Claudia Feldhege

BUSONIS TURANDOT ALS PARADIGMA
DES PHANTASTISCH-GROTESKEN
«LACHSPIEGELS»

pp. 88-90

Gemäß seinen erstmals 1913 formulierten Thesen hatte Busoni der Kunstgattung Oper lediglich zwei Stoffgebiete als die ihr allein angemessenen zugewiesen: Den Bereich des Übernatürlichen für die ernste Oper und den Bereich des Unnatürlichen, des «unterhaltenden Verkleidungstreibens» für die heitere Oper. Bis zum Beginn des ersten Weltkriegs jedoch galt das persönliche Interesse Busonis vornehmlich Textvorwürfen mystisch-ernsten Inhalts, wie gerade auch seine Umgestaltung der grotesken Hoffmannschen Erzählung «Die Brautwahl» belegt. Bei den vor der Jahrhundertwende entstandenen Skizzen zu «Ahasver» zeigt lediglich einer der Entwürfe den Versuch, das Thema mit den Mitteln der Komik zu verhandeln; - alle übrigen Entwürfe lassen das Bemühen Busonis erkennen, den mystischen Gehalt der Legende zu thematisieren. Im Faust-Libretto schließlich eliminierte Busoni die von ihm in der Erstfassung von 1910 vorgesehenen Kasperle-Einlagen zugunsten eines einheitlicheren Grundzugs, der erneut der Sphäre des Mystischen verpflichtet ist. Von den übrigen vor dem Krieg von Busoni verfaßten Textbüchern verbleiben daher lediglich drei Texte, die aus der Busonischen «Zauberspiegel»-Produktion herausfallen: Die Wagner-Parodie des Jahres 1889, die undatierte Maeterlinck-Parodie und das 1909 niedergeschriebene Operettenlibretto «Frau Potiphar», - eine Persiflage der biblischen Josephs-Erzählung, die von Busoni möglicherweise zugleich als Parodie der ebenfalls biblischen «Salome» von Strauss intendiert war.
Eine Parodie aber nimmt ihrem Wesen nach den zu verhandelnden Gegenstand ernst, um ihn vermöge einer Überzeichneten Darstellung seiner Wesenszüge der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Parodie zielt demnach auf Demontage ab und hat infolgedessen mit dem «absoluten Spiel» des Busonischen «Lachspiegels» wenig gemein. Auf dieses besann Busoni sich erst nach Kriegsausbruch, - zu einer Zeit, in der seine immer schon stark pessimistisch geprägte Weltsicht gleichsam nachträglich und endgültig ihre Rechtfertigung erfuhr. «Es war nie meine Art», schreibt Busoni 1915, «über 'schlechte Zeiten zu klagen. Ich glaubte, alle Zeiten wären gleich, - aber diese ist schlimmer.» In diesen Zeiten der Welt einen «Zauberspiegel» entgegenzuhalten im Sinne eines Gegensatzes «zum Ernste und zur Wahrhaftigkeit des Lebens», erschien ihm nunmehr unangemessen. Das freudlos gewordene Dasein erforderte einen stärkeren Gegensatz, den des «Lachspiegels», und es ist kein Zufall, daß Busoni nun, in der Nachfolge Nietzsches, der Kunst als ihre vornehmste Aufgabe die Bestimmung zuweist, «die Erde zu heitem».
Anders als viele seiner Zeitgenossen negierte Busoni die Notwendigkeit, den Krieg als Künstler zu thematisieren, ihn - sofern dies überhaupt möglich ist - künstlerisch zu verarbeiten. Und wenn er dann doch in seinen beiden Arlecchino-Libretti den Krieg ebenso wie die gesellschaftlichen Verhältnisse hinter der Maske Arlecchinos offen anprangert, unterstreicht dies die Sonderstellung dieser beiden Texte gegenüber den übrigen Textbüchern Busonis, da sie sich weder in die Busonische «Zauber»- noch in die «Lachspiegel»-Theorie einordnen lassen. Letztlich vertrat Busoni den Standpunkt, daß die Kunst mit den herrschenden Zuständen nicht sich zu befassen habe, sondern im Gegenteil alles daran setzen müsse, von ihnen abzulenken, einen Gegensatz zur Realität zu schaffen. In einem Brief an Hugo Leichtentritt schreibt Busoni mit Blick auf dessen geplante Vertonung der Klagelieder nach dem Propheten Jeremia: «does orie really have to relate one's work to the war at all?!» Und er fährt fort: «Moreover, people are in need of cheer and encouragement, they must regain their confidence. This can be achieved, if not through religion, then through the arts; and of the arts, music.»
Die Busonische Bestimmung der Kunst als Ersatzreligion, der die Aufgabe zufällt, dem Menschen angesichts des allgemeinen Rückfalls «in die primitive Bestialität» Freude und Aufmunterung zu spenden, findet ihren Niederschlag in vier der insgesamt acht nach Ausbruch des Krieges begonnenen hbrettistischen Arbeiten: Nur noch einmal, mit dem «Wandbild» von 1917, in dem die Irritation der beiden Studenten hinsichtlich der befremdlichen Welt des Antiquars durchaus als Sinnbild für die ohnehin instabile, nunmehr aber aus den Fugen geratene europäische Ordnung gefaßt werden kann, greift Busoni auf seine einstmalige Vorliebe für Texte mystischen Inhalts zurück. Im übrigen aber galt sein Augenmerk neben den beiden Arlecchino-Libretti und der Parodie des deutschen Spießbürgers von 1916 (deren librettistische Bestimmung mehr als zweifelhaft erscheint) solchen Texten, die sich seinem Begriff des «Lachspiegels» subsumieren lassen. Von diesen vier Textbüchern - es handelt sich um die 19M verfaßte Götterbraut, das gegen Ende des Jahres 1916 niedergeschriebene Turandot-Libretto und die beiden Fragment gebliebenen Texte Die Wunderbahne nach Cervantes von 1917 sowie die Bearbeitung des Ali Baba-Märchens aus dem Jahr 1919 - hat Busoni lediglich das Turandot-Libretto vertont. Und da dieses Textbuch zudem der Betonung des Spielerischen, der gewollten Unnatürlichkeit und dem absichtlichen Unernst der Handlung bis ins Detail verpflichtet ist, erscheint es in besonderem Maße zur Erhellung des Busonischen «Lachspiegels» geeignet.