Dienstag, 13. Mai 2003
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Jens Malte Fischer
Hans Pfitzner und die Zeitgeschichte
Ein Künstler zwischen Verbitterung und Antisemitismus

In einer unheilvollen Mischung aus persönlicher Verbitterung und deutsch-nationalem Gedankengut hat sich Hans Pfitzner nach dem Ersten Weltkrieg zu einem bekennenden Antisemiten entwickelt - einem Antisemiten freilich, der zwischen guten und schlechten Juden unterschied. Im Dritten Reich alles andere als geschätzt, hat er auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an seinen Auffassungen festgehalten.

Im November 1915 beginnt Thomas Mann die Arbeit an seinem politisch-literarischen Bekenntniswerk «Betrachtungen eines Unpolitischen», im März 1918 schliesst er sie ab, sie erscheinen nach Ende des Kriegs im Oktober des gleichen Jahres. Im Juni 1917 hatte Mann erhoben, begeistert und tief angerührt die Uraufführung des «Palestrina», des musiktheatralischen opus summum von Hans Pfitzner, in München miterlebt (der gemeinsame Freund Bruno Walter, Dirigent der Uraufführung, war das Bindeglied zwischen Pfitzner und Mann). Die «Betrachtungen» enthalten ein merkwürdig exterritorial anmutendes Kapitel zu Pfitzner und «Palestrina» mit einer treffsicheren Charakterisierung der politischen Position Pfitzners: «Der Komponist . . ., der bis zum Hochsommer 1914 sich um Politik den Teufel mochte gekümmert haben, der ein romantischer Künstler, das heisst: national, aber unpolitisch gewesen war, erfuhr durch den Krieg die unausbleibliche Politisierung seines nationalen Empfindens. . . . Wahrhaftig, dieser Zarte, Inbrünstige und Vergeistigte nahm Stellung gegen den ‹Geist›, erwies sich als ‹Machtmensch›, ersehnte den kriegerischen Triumph Deutschlands, widmete demonstrativ . . . ein Kammermusikwerk dem Grossadmiral von Tirpitz; mit einem Worte: der nationale Künstler hatte sich zum antidemokratischen Nationalisten politisiert» - also eben jene Entwicklung, die Thomas Mann gerade im Begriff war in letzter Minute gewissermassen von sich abzuwenden.

SCHÄUMENDE HASSTIRADEN

«Antidemokratischer Nationalist»: Die Diagnose Thomas Manns ist präzise genug, und Mann dachte dabei auch an eine Schrift Pfitzners, die 1917 erschienen war und den Titel «Futuristengefahr. Bei Gelegenheit von Busonis Ästhetik» trug. Pfitzner bezog sich dabei auf den «Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst», eine kleine Schrift des deutsch-italienischen Komponisten Ferruccio Busoni, die zunächst weitgehend unbeachtet 1907 erschienen war und dann 1916 als Insel-Büchlein grosses Aufsehen in Musikerkreisen erregte. Wichtig wurde, dass Pfitzner Busoni als Umstürzler der Musikwelt ansah, und das Wort «Umsturz», das Pfitzner mehrfach gebrauchte, hatte 1916/17 für alle, welche die drohende politische Umwälzung, die aus dem Weltkrieg resultieren würde, voraussahen und ablehnten, einen katastrophischen Beigeschmack. Der revolutionären Beliebigkeit einer so gestalteten Welt der Musik stellte Pfitzner schon damals den Begriff der «deutschen Musik» entgegen.

In der Anti-Busoni-Schrift Pfitzners deutete sich an, was dann in einem im Sommer 1919 geschriebenen und Anfang 1920 erschienenen Text zum vehementen Ausbruch kam. Pfitzner hatte in der Zwischenzeit das als Vernichtung empfundene Kriegsende erlebt. Mit dem Titel: «Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom?» spielte er erneut auf Busonis Büchlein an, während er sich im Text auf den Kritiker Paul Bekker einschoss, der sich in der «Frankfurter Zeitung» für eine liberale Musikauffassung einsetzte und sich im Gegensatz zur Garde der alteingesessenen Kritiker, die meist im Sinne des Wagnerismus völkische und reaktionäre Positionen vertraten, auch für die neue und neueste Musik engagierte.

Pfitzners Nationalismus überschlägt sich in schäumenden Hasstiraden, die selbst in der überhitzten Atmosphäre der unmittelbaren Nachkriegszeit ungewöhnlich sind und an den Ton der NSDAP-Veranstaltungen der frühen zwanziger Jahre erinnern:

Was geschehen ist mit unserm armen Land, von aussen geschehen, durch eine brutal erdrückende, himmelschreiend-unritterliche Übermacht . . ., und diese noch gestützt durch bewusst organisierte, verleumderische Verhetzung der ganzen Welt gegen uns, eingeschlossen die teuflische Verhetzung der wilden Horden, denen der verwundete deutsche Soldat als wehrloses Opfer vorgeworfen wird - was uns geschehen ist von aussen an satanischer Grausamkeit, mit allen Schrecken und Bosheiten der Hölle und des Mittelalters, an Schmach, Hohn, Schimpf und Verachtung -, von diesem ungeheuersten Justizmord und Gewaltakt aller Zeiten werden Historiker schreiben.

Das ist die Dolchstosslegende in ihrer reinsten Form, wie sie alle Gegner der Weimarer Republik von rechts vertraten. Pfitzners Hass richtet sich dann aber weniger gegen die Feinde von aussen, sondern gegen diejenigen Deutschen, die der Dolchstosslegende nicht anhingen, die gar für Frieden eintraten. An der Elle der nationalen Gesinnung richtet sich dann auch Pfitzners Antisemitismus aus.

ZWEIERLEI JUDEN

Pfitzner ist sozusagen geborener Antisemit, denn er ist bereits als junger Mensch Wagnerianer und Schopenhauerianer, womit die zwei entscheidenden Prägungen seines geistigen und künstlerischen Lebens benannt sind. Für einen richtigen Wagnerianer ist Wagners Schrift «Das Judentum in der Musik» (1850/1869) in dieser Frage die entscheidende Richtschnur, und noch 1919 nennt Pfitzner sie in der «Neuen Ästhetik der musikalischen Impotenz» eine «ernste, liebevolle und tapfere Schrift». Pfitzner ist aber auch Schopenhauerianer, und in seinem persönlichen Exemplar von Schopenhauers Schriften finden sich mehrfache Anstreichungen gerade von dessen antijüdischen Passagen. Mit diesem Gepäck ausgerüstet, kommt der knapp dreissigjährige Pfitzner Ende der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts nach Berlin und sieht dort, was er sehen will. An seinen jüdischen Freund Paul Nikolaus Cossmann schreibt er in einem Brief 1898 aus Berlin: «Vielleicht ist das die richtige Stelle, an der ich erwähnen kann, dass ich mich hier in Berlin ganz besonders als Antisemit ausgebildet habe; man hat hier die Gefahr und die Macht so nahe vor Augen.» Und er fügt in erschreckender Selbsterkenntnis hinzu: «Es ist schon beinahe krankhaft bei mir.»

In der Tat: Ein Element der Paranoia wird in Pfitzners Denken immer eine Rolle spielen. Die typisch Pfitzner'sche Eigensinnigkeit betrifft sowohl die Verbohrtheit des Antisemitismus selbst wie aber auch die weitgehende Weigerung, auf den sich am Ende des 19. Jahrhunderts beschleunigenden Zug des Rassenantisemitismus aufzuspringen. Pfitzner hat versucht, auch im Dritten Reich die angesichts des Rassenantisemitismus völlig illusionäre Unterscheidung zwischen einem guten Juden, der deutsch-national denke, und einem schlechten, der international denke, durchzuhalten. Das heisst nicht, dass er den Rassengedanken gänzlich ablehnte, denn er war ihm wie die meisten Zeitgenossen, auch die jüdischen, verfallen, aber er wollte das rassische Argument im Falle der Juden durch das weltanschauliche ergänzt wissen.

Er versuchte seinen Standpunkt auch gegenüber Adolf Hitler zu bewahren: bei der einzigen Begegnung im Februar 1923, als Hitler Pfitzner in einem Münchner Krankenhaus besuchte, wo dieser nach einer Gallenoperation lag. Die Berichte darüber sind einschliesslich einer Aufzeichnung von Pfitzner selbst nicht als völlig authentische Quellen zu betrachten, aber es scheint, dass der damals ausserhalb Münchens unbekannte Hitler und der immerhin berühmte Komponist Pfitzner sich in der Bewertung des Ersten Weltkrieges und der «Versailler Schande» einig waren, nicht aber in der Behandlung der «Judenfrage», wo der Rassist Hitler die Differenzierungen Pfitzners, der natürlich an seine Förderer, Freunde und Mitstreiter Gustav Mahler, Bruno Walter und Paul Cossmann dachte, nicht gelten lassen wollte.

RESPEKT VOR JÜDISCHEN FÖRDERERN

Der Antisemitismus Pfitzners stand auf einer schwankenden Grundlage. Mit Nachdruck und persönlichem Einsatz tritt er im Dritten Reich für den Freund Cossmann ein, der interniert wird und später in Theresienstadt stirbt; dabei dringt er bis zu Reinhard Heydrich vor, dessen Vater, der Wagner-Tenor Bruno Heydrich, einst der Titelheld in der Uraufführung von Pfitzners Erstlingsoper «Der arme Heinrich» gewesen war. Er setzt sich für seinen jüdischen Schüler Felix Wolfes ein, solange dieser noch in Deutschland ist, sowie für den Opernregisseur Otto Ehrhardt, immer mit dem Hinweis darauf, dass diese zwar Juden, aber aufrechte und deutsch gesinnte Menschen seien, und er tut dies unverdrossen, obwohl er schnell merkt, dass er sich damit überhaupt nicht beliebt macht. Nie ist Pfitzner weder öffentlich noch privat ein Wort der Distanzierung von Gustav Mahler und Bruno Walter zu entlocken.

Bei den Förderern wird Pfitzner auch an den Berliner jüdischen Mäzen Willy Levin gedacht haben, dem er viel zu verdanken hatte. Es muss zumindest in Parenthese angedeutet werden, dass Pfitzners Verbohrtheit und Schroffheit auch Ursachen haben, die tief im Charakterologischen und Familiären zu suchen sind. Pfitzner war schon als junger Mensch von tiefer Misanthropie erfüllt, die sich durch den Verlauf seiner Karriere nicht verbesserte. Er ist der Thersites der deutschen Musikgeschichte, alle beschimpfend, ewig beleidigt, der in seiner Sicht immer Zu-kurz- Kommende, als Reaktion darauf sich aber nicht zurückziehend wie ein Melancholiker, sondern angriffslustig um sich beissend.

Vergessen wir auch nicht, dass sein Leben von Schicksalsschlägen in ungewöhnlicher Häufung heimgesucht wurde. Ein Kind stirbt 1911 kurz nach der Geburt, seine erste Frau stirbt 1926, 1936 stirbt sein ältester Sohn nach langer Gehirnkrankheit, seine Tochter begeht 1939 Selbstmord, den ihm auch enge Freunde als durch seine hartherzige Haltung verschuldet vorhalten, und schliesslich fällt sein jüngster Sohn, mit dem er in schlimmsten Auseinandersetzungen lebte, 1944 an der Ostfront.

Auch wenn man solche Dinge berücksichtigt, wird man jedoch einen Text nicht ohne Schaudern zur Kenntnis nehmen können, den Pfitzner unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Juni 1945 verfasst hat und den er «Glosse zum II. Weltkrieg» nannte. Es ist dies ein Dokument der vollendeten Paranoia, das alle Schuld am Zweiten Weltkrieg dem Ersten gibt und den Mächten, die seinerzeit gegen Deutschland Krieg geführt haben. Was die Ermordung der europäischen Juden betrifft, die sich damals allgemein zu enthüllen begann, so handle es sich, wie Pfitzner meint, um bedauerliche Einzelfälle in den Konzentrationslagern, die nichts bedeuteten im Vergleich zu den Verbrechen der Russen, Amerikaner und Engländer in der Führung des gerade beendeten Krieges. Pfitzner sieht, was die Verfolgung der europäischen Juden betrifft, noch im Juni 1945 einen guten Glauben Hitlers:

Er wollte sein Vaterland wieder stark und frei machen & darüber hinaus noch Europa einen grossen Dienst leisten, indem er alle Juden aus ihm vertriebe, & wenn es sein musste, radikal ausrotten wollte. . . . Das Weltjudentum ist ein Problem & zwar ein Rassenproblem, aber nicht nur ein solches, & es wird noch einmal aufgegriffen werden, wobei man sich Hitlers erinnern wird & ihn anders sehen, als jetzt, wo man dem gescheiterten Belsazar den bekannten Eselstritt versetzt. Es war sein angeborenes Proletentum, welches ihn gegenüber dem schwierigsten aller Menschenprobleme den Standpunkt des Kammerjägers einnehmen liess, der zum Vertilgen einer bestimmten Insektensorte angefordert wird. Also nicht das «Warum» ist ihm vorzuwerfen, nicht, «dass er es getan», sondern nur das «wie» er die Aufgabe angefasst hat, die berserkerhafte Plumpheit, die ihn dann auch, im Verlauf der Ereignisse, zu den Grausamkeiten, die ihm vorgeworfen werden, führen musste.

Ein verbitterter alter Krakeeler wird sozusagen erst nach Kriegsende zum wirklichen Nationalsozialisten (der Partei hat er nie angehört) und ideologischen Spiessgesellen des Massenmordes. Auf jeden Fall wird man diese Geisteshaltung, wie sie auch in den wenigen Briefen zum Ausdruck kommt, die Pfitzner nach 1945 noch mit Bruno Walter gewechselt hat, nicht unbedingt als konsequente und nahtlose Weiterentwicklung seiner früheren Positionen bezeichnen können.

DIE «KRAKAUER BEGRÜSSUNG»

Pfitzners Stellung im Dritten Reich war freilich nicht die, die er sich erhofft hatte. Seine Person und seine ständigen Mahn- und Drohbriefe stiessen bald auf taube Ohren, auch bei Hermann Göring, mit dem er im Februar 1935 einen Zusammenstoss hatte, der mit überzogenen Alterssicherungs-Forderungen Pfitzners zu tun hatte. Die Zahl der Aufführungen seiner Musik konnte sich in jenen Jahren mit denen von Richard Strauss (auch nach dessen Rücktritt von der Spitze der Reichskulturkammer) nicht messen, ja sie reicht sogar nicht einmal an seine Präsenz in der verhassten Weimarer Republik heran. An Strauss reibt sich Pfitzner ein Leben lang. Franz Schreker und Erich Wolfgang Korngold, die alten Rivalen um die Gunst des Opernpublikums, sind zwar als Juden von den Bühnen verschwunden (was Pfitzner nicht bedauert), aber dafür erfahren neben Strauss und Wagner die von ihm als undeutsch verachteten Verdi und Puccini eine Hochachtung, die sich auch in zunehmenden Aufführungszahlen ausdrückt. Hitler erscheint trotz mehrfacher persönlicher Einladung nicht zu Pfitzner-Aufführungen, Goebbels schneidet ihn; die offizielle Linie ist, ihn nicht zu brüskieren, aber doch möglichst zu ignorieren.

Dennoch gibt es eine ganze Reihe von repräsentativen Veranstaltungen und Ehrungen, die Pfitzners eigener Jeremiade von der totalen Vernachlässigung widersprechen. Im besetzten Holland dirigiert Pfitzner 1941 eigene Werke, und im besetzten Paris gibt es 1942 eine Aufführung des «Palestrina» in seiner Anwesenheit. Es ist bezeichnend für Pfitzners Halsstarrigkeit, dass er sich weigert, musikalisch zu offiziellen Anlässen beizutragen, was ja sogar Richard Strauss zu den Olympischen Spielen 1936 getan hatte. Eine einzige Ausnahme gibt es freilich. Aus dem Jahr 1944 stammt die «Krakauer Begrüssung» (op. 54), die dem Generalgouverneur von Polen, Hans Frank, gewidmet ist (der den Beinamen «Polenschlächter» erhielt und in dessen Machtbereich, wenn auch nicht unmittelbarer Zuständigkeit, Auschwitz lag). Diese Musik ist bis heute ungedruckt. Laut Pfitzners eigener Auskunft wurde sie auf Bestellung von Frank geschrieben, eine kurze Gelegenheitskomposition, «meiner Feder nicht etwa unwürdig . . ., sehr gut klingend und einprägsam».

Hans Frank war ein Mäzen Pfitzners, aber auch anderer Musikgrössen des Dritten Reichs, ein Mann von ostentativer Kultur- und speziell Musikbegeisterung, der Pfitzner mehrfach zu Konzerten nach Krakau einlud und den Pfitzner sehr schätzte, gar als Freund betrachtete. Pfitzner hat offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen, was in Franks Machtbereich geschah. Es ist wiederum typisch für Pfitzner, dass er Frank, als dieser im Oktober 1946 bereits in der Todeszelle in Nürnberg sass, ein Telegramm schickte: «Lieber Freund Frank. Nehmen Sie diesen herzlichen Gruss als Zeichen der Verbundenheit auch in schwerer Zeit. Stets ihr Dr. Hans Pfitzner.»

SCHWIERIGE CHARAKTERSTRUKTUR

Kompositorisch entsprach Pfitzner nicht dem, was die Nationalsozialisten ungenau genug als «stählerne Romantik» propagierten und was sich bis zum Ende des Dritten Reiches nicht zu einer prototypischen NS-Musik gestalten wollte. Anders sieht es mit dem Ideologen Pfitzner aus. Er war ein Deutsch-Nationaler mit punktueller Affinität zur Ideologie des Nationalsozialismus, allerdings weit mehr zur ersten Hälfte des Parteinamens als zur zweiten, denn alles, was Volksgemeinschaft anging, die Verbindung zwischen dem letzten Parteigenossen und dem Führer, die Kultur für alle, die Kraft durch Freude erzeugen sollte, der Gefolgschaftsgedanke und der Personenkult, die von Goebbels gewollte und geförderte Rolle der populären Musik und des Unterhaltungsfilms - all das war dem elitären Misanthropen Pfitzner verhasst.

Die Berührungspunkte liegen im Nationalismus, im Chauvinismus und im Antisemitismus. Das führt bereits in der Weimarer Republik zu einer immer stärker werdenden Abwehr der Republik und der Demokratie, zum Hass auf den Internationalismus und alle modernen Kunstrichtungen im Sinne der «entarteten Kunst» und zur «Sehnsucht nach einem kräftigen, durch Militär geschützten Staat». Dennoch ist nachgewiesen, dass Pfitzner zumindest bis Anfang der dreissiger Jahre deutsch-national gewählt hat, also Alfred Hugenberg und die «Deutsch-Nationale Volkspartei» und nicht Hitler und die NSDAP. Blindheit und Abstand von der Politik waren gleich gross. An Pfitzners in den Grundzügen um 1919 entwickelter Position (er war damals immerhin fünfzig Jahre alt) hat sich im Grunde bis 1945 nichts mehr geändert, und die Bekömmlichkeit und Legitimität eines politischen Systems wurde vom alten Pfitzner vor allem danach beurteilt, wie es sich auf das Wohlergehen seines eigenen Werkes und seiner Person auswirkte.

An Pfitzner schieden und scheiden sich die Geister. Wer ihn für einen bedeutenden Komponisten hält (und das taten und tun mit guten Gründen beispielsweise Bruno Walter und Thomas Mann, Alban Berg, Hans Zender und Wolfgang Rihm), der muss damit zurechtkommen, dass dieser grosse Musiker ein Mensch von schwierigster und unerfreulichster Charakterstruktur war, mit Ansichten, die kein vernünftiger Mensch akzeptieren kann, und politisch verblendet in einem Mass, das die sozusagen normale Egomanie und den normalen Opportunismus eines Künstlers erheblich überstieg (hier liegt der entscheidende Unterschied zu Richard Strauss und die Gemeinsamkeit mit Richard Wagner). Thomas Mann war von Pfitzner so enttäuscht, dass er den freundschaftlichen Kontakt für immer abbrach und sich nie mehr öffentlich über Pfitzner äusserte, ohne allerdings seine Begeisterung für «Palestrina» nachträglich zu verleugnen. Bruno Walter, milder gestimmt als Mann, nahm den Briefwechsel mit Pfitzner, den er nach 1945 kurz geführt hatte, nicht wieder auf, nachdem dieser sich als unverbesserlich entblösst hatte. Dennoch schrieb er nach Pfitzners Tod an den Verleger Max Brockhaus: «Denn was mir Pfitzners Werk war und was auch meine persönliche Beziehung zu ihm in meinem Leben bedeutet hat, ist Ihnen wohlbekannt. Und ebenso können Sie ermessen, dass die Schwierigkeiten im persönlichen Verkehr mit ihm, die sich zu einem nicht mehr erträglichen Grade während der kurzen Zeit der Nachkriegskorrespondenz zwischen uns gesteigert hatten, mich tief betrüben. Haben wir nicht in seinem Wesen die seltsamste Mischung von wahrer Grösse und Intoleranz, die vielleicht je das Leben eines Musikers von solcher Bedeutung problematisch gemacht hat?»

 

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