FERRUCCIO BUSONI
BRIEFWECHSEL MIT
GOTTFRIED GALSTON

Mit Anmerkungen und einem Vorwort,
herausgegeben von Martina Weindel


BRIEF VON 19.09.1907

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FLORIAN NOETZEL GmbH
VERLAG DER HEINRICHSHOFEN-BÜCHER
WILHELMSHAVEN

ISBN 3-7959-0754-3
Taschenbücher zur Musikwissenschaft 128, Florian Noetzel Heinrichshofen-Bücher, Wilhelmshafen, 1999 [53 lettere di Busoni; 68 di Galston; 397 note; 6 fotografie; bibliografia e indice dei nomi]






Galston aus Berlin nach Wien [1]

(19. September1907)
[Mus. ep. G. Galston 4]

Berlin W.[est]50.
Scharper Str. 37
den 19. Sept. 1907

Lieber Meister
Sie dürfen nicht vergessen, dass in Berlin einer sitzt und der wartet sehr sehnsüchtig auf die dedizierten Stücke [2]. Also sobald ich die Manuscripte zur Abschrift haben kann, bitte sehr darum. Das war eine grosse und mächtige Freude, die Sie mir mit dieser That bereitet haben.
Für Ihre Subscriptionsliste auf Liszt's Gesammt-Ausgabe (der Klavierwerke) [3] sind drei neue Namen (ausser meinem eigenen natürlich) also bitte zu notieren:
Casanova Pallanza [28] und Klinckerfuss sen.[ior] und jun.[ior] [4] Berlin.
Haben Sie den Meyringk [sic] gelesen? Da ist ein Stück: «Der Mann in der Flasche» das finde ich prachtvoll. [5]
Ich hoffe dass sich: Busoni zwischen Bopp [6] und Boppstiber [7] wohlfühlt sonst mag der erstere nur recht freigebig Bopp- und Nasenstiber an die beiden letzteren und alles andere wüste Boppgethier austhellen. Das walte Gott.
Beste Grüsse Ihres Galston


[1] Im Februar 1907 hatte Busoni ein Angebot des Wiener Konservatoriums angenommen, eine Meisterklasse in Klavier zu unterrichten. Im Septernher 1907 begab er sich nach Wien, um seine Schüler auszusuchen, und trat sodann im darauffolgenden Monat seine Stellung am Konservatorium an. Diese Unterrichtstätigkeit sollte sich zunächst auf ein provisorisches Jahr erstrecken. Um gleichzeitig seiner eigenen Konzerttätigkeit nachgehen zu können, wurde mit der Direktion des Konservatoriums vereinbart, dass Busoni an vierzehn Tagen seinen Unterricht abhielt und für die nächsten vierzehn Tage frei war, sich seinen Konzerten zu widmen (s. Willimann, S. 35).

[2] Im Zeitraum vom 15. November bis 1. Dezember 1907 komponierte Busoni fünf Klavierstücke, die im nachhinein um noch zwei zusätzliche ergänzt wurden. Noch am 1. Dezember 1907 bezieht er sich in einem Brief an seine Frau auf die ursprünglich gedachte Titulierung 5 Clavierstücke. Nach der Wendung (a.a.O., S. 142f.), die dann im Laufe des Dezembers 1907, da ein weiteres Stück hinzukam, in die Bezeichnung Elegien. 6 neue Klavierstücke abgeändert wurde. Bemerkenswert ist, dass er den Terminus Elegie nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung, Le. als 'Klagelied' verstanden haben möchte, sondern freier, in bezug auf 'eine Versform in elegischen Distychen' interpretiert, wie sie beispielsweise in Goethes Römischen Elegien in Erscheinung tritt (s. ebenso Beaumont: The Composer, S. 102f.). Dies kommt vor allem in einem Brief vom 2Z September 1916 zum Ausdruck, worin Busoni an den befreundeten portugiesischen Pianisten José Vianna da Motta (1868-1948) schreibt: »Mit der Bausch- und Bogen-Auffassung des mittelmässigen deutschen Bürgers sieht er [Berthold Kellermann; besorgte den V. Band (Kleinere Orchesterwerke) der Liszt-Gesamtausgabe] in dem Begriff 'Elegie' einzig das Klagelied. Ein Deutscher sollte wenigstens seinen Goethe kennen, und sind etwa dieses Wundermannes 'römische Elegien' Klagelieder? Beinahe das Gegenteil davon. (Aber 'römisch' ist auch schon anrüchig« (zitiert nach einer maschinenschriftlichen Abschrift des Originals; Rowe Music Library). Die 5. Elegie (Die Nächtlichen. Walzer), eine freie Bearbeitung nach dem 6. Satz (Nächtlicher Walzer) der Turandotsuite op. 41 (s. Anm. 101), wurde erst nach Nr. 6 (Erscheinung. Notturno) im Dezember 1907 komponiert. Das Heft mit den sechs Elegien wurde 1908 bei B&H verlegt. Eine Berceuse (s. Anm. 70), wurde 1909 hinzugefügt und gemeinsam mit den anderen Stücken unter dem Titel Elegien. 7 neue Klavierstücke veröffentlicht (vgl. ebenso Beaumont: Selected Letters, S. 87). Die 1. Elegie (Nach der Wendung. Recueillement) widmete Busoni Galston, die folgenden dedizierte er seinen Klavierschülern Egon Petri (Nr. 2), Gregor Beklemmischev (Nr. 3), Michael von Zadora (Nn 4), O'Neil Philipps (Nr. 5), Leo Kestenberg (Nr. 6) und johan Wijsman (Nr. 7) (vgl. Kindermann, S. 233).

[3] Im Zeitraum von 1907 bis 1936 gab die Franz-Liszt-Stiftung durch Busoni, Peter Raabe u.a. eine Gesamtausgabe von Liszts musikalischen Werken heraus (insgesamt 34 Bde., Leipzig, unvollständig). Die Mitarbeiter an der Edition der Klavierwerke waren überwiegend Schüler von Franz Liszt, wie Jpsé Vianna da Motta, Bernhard Stavenhagen und August Stradal, sowie Komponisten und Pianisten, die eine grosse Vorliebe für seine Werke besassen, wie Busoni und Ma Bartòk. Im Rahmen dieser Gesamtausgabe übernahm Busoni neben anderem die Edition der Etüden, die 1910/11 in drei Bänden (als II.1, II.2 und II. 3) bei B&H veröffentlicht wurden.

[4] Es handelt sich hier um den Marchese Silvio della Valle di Casanova (1861-1929), der in San Remigio bei Pallanza lebte und mit Busoni befreundet war. Der Marchese war eine kultivierte und vielseitig gebildete Persönlichkeit. Seine ausgeprägte Leidenschaft für die deutsche Literatur - er hatte ein Germanistik- und Philosophiestudium an der Universität Stuttgart absolviert - veranlaßte ihn, Gedichte in ausschliesslich deutscher Sprache zu verfassen (vgl. Dent, S. 231). Darüber hinaus war er ein Schüler von Liszt in Weimar gewesen und stand zeitlebens in näherer Verbindung zu namhaften deutschen Pianisten seiner Zeit, wie Clara Schumann, Eugen d'Albert und Wilhelm Kempff. Als Sammler musikalischer Handschriften besass der Marchese einige, teilweise unveröffentlichte Autographe von Liszt, Wagner und Debussy. Busoni, der nicht nur als Sammler, sondern auch als Herausgeber und Bearbeiter Interesse an Liszts Werken hatte, dürfte den Grund seiner Reise nach San Remigio hauptsächlich in der Einsichtnahme und Kollation der unedierten Liszt-Autorographen gesehen haben.

[5] Gemeint ist die Stuttgarter Pianistin Margarete Klinckerfuss (1877-1959), die Busonis Schülerin war, sowie deren Mutter, die nach einer Auskunft von Egon Petris Schüler Daniell Revenaugh (Berkeley, Californien) ebenfalls Pianistin gewesen sein soll.

[6] Genau genommen: «Der Mann auf der Flasche», eine Novelle des österreichischen Schriftstellers Gustav Meyrink (eigentl. Meyer, 1869-1932); der Literat war ab 1903 Mitarbeiter an der humoristischen Wiener Zeitschrift «Der liebe Augustin» sowie an der politisch-satirischen Wochenschrift «Simplicissimus».

[7] Wilhelm Bopp war zu diesem Zeitpunkt der Direktor des Wiener Konservatoriums (s. Dent, S. 163).

[8] Wortspiel mit dem Namen von Hugo Bottstiber, dem Sekretär des Konservatoriums (vgl. Dent, S. 158).