Zum letztenmal trat Busoni am 2. Januar 1909 ans Pult der Philharmoniker für eines der zwölf Programme mit zeitgenössischen oder selten aufgeführten Werken. Neben Liszt, Cesar Franck, Mozarts «Don Giovanni»-Ouvertüre (Konzertschluß von Busoni) und einem orchestrierten Violin-Rondo von Schubert hörten die erstaunten Berliner ein Suiten-Scherzo des jungen Ungarn Bela Bartok, der sein Stück selbst dirigierte. Die zwölf Konzerte waren einer überwiegend feindlichen Kritik begegnet, die auch im Falle Bartoks empört reagierte.
Busoni trug nicht nur die moralische, sondern auch die materielle Verantwortung für diese Konzerte ganz allein. Kestenberg behauptet, fast alle Hörer hätten Freikarten gehabt. Sicher ist aber, daß die Konzerte nach anfänglich schwachem Besuch eine immer größere Zahl begeisterter Hörer versammelten. Ihr Publikum bestand nicht nur aus Musikern, sondern auch aus interessierten Laien, namentlich Schriftstellern wie Jakob Wassermann, Stefan Zweig und Alfred Kerr.
Dann gab es unstete Wintermonate mit Reisen nach Triest, Wien, Lyon, Mailand, Genua, Rom und Bologna. Uberall wurde der Pianist gefeiert, überall begegnete er bedeutenden Menschen, wie in Bologna dem Komponisten Giovanni Sgambati, in Mailand Arrigo Boito, in Wien dem Klavierbauer Ludwig Bösendorfer. Als Lektüre nennt Busoni Victor Hugos Gedichte, Plato und Bücher über Leonardo da Vinci.
Der Vater Eerdinando war seitJahren leidend. Busoni hatte ihn am 9. März vor seinem Konzert in Triest besucht. Auch die Mutter war in keiner guten Verfassung. Im Mai starb Ferdinando im dreiundsiebzigsten Lebensjahr. Anna, die ein Jahr ältere, folgte ihm am 3. Oktober. Durch ihren Tod tief bewegt, schrieb Busoni in London in wenigen Tagen die «Berceuse élégiaque» für Kammerorchester, eines seiner harmonisch kühnsten Werke, ein wahrhaft utopisches Wiegenlied des Sohnes am Grabe der Mutter. Über den letzten Besuch bei den Eltern berichtete er an Gerda: «Obwohl ich alte Leute nicht sehr mag, so muß ich sagen, daß ich einen großen Trost hatte, meine Mutter aufzufinden.
Obwohl schwach und sichtlich noch zarter geworden, war sie klar und geistig beweglich und so gut! Sie segnete mich, indem sie sagte: Ich segne dich, der du deiner Mutter so viel Freude und Hilfe bringst.» Den Vater hat Busoni zweifellos weniger geliebt. Zu oft hatte dieser sein Leben beunruhigt und mit schweren Sorgen belastet. Dennoch kehrten seine Gedanken zu ihm zurÜck, wenn er aufseinen Reisen an Ferdinandos kulturellen Nationalstolz erinnert wurde. Als er Gerda den Kreml schilderte, erwähnte er eine Kirche, die nach dem Plan von San Marco in Venedig gebaut war: «Mein Vater hätte triumphiert.»

Den Sommer verbrachte Ferruccio in der Augsburger Straße, während Gerda in Varese und Gargnano am Gardasee sich erholte. Die letzte Konzertreise des Jahres fÜhrte nach Wien und Budapest. Im Wiener Nachtzug traf er Emil Hertzka, den Direktor der Universal-Edition, dem er seine Bearbeitung von Schönbergs Klavierstück Opus II Nr. 2 zur Veröffentlichung zusagte. Er war befriedigt von seinen Erfolgen und in Budapest sogar von seinem eigenen Spiel. Hier suchte ihn wieder eine junge Musikerin auf, Gisella Selden, die bald seine eifrige Prophetin, später auch Kompositionsschülerin wurde.

Er hatte sie bei einem früÜheren Budapester Konzert durch eine ehemalige Schülerin kennengelernt und eine Partitur von ihr nach Berlin mitgenommen und gelesen. Bei den Gesprächen mit Boito im März hatte er auch die Partitur seiner nahezu beendeten«Brautwahl», deren Text sein alter Freund Augusto Anzoletti übersetzte, vorgelegt. Es dauerte noch zwei Jahre, bis das Stück in Hamburg zur Uraufführung kam.