mit einer Radierung und noch Anderem. Es wird aber nicht möglich werden.
Wenn ich mich nach “Radierern” umsehe, so steht, geistig, Klinger noch immer als Haupt da...
Wie man einen Maler schätzt, merkt man erst klar und deutlich, wenn man sich zu einem Kauf oder einem Auftrag zu entscheiden hat.
So schätze ich Boccioni sehr, möchte aber kein Titelblatt von ihm bestellen...
In der letzten Nacht wurde ich eine gewisse zweistimmige Imitation nicht los. Ich drehte mich um im Bett, in der Hoffnung, die Passage würde in der Umkehrung erscheinen, aber sie blieb hartnäckig. -...


(Heidelberg,) 18. Sptbr. 1913
Gestern regnete es derart, “daß alle Schweine rein und alle Menschen dreckig wurden” (sagt Lichtenberg).
Heute ist ein sonniger frischer Morgen und ich fühle Wanderschaft-Stimmung, nach unbekannten Zielen; ich schwebe zwischen Vergangenheit und Zukunft, segle zwischen zwei Ufern, ziehe im Raum, und Heidelberg ist nur ein Name, denn ich bin nirgends.
In einem älteren Katalog fand ich ein “livre mystique” von Balzac, 1835, leider schon (zum unwürdigen Preis von 6 Mark) verkauft. Das ist mir unbekannt und muß eine Seltenheit sein. Vielleicht enthielt es den ersten Druck von “la dernière Fee” und “Séraphita”.
Fast bereue ich daß ich Bodanzky meinen Besuch angemeldet. Er wirft mich in die Realität zurück. Ich denke, daß ich heute Nachmittag hinfahre und wahrscheinlich morgen weiter, südwärts.
Mit diesem letzten Worte ist man schon Dichter, so vielen Zauber enthält es, und immer wieder.
Schön ist die Landschaft, wenn sie sonnenbelebt ist, und wenn man weiß, daß man nicht an den Fleck gebunden ist. - ... Ich fühle [mich] heute recht jugendlichunbestimmt und ganz froh, fast ohne Gewicht. -
Du warst so sehr lieb, Du bist so gut!...


(Heidelberg,) 19. Septbr. 1913
Als ich gestern Abends Bodanzky aufsuchen wollte war er schon im Theater und dirigierte den Sommernachtstraum; so trafen wir uns erst nach der Vorstellung. -
B. will die Turandot auf die Bühne bringen, womöglich noch in dieser Saison. Wir sprachen von Sommernachtstraum-Musik und wie er [bei] Zemlinsky eine Musik zu Cymbeline bestellt hätte.
“Wäre ich Norweger - -“ fing ich an; und in demselben Augenblick sagte B.: “Zum Peer Gynt sollten Sie eine Musik schreiben! Würden Sie das thun? Mit der von Grieg führe ich ihn nicht auf.” Das lockt mich sehr stark, aber wie treffe ich das “Norwegische”? Das läßt sich nicht so “dichterisch” machen, wie orientalische Theater--Musik, dazu liegt das Land uns zu nahe. Das müßte “echt” sein und ein Fremder trifft es nicht.
Bodanzky verwandelt sich fortwährend, Hand in Hand mit dem Bekanntwerden mit anderen Werken. In seiner Jugend hatte Wagner alles andere verdrängt. Jetzt begeistert er sich an den “Hugenotten”, die er eben einstudiert. - Die neueste Generation beginnt zu opponieren... Die hat es besser, als meine, die den Wagner von der Geburt an auf den Schultern schleppen mußte!
Aber alles das, so interessant es ist, hat mich aus meinem abstrakten Zustand gerissen, wie ich befürchtete...
Ich kam um 1 Uhr Nachts nach Heidelberg zurück und schlief zehn Stunden.
Nachmittag fahre ich also weiter... Ich denke, ich mache in Basel Halt.
Der Himmel macht ein süß-säuerliches Gesicht. -
Das Weiterreisen fällt mir schwer, aus diesem Trägheitsgesetz, das nun einmal in mir zu sein scheint. -...


(Genf,) Sonntag, 21. S. 1913
Gestern schrieb ich nicht; die Nachtfahrt - zu kurz, und ohne Schlafwagen - hatte mich sehr ermüdet. Aber die Stimmung bei meiner Ankunft in Basel den Abend vorher - ich meine die Stimmung der Stadt - war so kleinlich und langweilig und unveränderlich, daß ich davon nichts wissen wollte und den nächsten Zug nahm, um für jeden Preis wegzukommen...
Auch diese Stadt ist schwer erträglich und leicht erschöpfbar.
Man sollte doch mit dem Leben sparen. Wie man ein unbedeutendes Buch auch nicht zum 2. Male liest, so sollte man nicht zur selben Stelle zurückgehen, die ihren Inhalt schon hergegeben hat. - (Auch mit Menschen sollte man eigentlich nicht anders [verfahren]; doch da spielt Rücksicht, Empfindung, Schicksal mit, mit denen man rechnen muß.)
Um so erfreulicher war es mir, Benni in einem frischen, klaren und sichereren Zustand anzutreffen, als jemals in den letzten Jahren. Und wir freuten uns, schön von Dir zu sprechen und Du warst mit uns beim Thee, auf dem sonst antipathischen Hotelzimmer. -
Und nun ist A. zufällig da und B. wartet; und somit Adieu allen schwebenden Reiseflügen und abstrakten Wanderungen, die ich erhoffte: überall stehen Schildwachen am Wege und nehmen einem was ab und sagen Halt da!
Mit großer Ergriffenheit las ich den “Urfaust”, d.i. die erste Fassung von Goethes Faust, wo alles mögliche noch fehlt, und die Gretchengeschichte das Hauptmoment ist; so ursprünglich, lebendig (zum großen Theile in Prosa) und erlebt, daß man nicht ruhig hält. Wie das hier zusammenhält, und wie sorgfältig an den scheinbar schlichten Versen nachträglich gearbeitet wurde!
In diesem Fragment - z. B. - zum Schluß (nach dem Ruf Mephisto’s “Sie ist gerichtet”) fehlt das folgende: “ist gerettet.”
Verstehst Du, welchen ungeheueren Schritt in Goethes Lebensauffassung diese 3 Worte bedeuten?
Auch der Osterchor ist noch nicht vorhanden. –
“Es war ein König in Thule
“Einen goldnen Becher er hett
“Empfangen von seiner Buhle
“Auf ihrem Todtenbett”
(wie lehrreich diese Versuche sind).
Liebe Frau Gerda, à propos Goethe, ich fand hier ein so wundervolles Exemplar von der “Ausgabe letzter Hand” in 55 einzelnen Bänden für den Preis von 10 frcs.!, daß ich es nahm, obwohl ich es schon besitze...
Ich las unterwegs Carducci (um Italienisch zu üben), der gegen Mücken kämpft und nach ihnen mit der Leyer haut; - und ein treffliches Büchlein Schopenhauers “über Schriftstellerei und Styl”, worinnen er erbaulich auf die Rezensenten schimpft, und darin mit Carducci einig ist. -...


[Genf,] 22. S. 1913
Endlich: strahlendes frisches Herbstwetter... Morgen ziehe ich weiter, wohin weiß ich noch nicht (theoretisch stelle ich mir gern die unbegrenzte Freiheit vor), doch ist es wahrscheinlich, daß ich noch eine Station vor Bergamo mache. -
Ich vergaß zu berichten, daß ich in Basel am badischen (deutschen) Bahnhof ausstieg und daß dieser Bahnhof eine ganz neue Anlage mit einem ganz neuen und monumentalen Stationsgebäude ist... Das Gebäude ist in dem neuzeitlichen flachen “griechischen” Styl, ohne Ornamente und Kapitelle, lang gestreckt und mit einem viereckigen Thurme. Es ist ein sehr guter Bau. Wenn ich “neuzeitlich” schreibe, so denke ich mit ironischer Wehmut an jenen Brief Liszt’s, der von der “modernen” Façade der alten Genfer Kathedrale Nachricht giebt, und die im napoleonischen Geschmack steht. Sie störte ihn damals und uns ist sie jetzt historisch merkwürdig. Immerhin: gut, daß wir einen “neuzeitlichen” Styl besitzen. Davon konnten die Briefe aus den 70er und 80er Jahren nichts mittheilen! -
Auch Arno Holz denkt, einen neuzeitlichen Styl geschaffen zu haben. Ich ließ mich von einem Buchhändler überreden, sein “Ignorabimus” zu kaufen und konnte, von den 200 Seiten, nicht mehr als zehn lesen... Seine Vorrede schließt: “Geschrieben in dem Jahre, in welchem Impotenz Trumpf war”... Das ehrliche, grimmige Geschimpfe Schopenhauers (“Hundsfott”, “Strohkopf”, “Charlatan”, “Tintenkleckser”) wirkt niemals gemein, weil es aus Liebe zu einer größeren Sache, als er selber, ihm vom Herzen kommt...


(Milano,) 24. Sett. 1913
An diesem noch nie gesehenen Tage traf ich Morgens vor 7 hier an. Ich benutzte die schöne Stunde um mir “das Erwachen der Stadt” anzusehen. Es hat hier aber nichts Nerven-Reizendes, vielmehr etwas vom Spielzeug, das man aus der Schachtel packt und wieder aufstellt. Dann beginnt die kleine Maschinerie im Kreis zu laufen. - Zwischen Genf und Mailand gibt es nichts, was werth wäre, das “Arrêt facultatif” zu benutzen. Die Strecke ist übrigens fast zu kurz für eine Nachtreise. -...
Gutes Wetter. Die Bäume schon herbstlich, frisch; doch so, daß ich am offenen Fenster schreibe...
Vielleicht fahre ich schon heute nach Bergamo, wo ich Deinen Brief zu finden hoffe... Berlin ist gewiß jetzt sehr schön!? Mailand ist dagegen “kalt”. -…


(Milano,) 25. S. 1913
...Ich schrieb an Serato und während des Schreibens - unbeabsichtigt zuerst - fiel mir der Schluß zu einer Beethoven-Cadenz (für Geige) ein; dann der Anfang, und als ich den Brief schon geschlossen hatte, auch die Verbindung der beiden Versuche. So hatte ich die ganze Cadenz beisammen (allerdings aus dem Gedächtnis nur, und ohne Clavier und selbst ohne Notenpapier)...
Von Büchern fand ich einen sehr schönen “Novellino” Genf, 1765, auf gelbem Papier in Pergament; “les Nuits d’Young”, mit 2 Kupfern nach Deveria, einen Don Quixote mit Stichen nach Horace Vernet, die erste Ausgabe von Musset’s Novellen. - Den Genfer Novellino erstand ich aber nicht in Genf, sondern hier. Der Goethe dürfte schon in Berlin sein. Von außen sehr gealtert, innerlich aber herrlich, Originalbände, die man lieber behalten sollte...
Ich fahre heute Nachmittag nach Bergamo und wahrscheinlich (nach weiteren 2 Tagen) nach Bologna. Hätte ich dort einen Menschen, mit dem ich mich vertraulich aussprechen könnte und der mich “kennt”: es wäre mir viel leichter. Serato oder Tagliapietra wären schon dazu ganz gut. Vielleicht, daß ich den Brugnoli ein wenig herüberrufe. - Gestern sah ich Boito im Wagen vorbeifahren. Sonst niemanden...


Bergamo, 26. S. 1913
Es scheint mir schon ein wenig komisch, auf Deutsch zu schreiben. - Ich kam hier gleich nach Sonnenuntergang an, die Fahrt in die Stadt war voll fantastischer Eindrücke, unwahrscheinlich, und die Zeit schien - wie durch Wells’ Time-Machine, oder wie in Andersens Glücksgaloschen - zurückgeruckt. - Hier oben, heute Morgen, in Augustos [1] Bücherzimmer ist’s schön und hell; man schaut hinunter in das Nächste und hinaus in das Weiteste: es ist ein ideales Arbeitszimmer - - am Vormittag... Und es war herrlich, Deinen Brief anzutreffen. Die übrigen Briefe waren alle mehr oder weniger gleichgültig...
Pfitzner frägt ob ich nicht sein Trio spielen werde und ob er die Partitur vom Nocturne symphonique haben kann. Er soll zu Frau B., mit dem Seufzer eines Märtyrers, gesagt haben: “Es wird schon so kommen, daß ich Busonis Stück aufführe und er nicht mein Trio spielt.”
Es wird aber umgekehrt kommen, denn ich werde sein Trio am 12. Januar spielen und mich hüten, diesem rohen Orchester das Nocturne zu geben; welches Stück aus Nervenfäden gewebt ist. -...
Im Ganzen betrachtet, waren meine vierziger Jahre die besten. Ich fühle mich kräftiger und begabter, bin erfolgreicher und unabhängiger...
Dieses Leben hier, ohne Hoffnung auf Ereignisse, ohne Aussicht auf Änderung, ohne Geselligkeit, ohne Frauen - wenn die Tagesarbeit beendet und der Abend wie ein Vorhang fällt, die Finsternis eintritt; - und der nächste Morgen gleich tausend anderen Morgen wieder beginnt und auf den tausendsten leeren, einsamen finsteren Abend zuschreitet - - - trotz aller Schönheit und Eigenart des Ortes: man muß hier zum ingrimmigen Sonderling werden! -
Aber so ein paar Tage, bei diesem schönen Herbstwetter, sind angenehm zu verleben: doch der Tag scheint lang, zumal wenn man - wie ich heute - um 7 Uhr, aufsteht. -
Ich freue mich auf den nächsten Brief und danke Dir für den vorigen...

[1] Dr. Augusto Anzoletti.


Bergamo 27. S. 1913
Wenn ich an Einiges meiner Kindheit zurückdenke, so merke ich, daß ich ein intelligenter Knabe war. Ich hatte ein großes, schönes Spielzeug-Theater - in meinem 12. Jahre - mit einer ziemlich großartigen Stadt-Dekoration. Die gefiel mir sehr, stimmte mich aber traurig. Ich begann mich zu fragen, warum, und fand auch die Antwort. - Weil keine Menschen darin gehen. - An diese Dekoration mußte ich hier, in Bergamo, wieder denken. - Diese Stadt hat eine ungeahnte Ausdehnung. Wir gingen gestern von Anzolettis Wohnung zur Fabrik, volle 35 Minuten, immer zwischen Häusern und durch Vorstadtstraßen. -
Wir sahen dem “Gießen” zu, es gibt ein schönes Bild. Das flüssige Eisen, die Reflexe, die im Halbdunkel bewegten Männergestalten, die fantastischen Oefen und Räder: im Hintergrunde offene Thüre und dahinter sonnige Landschaft. Es ist ein interessantes kleines Reich, worin unser Freund [1] regiert. -...
Abends stiegen wir noch etwa 20-25 Minuten weiter, hinter der Wohnung, hinauf zu einem Wirthshaus Belvedere. - Nach dem kleinen Abendessen war es _ 9 Uhr geworden, d.h. vollständige Nachtzeit und vollkommene Verlassenheit. - Wir tauchten noch in das “Gewühl” der unteren Neustadt, wo es Caféhausleben gibt und sogar ein Varieté.
Drinnen nur Männer im Publikum, was ein wenig an den Westen von Amerika erinnert. Trotzdem sie alle von dem Paar schäbiger singender Frauenzimmer angezogen sind, geberden sie sich gleichgültig, überlegen und sehen kaum auf die Bühne. - Dieses Überlegen-Thun und Blasiertsein in Italien ist eigentlich ein provinzieller Zug, verbunden mit Unnaivetät.
Gegen Bergamo ist z.B. Genf durchaus “kitschig”, aber viel weltmännischer. - Natürlich ist die Trennung der Geschlechter hier an vielen Mängeln Schuld, im ganzen Königreiche. -
Ich hab’ mich gestern ordentlich ermüdet, wir waren von 4-11 unterwegs. Um 11 Uhr nahmen wir an der Bahn ein Automobil, es gab wieder eine märchenhafte Fahrt über die Wälle und durch Gassen, die den Wagen kaum durchließen. Auf dieser Fahrt begegneten wir, buchstäblich, nicht einem einzigen Menschen. - Ein “modernes” Seitenstück zu Bergamo ist das amerikanische Pittsburgh; ich werde die 4 Meilen Motorfahrt, den Berg hinauf zur reichen Stadt, nie vergessen. Unten rauchten, immer tiefer und immer zahlreicher die Kamine, häuften sich die Dächer: da hausen die “Morlocks”; oben fanden wir reine Luft, Marmorgebäude, Parks und Nichtsthun. - Auch kam mir der schöne Theater-Abend in Varese, vor 2 Jahren, wieder in’s Gedächtnis, mit der Kerzenbeleuchtung, den schönen Provinz--Damen und dem feierlichen Galatreiben bei großer Behaglichkeit. -
Dieser Brief besteht aus Reminiszenzen; wenn man hier wohnte, würde man seine Memoiren niederschreiben. -
Heute ist’s bewölkt. Bei klarem Wetter soll man den Mailänder Dom sehen können.
Umsonst habe ich mich auf die Post gefreut; man ist hier davon mehr abhängig, als anderswo. -...

[1] Emilio Anzoletti.


Bergamo 28. S. 1913
Ich nehme heute Abschied von meiner Ferienzeit, freue mich wieder auf die Arbeit. Gestern hatte ich sehr starkes “Lampenfieber”, wie vor einem wichtigen Concert, so daß ich mich krank fühlte.
Wir haben die Anstalt Augustos besucht und ein Institut “für graphische Künste”, welches allerhand Kunst- und Farbendrucke herstellt. Ich habe in den letzten Tagen die ungeheuerliche Überzeugung gewonnen, daß die Italiener (jetzt) nicht ein kunstsinniges Volk sind.
Sie lesen, hören und sehen schlecht; sie bauen häßlich, sie statten ihr Heim ohne Geschmack aus, sie sind in Alledem unwissend und schlecht oder gar nicht beeinflußt und machen einen dicken Strich zwischen dem, was geschichtlich und dem, was gegenwärtig ist...
Die Menschen erkennen immer klarer, daß nichts von Bestand ist, daß alles auf den Augenblick gestellt werden muß; warum dann die große Wichtigkeit des Geldmachens? Da versagt ihre Erkenntnis, wie in dem bekannten Narren von Cervantes. -
Ein grauer Sonntag - gestern Abends zogen wir uns um 8 ins Haus zurück, ich schlief schlecht; es ist nicht heiter in Italien.
Nimm das als Tagebuch; morgen schreibe ich was Schöneres hinein...
(Es geht mir besser.)
Anzoletti las die Skizze zu “Arlecchino” und sie gefiel ihm. - Anfossi sagte ihm à propos der Sonatina Seconda, daß ich nicht wußte, was ich that (“- - glauben Sie mir.”)


(Bologna,) 2. Okt. 1913
Sonne, Stille, Klosterhof, Brunnen, Jemand trällert ein Lied im Nebenhause; dann wieder Wolken, die die Sonne verschleiern, kein Mensch sichtbar. Neben mir, im nächsten Zimmer, steht das napoleonische Bett Rossinis, schlummert seine Perücke - wessen Haare mögen es sein? - Die alte Portiersfrau, dick, gutmüthig, weißhaarig, schnurrbärtig, begrüßte mich mit erhobenen Armen: Benvenuto, Sig.r Direttore, Lei, che è amato da tutti - -!
Der Portier, schöner Mann, noch kräftig, hat mich als Knaben gekannt: l’ho conosciuto giovinetto, e ora è divenuto tanto grande - -! -
Seit gestern sehr thätig, Besuche, Administration, Concertprogramme. Seit acht Tagen esse ich täglich Feigen. (Sie müssen fast direkt vom Baum genossen werden.) -
Die Claviere sind aufgestellt. - Vielleicht, daß ich hier im Hause wohnen kann. -
Foscolo soll geschrieben haben: “Alles, was man für Geld erwerben kann, ist nicht so viel werth als das Geld selbst; mehr werth als das Geld ist das, was man für Geld nicht haben kann.” Sollte in goldenen Lettern am Sockel der Freiheitsstatue, New York, N. Y. - U.S.A., eingegraben werden.
Bin sehr zerstreut. Noch keine Sammlung.
Viel zu viele Männer, gar keine Frauen...
Die Leute kommen erst allmählig in die Stadt, dalle campagne...
Ich sehe auf dem Kalender, daß morgen und übermorgen Feiertage sind. - Hier sagt man, anstatt Daten, die Namen der Heiligen. Morgen (Pardon: übermorgen) ist nicht der 4. Oktober, sondern “San Petronio”...
Gestern besuchte ich den Sindaco in dem pompösen Stadthaus. Die große Treppe ist fast flach; man ist früher hinauf geritten. Man kommt wie zu Hof.
Ich habe einen Seiten- Quer- und Schreckensweg vom Hotel zum Liceo gefunden, um den Leuten auszweichen. Er ist curios, alt, eng, winklig: in fensterlosen Eingängen unbeschreiblicher Häuser, sieht man Frauen (Kokotten) beisammen hocken, wie Ziegen im Stall. - La via dell’inferno, heißt der Weg im Volksmunde. - -
Ich lerne Boulogneis. -
Verzeihe den Chronik-Styl. -
Wie schön, daß Du auf der Welt bist, liebe Gerda...


Bologna, 3.Ott. 1913
Eine Stadt ohne Wasser und ohne Bäume, wäre fast ein Unikum; wenn die Nachbarstädte (bis Modena) nicht nach demselben “Stampo” geartet wären. Um so herrlicher wirkt die Landschaft. Welche Linien! Reichthum an Formen! Fülle der Lebendigkeit! - Wir machten, die beiden Anzoletti und ich, gestern eine Automobilfahrt, um auf Umwegen hinauf nach S. Vittore zu kommen.
Eine schöne Fahrt! Hügel auf, Hügel ab (es wogt wie ein Meer) und über mit Gras bewachsenen Wegen, so daß der Chauffeur sich fragend nach uns umsah. -
Wir kamen an monumentalen Landhäusern vorbei; zwei davon tragen nach den alten Adelsnamen Mazzacorati, welcher von Amazza-Curati kommt und Pfaffenmörder bedeutet.
Ja, sie mordeten und stahlen, (doch vollkommen ist kein Mensch)” singt Heine...
Der Abend hier ist schlimm und ich muß noch die Form finden, ihn auszufüllen.
Zieht man sich, gegen 11, in’s Haus zurück (wenn alles ausgestorben scheint), dann wird man - im Bett durch die Fülle des Lärmes überrascht und gestört. Ich glaube, eben die große Stille macht, daß man jeden einzelnen Laut hört. -
Drei Orchester-Concerte sind festgesetzt: die Einladungen an Serato und Petri, so wie die Aufführung der “Faust-Symphonie” fast beschlossen. Diese kennt man hier ebenso wenig, als Brahms’ Violin-Konzert. - Ich denke, das letzte Programm dürfte sein:
Freischütz-Ouvertüre
Franck, Les Djinns
Liszt, Spanische Rhapsodie
Liszt, Faust-Symphonie.
Alles neu für Bologna. -
Noch immer thu’ ich Nichts, obwohl ich täglich 5-6 Briefe schreibe, Unterredungen habe, Projecte mache. -
Es ist nicht so, daß ich Dich ungestüm aufforderte herunter zu reisen. Mais, nous verrons!
Danke für den schönen Brief, bei jedem angenehmen Anlaß denke ich an Dich und auch sonst...


Bologna, 4 Ott. 1913
Deine Briefe sind erfrischend, echt und lebendig, wie Deine ganze Art. Ich weiß, daß ich abstrakt und vortragsmäßig schreibe; doch muß ich Dir Alles sagen, was mir durch den Kopf kommt, und ich reflektiere viel. Die “Fachsachen” lade ich manchmal an Egon ab. Jedoch, Du weißt (Du am besten), daß ich Gefühl habe. Nicht wahr, liebe Gerda?
Eben kommt Deine Karte aus Weimar; es ist mir eine Beruhigung, daß Du auch ohne mich etwas unternimmst. Bis zur Wartburg (Eisenach) ist noch ein Stückchen. Diese sinnlichen Herbstlandschaften vermisse ich hier. -
Ob es für mich nicht zu spät ist, mich zurückzupflanzen? - Ich sehe zu klar und zu Einigem muß ich mich zwingen. -
Es wurde mir erzählt, die alte Königin [Margherita] hätte sich sehr lebhaft über meine Kunst geäußert. -
Diese Zeilen finden Dich wohl wieder zu Hause? Sei froh. Ich liebe Dich. (Auch Benni versteht Dich jetzt ganz anders.) Augusto-Sonderling hat mir sehr viel geholfen. Leider muß er in wenigen Tagen nach seiner Insel. -


Bologna, 5. Ottb. 1913
Noch seh’ ich nicht klar, wie ich meine Arbeiten eintheilen und zu Ende bringen soll, aber ich werde finden.
Abends zu arbeiten ist hier unmöglich und den Gedanken, im Liceo zu schlafen, habe ich aufgegeben. Denn es gibt kein Licht, und in der ganzen Etage wohnt Niemand - - -
“nehme ich aus einige Ratten, Mäuse, ein Paar Eulen, so behaupt’ ich mit Recht: kein lebend’ Wesen.” [1]
Ich müßte den großen Saal, den enormen Corridor mit einer Kerze durchlaufen und dann die Nachbarschaft dieser schwarzen Leere tragen. Alle Wände hängen voller alter Herren, einige davon nicht zu intimer Bekanntschaft, ihrem Aussehen nach, einladend. Da ist ein Zwerg, besonders, der mir fatal ist; und ich dächte, er käme in’s Zimmer, mit der Perrücke Rossinis angethan und gäbe mir seine Notenrolle zum Durchspielen. Und gleich daneben ist die Bibliothek, die schweigt und hält ihre alten langweiligen, unnützen Bücher fest und geordnet; darin ist ein Spinett - - wenn es zu klimpern anfinge..?
Ein Glas Wein zuviel vor dem Schlafengehen, und ich könnte in einer Nacht meine sämmtlichen Haare verlieren. - Aber Italien hat keine Gespenster, das Gespenst ist hier fast so entweiht und lächerlich, wie bei Wilde. - (Ich glaube, es ist sogar unrichtig, wenn Mereschkowsky eine italienische Hexe zum Schornstein hinaus reiten läßt; das ist germanische Hexengewohnheit.)
Nein, die Italiener sind “matter-of-fact”, sie sehen die Sterne klipp-klar und strahlenlos, und wenn sie mordeten, hatten sie keine Angst vor “Revenants”. Morden war ein sicheres Geschäft, wenn man Ruhe haben wollte. Die Unannehmlichkeiten hörten damit auf; während in deutschen Mordgeschichten das Unangenehme erst recht dann beginnt, wenn die Person todtgeschlagen ist. Dafür scheint man hier die Lebendigen umso mehr zu fürchten. - Ja, Jeder fürchtet den Anderen...
Augusto hat immer die Theorie, daß die besten Leute nicht zum Vorschein kommen; eben weil sie zu weise sind, um es zu thun. -
Heute kam Deine Karte aus Eisenach; ich hoffe (und ich glaube zu lesen) daß Du ein bischen Vergnügen hattest...

[1] Zitat aus der “Brautwahl”.


Bologna, 6. Ott. 1913
Gestern Abends mit Anzoletti äußerst anregend, über Poesie, Sprache, Medicin und vieles Andere gesprochen. Welche schöne Intelligenz!...

7. Ott. Vormittag
Frau Jella ankam in “good spirits”; ich zeigte ihr Santo Stefano und war selber außergewöhnlich ergriffen von der herben Mystik und der Form dieses Raumes, in dem der Altar, wie in einem Etui, steht. Dieser Altar, der in einer einzigen Linie Altar, Kanzel und zwei verschieden lange Treppen vereint, ist wie eine musikalische Composition streng und anmuthig zugleich, von schönem Material, sinnlicher Farbe, ein Symbol seines Zweckes und von einziger Formung - - - vielleicht nur Bach, in einem seiner besten Momente, hat in der Musik etwas Gleiches.
Glaube - Unbefangenheit - vollkommenes Anpassen der Form dem Zwecke - diese Momente sind uns verloren!...

Nachmittag
Vor 300 Jahren, oder mehr, trug sich in Bologna Folgendes zu: Ein junger Bologneser gerieth auf der Straße mit einem jungen Fremden in Streit und wurde von diesem im Zweikampf auf der Stelle getödtet. Der Fremde flüchtete in ein Haus, dessen Thor seinem Drängen nachgab, stieg die Treppe [hinauf] und fand sich oben vor einer noblen Dame; er fiel auf die Kniee, bat um Schutz (er gestand seine That) und die Dame gewährte ihm einen sicheren Versteck in den inneren Gemächern ihres Hauses, indem sie schwur, ihm das Leben erhalten zu helfen. - Kurz darauf meldete sich die Patrouille, fragte nach dem Flüchtling, durchsuchte das Haus, fand aber weder eine Antwort, noch den Gesuchten.
Da sagte der Hauptmann laut: Diese Dame muß nicht wissen, daß der Versteckte der Mörder ihres Sohnes ist. - Nach einem kurzen heroischen Entschluß aber leugnete die Dame weiter, verabschiedete die Justiz und begab sich zum Fremden; sie sagte: Du hast mir meinen Sohn genommen, nun sollst Du, statt seiner, mein Sohn sein. -
Dieser That zu gedenken, wurde nachher die Straße Strada Pia, der Barmherzigkeit, genannt. - Ich finde die Chronik einfach und schön, und schöner als die gewohnten Dreieck-Dramen, mit dem betrogenen Mann. Es ließe sich ein guter Einakter daraus dichten. -...


(Bologna,) 10. O. 1913
Marinetti “manifestiert” die Wichtigkeit des Variété, als des wahren futuristischen Theaters. -
Ich finde: das Variété ist der alte Jahrmarkt, mit dem Unterschied, daß auf dem Jahrmarkt die Darbietungen an verschiedenen Stellen zugleich vor sich gehen, im Variété an einer Stelle hintereinander.
Dieses Journal wird, fürchte ich, wegen Mangel an Material verkümmern. - Aber heute habe ich noch eine gute Notiz einzutragen. Ich habe gestern eine Villa gesehen, die mir sehr gefiel...
Hinaus bei Porta Maggiore setzt sich die Straße, die hinführt, in der Vorstadt und in gerader Linie fort. Es sind fast nur Mauern mit “Portici”, immer Portici und immer gerade, wie gewisse Bilder von “Nemo in Slumberland”. Tritt man durch das Tor von Nr 55, so ist auf der anderen Seite der Mauer Garten und Land, weit und frei, bis zu den letzten Hügeln. Es ist genau die Situation wie in Wells’ Erzählung: “the door in the wall”. Es ist überraschend schön! Das Haus ist kein “Villino” und auch kein Schloß, aber ein herrschaftliches Landhaus. Es würde Dir gefallen und es ist zu haben. Ist das Haus im Innern auch gut, dann werde ich es nehmen.
Ich hätte dann vorläufig diesen Plan. Den Frühling und den Herbst hier zuzubringen, den Winter zu reisen und ein wenig (Weihnachten und Januar) in Berlin zu sein. Aber Juli und August (das sagte auch der Gärtner) sind hier nicht zu ertragen und ich wünschte darum sehr, meine Sommer-Arbeit in Berlin zu halten und möchte, bevor ich ein Greis bin, diese Freude, die mir nothwendig ist, genießen. Sie erhält mich jung, sonst falle ich vorzeitig zusammen. - Dazu muß eine Wohnung in Berlin bleiben. Ich glaube, es läßt sich Alles machen und ich möchte Deine Ansicht hören.
Vielleicht wird es noch sehr schön und auch nach Dei-nem Wunsche. Also freuen wir uns, liebe Frau Gerda, Du und Dein
Ferruccio.


(Bologna,) 11. Ott. 1913
Gestern besuchte mich der neu engagierte Capo Banda (die Kapelle, die hier die Militärmusik vertritt, dirigiert dieser Mann); er ist ein junger Neapolitaner, lebhaft, aufgeweckt, sympathisch. Kontrastiert angenehm gegen diese verstaubten Bologneser, die so alt sind wie ihre Institutionen.
Er kam wie aus einer anderen Welt. Hier ist viel Würde ohne Thatkraft; dieser Mann wirkte ganz “modern”, in dem guten Sinne. -


(Bologna,) den 15 Ott 1913
Eben waren mehrere Leute mit verschiedenen Anliegen da...
Trotzdem ich vieles hier in Händen habe, ist es sehr schwer, etwas auszurichten. (Es ist, als ob man mir eine Insel schenkte und das Schiff entzöge, um hinzukommen.)
1) die Direktion des Conservatoriums,
2) die Concerte der Società del Quartetto,
3) eine neue Musikzeitung, die zu meiner Verfügung steht,
4) einen Sitz in der Comission der Theatervorstellungen.
Dieses letzte ist das Hoffnungsloseste, denn alle zittern vor Ricordi und er befiehlt.
Es ist plötzlich kalt und sonnig, nach einer magengefährdenden Scirocco-Woche...
Auf ein schönes Wiedersehen und allen Segen...


(Bologna,) 21 Ottobre 1913
Bologna ist nicht viel anders wie Triest, man kennt vom Ausland was gerade zufällig kommt und verwechselt Sudermann mit Ibsen. Überdies steht es hier wie vor 30 Jahren, man thut und spricht dasselbe und S. Petronio ist, wie ich schon sprüchwörtlich sage, immer unvollendet. -
Dieser Tage war Marconi, der Bologneser ist, hier; er hat bei einem Automobil-Unglück ein Auge verloren.
Sollte das “Sehen ohne Augen” nicht auch eine mögliche Erfindung sein? Ich glaube an Alles, so lange nichts dagegen bewiesen ist! - Das Hören ohne Ohren ist ja in der Musik (beim Lesen) doch richtig da! -
Es fiel mir auf, daß ich im Traume niemals rauche, noch trinke. - Der Mechanismus des Träumens ist noch nie vollständig erklärt worden. Ich fing einmal an, ihn zu studieren und hatte ein Resultat. Wenn man etwas “Endloses” träumt, so ist es nur, weil man keinen neuen Gedanken hat. Ich träume daß ich fahre, und dieses Fahren geht so lange, bis ich einen anderen Einfall habe. In 5 Secunden kann man aber eine beliebig lange Strecke denken!...
Auf ein sehr schönes Wiedersehen, liebe Frau Gerda...


(Bologna,) 23 Ottobre 1913
Isadora Duncan, nach telegraphischer Anmeldung aus Viareggio, empfing mich gestern um 5 Uhr. Du weißt, daß sie vor 6 Monaten das unvorstellbare Unglück hatte, daß ihre beiden Kinder zusammen ertranken. Das ist unendlich hart und ernst, und sie muß schwer daran tragen. Trotzdem - als sie mir sagte, sie wäre jetzt nur Geist, und wie sie einen Monat vor der Katastrophe fortwährend drei schwarze Vögel im Zimmer flattern sah, und daß diese Vögel auch im Alterthum als die Vorboten des Todes galten - als sie das, und Anderes, sagte, mußte ich an d’Annunzio denken, der lächelnd-satisfait versicherte, er wäre unendlich unglücklich. -
“Richtig tanzen” könnte sie nicht mehr, aber sie möchte etwas Religiöses symbolisiren und “zu Chören von Palestrina einige Bewegungen machen”. - Bei Gott! -
Das kommende Genie - meint Isadora - wird ein göttlicher Tänzer sein, der sich selber komponiert und so die Kluft zwischen Musik und Tanz - wie sie jetzt besteht - ausfüllt.
Ihr Sohn - der nur 3 Jahre wurde - hätte die Anlagen zu diesem Genie gezeigt. -
Kaum hatte ich sie verlassen, als sie auch schon einen Brief an mich schrieb. -...
Denselben Abend hatte ich zu Borgattis eine Einladung. Die Renate that mir wohl, nach der Anderen. -
Das Haus ist reich, licht, neu, kalt und unkünstlerisch. Zum Schluß sang er 2 Szenen aus Parsifal, ausgezeichnet. Die Renate begleitet wie eine junge Stute, aber sie lacht Alles und führt. - Respighi war auch da. Er ist witzig. Man sprach von einer Operation, bei der man einen fehlenden Finger durch eine Zehe desselben Menschen ersetzt hatte. Sagte Respighi: Wenn der jetzt eine Ohrfeige gibt, ist es ein Fußtritt. - Er heirathet. - Ich sagte: das Leben ist kurz, die Ehe lang. -
In Bologna vergehen die Tage, aber nicht die Stunden. -
Ich besuchte eine Kirche, die als Turnhalle dient. Mit wenigen Änderungen, könnt man aus ihr den fehlenden Konzertsaal bilden. Ich habe schon den Plan fertig und niedergeschrieben. Der Turnlehrer “Professore” begrüßte mich mit den Worten: “er hätte schon früher das Vergnügen gehabt, mich zu belästigen.“ - Die Kirche, als solche unbedeutend, wäre als Concert-Saal außerordentlich. Da sieht man, um wie viel höher die Kirchen-Architektur stehen muß. -
Da Motta schrieb einen sehr lieben und warmen Brief, der mich wirklich erfreute. -


Bologna, 26. Ottobre 1913
...Freitag Abend sprach ein [Wahl-] Candidat auf dem offenen Platz auf einer Tribüne, vor dem Rathaus, und vor vielen tausend Männern. Es gab ein schönes, alterthümliches Bild.
Die Wahlen haben in der letzten Woche die Stadt unruhig gemacht und man sah noch mehr Männer, als sonst.
Die ganze Woche war, im Liceo, von den Prüfungen ausgefüllt. Es fiel mir auf, wie viel besser und anziehender die Mädchen sind, die Gesang studieren; das “angeborene” Instrument macht, daß sie sich ganz anders geben, als die Klavierspielenden... Ausgezeichnet ist die Schule der Streicher. -
In dieser Stadt ist eine große Disharmonie zwischen den Façaden der Häuser und dem Publikum auf der Straße. (Wie der Saal bei Wertheim, mit der Strumpfhandlung und den Wertheim-Mädels.)
Hast Du in Berlin das Puppenspiel vom Faust gesehen? Wenn es noch geht, sieh es Dir an für mich.
Hier gab es Fregoli [1], “man lacht.” -
Für Deine guten, lieben, verständnisreichen Briefe danke ich Dir von Herzen. Die Tage, die sie brachten, waren immer die schöneren.
Ich sehe Dich bald und küsse Dich...

[1] Verwandlungskünstler.


Ich werde wohl diese Woche zu Ende bleiben müssen, obwohl ich nicht weiß, wie ich dann mit allem fertig werde; ich bin ganz zappelig.
Und, bitte, bereite Dich vor, nach Rußland mitzufahren, sonst komme ich mir ganz heimathlos vor. Das heißt, ich kommandire es nicht; denke aber, daß es auch nach Deinem Wunsche ist. -.
[Bologna,] 28 Ottobre 1913



1914



(Tours,) 30.Ja. 1914
Ich fuhr von Nantes nach Tours, tun dort den großen Zug Paris-Bordeaux zu erreichen, und hatte 2 Stunden zu warten...
Architektonisch und landschaftlich von größten Reiz, sehr belebt - Frühlingswetter - ein “Muster”-Hotel das machte, daß ich sofort beschloß in Tours zu übernachten...
Es ist erstaunlich schön hier, die ganze Gegend voller Schlösser - auf dem Wege berührte ich Angers, Saumur, - und diese Kathedrale --!
Ich war einige Stunden sehr glücklich...


(Heidelberg,) 8. A[pril] 1914
Ich bin heute mit klaren Gedanken und in heiterer Laune in Heidelberg aufgewacht: - es wird aber jetzt dafür nötig sein, daß ich ohne Unterbrechung hinunterfahre. Ich las eine Juwelen-Diebstahl-Geschichte, und es sprang mir in die Augen, wie nie zuvor, daß “Besitz” ein leerer, sinnloser Begriff ist.
Solche berühmten Steine, die Namen und Geschichte haben, werden geerbt, verschenkt, gestohlen, getragen, im Schrank aufbewahrt - aber höchstens besitzen sie einen durch die Verantwortung und Gefahr, die sie auferlegen; aber Generationen sterben ab und die Steine sind unzerstörbar, gehen nie verloren und sie besuchen, sozusagen, abwechselnd die Menschen.
Ebenso ist es mit Grund ”besitz” und Schlössern, denn die Menschen gehen darauf, und aus und ein, und müssen sie verlassen; Grund und Schloß bestehen weiter.
Wenn Steine die Menschen aufsuchen, so empfangen Grund und Haus die Leute, die sich für Eigenthümer halten. - In Schluck und Jau versucht Hauptmann diesen Gedanken greifbar zu machen. Aber wirklich besitzen thut nur der Hebbel’sche Jude, der den Diamanten verschluckt hat.
So sagt Rückert, vom Goldstück:
Wer es besitzt, dem hilft es nicht;
Und wem es hilft, der leistet darauf Verzicht.
Es ist eine Einbildung, wenn Dr. v. Hase denkt, er be-säße das Haus Breitkopf & Härtel. Das Haus besitzt ihn ganz und gar, er ist sein Gefangener.
Dem “Besitzer” gehört nur das negative Recht, zerstören zu dürfen und auch das nur, wenn die Folgen ihn allein treffen...
Alles in Allem ist jetzt meine beste Zeit, ich sehe fest und freudig in die Zukunft, und bin glücklich daß Du an Allem betheiligt bist. -...
Von der [Buchhandlung] “Atlantic” erwarte ich die neue Ausgabe von “Le nouveau monde”... Nach dem Prospect bezieht sich das Buch leider auf America, und nicht (wie bei V[illiers] zu erwarten wäre) auf eine ideale Welt...
(Bin neugierig, wo sie eine neue “Aida” für die Eröffnung des Panama-Canals hernehmen werden!)...


(Bologna, Hôtel Baglioni,) 13 Giugno 1914
Ich habe mich - gestern um 5 Uhr - “kurzer Hand” entschlossen und bin hierher gezogen.
Allein war der Aufenthalt in der Villa unmöglich, oder doch wenigstens so schwer erträglich, daß er auf das Moralische und dadurch auch auf das Physische schädlich wirkte. - Die abendliche Heimkehr, die ein Entschluß wurde, führte mehr und mehr in’s Einsame und Dunkle...
Wie froh ging ich gestern Abends zu Bett, wie heiter bin ich heute aufgewacht!
Ich fühle mich schon halb auf der Reise...
Ich hatte eine schöne Freude, beim Bereiten der Bach--Ausgabe, an vier kürzeren Stücken, die Bach Duette nennt. Ich werde sie öffentlich spielen, denn sie sind so reif und hochstehend, wie die letzten Bagatellen von Beethoven. - Man entdeckt immer neue Sachen bei Bach... Meine Art “BachAusgaben” herzustellen hat sich verwandelt, und der II. Theil des Wohltemperierten Claviers würde sehr merkwürdig werden, wenn ich dazu käme, ihn auszuführen. - übrigens, je später ich ihn beginne, desto werthvoller und erfahrungsreicher wird er sich gestalten. -
Wir hatten drei Tage Strike-Wetter; alle Läden geschlossen, die Zeitungen erschienen nicht, die Post wurde nicht vertheilt, die Telegraphendrähte waren zerschnitten, Eisenbahnschienen ausgehoben, es gab - weiter unten - Kampfe und selbst tödtliche Vorgänge - mon Dieu! - - - auch der Mann von der Francesca streikte, doch wußte er - als man ihn fragte - selber nicht weshalb!
L’Augusto-Dottore nahm sich sogenannte Ferien. Aber er leidet mehr vom Unterbrechen seiner Gewohnheiten, als er die Ungebundenheit genießen kann. (Dieses kenne ich von mir selber.)...


(Bologna,) 15 Giugno 1914
Inzwischen kam Dein guter Brief und die Enveloppe mit den Zeitungen. Früher war Richard Strauß “ihnen” zu viel, und nun, da sie es gelten lassen, verlangen “sie”, fast drohend, mehr... Fanatiker eines gewesenen Glaubens gab es zu jeder Zeit. Ein mächtiges Beispiel jener “abtrünnige” Julian, den Ibsen nachdichtete. Der rabiate Anti-Mirakel-Doktor wiederholt sich immer, einzeln, oder in Gruppen.
Nebenbei, fand ich gerade heute Morgen, in den “nou-veaux contes cruels” [1], die Geschichte des “Mirakels” wiedererzählt. Ganz anders wie bei Gottfried Kellers “Legende”, ganz unbürgerlich, kürzer und stärker, in sieben Druckseiten...
Da ich Niemandem sagte, daß ich im “Baglioni” wohne, so findet mich keiner; ich bin so gut versteckt, wie der offen daliegende Brief aus Poe’s Erzählung. - Es geht mir, gottlob, besser. Der Aufenthalt im Hôtel, gibt mir bereits ein Reise-Gefühl und heute beginnt die letzte Woche. -
In einem Stück von Villiers de l’Isle-Adam verräth ein diabolischer Abbé “le secret de l’Église”. Es gibt (sagt er) kein Purgatorium! - Liebe Gerda, ich weiß das anders!
Aber gerade so, wie man in Amerika mich nie so spielen hört, wie ich kann (weil das Land es unmöglich macht), ebenso hat man mich hier nicht, auch wenn ich unter ihnen bin; weil ich durch das Milieu dazu gebracht werde, anders zu denken, zu sprechen, zu handeln, als ich in meinem Milieu vermag. - Es ist das fortwährende Mißverständnis... Genug.
Ich muß noch einen Lebensplan fassen und dazu muß ich zu Hause sein. - Schon deshalb ersehne ich den Augenblick und bin neugierig, wie die Berathung mit mir selber ausfällt, wie es weiter geht, wohin der neue “Ruck” führt. -...

[1] Von Villiers de 1’Isle-Adam.


(Bologna,) 17. Juni 1914
...Wenn ich länger von Hause, an einem Ort bin, so fühle ich [mich] so, als ob ich weit von mir selber wäre und müßte zu mir selber zurückkommen. Zuletzt bin ich nur mit dem Körper, den ich schwer schleppe, an dem fremden Ort.
Nur noch wenige Tage! Aber auch die Empfindung, Tage abzuwarten, nur damit sie vorbei gehen, ist demoralisierend...
Im übrigen bin ich in froher Erwartung - - -


(Bologna,) 21.Giugno 1914
Ist es heute, daß der Sommer beginnt? - Für mich ja, denn es ist Schlußtag in der Schule. Morgen will ich reisen...
Gestern war, auf eine halbe Stunde und zwischen zwei Zügen, Vollmoeller bei mir. In dieser halben Stunde war ich ein anderer Mensch. Man konnte von Dingen sprechen, ohne zuerst erklären zu müssen was die Dinge wären. Man sah die Vogelperspektive unter sich, ohne den Berg erst wieder zu ersteigen.
Hier ist z.B. das Theater eine allgemein wichtige Sache. Doch hab’ ich noch keinen gefunden, der wußte noch verstand - was ein ständiges Theater in Deutschland wäre. Ich habe das zwei oder drei mal versucht zu erklären und sah offene Mäuler und herausfallende Augen vor mir, aber kein Begreifen. Auch keine Lust, weiter in die Frage einzudringen. (Das ist nur ein Beispiel.) Sie bleiben zu sehr im Lande. Sie schwächen sich gegenseitig durch Diskutieren über die eigenen Zustände.
Alles wird persönlich und gipfelt in “Beziehungen”. Vollmoeller war 3 Monate in America und kam davon sehr erfrischt und belebt. (Er hat dort nicht Klavier gespielt!) Du weißt, ich möchte auch einmal Amerika, ohne Tournée, versuchen - - - -
Ich halte mich 2 Tage vielleicht unterwegs auf. So daß ich Donnerstag oder Freitag ankomme...
Wieder ein Kapitel-Schluß.
Auf das schönste Wiedersehen...



1915



Nach New York
(Chicago,) 27. Mz. 1915
Ich bin schon heute hier und mit angenehmen Gefühlen - relativement.
Ich betrachte die nächsten Tage als nothwendige Isolierung und Sammlung. -
Kansas City ist eine Stadt (?), die trotz ihrer Größe, ganz am Beginnen ist, völlig ohne Plan gebaut und überall unfertig. An das Aussehen haben sie noch nicht gedacht, Ton und Sitte sind echt Wild West, wenn auch mit Ablegung der Revolver. Aber es macht den Eindruck, als ob dort eine menschliche Gesellschaft sich zusammengefunden hätte, die vom socialen Dünkel noch frei geblieben und gemeinsam einem Ziele zustrebt: einen festen Grund zu legen und vorläufig nicht um Anderes sich kümmert...
Wie sehr schwer und falsch unser ganzes Lebenssystem ist, das bestätigte mir Wells, in seinem vortrefflichen Buch, das ich mitnahm: “In the days of the Comet”. - Darin entwirft er ein meisterliches Bild von der Verkehrtheit unserer Zustände, gesehen von einer späteren Zeit aus, nachdem ein Komet die Erde gestreift und die Luft chemisch gereinigt hat. Diese Reinigung die alle giftigen Stoffe tödtet - hat zur Folge, daß die Menschen klar werden und richtig denken. In diesem Buche, geschrieben 1906, beschreibt er prophetisch den gegenwärtigen Krieg und verurtheilt ihn in den entschiedensten Ausdrücken!
Und jetzt ist er selber “systematisch verblödet” und ein Kriegsfanatiker! -
Und Italien wird doch mitgehen - ich habe es immer gefühlt - und es wird kein Ende davon sein - - -!
Ach, liebe Gerda, es war nie meine Art, über “schlechte Zeiten” zu klagen. Ich glaubte, alle Zeiten wären gleich, - aber diese ist schlimmer. - Jeder Mensch müßte sich selbst bekämpfen (das ist’s worauf zu wenig Wichtigkeit gelegt wird) und jedes Land hätte genug zu thun und zu opfern, um sich selbst zu reinigen. - Und der Maschinen-Wahnsinn ist ebenso wenig vorwärtsbringend, ebenso tödtend und unglückfördernd wie der Krieg.
Die großen Arbeitgeber opfern für ihre eigene Genugthuung hundert Tausende von Menschen-Existenzen, nicht anders, als die Kriegsmacher.
Schaut man in das Herz des Industriedistriktes von England, so gibt das ein ebenso höllisches Bild, als das eines Schlachtfeldes. Arbeiter und Soldaten haben ein gleiches Los, eine identische Situation. - Und die Plätze, die die wohlhabenden Leute zur Schönheit und zur Erholung künstlich bauen, sehen miserabel aus und erwecken eine unbesiegbare Melancholie. -
Und das System, wie heute Kunst “vertrieben” wird, ist ganz und gar verschroben und ungesund. Es ist ein Wunder des Wesens der Kunst, das sie - trotzdem! noch lebt und schafft. Eigentlich ist alles gethan worden, um sie zu ersticken.
Abgesehen von diesen Betrachtungen, die immer bei mir sind, und gelegentlich kräftiger laut werden, - bin ich heute in einem annehmbaren Gleichgewicht meines Gemüthes. - Ich habe mich auch in den Gedanken ergeben, daß ich für einige Zeit nicht zum Arbeiten komme; aber das kann nicht anders sein... Man muß sich eine “Raison” machen und warten und die Wartezeit möglichst gut ausfüllen!
Ihr lieben Drei, ich sehe Euch da [1] klein-wirthschaften und sehe, daß Ihr das “Warten” in Euch habt, wie jeder Europäer. Hier versteht man auch Das nicht!...
Ich hoffe auf Deinen Brief und umarme Dich und die Jungen...

[1] In New York.


Nach New York
[Chicago,] 28. Mz. 1915
Gestern Abends war Konzert. Ich ging aus Politesse - ich weiß nicht wie es kam, daß Alle schon wußten, daß ich hier bin.
1. Schumann, Symphonie in C-dur. Außer zwei - drei anregenden Momenten und Erwartung-weckenden Anläufen, ein Stück so hilflos und voller Lücken...
2. Bach’s Chaconne, von Middelschulte für Streichorchester und Orgel gesetzt... Wenn man in diesem Stück beginnt Varianten zu kombinieren, so sind für, einen Kontrapunktiker so viele Möglichkeiten, daß es ihm schwer wird zu beweisen, warum er diese - anstatt einer anderen - gewählt hat. - Außerdem störte es immer wieder, daß die Herren Geiger, wenn sie die bekannten Stellen hatten, in den David-Joachim’schen Vortrag fielen!
3. Der erste Cellist spielte ein Violoncell-Concert von Molique.
4. Tschaikowsky’s “Hamlet”. Denken Sie, bitte, Hamlet und Tschaikowsky. Bella Combinazione. Alles klang veraltet und unbegabt. Stock gab es selber zu. - Das Programm war übrigens wie ein Thier mit Schweineschwanz, Hundekopf und Eselsrücken...
Nach dem Concert spielte ich mir selber (noch spät und leise) die Bagatellen von Beethoven vor. -
Ich wurde gewahr, daß die Chaconne für einen großen Apparat nicht ausreicht, - sie verliert an Größe. - Für Clavier klingt sie noch immer am homogensten. -


Nach New York
[Chicago, 30. März 1915]
...Ich beschäftige mich den ganzen Tag, lese, denke, spiele, esse, gehe gelegentlich aus, komme sofort wieder heim, schreibe, trinke Thee, rauche.
Das Buch von Wells hat mich sehr erhoben, aber wenn man es zuklappt, ist es als ob man von einem schönen Traum erwachte zur bitteren Wirklichkeit. - Auf das Konzert hier freue ich mich recht sehr.
Heute ist der 30. März. - Dieses Jahr war grausam! - Hebt zu der ewigen Kraft Eure Herzen! – Innige Grüße und Küsse von tiefster Seele
Eueres Ferruccio.


Nach New York
[Chicago, 31. März 1915]
Ich habe mit großer Dankbarkeit und Freude Deinen Brief empfangen und gelesen. Was das Ende meines Stückes [1] anlangt, so habe ich erstens zwei äußere Gründe:
1. ich folge der Tradition des Puppenspiels,
2. es gibt ein frappantes Bild.
Aber der innerlichen Logik gehorchend, ist dieser Schluß unvermeidlich. Dieser Mann ist weise genug, um eigene Gesetze haben zu dürfen; aber er hat seine Weisheit vergeblich gebraucht: Er ist mehrerer Morde schuldig und eigentlich keiner guten That verdienstlich.
Überdies ist der Teufel als Nachtwächter, vom Bösen sehr entfernt und ins Alltäglich-Menschliche gerückt, so daß die Situation kaum mehr symbolisch ist.
Endlich sagt Faust selbst:
“Ist das Leben nur ein Wahn,
Was kann der Tod mehr sein?“
So daß die Wirklichkeit des Teufelsbegriffes derart in Zweifel gezogen ist, daß sie ihre Bedeutung einbüßt.
Was hat der letzte Akt mehr mit dem Teufel zu thun? - Ein Mann, krank, enttäuscht und vom Gewissen geplagt, stirbt am Herzschlag und wird von dem Nachtwächter aufgefunden. - Das letzte Wort ist auch: “ein Verunglückter” (und nicht etwa: “verdammt” oder Ähnliches).
Was den Ausschlag gibt ist jedoch, daß ich das nicht anders fühle; und in dieser merkwürdigen Somnambulik, die mir das Ganze diktierte, wurde ich gerade hingeführt. -
Heute morgen wachte ich auf, als der Sonnenball aus dem Wasser stieg, gerade gegenüber meinem Bett. Er sah unheimlich und prähistorisch aus.

[1] Dr. Faust.


Nach New York
Das Orchester begrüßte mich mit einem lärmenden Dreiklang bei der heutigen Probe [1]. Für Morgen sind die Preise erhöht und der Saal wird ausverkauft. - Es gab einen angenehmen Lunch mit Stock, Middelschulte und Gunn. -
Die Clavierleute haben in demselben Ton geantwortet wie vorher, und so mache ich “Schluß” nach dem St. Louis-Concert... Dann tritt eine Stille ein und wir müssen berathen...
[Chicago,] am 1. April 1915

[1] Es war Busonis 49. Geburtstag.


Nach New York
[Chicago, 3. April] 1915
Es ist unheimlich, daß heute schon der dritte April ist. Aber ich habe meine Zeit nicht ganz verloren in Chicago. Middelschulte und ich besprachen manche kontrapunktische Frage, die dem Wohltemperierten Clavier zu Gute kommt. In meinem Rondeau Harlequinesque glaube ich weiter gekommen zu sein. Und ich hatte gestern ein sehr schönes Concert. -...
Die großen Industriellen von Chicago, die ein märchenhaftes Exportgeschäft nach Europa führen, behaupten, daß sie an den Bestellungen und Zahlungen die Finanzzustände Europas schätzen können, und daß der Krieg, nach den beobachteten Geldverhältnissen, spätestens im August zu Ende sein muß.
Gut und schlecht. Denn ein solches Kriegsende würde Keinen befriedigt und als Gewinner hinstellen, und der Groll wäre nicht ausgelöscht. Ein Friede ohne Überlegenheit auf einer Seite und ohne Versöhnung, bliebe ein sehr unsicherer Friede...
Ober das Puppenspiel habe ich noch nachgedacht, und kann nicht anders, als gerade das letzte Bild für einen ganzen Wurf zu halten! - In dem mehr realistischen Rahmen dieser Szene wäre das Motiv der Versöhnung nur in einer Form möglich: daß die zurückkommenden Studenten die Leiche fänden, und der Nachtwächter zu spät käme. Dann würde Wagner, der Famulus, triumphieren. - Das ist nicht stark und nicht einfach genug. -...
Heute soll ein hiesiger junger Pianist (Reuter) mir meine 2. Sonatine vorspielen. - Über Debussy beginnt man etwas nachsichtig zu lächeln und gegen Wagner steigt eine (fast wieder ungerechte) Reaktion. In 10 Jahren wird er auf seinem richtigen Platz stehen und Niemand mehr diskutieren. Such is history!...


Nach New York
[St. Louis,] 5. Apr. 1915
Dein Brief und dieser unbeschreibliche Sonnenmorgen (namentlich am Flusse!) sind eine schöne Begrüßung in St. Louis...
Meine Fenster sind offen, die Sonne umfluthet Alles, dringt überall herein und macht selbst aus diesem unentwirrbaren, monströsen Haufen ästhetischen und menschlichen Elends ein strahlendes Bild... Der Morgen sieht aus, als ob er eine neue und vollkommenere Epoche verkündete.
Wie hatten doch die Menschen Gelegenheit, hier, auf dieser spät entdeckten Erde, etwas Schönes zu schaffen. Und wie unfähig haben sie sich gezeigt. - Ich glaube, man kann ein Land ebenso wenig construieren, wie eine Sprache...
Durch die Erzählungen von Björnson kann ich mich nicht durcharbeiten; aber ich lese mit Vergnügen seine Theaterstücke. Auch er begann mit heroischen Dramen altnordischen Inhaltes, - ging über zu dem Conversation-Schauspiel (wo die Leute alle so “natürlich” reden!) und endete im Symbolischen und Abstrakteren. Darin zeigt sich immerhin die bedeutende Persönlichkeit des Mannes.
Ist es Dir jemals aufgefallen, daß Ibsen (außer einer Gruppe Gedichte) niemals etwas Anderes schrieb als reine Dramen? Ich wenigstens kenne keine Zeile von ihm, die seine Ansichten, oder Theorien enthielte. (Vielleicht in seinen Briefen?) Erzählendes scheint er nie versucht zu haben. Merkwürdig einheitlich, und einzeln, ist dieser Mann. - Hingegen Björnson hatte wohl die dunkle Absicht, ein Goethe des Nordens zu sein...



1917



Nach Zürich
Bern 6. S. 1917
...Das Verkehrsbild von Bern, gegenwärtig recht wenig sympathisch, bietet allerlei Typen: Diplomaten verschiedenen Schnittes, jüngere mit reservierter Miene im Sportskleide und versteckter brutaler Eroberer-Allüre, Polizei-Gesichter, angegriffene Rückenmärkler, Franzosen, die aussehen wie Baritons in der alten Oper. Dazwischen vernünftige Schweizer Frauen (Schwestern von Landsknechten), österreichische Juden, denen die “Virginia” aus der Westentasche guckt; Kokotten größeren Styles (belles femmes mit bösem Ausdruck), Backfische und Studenten im Style von Bismarcks Jugend. Und das Alles auf nicht ganz 500 Meter Weges gehäuft.
Um 2.55 fahre ich weiter nach Genf - warum?, das weiß der Himmel: diese Schweiz ist auch zu groß! ..


Nach Genf
[Zürich,] 29. S. 1917
In diesem Augenblick - gleich nach dem Mittagstisch - habe ich den letzten Takt des 1. Bildes meiner vierten Oper [Dr. Faust] niedergeschrieben! - So kann ich mich zu Anderem wenden, was jetzt recht nöthig wird.


Nach Genf
...Mit dem Ergebnis der Sommerarbeit bin ich zufrieden. Die neue Partitur sah ich heute so objektiv als möglich durch und fand, sie gehört zu meinem Besten. -...
Diese Partitur giebt mir wieder Anspannung auf längere Zeit und ist mir auch Symbol für das Ende des Krieges. Der Kreis schließt sich wieder einmal.
Mit dem Schlusse des Textbuches habe ich aber noch Arbeit. Ich muß auf einen glücklichen Einfall warten...
[Zürich,] 30. S. 1917



1918



Nach Degersheim
Schlenderte gestern fast den ganzen Tag, halb-unbefriedigt. Bleibe heute z’Haus. Schrieb noch um Mitternacht ein neues Kapitel zum Arlecchino: die Gänse vom Kapitol (glaube gut).
Entwarf die Idee zu einer 5. Sonatine mit Benutzung eines Bach’schen Motives; ebenso die Erscheinung von Gretchens Bruder am Schlusse. - Schrieb mehrere Briefe. (Immerhin Etwas gethan.)
[Zürich,] 6. Aug. 1918


Nach Degersheim
[Zürich,] 13. Aug. 1918
Gestern redigierte ich eine kleine hübsche Arbeit: die Zusammensetzung und Bearbeitung einer Konzert-Suite aus “Idomeneo”...
Heute habe ich eine große Seite Partitur gemacht; der Anfang einer (im Kopfe fast fertigen) Reihe. -
So sehr ich Dich vermisse, so überraschend schnell geht die Zeit vorüber: dieses Gefühl hängt aber nur mit der Arbeit zusammen...


Nach Degersheim
...Mit der Herausgabe des Textbuches zu Faust, weiß ich noch nicht wie vorzugehen. Soll ich - ohne Berücksichtigung der Änderungen, die die Musik bringen wird - es einfach im ersten Original drucken, oder warten?...
Ich habe nämlich aus jedem der 6 Geister ein kleines Musikstück für sich gemacht, wie eine Reihe Variationen. (Ich habe mir das lange überlegt.) - Beim fünften mischt sich der Chor herein; der beim sechsten in eine Art bösen Spott ausbricht, um Faust einzuschüchtern. - Mit einem machtvollen Schweiget!! Faust’s, müssen sie still werden.
Nun knüpft das, organisch, an:
“Ein einziger blieb. Ich zögre,
die letzte Hoffnung zu zerstören.”
Du siehst, wie Manches sich verschiebt. Darum muß auch der Komponist selbst Dichter sein. -...
[Zürich,] 18. Aug. 1918


Nach Degersheim
[Zürich,] 20. Aug. 1918
...Gestern und vorgestern machte ich eine kurze So-natina über 3 Takte von Bach, die mich sehr befriedigt...


Nach Degersheim
...Liebe Derdi, ich arbeite nur bis 4 Uhr. Dann sind noch 8 Stunden verächtlichster Schlenderei. Mozart und Bach müssen noch ganz anders geschuftet haben! - Ich muß so leben. Ich liebe dann das “Bummeln” und schade mir doch nicht damit. -
Dieser Peter Gast muß ein ganz liebenswerther und ganz unbegabter Mann gewesen sein.
Ich erwarte Jarnach, dem ich die neue Sonatine gewidmet habe. -
Nichts Neues - gut gearbeitet.
[Zürich,] 21. Aug. 1918

Spät Nachmittags
Jarnach empfing die Sonatina, die ihm sehr gefiel. Ich zeigte ihm die Einleitung zum letzten Bild des “Faust”: er nahm sie außerordentlich auf. - Darauf entwarf er ein retrospektives Bild meiner Entwicklung als Komponist, das von einem ungewöhnlichen Instinkt und Scharfsinn zeugte. Er hat mich ganz gerührt. - In diesem Menschen steckt eine ganze Menge...
Die Partitur gedeiht; morgen reift wieder eine Frucht. Jetzt freue ich mich auf jeden nächsten Schritt...


Nach Degersheim
Gestern war’s Nachmittag voll und “doll” bei uns; heute will ich keinen Menschen empfangen!... zuletzt [kam] Oskar Fried - mit dummen müßigen Gesprächen, die sich im Kreise drehten und die mich schließlich dazu brachten, ihn ziemlich “anzufahren”: - denn, mit seinem “wenn ich blos det Jeld chrieje” - und “wat wollen Se?” - und seinen Privilegien in Pässen und Eisenbahnen, und Verschonung und vollen Taschen - “wenn man blot die richt’chen Beziiehungen hat” - brachte er mich in Harnisch. “Hia wird man ja anjebrüllt!” - sagte er. Pumpte sich aber von mir Reiselektüre und wollte dazu auch noch ein Papiermesser mitnehmen!...
[Zürich,] 23. Aug. 1918


Nach Degersheim
Ich bin schon in schöner Erwartung - hoffe, daß diese “Pferdekur” Deinen Nerven nicht zugesetzt habe! Leider ist es auf einmal mit dein schönen Wetter vorbei und gestern Abends kündete sich der Herbst an. Was wird er bringen? Sicherlich die erste Hälfte von der Faust-Partitur und das ist Etwas; - dann, glaube ich: den Zwang eines Entschlusses; vielleicht bringt er auch unseren Benni, und dann wäre ein Punkt geklärt - - -
Jedenfalls sehe ich Allem mit überlegender Ruhe entgegen und bitte Dich, mit Heiterkeit (ich sage nicht: Lustigkeit) Dich zu wappnen und weiter Deine Geduld der Liebe zu üben. - Neues: Nichts. Aber es wird noch Vieles gut...
[Zürich,] 25. Aug. 1918


Nach Degersheim
Auch Martin Krause ist nicht mehr; er wurde. Als ich ihn zuletzt sah, hielt ich ihn nicht far einen “Sechziger”. Er war mir ein sehr guter Freund, seit vielen Jahren. Requiescat.
Leib wird bei Tanner Federzeichnungen ausstellen, im September. Er ist ein tüchtiger Junge, und auch rechtschaffen. Ich habe mit ihm einige längere Gespräche gehalten...
Daß man immer die Bach’sche Musik mit dem protestantischen Gottesdienst in denselben geweihten Topf wirft, ist ebenso unverständlich, wie vieles Andere, Deinem Dich liebenden Ferromann.
[Zürich,] 26. Aug. 1918
1919



Nach Ascona
[Zürich,] 13. A[pril] 1919
...Sage Goetz, er soll seine Neun-Elle [1] nicht zu einer Dreizehn-Elle anwachsen lassen, und auch seinen Wald lichten, inmitten. Immer die Fenster öffnen! (Bei Wagner sind sie verklebt.) - Ich plane jetzt die Pantomimen-Musik zum Dr. F[aust]...

[1] Scherzhaft für: Novelle.


Nach Ascona
[Zürich, 15. April 1919]
Ich habe mir meine Partitur des “Faust” durchgesehen, ich bin damit zufrieden; hoffe auf eine plötzliche neue Ader, die eine gute Strecke lang quelle. Einige Sätze tragen schon das Datum 1917! Aber es muß so gut werden, als mir möglich - - - -
Wenn man ein Werk fertig hat, so ist ein solcher Fortschritt damit vollbracht, daß das Werk schon wieder zurückbleibt - eine stetige Entwicklung beim Autor angenommen. Das zwingt einen ein neues zu beginnen und so könnte es immer weiter gehen (wie man an Michelangelo, Goethe, Verdi feststellen kann) - ohne jemals alles gesagt zu haben - - - -
Du denkst, das ist wieder ein “Aphorismus.” Aber, sagt Goetz, ein’ Moment: die Sache liegt tiefer...
Wär’ ich nur auf meiner Insel Monte Cristo, die uns behauptete mein Vater - von Rechtswegen gehört! (Dumas schreibt übrigens Monte Christo, wie er alle italienischen Wörter falsch zitiert. Der französische Geist ist wie kein anderer - rein französisch.)
Denke Dir, in Paris, zum 50. Todestage Berlioz’ wollte man ein Festival seiner Werke geben, konnte aber nicht: weil diese Werke bei den französischen Verlegern vergriffen sind, wegen Mangel an Nachfrage. Und an Br[eitkopf] & H[ärtel] wollte man sich nicht wenden! - Im Wiener Konservatorium ist Revolution: Bopp ist weg. Dafür aber ist Herr “Director” Loewe da. Diese Zeit regt mich “ab”. -


Nach Ascona
[Zürich,] 17. A[pril] 1919
Gestern war Schoeck’s Ranudo (“Ranudli”) ganz erfreulich, an einigen Momenten sehr gut, und die Aufführung verlief scenisch und musikalisch befriedigend...
Herr Avenarius hat den II. Theil von Goethe’s Faust nach “modernen Forderungen” umgedichtet. Das ist die Räthe-Republik in der Literatur. Zwei große Feuilletons in der Z[ürcher] Z[eitung] - ohne jede Entrüstung berichten darüber, und nennen diese Naivetät “eine reife Frucht des Krieges” oder so was Ähnliches. -


Nach Ascona
[Zürich,] Samstag 19. Ap. 1919
...Bin ein wenig betrübt, den Ostersonntag ohne Dich zu verleben. Ich erhielt ein Oster-Ei aus Ascona mit kleinem Paketli, die ich erst morgen aufmache, zum Frühstück.
Mir geht es, gottlob, gut. Ich war gestern bei Lochbrunner’s Arzt, um beruhigt zu werden. Er untersuchte mich ausführlich und stellte fest, daß mir Nichts fehle. Das ist - ich freue mich! - für Dich ein angenehmes Ostergeschenk.
Ich brauche aber in der That irgend eine Erholung. Nur: in welcher Art? -
Großes Geschrei über Schoeck’s Oper in den Zeitungen. Heute muß jedermann ausgesprochen einem Lande angehören. Liszt und ich werden allein gelassen.
Wolfrum schickte mir sein Vorwort zu Liszt’s Kirchenwerken (für die Gesamt-Ausgabe): - keiner wollte von ihm wissen. Auch die Regensburger Katholiken nicht...
Hoffen wir weiter, ohne müßig zu bleiben.
In ganzer Liebe Dein FM


Nach Rovio
[Zürich,] 23.Juli 1919
...“La Porte étroite” von Gide habe ich durchflogen: sie erscheint mir völlig physiognomielos.
Ein Brief aus London meldet, daß ich am 2. Oktober das erste Konzert in Liverpool haben soll... Mme Melba zusammen aufzutreten - - - - quelle misère de saltimbanques! Ich werde dafür doppeltes Honorar fordern...


Nach Rovio
[Zürich,] 24. Juli 1919
...Alle sehnen sich fort: die “Friedenspsychose” offenbart sich in Wanderlust, Ersinnung neuer Pläne, Wechsel des Milieus. -
Gestern war ich, nach sehr langer Pause, wieder am Bellevue. Die Zeit, als ich dort wegen der Opern verkehrte, erschien mir so weit zurück, als wäre ich dazwischen fort gewesen...


Nach Rovio
[Zürich,] 25. Juli 1919
...Der Nachmittag war diesmal britisch... “English people have good taste” meinte Milner. Ich sagte: “They avoid the bad taste, I think that is all.” (Miler war ohne weiteres einverstanden.) Vielen Beifall gewann mein Aphorismus über B. Shaw: He is a minister disguised as a clown, ein Pfarrer als Narr verkleidet. -
In München gab es eine Zilcher-Woche! Schade, daß Italien dieses Wohlwollen fehlt. “Jerusalem, Jerusalem, die du steinigst die Propheten, die zu dir gesandt!”
“Der Prophet” arbeitet gut, mir scheint...


Nach St. Moritz
[Zürich,] 16. Aug. 1919
...Bösendorfer hinterließ eine letzte Verfügung: man sollte seinen Tod nicht bekannt machen, bevor er nicht in die Erde versenkt und begraben wäre. Den Sarg sollten aber seine eigenen Arbeiter auf dem “Klafier-wagerl” zum Friedhof fahren. - So geschah es auch. -
Er ist in seiner originellen Schlichtheit und schlichten Originalität also bis zum Schluß sich gleich geblieben! Eine erfreuliche, erinnerungswerthe Figur. -
“Die Brautwahl” hat mich 2 Tage beschäftigt. Es ist so viel drinnen. Ist viel zu ehrlich. - Wird noch zur Oberfläche steigen: wenn mir eine gewisse Umgestaltung gelingt...



Mit Ausnahme der Briefe vom 15. und 16. Oktober sind alle folgenden Briefe des Jahres 1919 nach Zürich gerichtet


(Paris, le) 21 Septbre 1919
Hier, j’étais sur le Boulevard Magenta, aux Champs-Elysées, à -la Place Malesherbes: - mais non pas du côté de la “rive gauche”; j’ai marché jusqu’à la Porte St. Martin et puis, dans la direction opposée, de la Place de la Madeleine jusqu’à l’habitation de Philipp. Le grand Boulevard ressemble aujourd’hui fatalement à la East fourteenth Street de New York; c’est ignoble à voir, impudent et sale. Ce que j’ai vu des faubourgs ne me semblait pas changé; les petites bourgeoises, toujours proccupées et soucieuses, achètent a des prix exagérés l’indispensable pour vivre. La vanité de toutes choses éclate, Paris est triste, son allure n’est pas celle d’une ville victorieuse ... Les automobiles sont perpétuellement en mouvement et toujours occupées; il n’y en a pas de stationnaires, on doit les attraper à vol. J’ai payé de mon hôtel au Boulevard Magenta un franc et 80 cts., à Zurich ça aurait couté 18 francs...
On rencontre beaucoup de soldats américains à la figure indifferente et insolente; et même des officiers de mon age avec des cocottes bon marché, qui pour l’occasion auront “aufgeschlagen”. - Ils marchent à côté d’elles sans gaité, sans parler; uniquement, parce qu’ils croient que c’est le style parisien. Ils se nomment eux-mêmes “Knights of Columbus”. On ne les aime pas...
Tout ça n’est pas gai, ni propre, ni moral; et me rapelle le dernier châpitre du “Dr. Moreau” [1], où les bêtes retombent sur les quatre pattes et dans leur nature originale...
J’ai fait une longue visite à Philipp. Aujourd’hui nous déjeunerons ensemble et je récapitulerai notre conversation d’hier. - Son idée fixe est que ma place désormais est en Italie. - Il m’a même recommandé de retourner à - - Bologna!...
On a ici une conception féroce de Zurich. Je ne la comprends pas bien. - Philipp m’aime certainement et il a une opinion suprême de moi. - Il commence à ressembler à un “Clemenceau bienveillant”. Il a atrocement souffert de la guerre; en racontant, il a pleuré à plusieures reprises. -
Je suis bien content d’avoir évité les pays de guerre pendant leur action. Qui sait à quel point je serais maintenant dans mon esprit! -
Je ne vois pas le moment de me trouver à Londres - - pourvu que ce ne soit pas une nouvelle désillusion! Espérons toujours, et tâchons de diriger l’espoir à sa réalisation. -
J’avais perdu l’habitude des perspectives à perte de vue, que je retrouve ici: Mais je la reprendrais bientôt - - - - -
Je sens que tu penses à moi. Je t’aime. Je vous embrasse, mes chers trois...
Je pense à Giotto [2], je suis touché quand je vois un chien.

[1] Erzählung von Wells.
[2] Busonis Bernardinerhund.


(London,) 24. S. 1919
Es war sehr schön, gleich am ersten Tag einen Brief von Hause zu haben. Also küsse mir Benni: - sage ihm, er soll sich wohl fühlen und die kleine Stadt, die uns viel Gutes bot, lieb haben...
Ich erwartete von London eine Redemption, und ich erhielt auch schöne erste Eindrücke. Die Stadt hat sich nicht verändert, aber ich bin ein Anderer. Ich merke, daß ich von Außen Nichts erwarte - während ich früher Alles erwartete: - dies macht mich nicht unglücklich, aber stiller und mehr allein.
Nichts kehrt wieder, was gewesen ist, sagt A. France in einem Buche, das ich aus Paris mitnahm. (Es heißt “la Vie littéraire” in 4 Bänden, und es sind gesammelte Feuilletons.) “ça fait le charme du passé.” - “Das Wechseln stimmt uns traurig und amüsiert uns.” - England, bis vor dem Kriege, das am meisten demokratische Land, ist jetzt - unverändert - das aristokratischeste, im Vergleich zu den übrigen. Welcher gute Ton herrscht hier! Wie sind die Menschen - bei aller Eile und allem Andrang - aufmerksam und individuell rücksichtsvoll!...
Von Paris fuhr ich 19 Stunden nach London!... Das Land um Southampton ist bezaubernd. Diese Wiesen, diese alten Bäume!...
Bei Powell, bei Monico, wurde ich wie ein Verwandter empfangen. -
Philipp erzählte, er wäre dabei gewesen, als Debussy zum ersten Male “les jeux d’eaux” von Liszt hörte; und wie Debussy davon verblüfft gewesen! - Ja, dieser letzte Liszt war prophetisch...


(London,) 26. S. 1919
Bis jetzt finde ich noch nicht die Wieder-Anknüpfung an meine alte Außenwelt: ganz dieselbe ist sie auch nicht mehr; - es heißt, daß die sozialen Umstände recht drohend sind. In Paris ist dieses schon recht frech und offen zu Tage getreten...
Ich denke Morgens und Abends an Euch, über Benni’s Pläne und auch an Giotto, der hoffentlich begreift, wer Benni ist...
“Die drei Minuten sind um” kann ich zu Weihnachten mit Arlecchino sagen, wenn ich wieder bei Euch sein werde.
Schicke mir Giotto-Bilder.


(London,) 28. S. 1919
...Ich nehme Alles mit Ruhe und Überlegenheit, bin weniger nervös als in Zürich. Die Lecture von Anatole France’s “douce philosophie” hat mich gestärkt. -
Aber die Welt sieht nicht gut aus, - muß der sanfteste Philosoph zugeben!...


(London,) 29. S. 1919
“Atlantide” [1] hat mich enttäuscht und ich erkannte es schließlich als “Kitsch”. Im Grunde kommen sie alle von [Poes] “Gordon Pym”, aber J. Verne war liebenswürdig und belehrend. Die Atlantide versagt völlig in der Darstellung des Super-Weibes, das eigentlich nur eine Panserin ist! Diese Figur hätte der Autor mit ganz außerordentlichen Gaben ausstatten müssen, um ihre außerordentliche Macht begreiflich zu machen. Man müßte ihr Alter nicht erkennen und vermuthen lassen, daß ihr hundert Jahre sind, wie anderen Menschen zwanzig. Sie müßte jedem Mann so erscheinen, wie er in Träumen sein Ideal gesehen; jedem Mann also verschieden; und es bliebe ein Geheimnis, welches ihr wirkliches Aussehen sei. - Solche Dinge sind ja in 1001 Nacht großartiger ausgedacht und gelöst. -
Wie wenn man von einem “Luna-Park” wieder heimfindet, berüherte mich darauf die ruhige, gütige, klare Causerie Anatole France’s. - Nur einmal ist er böse, und das ist gegen ein Buch von George Ohnet; scharf und rücksichtslos ist er aber auch gegen E. Zola. - Merkwürdig, daß mein Geruchsinn mich immer von Ohnet fern gehalten, trotzdem er eine Zeit in Aller Hände war... Drei Artikel sind mit vieler Liebe den Marionetten gewidmet. -...

[1] Von Pierre Benoît.


(London,) 30. S. [1919]
...Was den Strike betrifft, so ist es damit ernst... Man hat Fonds, den Strike drei Wochen lang aufrecht zu halten. Das bedeutet ein Disaster. Vorläufig sind es Eisenbahn und Minen, die nicht arbeiten, nun sollen auch die Omnibusse sich anschließen. - Das ist störend und gefährdend. - Die Menschen kommen aus dem augenblicklichen Sorgen und Flicken nicht heraus, und so kann keine schöne Arbeit, keine Idee, zu Stande kommen. -
Wir stecken noch in der Dumpfheit - und werden weiter stecken. Die Idealisten und Humanisten sind wie schöne Blüthen giftiger Pflanzen, - sie blühen und prangen umsonst und fallen ab. Vielleicht vermindert sich das Gift der Pflanze mit ihrem Altern (man will es beobachtet haben) - aber es braucht Epochen, und ganz unschädlich wird sie wohl nie. -...

Nachmittags
Bei Steinway schläft Alles, man sucht mit den Augen nach Spinngeweben. Sie haben drei alte Flügel, Museumstücke, und mehr nicht...
Die englischen “four Gentlemen”, früher von Beckstein, haben sich auf eine Insel gerettet und “managen” Wigmore Hall... Der Haß gegen Deutschland ist gnadenlos (mercyless): - ich war ein wenig stutzig, daß gerade diese vier Herren in denselben Ton stimmten.
Lieber Caufall - ist gegangen: ich hatte auf ihn noch gehofft -
In Zürich konnte ich noch musikalisch “erziehen”, aber hier - wo sollte man beginnen? - Das ist schon ein sehr aufgeklärter Engländer, der Wagner noch gelten läßt: - damit hat er schon die größte Anstrengung für die Förderung echter Musik gethan - - - Überdies interessiert es im Grunde Niemanden. -
Nein, das Alles ist doch noch böser, als ich befürchtete.
- Ich beschließe mein Urtheil noch nicht, sammle Eindrücke und Beobachtung; bin aber auf die Ergebnisse dann angewiesen. Noch ein wenig Geduld.
Diesmal liebe ich, von London, am meisten das “Embankment”, den Fluß mit den Brücken, Westminster, S. Paul, Tower, Fabriken, Schiffen, der wundervoll-reichen Façade des Buckingham Palace. Von den hinteren Fenstern des Hôtels aus kann man Einiges davon schauen; gleich schön bei Sonne oder bei Nebel. Die Menschen sehe ich weniger an, als sonst; ihr Ausdruck misfällt mir tief. Von der Londoner Architektur möchte ich sagen, daß sie “vorsichtig” ist. - Es ist damit, wie wenn einer ein Stück korrekt, geschmackvoll und nicht ohne Verständnis spielt; aber langsamer als es soll, und weniger laut. - Mein altes Wort: daß die Engländer geschmackvoll sein können, ohne künstlerisch zu sein, kam mir wieder. Auch in der Architektur wollen sie “nicht auffallen” (und weh, wenn sie es versuchen!) - Schön, - auch dieses fiel mir wieder ein - wie die Baukunst als fester Hintergrund der bewegten Historie ruhig sich behauptet: das nenne ich Kraft, und Sieg. - Die Waterloo-Bridge ist gut. Sie hat, zwischen jedem Bogen, der recht mächtig ist, eine dorische Doppel-Säule, von primitiver Einfachheit, mit dem übertrieben-herausragenden Abacus, und ohne Sockel. Aber dieses wiederholt sich ohne Schwung und Rhythmus, so lange wie die Brücke reicht. -
Alle meine alten kleinen Bücherläden sind vom Krieg geschluckt!...


[London, 1. Oktober] 1919
Heute der 1. October ist der vierzehnte Tag seit meiner Abfahrt: viel Bewegung und Lärm erlebt in diesen zwei Wochen und “summa summarum” Nichts passiert und nichts gethan, das etwas zum Vorigen fügte! So viele Bewegung, sogar, zu so wenigem Ergebnis hatte ich bisher nicht observiert - und das, scheint mir, ist des Augenblicks bezeichnende Unart. -
Und ich bin von einer fast pathologischen Passivität und schaue weder amüsiert noch geärgert zu. - Obwohl ich indirekt leide. - Denn diese ganze konfuse Aktivität macht, daß die Leute für Anderes keine Aufmerksamkeit und kein Interesse übrig behalten können...


(London,) 2. Okt. 19
...Wenn ich nicht ganz umsonst nach England gekommen sein soll, so werde ich morgen ein Automobil nach Manchester nehmen müssen... Gestern schrieb ich eine Seite Musik. - Ich bin ganz aus dem Sattel gehoben: die englische Luft wirkte nie sehr creativ. -Weiter nichts Neues von Außen. Von Innen habe ich mir ausgedacht, ob ich vielleicht einen Einakter aus Bernard Shaw’s Feder bekommen könnte. Wer weiß! - Wenn der “Arlecchino” in 2 Theilen gegeben werden sollte, dann fehlte mir noch ein Stück für den Turandot-Abend. - Jedenfalls ist das ein anregender Gedanke. -...


(London,) 4. Okt. 1919
...Diese Morgenstunden sind bestrickend, die Aussicht auf die alten Bäume trostreich... Ich sehe wieder einen Garten, den es mir Freude macht zu schauen...
Heute bin ich zum ersten Male moralisch besser und ruhiger, seit ich in London bin. Die erste Woche war wirklich nicht gut. - Der Strike dauert fort, und die beiden ersten Konzert--Daten mußten wegfallen. - Dafür habe ich am 15. mein eigenes Recital in “Wigmore Hall”, und im November wird Wood ein Programm nach meinen Wünschen machen. Der ewig sorgende Philipp schreibt mir gestern, daß ein Orchester-Konzert von meinen Kompositionen zu Stande kommt. Dieser März in Paris verspricht also Angenehmes. - Ein halbes Jahr fast bis dahin: die Welt müßte wieder ein wenig anders aussehen, aber nach welcher Neigung hin? Gerade in Paris schien mir Alles zu einer Explosion sich zu ballen...
Es ist Abend geworden und die Post hat nichts von Dir gebracht, und morgen ist Sonntag. - Ich leide darunter, mich mit Niemanden aussprechen zu können. Die Leute verstehen Nichts, nicht einmal, daß 6 Jahre, und Krieg, einen Mann verarbeitet haben... Ich bin sogar überzeugt, daß sie denken, ich sei weniger gut als früher!...
Du wirst Dich nicht beklagen, daß dieser Brief etwas Belehrendes habe. Hier verlernt man’s. Kein Mensch hört zu...


(London,) 5. Okt. 1919
...Ich weiß, daß Zürich nicht das Reich der Träume ist, aber darum auch nicht der “Cauchemars”, wie jetzt die großen Zentren. - Außer den herrlichen Bäumen von Regent’s Park, (die ich aber nur am Morgen goutiere, und nicht, wie Walt Whitman, auch am Abend), habe ich hier wahrhaftig nichts Schönes erlebt. Samstag Abend, auf der Mary-le-Bone-Road der rothe Sonnenuntergang-Himmel, mit der endlosen Perspektive hellgelber Laternenlichter dagegen, gab eine höchst eindrucksvolle Wirkung. In offenen Lastkarren stehend gepackt, fuhr das Arbeitervolk heim. - Dann gibt es noch immer die unerschöpflichen Buchläden. - Rauchen und Trinken ist sehr erschwert und schlecht. Die Eleganz auf den Straßen ist fast verschwunden: man sieht nur schäbige Leute. Die Stimmung ist unsicher, jedermann ängstlich und unruhig, der Umgangston vergröbert; - hier in “West Wing” sieht freilich Alles recht idealistisch aus - wenn auch ereignislos und einsam -: dafür ist im Nebengebäude eine große Anzahl von Kriegs-Erblindeten untergebracht; ein aufregender Anblick für die, die leider! sehen können. Das Alles sieht nicht aus wie Sieg, noch Frieden; noch nach einem Lande, das ein sehr gutes Geschäft gemacht hat. Der Strike drückt auf alle Gemüther und auf allen Verkehr. Mir persönlich ist es eine Genugthuung, daß endlich jemand in England “protestiert”: - aber mir wäre es lieber, es wäre schon vorbei, oder es begänne erst viel später. - Heute ist schon wieder ein Sonntag, Margret - das Zimmermädchen meldete mir eben: she is going to church. Eine komische, zwiespältige Zeit! Noch immer Mittelalter und noch nicht die erstrebte Zukunft. Eine Dämmerung, von der man noch nicht weiß, ob sie dem Morgen oder der Nacht vorausgeht. - Interessant? O ja. - Aber nicht übermäßig. -
Das Musikleben ist erstaunlich unbedeutend, konventionell und nebensächlich. Auch von neuen Büchern erfuhr ich Nichts, das mich aufhorchen machte...
Ich hungere nach einem Menschen z.B. wie Jarnach. Van Dieren ist leider in Holland.
So bin ich recht isoliert und warte auf etwas: - einen Einfall oder ein Erlebnis...
Im Ganzen aber fühle ich, daß Konzertreisen unwürdig ist, und nur zu neuen und dann endlosen Mißverständnissen führt...


(London,) 6. Okt. 1919
Gestern Abends hieß es, der Strike würde heute früh gebrochen. Die “Times” bestätigt heute früh die Nachricht; so ist dieser Inkubus gehoben! Deo gratia! Morgen wird der Eisenbahnverkehr normal sein. - What next? kann man in unserer Zeit fragen. -... Bin neugierig, wie heute die Straßen aussehen werden. 250tausend Freiwillige sollen während des Streiks geholfen haben, Züge zu führen und Lebensmittel in die Stadt zu besorgen.
Gestern Nachmittag spazierte ich von hier bis Piccadilly Circus, es nahm mir fast eine Stunde Weg. Ich muß mich an die Proportionen wieder gewöhnen, ich verrechne mich in den Entfernungen.
Aber dieser Sonntag-Gang war bitterlich traurig, der Weg so unhospitabel: unterwegs nicht eine einzige Bank zum Sitzen, kein einziger Ort zum Einkehren oder Ausruhen, Alles vor der Nase zugesperrt, als ob das Spazierengehen am Sonntag strafbar wäre und bestraft werden müßte. Darum auch fast keine Menschen draußen...
Der ganze Regent’s Park ist voll von Baracken, die noch post-militärischen Zwecken dienen; mit Verwundeten gefüllt, die von den lieblichen “Nurses” geführt werden; oft sind’s aber die Bräute der Soldaten, die auch zu “unseren” Blinden - manchmal sogar singend - zu Besuch kommen...


(London,) 7. Okt. 1919
...Der Strike hat die Vertheilung der Post verzögert. Heute soll Alles wieder im Gang sein. - (Aber sie werden wiederkommen! Sie werden immer wiederkommen; unvernünftig, aber erschreckend.) -
Inzwischen geht in Queen’s Hall die beliebte “great-Wagner-Night” ihren alten Schritt; von Wood mit ge-wohnter “Hingebung” geführt. -...
Wenn ich denke, daß ich die besten Jahre meines Lebens damit verbracht habe, an fremden Orten auf ein Konzert-Datum zu warten (wie jetzt wieder), - so schätze ich meine damalige Vernunft nicht allzuhoch! Gottlob, der Herbst ist so sehr schön!! (Ich warte auf die nächste Post.)... Die alten Bäume sind ergreifend schön, jetzt noch voll belaubt und fast noch ganz grün. Manchmal geht mein Herz über, wenn ich auf sie schaue...
Heute früh wachte ich auf - zufrieden. Ich überdachte mein Lebenswerk, und was ich noch zu vollbringen hoffe. -...
Ich sehe mir den “Raskolnikow” wieder durch, nach 20 Jahren; welch ein quälendes Buch! - Wie groß und kindlich zugleich! Mit einem Wort: wie russisch. Ich lese es auf englisch, und das bildet eine Disharmonie mit dem, was drinnen vorkommt. -...
England terrorisiert weiter die Welt, ohne Kanonen, aber nicht weniger als Andere mit. - ... Merkwürdige, unermüdliche Art [von] Politik, selbstverständlich zu nehmen und zu verbieten, daß Andere dasselbe thun!
(Dabei geht es ihnen hier gar nicht gut.)
Morgen sind es 3 Wochen, daß ich Dich verließ: - nichts gethan!...


(London,) 9. Okt. 1919
...Soeben kam ich aus Bradford zurück, einem mir wohlbekannten Platz, mit einem Publikum wie im amerikanischen Westen. “Old Melba” (sie ist über sechzig) wird es machen wie die Patti. Alt und steinreich, kann sie das öffentliche Singen nicht lassen. Es strengt sie jetzt schon recht an, aber ihre klarinettenhafte Art die Stimme herauszugeben, ist noch heute in ihrer Weise genußreich und exemplarisch.
Nur kann ich diese Form des “l’Art pour l’Art” nicht mehr verstehen: Die Meisterung des “Instrumentes”, mit möglichst billigem Effekt, als einziges Ziel. Und diese Form ist die einzige, die das große englische Publikum erwartet, verlangt und [die es] entzückt. - Zum Beweis, daß es nicht etwa etwas “Veraltetes” ist, trat in derselben Richtung, mit dem nämlichen Ehrgeiz, ein junger Tenor auf; wie ich definierte: so zwischen Caruso und einem Oberkellner. Im Ganzen war es nicht viel mehr, als die Vorführung dressierter Thiere. -...

10. Morgens
Dieser Tage gerathe ich wieder in Bewegung. Heute beginne ich, mich zum Londoner Klavier-Abend vorzubereiten (Goldberg-Variationen - “106” - Liszt- Gruppe): dann habe ich Philipp Kadenzen versprochen zu Mozart’s Cdur-Konzert, die ich bald machen muß... Gott sei Dank, es gibt zu thun. Dieser Zustand ist für mich so wichtig, wie die Gesundheit. -...


London, 13. Okt. 1919
Deine Briefe sind mir immer ein herzlicher Trost...
Das Programm, das aufgestellt ist, ist von einem grauenvollen Geschmack. Fast bedaure ich jetzt, meine Stücke da drinnen zu haben. Was für ein Jahrmarkt! - Man kommt hier von dem Begriff der “Abwechselung” nicht weg, und zwar im ganz gemeinen Sinn. Dieses Problem: sind Konzerte für die Menschen da? oder ist das Publikum für die Musiker [da]? wird so verwirrt, daß man lieber Beide aus der Welt streichen möchte...
An Philipp sandte ich vorgestern eine von den versprochenen Kadenzen zu Mozart’s Cdur Concert. - Das Finale-Stück ist noch zu machen...


Nach Genf
(London,) 15. O. 1919
...Heute ist mein Londoner Klavierabend, der mich ein wenig gespannt macht. Darum bin ich auch nicht fähig, Besonderes im Schreiben zu unternehmen.
Solche Abende, wie der heutige einer ist, machen mir den “Augenblick” werth. Im übrigen ist es geradezu meine charakteristische Schwäche gewesen, daß ich den Augenblick vorbeigehen ließ, in der Vorstellung eines kommenden und wichtigeren. Während die “klugen” Menschen just den “Moment” ausbeuten, als etwas, das wirklich und vorhanden ist. Wer hat Recht? Wahrscheinlich täuschen wir uns Alle, jeder nach seinem Temperament und seinem Grad von Intelligenz...


Nach Genf
16. Okt. 1919. London
Obwohl ich diesen Morgen mich “kaputli” fühle, muß ich doch rasch ein paar Worte an Dich schreiben; dann nehme ich mir einen Holyday und esse Lunch auswärts.
Gestern Abend der übervolle Saal in Wigmore Street empfing mich herzlich! Ich mußte 3mal von meinem Sitz aufstehen bevor ich beginnen konnte. Ich war wirklich ergriffen. Ich spielte mit großer Intensität und durchaus mit Gelingen: - der Flügel war gehorsam. Zum Schluß das Schreien, wie man es in London im Concert seit Jahren nicht gehört hatte; so sagten mir die Leute.
Alle sprechen englisch, die früher offen Deutsch sprachen, und wenn sie einen Satz auf Deutsch riskieren, so flüstern sie ihn, als wie die Pointe einer unanständigen Anekdote. Dumme Welt, schwache Menschen!! -...


(Edinburgh,) 19. Oktober 19
Es ist Sonntag und ein schöner Vormittag in Edinburgh... Der gestrige Tag war voller kleiner Verdrießlichkeiten. Mehrere Stunden lang war ich ohne Zimmer, und als ich es endlich - gegen 11 Uhr - hatte, wurde ich durch die Nachricht überrascht, daß das Konzert am Nachmittag sein sollte, anstatt des Abends. Dazu hatte ich keine Kleidung mitgenommen, und spielte demnach im Straßenkostüm; weil man, in diesem unbeugsamen Lande, das immerhin korrekter fand, als den Frack. Halb verschlafen und halb verfroren, wie ich war, kannst Du Dir die Schönheit des Konzertes denken! - Ich tröstete mich mit einem netten Mahl hinterher. - Bevor ich reiste, hatte ich die fehlende Kadenz fertiggebracht und an Philipp abgeschickt...
Dr. Milner ist mein Begleiter. Durch ihn konnte ich ein wenig Feuer in meinem Zimmer haben, welches jetzt in Hôtels nur gegen “a Doctor’s Certificate” erlaubt ist. Also war Milner schlau genug, seinen “Doktor” herauszukehren und das Feuer zu erzwingen. - Das sind uninteressante Details, aber ich habe nichts Bedeutenderes zu erzählen. - Morgen Abend ist Glasgow - immer mit Melba - und dann ist das Allerunangenehmste vorüber...
Es heißt nun, mit Geduld, zwei Tage hier verstreichen zu lassen - am Dienstag Morgen hoffe ich im Regent’s Park zu sein.
Edinburgh ist immer ebenso schön, aber diesmal fehlt mir das Überraschende; denn ich hatte mir die Stadt früher öfters genau angesehen. - Gottlob, es geht mir, trotz Anstrengung und Frieren, verhältnismäßig gut. Ich freue mich wie ein Kind, in London Briefe vorzufinden.
Noch einen Monat, der vielleicht noch einiges Angenehme bringen mag: aber man geht sicherer, Nichts zu erwarten. - Schottland blieb vom Kriege ziemlich unangetastet. Es ist, so scheint’s, ein recht zufriedenes Land. Aber aus aller Welt. (Vielleicht darum zufriedener.) -...


(Edinburgh,) 20. Okt. 1919
Auch der gestrige sinn- und thatenlose Sonntag ging vorbei; heute fühle ich mich freier: in einer Stunde fahre ich nach Glasgow, und Nachts nach London zurück...
Milner gab sich alle Mühe, mir den Sonntag zu erleichtern: der Gute...
Ich erwischte einen Band Villiers de l’Isle-Adam, worin ein paar mir unbekannte Sachen sind und die mir vertrauten las ich (auf die Einzelheiten hin) noch einmal. Hier ist weder ein Wort umsonst, noch die Wahl desselben jemals zufällig: die Details, Zwischenbemerkungen und Betrachtungen immer gedacht und empfunden. Nur - - das Endergebnis jedes Stückes ist einfach ein Aphorismus; ein Aphorismus mit Dekorationen, sozusagen. - Der “Styl” aber, hat etwas Beziehung zu dem meiner letzten Musikstücke - soweit ein Vergleich zulässig. -
Sogar der ahnungslose “The Scotsman” schreibt heute, daß der Rahmen in dem ich auftrat, mir nicht genügte. (Dabei “spielte” ich hier - - -!!) Nur Mr. Powell merkt nichts.
Nun ist es interessant zu betrachten, wie ein jeder sogenannter Impresario “die ganz nämliche Art von Antipathie und Verachtung” in mir weckt; ob Jude oder Christ, Engländer oder sonst was. - Ich meine, eine bestimmte Art und einen bestimmten Grad Antipathie, die mit anderen Antipathien nicht zu verwechseln ist. Etwa, wie ein Hund eine bestimmte Nuance von Sympathie in mir erregt. - Das fühlte ich wieder, als ich gestern eine Bulldogge sah: - unbeschreiblich hässlich-schön und erschreckend-gütig. -
Und jetzt geht es auf die Reise: heute ist die Welt erträglich...


(London,) 21. O. 19
...Siehst Du, die einzige Sache die ich nach meinem Plan machte, gelang am besten. Der Erfolg war nicht nur groß, sondern in der richtigen Weise...

Villiers:
Ein Dichter feiert mit zwei Freunden seinen Geburtstag in einer Mansarde; als sie im Nebenzimmer ein Stöhnen hören, wie von einem Sterbenden. Sagt der Dichter: Drinnen läge ein alter König im Exil, Szepter in der Hand und träume von seinen Schätzen. - Die beiden meinen, das wäre ein schönes Bild, aber man müßte doch nachsehen, was da drinnen vorgehe. - Geht nur, sagt der Dichter und stellt die Thatsache fest. Aber ich warne Euch: Ihr werdet dann nie Talent haben - - -
Liebe Frau Gerda, wie außerordentlich einfach wahr dieses ist! (Natürlich ist es viel mehr ausgeführt.)


22. O. 19. London
Gestern und heute kam je ein Brief von Dir; sie haben mir so wohl gethan. - Die Erzählung durch Rilke [l] ist fein und erwägenswerth. Was ich in diesem Augenblicke als nothwendig empfinde, als Gegengewicht zu Dr. Faust, ist: etwas Kurzes und Ausgelassenes. Etwas, das nach Turandot am selben Abend gegeben werden kann, wenn Arlecchino erster und zweiter Theil einen Abend für sich einnähmen...

[1] Rilke hatte in Genf Frau Gerda Busoni eine kleine mystische Novelle erzählt.


22. O. 19 London
Im Laufe des Vormittages, als ich mich mit Musik beschäftigte, kam ein trefflicher Brief von Philipp an. -
Vorerst schreibt er wörtlich, was mich natürlich sehr stark belebte: “Plus je relis votre Arlecchino, plus je l’aime. C’est du Rossini a cent ans de distance - c’est génial. - Que de trouvailles, quel rhythme, quelle vie dans tout cela! Je crois que l’on comprendrait votre ouvrage chez nous.” -

23. Okt. 19
Ensuite: dieser sehr schöne Plan für März in Paris:

vom 5. - 23. März, Paris:
Zwei Abende in der Société des Concerts du Conservatoire.
I. Es-dur [Konzert] Beethoven
Concerto S. Saëns
II. Concerto Mozart
Indianische Fantasie.
Zwei Klavier-Abende in der Salle Erard. -
Zwei Abende für l’Association des anciens élèves
I. mit Orchester von meinen Compositionen, inclusive
Concerto mit Chor.
II. Liszt-Abend. -

Das ist recht würdig und feierlich, aber eine große Arbeit für mich! -
Philipp bat sich die Widmung der Kadenzen aus für seinen alten Liebling M.lle Marcelle Herrenschmidt. Ich kenne sie von früher her, und ich sah sie wieder letzthin in Paris: sie ist ganz und gar sympathisch. Von ihr erhielt ich heute einen hübschen Dankbrief, voller Seligkeit. -...
Sieht man jetzt zum Fenster hinaus, so ahnt man die Bäume, - weil man weiß daß sie da stehen - ein solcher Nebel deckt Alles umher...
Benni hat noch nicht begriffen, daß wir den Menschen den größten Theil unserer Existenz--Mittel verdanken, und wir - deshalb - sie nicht abstoßen dürfen: daß wir da sind um einander die Hände zu reichen. Und daß das Recht, die Anderen abzulehnen, sehr theuer erkauft werden müßte; indem man sie in irgend Etwas übertrifft: was immer noch sehr relativ bleibt...
Ich habe hier eigentlich zu wenig zu thun - ich ver-suche, mich auf eigene Hand zu beschäftigen: auszugehen ist - von hier aus - immer ein Entschluß und eine Ver-schiebung der Regel und der Zeit; Du weißt: man kommt in London nicht so leicht wieder nach Hause... London war nie die Stadt harmloser Abenteuer (wozu ich auch weniger neige) - und es bleiben nur die Bücher und mein kleines eigenes Nachdenken, um die Tage auszufüllen. - Menschen sehe ich außerordentlich wenig.
Jetzt habe ich mich ein wenig verplauscht...
Hörst Du von Berlin?


(Bournemouth,) 25. Okt. 1919
In Erwartung der Konzertstunde (3 Uhr) denke ich an Dich und sende Dir einen Gruß. - A nice quiet Place, you know, lots of old ladies in rocking-chairs - - der Konzertflügel ist zehn Jahre alt... Gestern - um mich zu beschäftigen - bearbeitete ich das Rondo jenes Mozart--Konzertes, das ich in Zürich spielen soll. Es ist voller unausgeführter Stellen, offenbar sehr schnell geschrieben, harmlos, aber brillant; und ich glaube jetzt sogar glänzend geworden. Das beschäftigte mich vom frühen Morgen bis _ 6 Uhr. - Heute Nacht überdachte ich, daß ich die 3. und die 4. Geisterstimme in “Dr. Faust” umkomponieren müßte - - und die 7. (Mephistopheles) ist noch in Gottes Schoß...


London, 28. O. 19
...Man plant hier ein ständiges Shakespeare-Theater und Bernard Shaw wurde aufgefordert, dafür öffentlich zu reden. Er begann (ungefähr): “Das ist eine hohe "nationale" Angelegenheit, die jeden Engländer betrifft. Die Subscription ist eröffnet. Bis jetzt hat sich nur ein Subscribent gemeldet, und er ist ein Deutscher: 25’000 Pfund.” (Ist das nicht köstlich?) - Ich habe ihn noch immer nicht gesehen. Du magst ganz recht haben mit Deinen Bedenken...
Mein neuester Freund ist ein alter Kater im Hause. Er scheint mich zu lieben. Setzt sich neben mich auf meinen Stuhl, bei Tisch. Er ist alt, sollte ganz weiß sein, ist aber von einem unsicheren Grau. - Auch ein altes Hündchen “Beauty” residiert hier, es ist zahnlos und hält brummige Selbstgespräche. Das ist wiederum ganz schwarz...
Es ist sehr erfreulich zu beobachten, wie gut sich Milner hier entwickelt. - Er hat merkliche Fortschritte im Denken gemacht, und spricht oft richtig und gescheidt. - Dabei ist er immer lieb und treu, aber nicht mehr (man möchte fast sagen: leider) so ahnungslos, als wie in Zürich. -
Da Motta schrieb mir einen zweiten, außerordentlich schönen Brief. Will mich “um jeden Preis” (wörtlich gedeutet) nach Portugal haben...
Ich denke so sehr an Dich, wie niemals früher. Das ist schön, aber jetzt beinahe schmerzlich. Denn ich kann noch immer nicht den Weg sehen und fühle daß Du das schwer trägst. - Es hätte Alles so gut sein können in diesem Augenblick - - - gedulde Dich inzwischen mit meiner Liebe, bis auch das Andere (an das ich glaube) kommt...


30. O. 19. London. Nachmittags
Die Straße von London erscheint mir verändert, wenngleich ich nicht präzis sagen könnte, wieviel von diesem Eindruck auf die Veränderung in meinem eigenen Schauen fällt. - Jedenfalls ist es sicher festzustellen, daß die Menschen häßlicher sind und die Eleganz fast verschwunden. Viele Uniformen (peinlich dabei sind Uniformierte Frauen) - sehr viele Krüppel; ein Behagen, überhaupt durch das Tragen der Uniform ein Ansehen zu gewinnen; Rationierung und geschlossene Bars geben auch ihre Note, - trotzige Haltung in den dienenden Klassen - ein hinabgestiegener Geschmack infolge von diesem Allem. - Es ist nicht schön und es ist, als ob die Häuser und selbst das Licht der Tageszeiten ihren alten Zauber nicht mehr ausübten: - denn die Demokratisierung tritt mit schweren Stiefeln auf heiligen Boden. -

31 Okt. 1919
...Nun sitze ich beim Frühstück und es endet heute der Monat Oktober, der mir recht lang vorkam, da er doch viel mehr (äußerlich) enthielt, als wir in Zürich an Inhalt gewohnt sind. Für meinen eigenen inneren Gewinn bedeutet es weniger; am meisten durch den wiederhergestellten Kontakt mit größeren Verhältnissen. - Die Bearbeitung von Mozart’s Es-dur Konzert (vorgestern vollendet) ist die einzige Frucht dieser Zeit (die kleinen Kadenzen zum C-dur noch -)
Dem Milner geht es mit recht gutem Glück, er singt Montag in Covent Garden “Jago”, den ich noch einmal mit ihm studierte. (Unter Engländern gilt er als ein sehr “beweglicher” Schauspieler...)
Die Beecham-Oper bringt nicht weniger als fünf russische Opern, sämtlich mit russischer Ballet-Einlage. Den “berühmten” Prinz Igor von Borodin sah ich im Clavier-Auszug. Es ist hilflos. Überhaupt viel russische Musik, auch in Konzerten, Alles in recht kläglichem Zustand. Beim früheren Bechstein stehen 20-25 schöne Klaviere aufrecht in Reihe, wie Bücher - und man darf sie nicht spielen! Ist das nicht verrückt? - Danken wir Gott für unser bischen Klarheit. - Es geht mir, unberufen, recht gut. - Heute besonders...


[London,] am ersten November 1919
Gestern Nachmittag kam zum Thee (den er nicht trank) - G. B. Shaw. Er ist jetzt 63 Jahre, sehr hoch und könnte - im Aussehen - der witzigere, lebendigere und spitzere Bruder vom alten Hase sein. Er redet zu viel und mit einer Eitelkeit, die er nicht bemänteln kann. Er begann gleich mit dem Abschießen eines seiner kleinen Witzpfeile. Maudi erzählte, daß sie soeben aus einem “Nursing-Home” käme. -
“Ich wundere mich daß Sie lebendig sind”, sagte G. B. S., “denn in einem regelrechten Spital wirft man einen auf die Straße, bevor man halb kariert ist; aber in einem Nursing-Home läßt man Keinen fort, bis er nicht todt ist.” - (Dagegen, sagte ich, gibt es ein Mittel. Man hört vorher auf zu zahlen.) - Beim Thee sprach er hauptsächlich über Musik und wollte offenbar alle seine Kenntnisse auspacken. Er liebt Mozart und mit Verständnis. “Mozart war mein Meister. - Ich lernte von ihm, wie man wichtige Dinge sagen kann, und dabei leicht und unterhaltend bleiben.” - Wie reimen Sie das (sagte ich) mit Ihrer Bewunderung für Wagner? - “O, es ist Platz für viel Verschiedenes in der Welt. Und zu jener Zeit war es geboten gegen unsinnige Mißverständnisse zu protestieren. Aber ich gestehe - so sehr ich Tristan liebe ich wünschte, daß Tristan ein wenig früher stürbe!“
Warum (sagte ich) haben Sie das nie geschrieben? -
Aber darauf wußte er nicht zu antworten. - Dann begann er Elgar zu loben, namentlich seine genaue Kenntnis des Orchesters.
“Er zeigte mir” (sagte S.) - “wie man eine Stelle in Beethoven’s Leonore, die nie klingt, zur Geltung bringen könnte.” - Er beschrieb die Elgar’sche Korrektur, die schlecht ist. “Entschuldigen Sie” (sagte ich wieder), “aber das würde ich so und so machen, wie man bei Mozart sehen kann” (und erklärte mein Beispiel). - “Daran hatte ich nicht gedacht” - rief er etwas eingeschüchtert.
Über das Wesen der Oper scheint er nicht nachgedacht zu haben. “Er könnte kein Libretto schreiben, er würde dasselbe schreiben, was er sonst schriebe.” - “Es würde mich reizen” - sagte ich - “die Musik zur Höllenszene in Man and Superman zu versuchen.” “Das wäre vergeudete Arbeit” (sagte S.), “denn es könnte nichts einbringen.” - “Nicht das ist, was mich reizt” (sagte ich). - “O! aber Sie müssen damit rechnen, damit muß Jeder rechnen” - “of course, I am now a famous artist (fügte er halb scherzend hinzu) - jetzt kann ich mir gestatten auf Steckenpferden zu reiten - - -“ (oder Ähnliches). - Nun, das war nicht recht schön und noch weniger taktvoll.
Er spricht so viel und schnell, daß es sehr ungleich ausfällt; oft sagt er Dinge wie ein frecher Junge, und nicht abgewogen, nicht begründet und nicht weise, für sein Alter würdelos. Er erinnert manchmal an den schlechteren Heine. Als Musiker ist er ein Dilettant geblieben; natürlich ist ein so geistvoller Dilettant unvergleichlich besser, als ein Fachmann, wie etwa Kapellmeister C. oder K. Was aber den Dilettanten charakterisiert, ist die Freude an eigenen Entdeckungen und das Gefallen an verschiedenen Dingen, die nicht zusammengehören...
Sein Ton war fast unerträglich rücksichtslos (gemildert durch Humor und Lebhaftigkeit) - indessen ich (ohne auf Alles einzugehen), respektvoll und ruhig sprach...
Er wird am 22. zum Wood-Konzert kommen; da wird er beginnen, mich kennen zu lernen...


London, 2. November 1919
...Gestern berichtete ich ausführlicher über G. B. S. - (es ist die höchste Popularität in England, bei den Initialen des Namens genannt zu werden) - ich meine über George Bernard Shaw. Ich versäumte zu bemerken, daß er eine Nüance (a shade) von dem dänischen Georg - (Brandes) - hat; namentlich in der sprudelnden Geschwätzigkeit und der sie begleitenden Selbst--Gefälligkeit. -
Er schreibt - erzählte er selbst - an einem großen Theaterstück in vier Abenden, mit dem Titel “Back to Methusalem”, worin er darthut, daß die Dinge der Welt so umfangreich und kompliziert geworden, daß das Leben zu kurz ist, um sie zu überschauen und zu leiten. Darum entwickelt sich der moderne Mensch nach der Langlebigkeit und trachtet das Alter Methusalems - 300 Jahre - zu erreichen. - Im Laufe des Stückes ist die Menschheit richtig so weit gekommen. - Das erste Stück spielt im Paradies, wenn die ersten Menschen nicht wissen, daß sie sterben müssen; und der Tod erscheint zum 1. Male auf Erden. Das zweite Stück spielt in der Gegenwart. Darin wird Lloyd George und Asquith das Projekt (als Parliaments Bill) angetragen, das Leben des Menschen auf 300 Jahre festzusetzen. Das dritte Stück spielt einige Jahrhunderte später, wenn die Men-schen in der That so alt werden. (Inzwischen hatte ein Amerikaner, mit großer Reklame, ein Mittel erfunden, unter Wasser zu athmen.) - In dieser neuen Zeit gibt es aber noch fürchterliche Komplikationen und lächerliche Situationen. - Vom vierten Stück weiß er selbst noch nicht, wie er es behandeln soll. Es soll Jahrtausende ferner spielen und er (Shaw) hat noch nicht sich ausdenken können, wie er die Welt zeigen wird in diesem Stadium. - Denn er fängt ein Stück an, ohne Plan, und verläßt sich auf den Einfall für die Fortsetzung. (Ja, das fühlt man auch.) -
Ach, verehrter Shaw, welcher Realismus, welche Ma-schinerie, um die Menschen glücklich zu machen! Shaw liebt die Menschen (seine Telegrammadresse ist: Socialist, London), theoretisch. Er selbst ist sicher ein ganzer Egoist. Übrigens “traint” er sich jetzt, um ein zweiter Methusalem zu werden; und spielt “lebhafter Jüngling”. -
Es ist jetzt festgestellt, daß mein letztes Datum in England der sechste Dezember sein soll. - Also noch einen Monat und vier Tage! - Ich leide nicht, habe sogar an Einigem Freude. Doch scheint mir die Zeit unrichtig angewandt. Ich habe mich wieder in die Verhältnisse eingelebt (sie erscheinen mir sogar weniger groß als früher), es ist mir leichter jetzt, mit reiferen Augen, die Dinge zu überschauen. Es strömen die Massen und bei jedem Schritte - jeden Tag - sind es neue Gesichter; aber jeder Einzelne ist eine kleine, armselige, uninteressante Existenz. Die Unbedeutung der Physiognomien auf der Straße ist bezeichnend. - Die Größe liegt eben nicht in der Quantität. Die Qualität aber ist hier geringer als vielleicht anderswo...


London 6. Nov. 1919
...Diesen Sonntag gibt es noch ein “Melba-Konzert” in Albert Hall, dann bin ich mit “dieser Sorte” im Reinen! - Es gehört zum Traurigsten, zu sehen, wie so gar nichts die Menschen durch die letzte Welt-Erschütterung gelernt haben! Gerade diesen Morgen erhalte ich einen Brief, - ob ich nicht nächstens das Fantasie-Impromptu von Chopin spielen möchte. Dieses berühmte Stück, eine seichte Salon-Etüde, wird nie schlecht gemacht - wie das so eifrig mit Liszt passiert. - Robert Newman hat einen Sohn im Krieg verloren, hat ihn sterben sehen, hat ein gelähmtes Auge und ist weiß und alt: - glaubt aber an die höchste Wichtigkeit, daß ich die Chappell-Claviere spiele! Er besuchte mich deswegen extra. - Wood - so schreibt er mir selbst - hat hier in 10 Wochen 600 Stücke dirigiert, und man erinnert sich keines einzigen dieser Stücke! -
Beecham läßt die Orchesterproben zu den Opern durch Hufs-Kapellmeister abhalten und dirigiert die Aufführung ohne probiert zu haben. Welche Bravura!
Rosamond hat mir Frederick the Great von Carlyle in Cambridge aufgestöbert. Damit wäre - wie ich scherzte - der Zweck meiner englischen Reise erfüllt! Nun könnte ich heimfahren. -... Ich habe hier wieder 50 Bände angesammelt. Weiß nicht, wie ich sie heim-bringe. -...


London 9. N. 19
Zu meinem Bestürztsein merke ich: es ist wieder Sonntag!...
Schnell und schleichend zugleich bewegt sich die Zeit. Von heute an müßte ich genau 4 Wochen noch hier bleiben, und die scheinen mir unendlich zu werden. So ist wieder Schopenhauers Vergleich mit dem umgekehrten Operngucker völlig treffend. -
Von den Cadenzen - die er zuerst “charmantes” fand - sagte Philipp diesmal: J’ai vu de près maintenant vos Cadences pour le Concerto en ut. Ce sont deux petits chefs-d’oeuvres d’esprit et de finesse. Comment l’auteur de la “Sonatina in diem Nativitatis” peut-il écrire les spirituelles broderies de ces Cadences, c’est le secret du genie.”
Von der Sonatina aber schreibt da Motta: “- elle me semble de la sculpture gothique, d’une fermeté de lignes et une sérénité séraphique pareilles.”
Die Nachtpost brachte gestern Deinen Brief mit dem Bericht über das Abonnement-Konzert. Er hat mich ergötzt... Zwischen den behaglichen Schweizer Konservatoristen und einigen hiesigen unbehaglichen “Futuristen“ steht der goldene Thron des Echten und Schönen - und Hohen. -...
“Schön” sind auch die Klavierstücke von * und **, die hier beginnen Verbreitung zu haben. - Weder Fantasie - noch Gefühl - noch Form, nur ein Versuch nach der Seite des Klanges, der aber quälend ist. - Es kann nicht sein, daß ich stehen geblieben bin! Diese Sachen sind beweisbar schlecht. (Eher möchte ich den Krieg anklagen, der wirklich Alles zum Stocken, oder Taumeln, gebracht zu haben scheint.) So hat ein Herr G. ein Stück mit der rechten Hand in A dur und der linken in As dur [geschrieben]. Das sind alte Scherze, die wir in Kämps Hôtel nach dem “Kaffee mit avec” machten! Dieses Stück ist ein ganz gewöhnlicher (und langweiliger) Walzer, nur mit verschobenen Harmonien...
Ich möchte diesen Brief nicht mit den Dissonanzen schließen, sondern mit dem reinen Einklang, den unsere Herzen tönen...


London 10. N. 1919
Das Konzert gestern war etwas dezenter, als die in der Provinz. Albert Hall war voll! Das muß man erst sich vorstellen: 8-10tausend Menschen; und was die Qualität einer solchen Masse, am Sonntag, sein kann!... Das Künstlerzimmer war bevölkert mit Australiern. Melba, ihr Begleiter, Clutsam und Frau. Diese Australier unterscheiden sich sehr von den Amerikanern, durch den Mangel an schreierischem Selbstbewußtsein und dadurch, daß sie ihr Land nicht so “advertisen”, wie ihre älteren Cousins. -...
Zum Konzert machte ich mich ein wenig “schön”, und Maudi war entzückt; meinte, ich sähe aus wie vor 20 Jahren...
Ich spiele jetzt mit großer Überlegenheit, mühelos und ohne jede Nervosität. - So macht’s mir auch Freude. Ein wenig freue ich mich auf den 22. mit Wood. Dem betrunkenen Programm habe ich zum Theil auf die Beine geholfen, indem darin das, was mich betrifft, in dem ersten Theil - vor der Pause - sich abspielt. - Wir werden sehen, wie das wirkt. Meine Stücke werde ich selber dirigieren. -... Es geht mir ganz gut, obwohl der Tag aussieht wie “Herbst mit London multipliziert”...


10. Nov. 19. London
Soeben hatte ich zwei reizende Sachen: die Bekanntschaft eines kleineren (F-dur) Konzertes von Mozart, das spielend beginnt und immer komplizierter wird; Alles graziös und lebendig; - und das Packet enthaltend Friedrich II. von Carlyle, durch die Post: ein Geschenk Rosamond’s...
Tak - tak - tak - - so geht es unter meinem Fenster. Das sind die Blinden, die mit dem Stocke an das Stacket schlagen, um den Weg zu finden...


London, den 13. Nov. 1919
Hier helfen weder Charakterisierung noch Vorwurf: die Sache ist, daß sobald ich etwas zu einem nütz-lichen Zweck machen soll, sobald es heißt, daß es von praktischem Vortheil ist es zu thun, - von dem Augenblick an beginnt etwas in mir wie zu bluten, eine Art Lähmung überfällt mich; und nur in Pein und Anstrengung führe ich das durch, was ich sonst leicht, freudig und auch - besser vollenden könnte. (Du weißt, daß ich fleißig und energisch sein kann.) Ein ähnliches Gefühl überkommt mich, wenn ich Andere in der Kunst (und auch außerhalb dieser) rein utilitarisch denken und han-deln sehe: wozu eine Nausea sich einstellt... Wenn ich einen Konzert-Abend nur wegen des Honorares das er einbringt abhalte, dann spiele ich immer schlecht, schlechter als der Durchschnitt der Pianisten. Überdies muß ich mich während des Spieles - und hinterher - schämen, und das ist eine Qual. - ... Ich denke, es ist diese Ader, die in Benni zu einer übermäßigen Potenz sich gebildet hat... Er ist der rein-destillierte Anti-Utilitarier und - so betrachtet - mir ungemein symphatisch: die Vervollkommung dessen, was ich selbst bin. - Aber, leider nur nach dieser einen Seite. Denn die aesthetisch-egoistische Energie, die unbarmherzige Ausbeutung der eigenen Fähigkeiten - die auf der anderen Schale der Waage stehen sollten - sind kaum vorhanden. Oder es ist eine instinktive Philosophie in ihm, daß auch das Beste und Schönste illusorisch und vergeblich ist.
Im Grunde sind sie es auch, wie auch der Ruhm und - ganz zuletzt - das Geld. - Ist Giotto nicht schön und liebenswerth an sich selbst, und nicht, weil er einen Preis gewinnt, oder ein kostbares Halsband trägt, oder - auf dem Thiermarkte - ein theueres Exemplar darstellt? So allein sollte man die Menschen einschätzen, aber es geschieht völlig umgekehrt und das zwingt - als Folge davon - selbst die Besseren, sich danach zu richten und zu benehmen; wenn sie nicht ertragen können nicht als Bessere zu gelten, sondern sogar als Mindere angesehen zu werden. Wir brauchen nur deshalb Geld, weil andere es von uns verlangen, als Beweis von dem, was wir wirklich werth sind und das sie nicht erkennen. Und auch der Ruhm spielt diese Rolle, für den der Künstler ja leider empfänglicher ist: - jedoch im Grunde auch nur im Vergleichen zu anderen, weniger edlen, die ihn - den Ruhm - fälschlich hochstellen.
Im Carlyle lese ich diese schlichte und kräftige Defini-tion des Genies: “Ein Mann von Genie (Friedrich II.), das ist, nämlich, ein Mann von Originalität und Wahrhaftigkeit: befähigt, mit eigenen Augen zu sehen und außer Stande, das zu verleugnen, was er allein sieht” (“capable of seeing with his eyes and incapable of not believing what he sees”).
Was für ein Brief! Wohin gerathe ich! Genug spinti-siert! -
Gestern hatte ich die Freude, eine entzückende junge Indierin zu sehen. Ihre Nase ist völlig gerade, nicht nur in der Linie des Rückens, sondern auch in der Stellung zum Gesicht, nämlich vollkommen vertikal. Die Unterlippe eine Idee hervorragend, der matte Teint ganz ebenmäßig; dazu tiefschwarze Sammt-Augen. (Das Ganze ein wenig unter Lebensgröße.) Sieht man dergleichen lebendig vor sich, dann begreift man langsam die indischen Miniaturen...


London, 14.Novbr. 1919
Es giebt wieder Einiges zu erzählen. (Denn, dazu ist man schließlich in London.) Gestern Abends sah ich zum ersten Mal! - das Innere des Covent-Gardens. Ich fand es liebenswerth (offenbar ganz nach italienischen Mustern, oder gar von einem Italiener erbaut?), wohlproportioniert; nicht so enorm wie ich befürchtete, sondern von Verhältnissen, die die Behaglichkeit wahren. - Milner hatte mir meinen Lieblingsplatz, unmittelbar hinter dem Kapellmeister, besorgt; sodaß ich mit dem Orchester in Kontakt stand (das mich vermuthlich kannte) und ich meine kleinen Korrespondenzen mit den Spielern unterhielt, nicht anders als wie in Zürich. -
Ich hörte und schaute Verdi’s “Otello” mit dem “dämonischen” Milner, einem soliden, ausgezeichneten Tenor (der aussah, wie der verstorbene Geiger Halir), eini-gen Dekorationen, theils aus dem russischen Ballett und theils aus dem Liberty-Store, einem guten Orchester, und einem ziemlichen Ekel von jungem Dirigenten, der das Werk nicht fühlte oder nicht verstand. - Ein ungleiches Werk, das meinen ersten Eindruck zurückbrachte [1]
Manches zu lang und zu wenig schlagfertig, gegen konzise und packende Momente, dazwischen Blitze von Genie... Das Sujet, nach meinem Empfinden, durchaus gegen Musik, die in den krassen Höhepunkten, zu besti-alischen Lauten wird. -
Heute war die erste von meinen drei Orchester-Proben. Herzlicher Empfang seitens des Queen’s Hall-Orchesters, Applaus am Ende der Probe. Sir Henry Wood war sehr liebenswürdig; er sagte: “ein wundervoller Eindruck und völlig originell. Wir wollen die Stücke auch in Manchester bringen.” Dies geschieht am 29. November.
Es war ein angenehmer Vormittag; das Wetter leicht neblig und doch trocken. Als ich den Saal betrat erklang Berlioz’ “Queen Mab”, dieses kleine Wunderstück.

[1] Aus dem Jahre 1887. Damals hatte Busoni, in Leipzig, eine Besprechung der Oper (nach dem Klavierauszug) geschrieben.


(London,) den 15. Nov. 1919
...Montag beginnt die Graphophone-Aufnahmen-Arbeit. Das ist auch so ein Ding, bei dem ich mit halbem Herzen bin: dieser Zwiespalt - bei Sachen von geschäftlichem Interesse - in mir, macht, daß immer nur Halbes zu Stande kommt. Ich will das Geschäft nicht ganz verderben, und nicht ganz lügen: - da kann unmöglich etwas gelingen. (Ich weiß, daß ich Fehler habe; ich arbeite ja fortwährend daran, sie zu bessern.) – Heute nehme ich mir wieder einen ruhigen Tag, denke im Stillen an Vieles. Diese Art Tage sind oft, in ihrer Weise, fruchtbar...


London, 17. N. 19
...Gestern besuchte uns Dent. Er hatte am selben Abend diese kleine Veranstaltung, zu der er mich einlud und zu der ich ging. Weit im Südwesten, Nachts, Sonntag und Regen. Ein kleines ärmliches Theater - man rauchte Pfeife. Die Harpsychord-Spielerin etwa 65 Jahre, fingerte wie eine kleine Hexe auf dem hübschen alten Instrument. - Das Bühnenbild und die Kostüme ganz im Style von Hogarth, so daß man denken konnte, einen seiner Kupferstiche zu sehen.
Die Ansprache Dent’s bedenklich vom Tone B. Shaw’s beeinflußt. “- - er starb an der Schwindsucht (Pergolesi), of course nicht bevor er ein Stabat Mater geschrieben, welches Kirchen-Musik im Style einer komischen Oper ist - -”
(Bis man einsehen wird, daß Musik nur “Musik” ist und daß der Begriff Kirchen-, Theater--, u.s.w. nur durch die Worte kommt - - -!)
Im Ganzen aber ein recht interessantes kleines Erlebnis: - das Nachhausekommen kompliziert (Untergrund - zu Fuß - Auto), nicht unromantisch, das entlegene Quartier, London in Nacht und Regen, - anderswo wäre es nur ungemüthlich gewesen; hier war etwas mehr dabei. -
Denke, liebe Gerda, - ich habe eine fast schmerzhafte Sehnsucht nach Giotto; hier hätte er es so gut, und ich auch mit ihm...


London, 18. N. 19
...Bitte, lies Dir das Programm von Manchester durch! Im “Café des Banques” würde so etwas nicht durchgehen. - Sieh’ Dir auch den “Wisch” aus Mailand an! Toscanini als Wahl-Kandidat! Es ist höchste Zeit, daß auch ich meine politische Karriere beginne. - Heute war die erste Graphophon-Sitzung. Auch diese: eine Via Crucis. Ein Unsinn. - Es ist keine Hoffnung auf Besseres! - Warum streben? Weil einer nicht anders kann. So einer ist Dein Dich liebender Mann.


Den 20. Nov. 1919, London
...Ich habe die Graphophon-Mühsal gestern zu Ende gelitten, in 3 _ Stunden Spiel! Ich bin ziemlich wie zerschlagen, aber es ist vorbei. Es hat mich gedrückt seit dem 1. Tag; als ob ich eine Operation erwartete. Stupid und anstrengend. Ein Beispiel: man wünscht den Faustwalzer (der gute 10 Minuten dauert) - aber nur vier Minuten lang! - Da heißt es also rasch zusammenstreichen, flicken, improvisieren, so daß es doch einen Sinn behält; auf das Pedal achten (weil es schlecht klingt), an gewisse Noten denken, die stärker oder schwächer - dieser Höllenmaschine zu Gefallen - angeschlagen werden müssen; sich nicht gehen lassen - wegen der Korrektheit - und dabei die ganze Zeit bewußt sein, daß jeder Ton für ewig stehen bleibt -: wie kann Inspiration, Freiheit, Schwung, Poesie zu Stande kommen? Genug, daß ich gestern für 9 Stücke von je 4 Minuten (also im Ganzen einer halben Stunde) drei und eine halbe Stunde gearbeitet! - Ein paar von diesen Stücken spielte ich vier- und auch fünf mal: das rasche Denken war dabei das stark Anstrengende. Aber schließlich spürten es auch meine Arme - und dann gab’s noch eine fotografische Aufnahme, und das Unterschreiben der Platten endlich - abgethan!...


London, 23. Nov. 1919
Gestern (meine meisten Briefe fangen an mit “gestern”) ging alles gut. Das Concerto von Mozart entzückte die Kenner und mich selbst; die beiden Stücke [1] wurden ausgezeichnet gespielt und brachten drei Hervorrufe. Ich freute mich meiner guten Musik, an der keine todten Stellen und keine Flecken sind. - Die einzige Zeitung, die ich heute las, geht leicht und verständnislos darüber hinweg; wie auch über die “ganze Jahrhunderte überspringende” Cadenz, da man weiß, daß sie von mir ist. - Du sagst oft, ich thue zu wenig, für meine Sachen. Ich versichere Dich, daß ich das Wenige, was ich thue, eigentlich bereue. - Wir wollen aber die Summe der Meinungen abwarten. Meine Intimen (Dent inbegriffen) hatten einen großen Eindruck. Wood war begeistert, oder geberdete sich so; sagte zu Maudi: “he is now so great” und hob die Arme...
Delius ist aus Frankfurt voller Enthusiasmus zurückgekehrt. Er ist der erste, der von Deutschland gute Nachrichten brachte. Sein “Niels Lyhne” wurde dort mit vielem Aufwand und vieler Sorgfalt aufgeführt... Es war eine Erleichterung, einmal Gutes zu hören über Deutschland. -...

[1] Sarabande und Cortège aus “Dr. Faust”.


London, 24. N. 19
Das ist an A. ein sehr sympathischer Zug, Geld haben zu wollen um es auszugeben. Die Schuld trifft die, die Geld um des Geldes willen machen, die aus Geld wiederum Geld ziehen. Es trifft außerdem die, die aus dem Geld einen Maßstab für den Werth des Menschen machen. Und zu denken, daß es - - eigentlich nicht existiert! Denn Reichthum oder Besitz (auch ein Begriff!) ist nur der Erdboden und die Arbeit. - Aber, heute keinen “Aufsatz”...
An S. mißfällt mir seine Geschäftlichkeit durchaus. Zwischen dem stillen Künstler und dem offenen Charlatan steht der Carrière-Macher: der häufigste Typus. Warum aber, in unserer “praktischen” Zeit, nicht einen muthigen Schritt weiter gehen, und die Reklame, unmaskiert, benutzen? Das wäre einmal ein vernünftiger Vorschlag. Man läse zum Beispiel in der Tram: “N. N’s Lieder sind die schönsten” oder: “In jeder musikalischen Familie empfiehlt sich, vor dem Zubettegehen, ein Lied von N. N... oder: “Meine Kompositionen sind die originellsten und verblüffendsten, eine aufregende Viertelstunde verschafft Ihnen Wassili Dreksky.”
Soeben lese ich die Times; es hat mich traurig gemacht. - Darum schreibe ich nicht weiter und umarme Dich als meinen einzigen Freund...


[London, 25. November 1919.]
Von Dir und Andreae übereinstimmende Eindrücke über Stravinsky, der weiter nicht aufregend ist; nur, daß er dem gedankenlosen Publikum und der urtheilslosen Kritik ein falsches Bild gibt von dem, was in der Musik fortschrittlich sein soll. -
An diesem Beispiel wird dann Neues gemessen. Ich habe dieses hier wieder erlitten. Allein der Daily Telegraph war vernünftiger und gab sich Mühe zu “hören”. (“Sie hören was sie glauben - glauben nicht was sie hören.”) Ein interessantes Stück ist langweilig - ein langweiliges interessant, - je nachdem sie ihre Haltung im Voraus wählen, dem gegenüber was sie hören werden und hören wollen. -...
Und seit gestern weißt Du meine Stimmung für eigene “Propaganda.” Jedoch, man könnte Genf überdenken. (Im Grunde graust es mir.)
Delius traf ich gestern, mit seiner Frau, auf der Straße. Wir verabredeten, auf seinen Wunsch, ein gemeinsames Dinner. Als er abging, kehrte er noch einmal um, als ob er eine Höflichkeitsform vergessen hätte: - “die Sarabande” (sagte er in tröstendem Tone) “gefällt mir am besten -“; ich kehrte ihm den Rücken und - habe im Taxi mich gehen lassen: ich mußte einmal mich ausweinen - - -
Heute ist es mit mir besser...
London imponiert mir diesmal so viel weniger: ich sehe nur Einzelnes und Gewöhnliches und ich kann mir die “Masse” als mysteriöse Macht - wie ich sie als jung empfand - nicht mehr vorstellen. -
Doch gibt es immer noch manches Besondere. - Gestern, mitten im großen “Traffic” der Automobil-Omnibusse ging friedlich und schuldlos mein lieber Vorsehungs-Esel [1] durch die Shaftesbury-Ave. - Alle Wagen mußten um ihn einen Bogen machen, da er langsamer schritt als sie. Da hob sich mein dummes Herz. -...
Kaikhusru Sorabji hat sich als ein ganz junger Indier entpuppt: - dem gab ich, auf seinen Wunsch, einen Empfehlungsbrief. Ein feiner, nicht gewöhnlicher Kopf, trotz seiner häßlichen Musik: einem Urwald mit vielem Unkraut und Dornengestrauch, aber fremdartig und üppig. -...

[1] Der “Asinus providentialis” aus dem “Arlecchino”.


London, 28. Nov. 1919
Ich erhalte diesen Morgen einen Brief von B. Shaw, der so warm gehalten ist, als es ihm möglich ist; er hat mich herzlich erfreut. Wie gut ist dieser Satz, und wie richtig:
“But you should compose under an assumed name. It is incredible, that one man could do more than one thing well; and when I heard you play, I said: “it is impossible that he should compose: there is not room enough in a single life for more than one supreme excellence” - You seem to be a virtuoso of the first order in handling instruments: in fact your danger is an excessive sensitiveness to shades of tone and delicacies of harmonies.”…


London, 1. Dezember 1919
Sehr wunderbar war Dein heutiger Brief, so aufrichtend und stärkend, - kann nicht genug Dir danken! Inzwischen hat sich einiges Gute gezeigt; nach dem Brief von Shaw erschien ein schöner Artikel im Athenaeum “Busoni as a Composer”, darin man liest, daß Dent mich im Grunde recht sehr liebt.
Ich nahm mir diesmal die Sache ein wenig stark zu Herzen: es war nicht gerade diese Sache, aber der bekannte “Tropfen”, der überquoll. - Davon hatte ich, als physische Folge, Blasen am ganzen Körper; eine nervöse Erscheinung, von leichtem Fieber begleitet - - -...
Als ein sehr lieber Freund erweist sich Lamond, der immer kommt, mich zu hören und einen herzlichen Ausdruck zeigt. - Heute bin ich sehr müde (aber nicht unwohl) und im Kopfe ein wenig erschöpft. -


London, 3. Dez. 1919
Nach einem wunderschönen Schlaf - ununterbrochen bis zur vollen Tageshelle - sah heute Alles besser aus, und jetzt (gegen 12) kam Dein sehr lieber Brief...
Ich freue mich von Herzen, daß M. Klinger lebt [1]. Schade, daß er so in Musik pantschte und nur das “ent-deckte”, wozu seine Zeit und sein Land ihn brav und gemächlich führten. Er hatte Aspirationen, die Ketten zu brechen - und rasselte so an ihnen herum - - -
Beethoven-Zeus! mit präraphaelitischen Engelsköpfchen und Christi Passion hinter dem Rücken - welches confuse Resumé von Allem, was Deutschland 1875-95 gravitätisch verehrte! Welche Schwere. Und eigentlich komisch dabei. - (Alle Achtung vor der ernsten Absicht und der künstlerischen Anstrengung.) - Doch ich freue mich, daß er lebt - vielleicht noch Manches einsieht und bekennt. -...
Krieg und Geld - und Geld und Krieg - dazu brauchte Gottvater nicht den Baum der Erkenntnis in das Paradies zu pflanzen - - -.
Im Italienischen heißt er: l’albero del bene e del male: das sieht fast so aus, als ob die ersten Menschen die Wahl gehabt hätten zwischen Gut und Böse - und Gott wäscht sich die Hände in den Ozeanen, und sagt: es ist nicht meine Schuld - - - was sich wiederum mit seinem Sohne und Pilatus wiederholt - Revanche! - Worauf M. Klinger den ganzen Brei mit - - Beethoven zusammenrührt ...
Nicht nur Konzert-Programme, sondern [auch] alles Übrige ist hier herunter. Sie fürchten Deutschlands Konkurrenz und - - arbeiten nicht! Samstag und Sonntag nicht, Donnerstag Nachmittag nicht, und um sechs Uhr ist täglicher Arbeits-Schluß. - Man mußte die Bar--Stunden sehr einschränken (12-2, 6-10) weil die Leute, die vom Krieg kamen, den ganzen Tag nichts thaten als Saufen! Das zieht natürlich Unordnung, Armuth und Ver-brechen nach sich. Um Mitternacht war London ein betrunkener Karneval. - Die Sitten haben sich gelockert (im falschen Sinne) und die Schriftsteller schreiben keck über Geschlechtsfragen. Die Literatur steht vielleicht am tiefsten von Allem. Welch eine Wüste! - Gestern erhielt ich Shaw’s neuesten Band, den kenn’ ich noch nicht. -
Nun muß ich mich zur Reise rüsten. - Der Paß ist bereits in Ordnung, Dienstag vielleicht fahre ich nach Paris, wo ich es möglichst kurz machen werde - Und dann, liebe Gerda, - wie schön!

[1] Er war totgesagt worden.


London, den 7. Dezember 1919
...Es ist abermals ein Sonntag Morgen, sanfte Wintersonne über dem Park, Feuer im Kamin, Ruhe. Die ist in mir nur relativ, und eigentlich drängt es mich zur Arbeit, nach drei verschwendeten Monaten...
Ich bin recht müde heute. Das Programm schien harmloser auf dem Papier, als es sich in der Ausführung erwies. Das Recital stand auf der Höhe des ersten, gelang ganz und vollkommen, der Saal ausverkauft, das Publikum vom Besten, das man jetzt und hier haben kann. Es war wieder eine Sache, wobei ich mit ganzem Interesse war - infolgedessen habe ich mich sehr verausgabt, an geistiger und physischer Kraft.
Nach dem Konzert (eine Hitze! ein Schweiß!) war erst Umkleiden, dann petite cour im Künstlerzimmer, und schließlich intimes kleines Dinner bei Dorothy (die ich jetzt sehr gern habe) - mit Sybil und Maudi...
Ziehen wir die Summe, so müssen wir sagen, daß nur die drei Gelegenheiten in London etwas bedeuten - wofür Mr. Powell nichts kann, da ich das ganz allein gemacht habe. Hingegen war Alles, was Mr. P. ausgedacht. unternommen und ausgeführt hat, Waarenhaus-Styl, unwürdig, peinlich und sogar schädlich. - Mit der Graphophon-Geschichte waren es 15 Auftreten.
Am allerbesten waren gestern die Waldstein-Sonate und die vierte Ballade von Chopin. (Ungeheuer seriöse Stücke in dieser Atmosphäre; - sie erschienen monumental.) Ein Kabinett-Stück des Vortrages: das Capriccio über die Abreise. - Ein paar Leute kamen von auswärts, 200-300 Menschen fanden keine Plätze and mußten weggeschickt werden. Der Hall-Manager war stolz: “it is a record.” - Es sind achtzehn Jahre seit ich den Saal eröffnete; von den vielen Virtuosen--Porträts an den Wänden im Künstlerzimmer sind mehrere ihrer Originale nicht mehr am Leben - - -. Andere - wie Galston und Ysaye - sind in die Schattenseite getreten (Ysaye’s treuer Freund Ortmans sagte: il ne sait plus jouer).
Es ist nicht leicht, Stand zu halten. Zumal die Menschen immer von Neuem aufgerüttelt und impressioniert werden wollen, und sich dazwischen Fortwährendes ereignet, das Alles wieder vergessen macht, - neue Kräfte erstehen, neue Strömungen: während man selbst Dégoût und Unwillen zu überwinden hat, um frisch zu wirken. Ich habe es gottlob in diesem Punkte leichter, aber ganz mühelos geht es nicht, und es sollten die guten Kräfte nur an Gutem geübt werden.
Darum glaube ich, daß es die letzte “Tournee” in diesem Style war...


London, den 9. D. 19
Dieser 44. wird wohl mein letzter Brief aus England vor meiner Abreise sein. Ich habe sie auf übermorgen (Donnerstag, den 11.) festgesetzt. Diesmal kann ich die kürzere Route nach Paris benutzen (Folkestone-Boulogne). Das Recital hatte großes Echo. Sonntags kamen mehrere Leute zu Besuch: Lamond, Dent, Major Trevor (Kritiker des “Daily Expreß“), ein lieber und verständnisvoller Mann. - Lamond war ungeheuer gütig, freundschaftlich, ja liebevoll. Ich war davon sehr innig berührt. -... Milner sang Teile aus Arlecchino... Es war angenehm, heute zum Frühstück einige Zeilen von Benni zu erhalten: der kleine Brief war reizend - ich glaube, wir können über unsere Jungen recht, recht froh sein; die sind doch feine Menschen. -...
Hier regnet es Engagements...


London 10. Dez. 1919
Also doch 45; weil ich Dir noch mittheilen muß, daß ich gestern Abend die schöne Freude erlebte, einen ganz unerwarteten Brief zu erhalten von - Galsworthy!, den ich nicht kenne, aber (Du weißt) hochschätze.
Mein Spiel - schreibt er - “is a lesson in the long task, which confronts us all, of expressing the utmost of emotion in forms perfect and controlled - the only indestructible art. One goes to one’s work refreshed and inspirited.” - Ich erfuhr, daß G. gestern morgen nach Spanien gereist ist: daß er am Vorabend dieser Reise noch den Brief an mich schreiben wollte, macht mich recht glücklich. -...



1920



Nach Zürich
(Lugano,) 1920, 31. Jan.
...Die Ankunft in Lugano gab einen traumhaften Eindruck, der mich darin bestärkte, einige Tage hier zu bleiben; mein Zimmer im Hôtel geht auf eine große gemeinsame Terrasse, wohinaus alle Zimmer dieser Reihe münden; alte schwarze Bäume, und Mondschein, und unten Brunnenplätschern, und dahinter der See: es war - wie ich sage - gleich 500 _ Nacht. Jetzt denke ich, natürlich, mit meiner verfl...... Gewissenhaftigkeit, daß ich Abends doch bis Mailand gehe. Aber das kann nicht sehr gut werden; denn ich komme nicht mehr dazu, das Klavier zu prüfen, noch in frischem Zustande zu sein. -...
Ich bin so bekannt, und mehr als ich erwarte! Schon auf dem Bahnhof wurde ich bei Namen begrüßt, dann hier im Hôtel ebenso.
In dem kleinen Gasthof Croce Rossa in Chiasso, saß ich am selben Tische mit zwei italienischen Lebemännern, die eine junge Schwedin mit sich führten. Und einem Herrn aus Padova. - Sie waren alle kürzlich in Deutschland und Österreich gewesen; meinten, es sähe nicht gut aus. Aber alle hatten den Glauben, daß Deutschland bald wieder erstehe...
Schönen Geburtstagsgruß an Lello! Ich liebe ihn von Herzen... Wünsche ihm einen schönen Tag und unzählige ebensolche, die ihm folgen. -
Mit Benni fühle ich mich in schönem Einverständnis.
Er hat wieder angeknüpft und wird, bei seinem trefflichen Denken, jetzt rasch sich hinauf entwickeln... Euch Alle umarme ich mit ganzer Wärme...


Nach Paris
[Zürich,] 10.Juni 1920
...Der Form bin ich endlich auf der Spur, von meinem Mephistopheles; denn auch ein Teufel muß sie haben! - Konnte nicht üben. War nervös durch Dein Fortgehen...
Ich habe mich angestrengt Dir meine Unruhen zu verbergen; fühlte mich zuletzt sehr gejagt im Gehirn: vielleicht thut die Reise was Gutes dagegen...


Nach Paris
...Heute früh erfreute mich Deine Karte: nun bist Du in Bewegung und flatterst durch Paris. Gott erhalte Dir Deine Frische. Besprich doch etwas mit Philipp: mir ist es so schwer Ja zu sagen, und noch schwerer Nein. - Der Jüngling Walton (vom Restaurant Español her) schickte mir geschriebene Noten. Er hat ein wenig Kontrapunkt im Leibe; sonst “komponieren” sie Alle nach einer Formel: Noten, Noten, Noten, kreuz und quer, ohne Fantasie und Gemüth. Was die Schönheit betrifft, so ist allerdings der Geschmack veränderlich: Wagner ist z.B. oft “schön”; er wußte genau, daß auch dieses zum Handwerk gehört. - Nun ist [es] im Grunde die Begabung, die entscheidet. -
Liebe Gerda, freue Dich; auch ein wenig über Deinen
Dich liebenden Ferruccio.
[London,] 5. Juli 1920.


Nach Paris
London 8. Juli 1920
...Diese Tage waren recht “enervierend” und ich fühle, daß ich gerade noch rechtzeitig mit dieser Art Arbeit aufhöre! So habe ich dann zwei Wochen länger gegeben, als ich rechnete. - Sybil und Dent bekamen den Faust [1]. Sybil war “weg”; Dent sagte (ich glaube zum ersten Male) das Wort “meraviglioso”. - Die beiden Erfolge freuten mich... Alles übrige (es ist nicht viel) mündlich. Ich bin heute so befreit. (Schade, daß man nicht bummeln kann.)...

[1] Das Textbuch.


Nach Zürich
Berlin 11. Septbr. 1920
Ich bin noch nicht 2 Stunden in Berlin, und muß Dir unverzüglich schreiben...
Es war ein Vergnügen, zu dem human-freundlichen Ton der deutschen Grenzbeamten zu gelangen...
Die Deutschen im Süden zeigten einen rührenden “schamhaften Ehrgeiz”, noch “Alles zu haben”: Schwaben sah glänzend bestellt aus, auf dem Lande; und der Anblick von Stuttgart, von oben geschaut, wirkte - gegen das Bild der Schweizer Städte - imposant und fantastisch. Man sieht die Stadt, wie gesagt, erst von oben und fährt dann in einer großen Spirale abwärts, wobei die Stadt abwechselnd verschwindet und wieder sichtbar wird, jedesmal näher. Auf dem Bahnhof ein Gewirre! Der Schlafwagen war normal eingerichtet, die Ankunft pünktlich. - Bis jetzt sah ich Berlin nur zwischen 8-9 Uhr Morgens, bei schönem Wetter...
Der Portier unseres Hauses empfing mich wie ein Vater. Die Wohnung ist erstaunlich gehalten und sieht so reich und schön aus!...
Ich muß mich ein wenig sammeln...

Nachmittag
Es ist ein seltsamer Kontrast zwischen der bescheidenen, oft ärmlichen Kleidung und den selbstverständlichen Hochpreisen!... Im Ganzen kann ich noch kein Urtheil abgeben. -...
Dieser Brief ist ganz zusammenhanglos, worüber Du Dich nicht wundern solltest; denn ich bin nicht ganz klar und ein wenig erregt. Die Wohnung ist aber wunderschön. Alles strahlt! - Ein wenig auch
Dein F.


Nach Zürich
12. S. 1920 Berlin
Ich sitze in meinem Bücherzimmer - “la cité des Livres”, sagt A. France - wo ich (soweit ich übersehen kann) - jeden Band an seinem Platz wiederfinde; Papier, Tinte, Feder und sonstiges Schreibtischzeug sind bereit. Ich war zaghaft, diesen Raum zu betreten und entschloß mich erst diesen Morgen, es zu thun [1]. - Es ist Sonntag und es regnet. So bleibe ich schön zu Hause...
Hier innen ist es prächtig. Draußen leider nicht so. Es gilt noch einmal den Kampf, seinen Maaßstab hoch zu halten. Nach America und Zürich nun Berlin. - Doch ich kann auch heute nichts Definitives sagen. Du wirst sehen. Geht es nicht - dann werden wir anders wählen müssen. Aber ich bin immer noch überzeugt, daß es versucht werden mußte, das Haus übernommen, die Prüfung durchschritten. Um Alles zu wissen...
Ich denke, viel zu arbeiten: ich werde mich konzentrieren. Den Giotto vermisse ich ganz erbärmlich... Ja, ich freue mich auf Arbeit. - Sogar auf ein frisches Klavier--Experimentieren.
Die erste Nacht verlief passabel...
Buddha sieht aus, als wäre er von lebendigem Fleisch. Als sollte er Bewegung annehmen. Oft glaube ich, er thut's. Und das ist Alles für heute. Morgen schreibe ich wieder...
Begegnete gestern Hans Herrmann (Berliner Liederkönig): “Na, Busoni; gut daß ich Sie treffe. Wollte, daß Sie für ‘ne Dame ‘n Fächer unterzeichnen” - Ist so Etwas möglich?!!

[1] Busoni hatte den Schlüssel zu seiner Bibliothek mehr als 5 Jahre ängstlich gehütet und stets bei sich getragen.


Nach Zürich
Berlin 14. S. 1920
...Alle waren sehr herzlich, wie überhaupt der Ton in Berlin menschlich und nett ist. Ich war kaum aus dem Hause. (Ich habe so viel Beschäftigung und freue mich derselben.)... Es ist wie ein Traum, daß ich schon den vierten Tag wieder hier sein soll - - -
Ich warte mit Ungeduld Deiner Ankunft. Deinen kleinen aber so sehr lieben Brief erhielt ich mit Herzklopfen, so sehr freute er mich. Habe Dank. Morgen schreibe ich mehr. Küsse Euch liebenden Herzens, Dich, Benni und Lello...


Nach Zürich
Den 16. S. 1920 Berlin
Heute - endlich! - habe ich die Toccata fertig ge-macht, - wirklich mit Datum und Unterschrift. -
Ich fühle, daß ich arbeiten könnte, wenn man mir Ruhe ließe! - Zu Hause ist es nämlich wirklich inspirierend... Briefe regnen.
Durch die Toccata etwas “ferienhaft”, auch ermüdet. -...


Nach Zürich
19. Septbr. 1920 Berlin
Daß es schon der zweite Sonntag ist!
Heute kam, auf meine Einladung, der Buchbindermeister Schmid: - ich dachte ein wenig Atmosphäre herzustellen...
Ich habe mich beschäftigt, bin mit der Toccata sehr zufrieden; schrieb heute “zum Spaß” einen - - Tanzwalzer. -...
Und wann kommst Du? Ich warte mit Ungeduld darauf. - Arme Gerda, wer weiß wie sehr Du ermüdet bist! Eigentlich solltest Du noch Ferien in der Schweiz genießen. Bitte, thue Alles, wie Du fühlst. Ich bringe mich hier vorläufig ganz gut durch, wenngleich ich Dich erwünsche. Ich küsse Dich liebend und dankbar...


Nach Zürich
21. S. 1920 Berlin
...Ich arbeite angenehm, habe die Toccata “retokkiert”, und instrumentiere den Tanzwalzer... Ich fand die beiden ersten Lieferungen von Slevogt’s Cellini, und es gelang mir, den Schluß in derselben alten guten Ausstattung zu bekommen. -... Heute kamen X’s. Bin ich gewachsen, oder sind sie alle reduziert? - Ich versuche, meine Thür zu verrammeln, aber Etwas sickert immer durch. - Es ist ein merkwürdiger Zustand. Da ich “offiziell” noch immer “incognito” bin, so kann ich nicht wissen, wie sich alles entwickeln wird. -...
Im Ganzen waren diese Wochen die schwersten meines Lebens: ich wundere mich, daß ich recht viele Harmonie noch bewahrt habe und freue mich, daß ich Dir dieses sagen kann. - Ich ruhe mich in meiner Weise aus, beschäftige mich im Bücherzimmer und gehe am späten Nachmittag ein wenig auf die Straße... Den Concert-Plan habe ich auf Clavier-Abende und 3 Orchester-Abende mit meinen Werken entworfen. Mehr möchte ich vorläufig nicht. -... Das Programm von Milner ist allright. - Von dem “An den Wassern zu Babel” hatte ich einst für Clark eine schöne Umarbeitung gemacht, die ich aber verlegt oder verloren habe...
Ich küsse Dich so sehr und möchte daß Du noch dort Dich ein wenig freutest... Ich erhielt auch eine liebe Karte von Jarnach und Umgebung...


Nach Zürich
24. S. 1920 Berlin
Meine geliebte Gerda, ich weiß nicht ob Dich dieser Brief erreicht. Doch kann ich Dich nicht ohne Nachrichten lassen, für den Fall, daß Du noch in Zürich wärest. - Zwar habe ich nichts Wichtiges zu berichten. Der Tanzwalzer wird weiter instrumentiert; ich setzte die Compositions-Abende fest, und besprach die sogenannte Busoni-Nummer des “Anbruch”, die ich gerne als ein gutes Dokument abgefaßt sehen möchte. - Das scheint vorläufig aussichtsreich. - Sonst versperre ich mich, und lebe für mich: Es ist sehr beruhigend und anziehend. -...
Es ist hier vieles verkümmert, aber nicht unerträglich; und es bessert sich vor Augen. -...
Ich freue mich auf Dich.
Hoffe morgen Brief...


[London, 6. Oktober 1920]
Von Edinburgh hatte ich diesmal wenig, weil das Konzert in der Mitte des Tages lag. Erst um 7 abends konnte ich zwei Stunden gehen (wie dankbar war ich für diese Möglichkeit!) : - es war Sonnabend, die Läden geschlossen und eine “Populace” drängte sich durch die Hauptstraßen.
Die Plebs in Edinburgh (und Glasgow) gehört zu der niedrigsten und rohesten die ich sah. Dagegen hat der westliche Amerikaner etwas “Gentiles”. Am Sonnabend Abend ist sie losgelassen und bildet einen lasterhaften Tumult...
Das ist ein starkes und fast dämonisches Stück, der “Todtentanz” von Strindberg. Auf den ersten Blick scheint es die Schilderung einer bösen Ehe; aber dann wird man sich klar, daß es sich um den Charakter des Mannes dreht. Daß die Frau, die am häufigsten, längsten und nächsten bei ihm ist, die stärksten Reflexe vom Manne abbekommt ist natürlich, aber doch ist es nicht hauptsächlich eine Ehe-Geschichte... Das Stück hat mich kräftig gepackt und es geht von ihm eine furchtbare Suggestion aus: es kriegt (wie man sagt) einen nieder. Trotzdem halte ich es nicht für ein “Kunstwerk” und weiß nicht einmal, ob die dramatische Form richtig gewählt war. Und wiederum: die “Rolle” des “Kapitäns” ist so, daß man gleich Schauspieler werden möchte, um sie darzustellen.
Von der Sprache kann ich nichts sagen (die Übersetzung ist nicht sehr gut); - aber jedenfalls ist sie nicht dichterisch; sie behält die Technik des Naturalismus und Ibsens, nämlich sagt alltägliche Dinge in alltäglicher Form. Nur hier und dort leuchtet ein philosophischer Gedanke, ein wirklicher Erfahrungssatz auf, ein Aphorismus - - Eine eigene Technik trotzdem. Der Lakonismus und das “Tempo” sind oft von höchster Virtuosität und Wirkung: es wird nur das Allernötigste gesagt aber es “trifft”.
Von Strindberg zu Freund Backhaus ist ein Sprung, aber ganz wohlthuend.
Er erzählte: Rubinstein hatte in Liverpool einen Beet-hoven-Abend und einen Chopin-Abend angekündigt. Der Beethoven-Abend war leer und Rubinstein reiste ab, ohne den 2. Abend abzuwarten (“in diesem Dorf werde ich nie wieder spielen!”). -
Als Backhaus mit der Erzählung so weit war, schüttelte er unzufrieden den Kopf und bemerkte: “ich glaube, das war ein Fehler” - “Wie meinen Sie?” sagte ich höchst belustigt und ein bischen verblüfft - “der Chopin-Abend war ausverkauft” schloß er resigniert. -
(Und da wundert man sich, daß man Rembrandt die schlechte Zensur in der Schule noch nachträgt!) - -
Ein Sonntag Morgen, etwas winterlich, - ich bin eben von Edinburgh zurück - habe einen Tag Ruhe, der ich heute sehr bedarf.
Die Woche war nämlich so:
Montag: angekommen.
Dienstag: 5 Stunden nach Leeds, Concert; Nachts: 6 Stunden zurück.
Mittwoch: 6 Uhr früh angekommen. Gearbeitet.
Donnerstag: 3 _ Stunden hin und 3 _ zurück nach und von Cheltenham, dazwischen Concert.
Freitag: 4 _ Stunden nach Liverpool, Probe mit Kreis1er, Konzert; Nachts: nach Glasgow.
Sonnabend: Von Glasgow nach Edinburgh, Konzert. Nachts: zurück nach London. - - angekommen:
Sonntag: Heute, den 6. Okt. - frei.
Die eigenen Recitals waren ausverkauft, die Abende mit Kreisler weniger gut. Kreisler spielte sehr hübsch, sehr vorsichtig, hat kleine violinistische Spezialitäten. Ist im Grunde ein lieber Kerl und zu mir von vortrefflicher Haltung. Wir kommen diesmal sehr gut aus...



1921



(Hamburg,) den 15. Jan. 1921
Es war ein zauberhafter Sonnen-Wintermorgen, als ich heute aufwachte. Brecher klopfte schon um 9 Uhr an. Aus Vorsicht. - Das Orchester ist moralisch und künstlerisch verkommen...
Die Entdeckung ist schmerzlich: kein Mensch liebt und fühlt Musik. Die Einen üben sie als Gewerbe aus, die Anderen als Taktstriche, die Dritten aus Eitelkeit. - (Ich war auf der Probe recht böse. - Die Leute dachten natürlich, als “Star”, obwohl sie gar nicht zuhörten.) Die mit den “Taktstrichen” sind noch die Ehrenwertesten, wenngleich sie eben so wenig der Musik nahe stehen...
Ich kam gestern um Mitternacht an. Die Fahrt war kalt. -
Ich denke an Dich, als an die einzige Frau...


Nach London
(Manchester,) Febr.y 13th 1921
...Das gestrige Konzert war ganz befriedigend, völlig ausverkauft, das Publikum herzlich und warm, die Aufführung gut. - Die Brodsky’s begrüßten mich... Frau Brodsky fragte wie es den Jungen ginge. - Gut, so viel ich weiß. - Sind sie gutte Menschen geworden? (mit animiertem Lächeln). - Ich glaube, ja. - Dann sind sie wie die Mamma. Sie sind ein gutter Künstler, ein großer Künstler - aber Ihre Frau ist gutter Mensch...
Brodsky ärgerte sich, daß ich mit Max Mayer deutsch sprach. - (Ein komisches Paar.)...


Nach Groß-Gmain bei Salzburg
[Berlin,] den 20. Juli 1921
...Partitur geht von selbst weiter; sie zieht mich, an-statt daß ich sie führe, - wie der Giotto! - (Ich arbeite diese Szene mit großer Freude und sie verspricht das Beste.)...


Nach Groß-Gmain
[Berlin,] 23. Juli 1921
In diesem Augenblick habe ich die Disputation in der Partitur fertig gemacht: technisch vielleicht mein vollkommenstes Stück innerhalb einer Oper! (Zugleich von großer Lebendigkeit.)
Von Dir bis heute nur die eine Karte, und - trotzdem Du nicht hier bist - ist die Woche (heute Samstag!) plötzlich zu Ende...
Ich habe den Kopf im besten Zustande, gottlob, unberufen, und freue mich auf den nächsten Angriff auf das Textbuch. -


Nach Groß-Gmain
[Berlin,] 30. Juli 1921
...Ich freue mich über Deine Eindrücke von Salzburg, das ich leider nicht kenne; obwohl man mich genug mit österreichischen Schönheiten gefüttert hat in den “schönen Jugendtagen”. - Das war die Zeit der “illustrierten Pracht-Ausgaben” die - in Lieferungen erscheinend - “auch dem Minderbemittelten es möglich machten, diesen Hausschatz sich anzueigenen”. Ich will nämlich erzählen, wie Frau B. mir einen solchen Band zur Ansicht in die Wohnung schickte, und zwar den von Goethe’s Dramen. Darin ist der Faust als Dr. Wilhelm Kienzl dargestellt, wie er fortwährend in altdeutschen Weinstuben in der Friedrichstraße sitzt, auf “Luther-Stühlen” - und Butzenscheiben als Hintergrund. Ich schickte den Band mit Dank und mit der Bemerkung zurück, er wäre nicht nach meinem Geschmack...
Die Jünglinge [1] kommen Montags und Donnerstags; da kann ich sie nach 1-1 _ Stunden verabschieden. Ich bin regelmäßig fleißig gewesen und bin recht weiter gekommen; in Gedanken noch mehr als auf dem Papier; aber auf dem Papier auch schon stattlich. - Ich erwarte Dich mit Ungeduld...

[1] Seine Kompositionsschüler.



1922



[London, 20. Januar 1922]
In der Voraussetzung, daß der Brief vor Deiner Abreise ankomme, melde ich Dir meine glückliche Landung nach normaler Fahrt. Die Paßbeamten auf dem Schiff waren reizend. How long will you stay this time in England, Mr. Busoni? Are you going to play soon? Und der Zollbeamte kreidete ohne zu fragen. - Zwei Holländer die mit mir fuhren taxierten mich für einen Diplomaten, der im Auftrage der Regierung nach England führe. Die erste “halbe” echten Heidsiecks im holländischen Speisewagen wurde, in der Vorstellung, zu einem kleinen Erlebnis. Gefragt, ob er deutsches Geld annehme, bejahte der Kellner und rechnete für die _ Flasche 650 Mark. - “Und wieviel rechnen Sie in englischem Geld?” Sagt er: “13 Shillings.” Da zahlte ich englisch, weil es optisch und akustisch immerhin ein leichteres Gewissen gibt. Man hängt also doch von “Ziffern” ab. - Ich habe den ganzen Tag nichts gedacht; ich hielt diesen Zustand für unmöglich. Und wie langweilig ist er!!... Leider erwartete mich Keiner am Bahnhof. - Und nun freue ich mich auf Dein Kommen...


Nach Paris
[London, 20. Februar 1922]
Eine taube und stumme Leere scheint mich einzuwickeln, seit Du das Hôtel verlassen hast. Ich schicke Dir schnell diese Zeilen nach, um mit Dir in Verbindung zu bleiben. - Ich erschrecke bei dem Bewußtsein, wie fremd man in diesem Lande ewig bleibt; wie die Men-schen hier selbstverständlich Alles entgegennehmen, um nichts dafür zurückzugeben, außer ihrem “Cachet”. -
Die zwei oder drei Harmlosen, die uneigennützig treu sind, vermögen nicht, die Physiognomie der Nation zu ändern. - Welche Kraft in dieser Defensive! Aber sie bricht mit der Zeit, und diese Zeit hat begonnen. Indien und Irland stehen auf, und innerhalb der Insel droht das häßliche Gespenst des Arbeiter-Aufruhrs. - Diese klugen Narren haben selbst den “Strike” erfunden!
Ich sehne mich nach meinem Arbeitszimmer. (Und nach einer Hafen-Stadt am Mediterraneo.) In Paris habe ich recht viel zu arbeiten...


Nach Paris
(London,) 21. F. 22
Ich bestellte gestern Abends Feuer für heute früh 8 Uhr, und verbrachte den Vormittag vor dem Kamin am “Arbeitszimmer” [1], wie ich’s gewöhnlich thue, wenn ich allein bin...
Fürst Fürstenberg fordert mich wieder auf, zu helfen zum nächsten Musikfest.
An Newman (Ernest) schrieb ich gestern über Berlioz einen guten Brief: er hatte ihn, letzten Sonntag, an Opera- composer manqué genannt! (Die Franzosen haben da viel auf dem Gewissen.) -
Ich muß noch nächsten Montag hier sein, um diese absurde Grammophon-Geschichte aus meinem Leben zu schaffen!...

[1] Bestehend aus “Tisch” und Stuhl. Den Tisch baute sich Busoni selbst, indem er seinen kleinen Handkoffer auf einen Stuhl legte. So pflegte er in Hotels zu arbeiten.


Nach Paris
(Manchester,) 24. F. 1922
...Ich werde wahrscheinlich erst am 1. März nach Paris kommen; wenn ich kann, einen Tag früher.
Morgen, Samstag, treffe ich in London gerade zu Egon’s Recital ein, dann muß ich die Bücher packen, daß er sie mitnehme.
Sonntag Grammophon-Programm vorbereiten.
Montag: “Recording”.
Darum denke ich Dienstag Athem zu schöpfen. Mittwoch ist der 1. März. -
Ich sehe noch nicht klar, wie ich die fünf Programme für Paris bereit haben soll: mein eigenes Stück kenne ich noch gar nicht - -
Gestern gab’s Wagner’s “Faust”-Ouverture. Es ist fast schon alles Spätere drinnen: Holländer, Tristan, Parsifal. Aber steif, aber unbegabt und sogar schlecht instrumentiert!... Überdies: warum ist Wagner’s Stück “Faust” benannt? - Räthsel. -
Noch danke ich Dir für Deinen lieben Brief; das graue Kleid hatte ich schon entdeckt, nebst zwei Thermosflaschen. Dieses verlassene Still-Leben war rührend zu schauen...


(Hamburg,) 25. März 1922
Es sollte dieser Bogen als Morgengruß auf dem Frühstückstisch vom Montag liegen...
Werner Wolff [ist], wenn auch kein Werwolf, doch ein sehr respektabler Musiker und Dirigent, der solid und geschmackvoll leitet. - Sarabande und Cortège waren heute besser, als wie in Paris; trotz dem geringeren Orchester. - Fiat justitia. -
Die Stücke gefielen mir auch wieder ganz. Dies gab mir weiteren Muth zur Vollendung des Werkes...
Die Stadt sieht äußerlich geordnet und geschäftig aus. Die Einfahrt gab ein stattliches Bild. Aber am Abend, gleich nach Geschäftschluß, ist Alles dunkel und leer...
Im Ganzen steht Hamburg recht getrennt vom deut-schen Reiche, fast wie eine Insel: ein “England in pocket-edition”.


(Hamburg,) den 26. Mz. 1922
Das war wirklich sehr lieb, daß Du schriebst; und was Du schreibst, ist richtig. - Ich spielte heute in der Probe sehr gut, trotzdem ich dazwischen das Klavier nicht angerührt habe. Der Saal war ausverkauft, das Publikum (auch bei meinen Stücken) sehr warm: Pfohl beglückt. -
Die Aufführungen waren nicht ganz so anständig wie in der I. Probe; wofür es morgen wieder besser gehen wird. Im Künstlerzimmer regnete es Anträge. Nächste Saison mit Pollack, womöglich schon diesen April einen Klavier-Abend; der Nachfolger von Rahter wollte eine “Suite” bestellen, schließlich war ein Mann aus New York da, mit großen Plänen. Das Klavierspielen gefällt mir wieder besser: ich möchte gern noch eine neue Seite darauf gewinnen; und fast glaube ich, ich werde es noch thun!...



1923



Nach Donaueschingen
...Im neuen Anbruch-Hefte schlägt Bekker sich ganz auf die jüngste Seite... fürchtet er das “Altern?” Aber widerspruchsvoll bleibt es, wie er Stravinsky’s Soldat gelten läßt, und den Begriff der “Einheit” in der Musik vollständig überhört. -
Frage doch Jarnach gelegentlich, wie er den Fall Bekker betrachtet. Grüße ihn, und empfiehl mich dem fürstlichen Paare, dem Burkard und anderen Befreundeten.
Ich hoffe so sehr, daß es Dir dort nicht weniger gut gefalle, als das erste Mal. Ein wenig Ablenkung und andere Motive, als die gewohnten, hattest Du nöthig.
Darum wünsche ich Dir so viel Freude als möglich, umarme Dich liebevoll und erwarte Dich wieder mit Glockengeläute.
Dein Ferruccio
[Berlin,] am 28. Juli, 1923