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Sachbücher

Der Berg glüht

Was sagt uns die Rede von Musik? Wolfgang Rihms erstmals herausgegebene Schriften geben eine Antwort, die ganz nach Rihm klingt

von Klaus Georg Koch

Die Paul Sacher Stiftung in Basel hat die Schriften von Wolfgang Rihm jetzt erstmals im Zusammenhang veröffentlicht. Rihm ist ein fast beispiellos fruchtbarer Komponist und hat in den vergangenen 25 Jahren nicht nur eine unübersehbare Anzahl von Werken geschrieben. Er hat auch immer viel zur Musik gesagt, zu seiner eigenen, zur Musik komponierender Zeitgenossen, zur Musik überhaupt. Dabei muß man sich nicht vorstellen, Rihm mache eben Worte, oder rede einfach über Musik. Das ist es nicht. Rihm ist wie kaum ein anderer Komponist im öffentlichen Leben präsent, bei Uraufführungskonzerten, Podiumsdiskussionen, Preisverleihungen, Ausschußsitzungen, Kongressen, Partys. Er spricht dort nicht über Musik wie ein Wissenschaftler, oder wie ein Funktionär, oder wie ein Musikfreund, ja, nicht einmal wie ein Komponist. Rihm spricht über Musik wie ein Dichter, er hat seinen Gegenstand geschaut.

Nicht begriffsfähig

Die zweibändige Studienausgabe des Basler Komponisten-Archivs, das auch die musikalischen Arbeiten Rihms betreut, tritt dem Anspruch dichterischer Rede durch die Form der Publikation entgegen. Der Musikwissenschaftler Ulrich Mosch hat das großenteils noch von Hans Oesch zusammengetragene Material aus Aufsätzen, Reden, Laudationes, Interviews und Programmheftbeiträgen ausgewählt und in systematisch angelegten Kapiteln zusammengefaßt. Thematisch geordnet finden sich jetzt Texte etwa zu "Metier", "Schaffensprozeß", "Komponieren", "Theorie", "Sprache und Musik", "Fragen der Zeit". Innerhalb der Kapitel sind die Texte chronologisch geordnet. Häufig steht neben dem Jahr der Entstehung die Zahl 1997, ein Hinweis darauf, daß Rihm die Texte vor der Drucklegung noch einmal durchgesehen hat; leider sind jüngere Eingriffe für den Leser nicht kenntlich gemacht, eine Geschichte des Rihmschen Musikdenkens läßt sich nur unter Vorbehalt konstruieren.

Zunächst funktioniert die thematische Gliederung ganz leidlich, vermutlich kommt man gar nicht umhin, die Rede über Musik mit einer begrifflich orientierten Ordnung zu konfrontieren. Man merkt aber, daß Rihms Texte auch anders angeordnet werden könnten, daß es dem Komponisten um systematische Begriffsklärung gar nicht geht. "Musik ist nicht begriffsfähig", sagt Rihm, und, an anderer Stelle: "Es ist nichts denkbar. Weil die Objekte fehlen, die angeschaut werden können." Was kann also die Rede von der Musik? Bei Rihm erhellt sie den Augenblick. Im Sprechen wird plötzlich etwas klar. Ein Wort wird an seiner Wurzel gepackt und gibt einen unerwarteten Sinn frei. Zwei gewöhnlich verbundene Begriffe werden auseinandergerissen, im Auseinanderreißen wird der Blick frei auf die Sache der Kunst.

Seit Platon kann man den Begriff als etwas verstehen, das sich zur Musik widerständig verhält, das ihrem Prinzip widerspricht. Die flüchtige Erscheinung der Musik zerlegt der Begriff in Einzelmomente und setzt ihr etwas Beständiges entgegen, etwas, das sich anschauen läßt. Es ist dieses Feste, Verfestigende, dem Rihm mißtraut, wenn er von Musik spricht. Musik selbst sollte für Rihm etwas sein, "das weder gemeint noch gemacht, sondern einfach da ist". Das Da-Sein aber hat keine Dauer, keinen Begriff, es ereignet sich. An diesem mystischen Moment, in dem das Dasein sich ereignet, entzündet sich Rihms Sprechen. Er weiß, daß Sprache oft mehr verstellt als sie freigibt, daß sie bestenfalls Hinweise liefert, daß man ein Musikstück eigentlich nur so erklären kann, "daß man den Mund aufmacht - und es käme raus". Gerade das Paradoxe dieser unaussprechlich sich mitteilenden Gegenwart muß Rihm immer wieder artikulieren.

Aus diesem Grund kann man nicht sagen, Rihm spreche über Musik. Rihm spricht, wie er komponiert. Er verabscheut Form-Konventionen, musikalische Sprachregelungen, die praktische Grammatik für Komponisten - das alles hindert Musik, sie selbst zu sein. Für Rihm ist gewiß, daß Klänge "nicht mehr als hingenommene Folge von Denkvorgängen stehen können. Die Klänge müssen ,wie für sich' entstanden sein, unverwechselbar, unauswechselbar". Musik ist ein unendlich Seiendes, das zunächst nur als Möglichkeit existiert. Erst der Komponist, der Künstler, wie Rihm ganz romantisch formuliert, läßt Musik sie selbst werden "mit dem Versuch, ihr Da-sein nach außen zu kehren, in die Gestalt, in die Erkennbarkeit".

Aber auch das ist nicht so einfach, auch hier hat es Rihm mit dem Antagonismus von allgemeinem Sein und individueller Form, von Möglichkeit und Verfestigung zu tun. Kunst soll "unausweichlich" sein, gleichzeitig ist sie "gestaltete Zwangsläufigkeit". Gelegentlich träumt Rihm, erschöpft vom Schöpfungs-Kampf, davon, "weniger Musikstücke zu komponieren, als vielmehr Zustände von Musik", und in gewisser Weise kann man sein Werk als fluktuierenden Korpus musikalischer Konkretionen ja auch verstehen.

Kraft der Behauptung

Auch wenn Rihm über das Technische seiner Musik kaum ein Wort verliert, hat man mit der Lektüre seiner Schriften eine Menge verstanden, auf ganz unmittelbare, anregende Art, und immer bekommt man Lust aufs Hören, Wieder-Hören, Weiterhören. Und schließlich wird das Konstruktive in der Musik nicht völlig ausgeblendet, was es mit ihm auf sich hat, erfährt man in den liebevollen Texten etwa über Luigi Nono oder Helmut Lachenmann, deren Arbeiten sich von denen Rihms sehr unterscheiden. Über Rihms Art von Selbstverständnis und Selbstbeschreibung mag man sich wundern, stets wird man aber von der Kraft der Behauptung beeindruckt sein. Einen kleinen Text zum Thema "Postmoderne" schließt Rihm mit einem monumentalen Selbstporträt in Form eines Naturbildes. "Das Wort ,postmodern' gehört zur modernen Kletterausrüstung der sportlichen Touristen im Kunstgebirge", schreibt Rihm: "In seinem Namen rupfen sie Edelweiß, photographieren einander und warten auf ein Glühen. Von der Hitze im Berg und der Kälte auf dem Gipfel ahnen sie nichts."

Wolfgang Rihm: Ausgesprochen. Schriften und Gespräche. 2 Bde. Herausgegeben von Ulrich Mosch. Amadeus Verlag, Winterthur 1997. 898 S., 116 Mark. ISBN 3-905049-76-7.

Rezensionen aus der Berliner Zeitung index

vom 27.12.1997


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