An Eugen Keller-Huguenin

Zollikon, Dufourstraße 32

2. August 1919

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Jedesmal, wenn ich mit Ihnen war, habe ich den Wunsch nach mehr. Es ist mir immer, als ob man sich noch gar nicht genügend ausgesprochen hätte, als ob Wichtigstes nur gestreift worden wäre. Ich fühle für Sie eine starke Sympathie und es ist mir, als ob wir uns viel mehr werden könnten, als wir uns noch gegenseitig sind. Ein Etwas hält mich immer noch, Ihnen gegenüber, zurück: die Furcht, sie zu beschweren, da, wie Sie wissen, ich äußerlich (und dadurch auch innerlich) mannigfach gehemmt bin (Einbürgerungsfrage, Scheidung, dadurch gesellschaftlich und künstlerisch äußerliche Isolierung usw.); doch ich sehe, daß Sie gerade das leicht nehmen, was mir schwer, ja beinahe unlösbar erscheint und umgekehrt, da mir die rein psychologischen Schwierigkeiten (Conflikte usw. ) geläufig und durchsichtig sind. Es wäre möglich, daß wir uns gegenseitig nützen könnten: und gibt es etwas Schöneres, als wenn Menschen, die schließlich unter der Last ihrer höheren Art des Seins leiden, sich dort gegenseitig Befreiung schenkten, wo jeder von Beiden am leichtesten Hilfe zu bieten im Stande wäre?
- Vielleicht fühle ich allein so; doch es schien mir, als ob Sie auch eine gewisse Neigung zu mir hätten. Gewiß ist, daß eine gewisse Ähnlichkeit unserer Leiden vorliegt; irgendwie unter einer Art Einsamkeit: Sie, trotzdem Sie unter den Menschen leben, ich trotzdem ich aus meinem Alleinsein auch viel Stärkendes und Genügendes fand. Aber das äußere und das innere sind derart miteinander verknüpft und aufeinander wirksam, daß, wenn die eine Seite nicht in Ordnung ist, auch die andere in Mitleidenschaft gezogen wird. So muß ich trachten, mit der Außenwelt wieder in Ordnung und Fühlung zu kommen, sonst hilft es mir nichts, daß ich zu mir selbst im klaren Verhältnis stehe. Wie es bei Ihnen aussieht, das werden Sie am besten selbst fühlen. Verzeihen Sie, wenn ich so intim schreibe; vielleicht stoße ich Sie dadurch von mir ab. Das wäre aber nur eine Etappe, kein Ende, hoffe ich. Ich wage es einfach, so zu schreiben. Man ist es gar nicht gewöhnt, sich offen auszusprechen; man kann es auch, weiß Gott, nicht zu Jedem. Wenn man es aber nie versucht, wie soll man wissen, ob man nicht endlich an den Richtigen, Wohlmeinenden geraten ist?
Für heute will ich aufhören; ich brauche eine Antwort von Ihnen, um weiter zu können. In unserem Alter haben wir es nicht leicht mit dem Umgang. Mit den Jungen allein können wir nicht auskommen, sie verstehen uns nie ganz, weil sie kein Leben hinter sich, nur vor sich haben; und mit den früheren uns gleichaltrigen Bekannten ist es auch schwer, denn Viele sind inzwischen verknöchert und seelisch ausgestorben. Es kommt der Tag für den, der sich erneuern muß, wo er eine neue Freundesgarnitur suchen muß: und solche sind selbst die Suchenden, in den Wehen der Selbsterneuerung verstrickte. Solche sind voller Sehnsucht und Mißtrauen zugleich. Sie sind liebesbedürftig und bereit zu schenken, lassen aber schwer einen an sich heran. Jeder ist ein zu voller Schrank, der schwer zu öffnen ist und Dinge enthält, die beim Anderen auch vorhanden sind, aber ganz anders aussehen. Inzwischen schreitet die Zeit vorwärts...
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir bald ausführlich schreiben wollten, so rücksichtslos wie möglich.
Ihr E. W-F
 

An Eugen Keller-Huguenin

Zollikon, 8.8.1919

 

Liebster Herr Doktor!
Herzlichsten Dank für Ihre Zeilen, die aus der Überfülle stammen, mir so viel sagen und mich so nah berühren! Mein Brief kommt Ihnen wie Mantegna oder wie Giotto vor und der Ihrige wie geometrisches Ornament? Denken Sie nur: meine Zeilen kamen mir selber wie trockene Gedankengänge vor, die versuchten, in logischer Sprache etwas zu sagen, was nur das Gefühl ganz erfaßt; und die Ihrigen scheinen mir wie ein vielsagendes Rätsel. Allerdings ist ja auch jedes Ornament eine noch rätselhaftere Sprache als irgend ein Kunstwerk - bald will ich zu Ihnen kommen und freue mich schon im voraus auf eine tiefere Aussprache mit Ihnen. Ich glaube, wir litten (oder leiden noch) an ein Zuviel: ich wollte von der Kunst alles, Sie von der Tat. Es gibt eben Phantasien, die nur an und für sich als Symbol einen Wert haben, die rein subjektiv ihren Wegweiserwert haben, die sich aber weigern, sowohl als Kunstwerk wie als Lebenstat, verwandelt zu werden. Der Rest, den Sie Schweigen nennen, heißt. . . ICH und bleibt ICH, er wird weder Kunstwerk noch Lebenswerk, sondern er bleibt in uns. (...)
Könnten Sie mir etwas abgeben von Ihrer Tatkraft? Ich gäbe Ihnen gern dafür etwas Seelenoase, die ich zu viel, bis zum Selbstparalysieren besitze. Ich habe den Eindruck, daß Sie ungerecht gegen Ihre «materielle» Seite verfahren und dadurch die geistige als Quälgeist und Feind empfinden. Die zwei Seiten gehören zusammen, da sie nur verschiedene Auffassungen derselben Tatsachen sind. Wieviel Qual und Blut hat es gekostet, bis man zu einer materiellen Auffassung gekommen ist. Warum sie jetzt verachten, weil es sich gezeigt hat, daß sie, einseitig gebraucht, ebenso schädlich ist wie die ausschließlich geistige? Außerdem müssen wir uns ja gestehen, daß die Geistigkeit, die wir heute haben können (wenn wir sie pflegen), doch eine ganz andere und wertvollere ist als in Zeiten des Aberglaubens.
Sie sind ein Aristokrat, und nur die höhere Art in Ihnen macht, daß Sie sich verschenken machten, ohne sehen zu wollen, ob die Beschenkten Ihrer wert sind. Es ist eben schwer zu ertragen, weil es so viel Gesindel gibt. Das hat Nietzsche beinahe umgebracht. Doch das Gesindel ist da, und warum es so sein soll, weiß der liebe Himmel. Doch über alles das können wir uns bald mündlich unterhalten.

Ihr E. W-F

 

An Eugen Keller-Huguenin

Zollikon, 29 Nov. 1919

 

Lieber Herr Doktor!
Das sind die Daten: ich schrieb an den schweizerischen Konsul in Venedig, um feststellen zu können, ob ich heute noch Deutscher bin oder nicht. Mein Vater August Wolf, Kunstmaler, geb. am 20. April 1842 in Weinheim (Baden), kam 1869 nach Venedig, wo er bis zu seinem Tode 19. Februar 1915 blieb; er blieb sein Leben lang Deutscher. Ich selber bin am 12. Jan. 1876 in Venedig geboren und sicher in die Matrikel unter dem Namen Herrmann Friedrich Wolf eingetragen. (Wolf-Ferrari ist mein Künstlername.) Mit 20 Jahren optierte ich für Italien, wodurch ich Italiener wurde; deshalb brauche ich aber nicht, wie ich kürzlich beim deutschen Konsul hier erfuhr, die deutsche Staatsangehörigkeit zu verlieren, da Deutschland eine doppelte Staatsangehörigkeit zuläßt, es sei denn, daß je ein Entlassungsgesuch erfolgt und genehmigt worden sei, von dem ich aber nichts weiß.
Da ich vom 161/2 Jahr bis heute nie volle 10 Jahre hintereinander von Deutschland abwesend war (sondern in München lebte), habe ich auch dadurch die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren.
Bis jetzt habe ich vom schweizerischen Konsulat in Venedig keine Antwort auf mein Schreiben erhalten, auch nicht auf ein Telegramm mit bezahlter Rückantwort. Wenn Sie es bewirken können, daß mich eine bedeutende Schweizer Persönlichkeit beim Schweizer Konsul in Venedig empfiehlt, damit der Konsul sich der Sache annimmt und sie baldmöglichst erledigt, so haben Sie sehr viel Gutes an mir getan. Sie wissen, wie viel für mich von diesen Papieren abhängt und wie froh ich wäre, wenn die lange Zeit des Wartens vorüber wäre.
So! Nun haben Sie alles. Nochmals Dank für den schönen Nachmittag bei Ihnen. Die Bekanntschaft mit Giacometti war eine unerwartete Finesse des «Zufalls».
Herzlichst und in der Hoffnung, daß bald eine Zeit kommen möge, in welcher ich Sie sehen kann, ohne Sie jedes Mal mit solchen Dingen wie den obigen zu beschweren.
Ihr E. W-F
 

An Ernst Kurth

Zollikon, den 16. Oktober 1920

 

Lieber Freund!
«Thalita kumi» [Mistero sacro per Soli, Coro e Orchestra (Benjamin, Leipzig)], das ich Ihnen zugesandt hatte, liebe ich sehr, und es freut mich, daß es Ihnen Freude machte. Niemand kennt dieses Werk, glaube ich. Und ich selber habe es nie gehört. In ihm liegen die Keime meiner zukünftigen Musik, ich fühle es; denn es ist jetzt mein mir verwandtestes Werk. Es ist mir, als wenn ich jenen Zauberstab nie wieder gefunden hätte; ich habe ihn sicher... verlegt. Werde ich ihn wiederfinden, den ich mit 22 Jahren hatte, jetzt mit 45? Sonderbares Leben, das meine. Religion und Komik: zwei Pole, früher zu lange im Kampf miteinander. Jetzt geht mir langsam ein Licht auf, vielfach durch Sie. Religion das Ewige, Komik das Ewige... im Kampf mit dem Zeitlichen, aber ohne Sieg. Güte nur in der Musik, im Text liegt der Teufel. In der Tragödie ist es eins, im Komischen sind es zwei.
Ihr E. W.-F
 

An Wilhelm Mauke

1867-1930.
Komponist von Opern, Orchesterwerken
und Kammermusik.

Zollikon b. Zürich, 11.2.1921

 

Lieber Freund!
Ich war wahrhaftig erschrocken, als ich aus dem Datum Deines Briefes ersah, wie lange ich ihn unbeantwortet ließ. Wundern würde es mich nicht, wenn Du dadurch irre an mir geworden wärest. Doch - es weiß kein Mensch, wie Vieles auf mich dieses Jahr eingestürmt ist, und welches Leben der Last ich führen mußte; gerade die letzten Monate waren die fieberhaftesten, denn es mußten die letzten schwersten Steine, die mich verschüttet hatten, abgewälzt werden. Diese einliegende Karte wird Dir zeigen, wie ich jetzt endlich nach zehnjährigen Schwierigkeiten wenigstens nach der Herzensseite eine «Vita Nuova» (Neues Leben) anfangen darf. Alles Übrige aber, Kunst und... Geld, ist erst auf 2 Grad über Null angelangt - ja selbst das ist vielleicht zu viel gesagt, denn ich besitze eigentlich nur noch Schulden; würde nicht ein großer Teil davon von Menschen stammen, die liebevoll warten wollen, bis mir wieder der Geldgott gnädig wird, so müßte ich sagen, daß ich unter Null stehe und schwerlich...
Wärmer werden kann. So stehen die Sachen. Aber ich kann Dir doch heute in Deiner Angelegenheit Besseres schreiben, als ich's vor Monaten hätte tun können. Ich hoffe, daß es Dir noch gedient ist, falls ich Dir für den kommenden Juli, ev. August, die 300 Schweizer Francs verspreche. Um jene Zeit erwarte ich einiges Geld, und ich freue mich darauf, Dir dienlich sein zu können. Diese Jahre, die alle meine Ersparnisse (noch dazu in deutschen Papieren angelegte!) verschluckt haben, ohne jegliche Aufführung, also verdienstlos, auf fremde Hilfe angewiesen, haben mich das gelehrt, was ich früher nie gekannt hatte: was Geldnot ist. Die schwere Prüfung hat mich stärker gemacht, und ich kann besser mitfühlen, was das ist, nachdem ich es selbst erlebt habe. Nun sei mir also nicht böse wegen meines Schweigens. Ich habe alle meine Korrespondenz vernachlässigt, nicht nur Dich. Aber jetzt geht es wieder, weil ich über den Höhepunkt der bösen Jahre hinaus bin. Mit 45 Jahren kann und muß es noch vorwärts gehen. Italien führt mich wieder auf, ja sogar Amerika ein wenig!
Hoffentlich auch wieder Deutschland. Bald werde ich, wenn auch bloß auf kurze Zeit, in München sein und Dich besuchen. Du wirst mir viel zu erzählen haben, denn ich weiß, daß Du während dieser Jahre große Erfolge gehabt hast. Es war Zeit!
Also auf eine neue Periode unserer Freundschaft.
Dein E. W-F
 

An Eugen Keller-Huguenin

Parma, 15. April 1921

 

Lieber Freund!
Ich lebe hier wie Wilhelm Meister mit meiner Komödiantentruppe, mit ihr reise ich (Ferrara, Bologna, Parma - lauter Erfolge bis jetzt), miti ihr musiziere ich vor verschiedenen «Rispettabili e colti publici». Es werden die «Vier Grobiane» von mir in Tournée aufgeführt. Sie wollen auch Mitte Juni in die Schweiz. Heute Abend dirigiere ich selbst: ein Wagnis, denn ich habe noch nie Oper dirigiert. Ohne Probe. Man wird hier so leicht.
Alles Übrige will ich erst in Zürich erzählen, wo ich bald sein werde. In Cremona breche ich ab, während die Compania weiterreist; ich bleibe wenige Tage in Mailand und werde kurz nach dem 20. April wieder in Zollikon sein.
Ihr E. W-F
 

An Wilhelm Mauke

Zollikon, 30.4.1921

 

Lieber Freund!
Soeben aus Italien zurückgekehrt, finde ich Deinen Brief vor. Wüßtest Du, wie schwer es mir fällt, Dir in Deiner Bedrängnis nein sagen zu müssen, so hättest Du bestimmt diese Frage gar nicht an mich gerichtet. Es sind sowohl äußere wie innere Gründe dagegen. Die äußeren will ich gar nicht erwähnen; die inneren aber, da sie mit mir als Künstler zu tun haben, den Künstler, den Du liebst, will ich Dir offen sagen, erklären, damit Du ohne Groll gegen mich diese Unmöglichkeit einsehen kannst.
Du weißt, München ist meine andere Heimat, zu welcher der Blick meiner Seele alle diese schrecklichen Kriegsjahre hindurch sehnsuchtsvoll geblickt hat. Das Häuschen in Hohenbrunn ist die Stätte intimster Seelenkämpfe, sowohl als von entzückenden dichterischen Eingebungen gewesen: es war mein erstmaliges Heim, denn vorher, bei der anderen Frau, fühlte ich mich immer - wie in Pension. Dieses Heim mußte ich des Krieges wegen verlassen; ich mußte, aus vielen Gründen, hier in der Schweiz leben, ein Boden, der so schön er sein mag, mir mit keinen inneren Fäden verbunden ist.
So erhielt ich mir, wie ich konnte (und das war nicht leicht), diese Jahre hindurch mein Münchner Waldheim. Die Nächsten meiner jetzigen Frau haben es mir erhalten, gepflegt, und besonders mein intimstes, mein Atelier, bis ins kleinste Detail erhalten, wie ich's verlassen hatte. Nun ist es endlich so weit, daß ich nicht nur an diese Stätte denken, sondern auch dort sein kann, dort leben und schaffen, so oft und so lange ich will. Diesen Ort kann ich selbst nicht mit Jesus Christus teilen, selbst, wenn er mir versprechen würde... jedesmal zu verschwinden bis ich komme. Ebenso wenig könnte ich ihm erlauben... sich an meinem Komponieren zu beteiligen. Hätte ich eine zweite Villa, ich gäbe sie ihm lieber ganz - als diese zu teilen. Dort kann ich nur mir dienende Geister ertragen, so wie es oft Frauen sein können, Männer - nicht.
Lieber Freund! Ich nenne Weniges mein, aber dieses kann ich nicht teilen, denn bei mir gilt der Grundsatz, was ich teile, gehört auch dem Anderen. Du siehst, gäbe es also nicht außerdem Gründe materieller Art (Platzmangel usw.), so würde bei mir diese Idiosynkrasie genügen, um die Sache unmöglich zu machen. Und gerade diese muß ich von Dir verstanden wissen und muß doch befürchten, daß Du es nicht gerne tun wirst; denn - wärest Du auch so geartet, so würdest Du die Frage gar nicht gestellt und mir dieses schwere Nein erspart haben. Dir gerade Nein sagen zu müssen, tut mir weh.
Von jetzt an werde ich immer öfter und länger in München sein: es wäre, abgesehen von Allem, unmöglich, mich jedesmal mit Dir einigen zu müssen, um... bei mir in Hohenbrunn einziehen zu können! Zu gleicher Zeit aber können zwei Komponisten unmöglich im Hause sein, schon wegen des gegenseitigen Störens (Klavierspielen usw.). Wir würden ja... Feinde werden müssen. Der Künstler in uns ist ein unteilbarer, ein herrischer Tyrann, unser Herr und Zuchtmeister. Der Zauberer, dem wir untertan sind. Also, bitte, bitte, beruhige mich und sage mir, daß Du als Künstler sowohl wie als Freund die ganze Unmöglichkeit einsiehst und keinen Groll gegen mich mehr behältst. Das würde mich zu sehr schmerzen. Sicher hast Du nicht gewußt, wie viel von meiner eigenen Seele in dem Häuschen in Hohenbrunn liegt und was Deine Bitte für mich bedeutet.
Dein E. W-F
 

An Eugen Keller-Huguenin

Hohenbrunn 70, München-Ost

23. October 1921

 

Lieber, verehrter Freund!
Hier bin ich einstweilen Waldmensch und Komponist; oft vergesse ich die Welt, um sie nachher um so erschreckter wieder ins Gedächtnis zu bekommen; ich versuche, Briefe an frühere Liebhaber meiner Kunst (Kapellmeister, Musikschriftsteller usw.) zu schreiben, um zu erfahren, wo und was ich bei ihnen bin; habe auch liebe Antworten bekommen, die von alter Treue sprechen und in einem Falle (bei Generalmusikdirektor Leo Blech in Berlin, auch Bruno Walter hier) von einer Sympathie ihrerseits, die ich wenig kannte; spinne somit Fäden für die Zukunft; erfahre Trauriges über die Gegenwart (z.B. Einnahme in Berlin, Staatsoper, am Sonntag «Walküre» 500 Mk weniger als Montag (!) darauf... bei «Cavalleria» und «Bajazzo»!).
Dies alles tue ich in Hohenbrunn. Doch bin ich froh, wenn irgendwie die neu entfachte Musiklust anhält, und das ist der Fall. Wenn ich gerade nicht erschreckt bin, geht es. Erschreckt bin ich jedesmal, wenn ich denke, was es wäre, wenn... Amerika nicht wäre. Denn die Einnahmen sind bisher sonst lächerlich, was eben, gerade nicht Lachlust erzeugt.
Ach, gerade meine Kunst ist so ein Kind der Müßigkeit, so fern von der heutigen Gesellschaftsordnung, die das Wohlleben zwar möchte, aber keine Freude aufkommen läßt; sie spricht von Seligkeit eines Einzelnen in besonderen Stunden der limpidezza, braucht einen feinfühligen großen Menschenapparat zur Verkörperung einer Aufführung und wendet sich (per forza) an ein Publikum, das keine Heiterkeit gegen eigene Melancholie aus Überschuß braucht, sondern alles Andere eher: nämlich Aufpeitschung müder Nerven oder ungeschlachter Genuß von Banalitäten («Tosca», z.B.: Zweiter Akt, mit der Scene der Folter!). Heutzutage wollen die Leute im Theater «gepackt», «gespannt» usw. werden: das sind ja bereits Folterausdrücke! Was sollte da eine Musik, die nicht schwitzt, weil sie nicht Berge erklettert, sondern schon vom ersten Takt an beginnend oben wandelte, nicht auf Gletscher, aber zum mindesten wie vom Uetliberg bis dort, wo es nach Baar hinuntersteigt? Gemächlich heiter, aber oben. Muß es denn einem schwindeln, wie im Flugzeug, damit man ja weiß, daß es oben ist? -
Aber jetzt ist selbst dieses Bedürfnis nicht mehr. Heute ist es einfacher und wüster geworden. - So kann man nur schaffen im Hinblick auf spätere Zeiten, und es so einzurichten trachten, daß man selbst Zeiten der Vergessenheit erringt, wodurch das Schaffen von lichten, zarten Dingen meglich ist. Denn bei zu großem Schreck oder Ekel - schweigt die Muse.
Ich denke noch oft an den schönen, vollen, harmonischen Sonntag, zuletzt in Zug! Sie wollen im Leben selbst etwas Signoriles Nobiles schaffen - und es gelingt Ihnen auch; auch gelingt es Ihnen, zuletzt allein, auf Ihre Weise, wie ich in der Meine(n) sein zu müssen; und Sie sehnen sich nach Gemeinschaft, wenn Sie mit einer Tat wie Ihre Villa in Zug fertig sind, wie ich, wenn ich eine Oper fertig habe. (Nur brauche ich eine solche schon vorher - im Orchester - und auf der Bühne... Was ist besser?)
Verzeihen Sie die lange Plauderei. Briefe sind, leider, Monologe. Man merkt dabei mehr als im Gespräch, daß man monologisiert.
Ihr E. W-F
 

An Ernst Kurth

Zollikon/Zürich, 22.12.1921

 

Lieber verehrter Freund!
(...) Es ist ein Jammer, aber es ist wahr: daß ich mein ganzes Leben hindurch Menschen, die mir nichts waren, immerwährend in erreichbarer Nähe hatte, während seltene und erwünschte nicht ohne weiteres erreichbar waren - und doch lebt man nur einmal! - Wie schön prangen bei mir die wenigen edlen Tage, die ich in Ihrer Nähe verleben durftel Es lag ein Duft der Vollkommenheit über dem Ganzen, und selbst Ihre körperlichen Leiden kurz nach der Operation schienen beweisen zu wollen, daß zur Vollkommenheit eben auch der Schmerz gehört.
Es sind keine Gedanken, die ich Ihnen mitteilen will oder muß: es ist ein Gefühl - und das läßt sich nur indirekt andeuten. Sie sind mir eine liebe Gestalt, die mich oft stumm begleitet, eine befreundete Imago, die mir wohltut, so oft sie mir erscheint. So will ich Sie wissen lassen, daß Sie in mir leben - wenn ich auch schweige. Gern möchte ich wissen, wie es Ihnen jetzt geht und was Sie schaffen. Sind Sie noch in Bern, oder schon in Ihrer neuen Wahlstätte? Wie wurde Ihr Buch über die Tristanharmonik gewürdigt? Wurde es verstanden? Ich habe irgendwo (und nicht nur an einem Orte) Dr. Kurth zitiert gefunden, als Autorität, als Beleg. Es handelte sich, glaube ich, um Bruckner.
Bitte, lassen Sie etwas von sich hören! Von mir kann ich endlich berichten, daß ich wieder Musiker bin; das heißt, mein Verstand ist vor dem Klang zusammengebrochen - ich gewahrte und notierte, ganz einfach. Ich bin der «Warum's» müde gewesen - da kamen Noten. Noch ist's nicht viel: nur die Ouvertüre zu meiner letzten Oper «Der goldene Käfig», die während des Krieges 5 Jahre in Wien liegen blieb; ich denke, 1922 wird sie aufgeführt. Es sind aber wenigstens neue Noten, eine fertige neue Partitur, und ich hatte die Freude des «Handwerks» dabei. Das war jedesmal so, wenn es gutging. Kompliziert werde ich nur dann, wenn ich stocke und nichts komponiere. Sobald es geht, wird sowohl die Musik als der Autor einfach; ohne Grund. Einfach so - weil es so ist. Ich freue mich auf ganz Neues.
Ihr E. W-F
 

An Ernst Kurth

Zollikon/Zürich, 8.1.1922

 

Lieber, verehrter Freund!
(...) Mein Zwiespalt zwischen Bach und Wagner hat Gottseidank aufgehört. Ich könnte nicht, recht sagen, warum jetzt Ruhe da ist; Sie haben aber mächtig dazu beigetragen. Dazu kam die endlich wieder angeknüpfte praktische Betätigung in der Musik. Solange ich seelisch vom Schaffen abgehalten war, rächte sich alles durch Überwuchern des Grübelns. Jetzt habe ich einen wahren Horror vor diesem. Dägegen sind mir... theoretische Gedichte aufgegangen, die, richtig begrifflich ausgesprochen, auch für Andere von Wert sein könnten, während sie bei mir mehr ein gefühlsmäßiges Dasein haben; dieses aber lebendig.
(...) In den nächsten Wochen werde ich nach Italien müssen, um einen Librettisten für mich zu suchen: einen Versemacher, der mir zu Diensten steht, um mir einige Texte, die ich schon habe, die aber noch wortlos sind, zuzubereiten. Sie sehen, ich spreche ganz «unpoetisch». Einen Dichter kann ich nicht brauchen, sonst kommt ein neuer Ton hinein und ich habe auch entdeckt, daß meine Musik mir um so mehr gelingen will, je mehr sie allein die heimliche Poesie, die doch überall verstreut ist, sammeln und hervorbringen muß. Meine eigenen Dichterversuche haben mir das bewiesen, denn sie sind selbst zu Ausbeutern der latenten Poesie geworden, so daß die Musik nicht mehr alles zu sagen, sondern nur zu färben hat. Oh, ich hätte soviel darüber zu sagen! Ich muß trockene Blumen haben, die die Musik wieder blühen läßt, und sie ganz allein! Ein «poetischer» Text lähmt mich musikalisch; ein «trockener» zwingt mich zur Musik.
Deshalb liebe ich die komische Oper: ich lasse dem Wort die empirische Erscheinung ganz. Der Musik aber das Heimliche und Himmlische, das hinter der «unpoetischsten» Menschenerscheinung lebt. Das hole sie ganz allein herauf und sammle sie im Klangbilde! Und dadurch wird eine Figur komisch, daß sie ihre metaphysische Realität ganz verkennt und als Erscheinung zwischen den Erscheinungen hin- und herzappelt. Mozart spürte das so deutlich: daher schrieb er keine Musiktragedien. Er brauchte Realistik für das Auge, damit Mystik ganz dem Ohre bleibe.
Jetzt habe ich zwei kurze Einakter, kleine, nichtige Scherze zu machen im Sinn - und hier wird die Musik große Freuden erleben.
Ihr E. W-F
 

An Eugen Keller-Huguenin

Zollikon, 16.2.1922

 

Lieber und verehrter Freund!
Nun bin ich hier in Zollikon und vermisse Sie; denn abgesehen davon, daß praktische Dinge wie die Wohnungsfrage und die des Verlegers zu erledigen wären, sind Sie hier der einzige Mann, der mir lieb und wert ist. Es ist noch nie vorgekommen, daß ich Ihre Gesellschaft verlassen hätte, ohne Anregungen von Ihnen empfangen zu haben. Wann kommen Sie zurück? Ich möchte bald wieder nach Hohenbrunn, um nicht allzu viele kostbare Francs ausgeben zu müssen. Meine Einnahmen sind noch immer lächerlich und ich fühle mich teils als Schwebender, teils als Gehängter, solange ich ausschließlich auf die bewußten Dollars angewiesen bin. Es verläßt mich nie der Gedanke, daß dabei alles von der Laune eines Menschen abhängt; so daß ich lange im ewigen mal di mare schwanke, bis ich wieder erlebe, daß meine Nöte zu Noten und diese zu Banknoten werden. Inzwischen heißt es, mit den Francs zu sparen und zwischen meinem Verleger und mir zwei weitere, in geschäftlichen Dingen sehendere Augen einzustellen.
Meine Frau schreibt soeben die Verträge in Maschinenschrift ab: sie umfassen einen Zeitumfang von zo Jahren. Ich lese sie zum ersten Male wieder und sie scheinen mir ziemlich konfus... Es hat den Anschein, daß mein Verleger Weinberger mich auszuhungern hofft, um mich dazu zu bringen, mich im voraus für weitere Werke zu binden. Ich will statt dessen endlich Freiheit und Konkurrenzfähigkeit. Eine Oper hat er noch zu bekommen, die Prämie aber (1913 vereinbart) in Mark, wie sie damals war - müßte jetzt alla pari in Francs oder Dollar ausbezahlt werden, und zwar erst, wenn ich die Oper «liefere», so daß ich jetzt schon weiß, daß er einverstanden ist, in Gold und nicht in Papier zu bezahlen. Zweck eines solchen Vertrages im Voraus ist doch nicht bloß, daß der Verleger sich die Oper sichert, sondern daß auch der Komponist vor der Arbeit weiß, was er zu bekommen hat.
Ich denke also, daß wenn Sie als «Gläubiger» (die Komödie kann uns ja nur Spaß machen) auftreten und nicht als bloßer Anwalt und doch als Anwalt für eigenes Interesse, wir ganz richtig verfahren. Wir wollen das mündlich abmachen, nicht wahr? Italien wirkte diesmal eher negativ fruchtbar auf mich: d.h. meine Opposition wurde Trumpf des Fruchrtbaren. Ich sah, was zu machen wäre, indem ich ablehnen mußte, was man macht. Es ist dort alles Abklatsch des Fremden geworden, von der Operette bis zur Oper. In der Scala sind 4 deutsche Regisseure engagiert. Dort, wo es bis vor Kurzem reizend zu sehen war, wie der Dirigent alles improvisierend zustande brachte, sowohl im Orchester als auch auf der Bühne.
Hätte ich doch bloß amerikanisches Kapital zur Verfügung, ich würde einen Verlag und dann Kompanien gründen! Man müßte das Mittel finden, die «Lust sich zu amüsieren» so zu kanalisieren, wie man einen Wasserfall in elektrische Kraft verwandelt, wobei schließlich doch alles Naturkraft bleibt. So aber bleibt der Künstler allein, unbenützt (das Schlimmste, was ihm passieren kann) und es wird doch Geld für Ausstattungen ausgegeben, ohne daß irgend Jemand wirklich zufrieden wäre.
Ob ich Glück mit meiner «Dichterjagd» hatte, kann ich noch nicht sagen, weil ich zwar zwei neue Menschen fand und in die Arbeit spannte, aber noch keine Resultate in Händen habe, wonach ich sie beurteilen könnte. Seitdem durch die Aufführung meiner «Neugierigen Frauen» hier in Zürich sich bei mir wieder der Musiknerv regte (der von mir Unbeschwertes, Leichtfüßiges will), sind die von mir für mich während des Krieges erdachten Texte zu schwerblütig geworden; leider zu sehr Philosophie in Bildern als erlösende Kunst - denn meine Freudefähigkeit war entschwunden. So muß ich jetzt Anderes suchen - und die kostbare Zeit verrinnt, ohne daß ich schon komponieren könnte, weil die Texte fehlen oder bloß Embryo sind. Ars longa, vita brevis. Manchmal scheint es gerade umgekehrt.
Ihr E. W-F
 

An Markus Stahl

[Chordirektor in Speyer]

München, 3.4.1922

 

Sehr geehrter Herr Musikdirektor!
(...) Ich danke Ihnen auf das Allerwärmste für Ihre Liebestat, meine «Vita Nuova» aufzuführen; denn eine solche ist jede vom Herzen geleitete Aufführung eines Musikwerkes, und ich bitte Sie, meinen innigen Dank an alle Ausführenden übermitteln zu wollen! Vergessen Sie mich nicht und lassen Sie von Zeit zu Zeit etwas von Ihnen zu mir kommen, so daß ich von Ihnen weiß und Anteil an Ihnen nehmen kann. Die künstlerischen Beziehungen sind ja die reinsten unter den Menschen; sie stammen aus jenem «Jenseits», das, ach - so nahe ist und doch so wenig bewußt wird - aus der Seele. Nichts gibt es auf der Welt, was wichtiger wäre als dieses «Jenseits»; besser als «Diesseits» zu bezeichnen, und doch lebt es in jedem so dahin, einsam und unsichtbar, als ob es nicht gelte. Bis dann die Kunst davon singt: auf einmal ist es, als ob dieses geheimnisvolle Etwas ein Allgemeines, nicht mehr Subjektives wäre, ein Hauch wie von einer Allseele enthüllt sich da. Auf kurze Zeit beglückt es, als Allerwichtigstes. Dann kommt das, was man den Alltag nennt (schon beinahe bei der Garderobe), und alles verflüchtet sich nach und nach - bis es wieder von vorn erweckt werden muß.
Es leben die Beschwörer des Zaubers! Die Dichter, die Tondichter, die Zaubertaktstöcke! Die singenden Menschen! Die Fühlenden! Seien Sie umarmt von Ihrem dankbaren -
E. W-F
 

An Markus Stahl

München,12.4.1922

 

Sehr geehrter Herr Musikdirektor!
Ich muß Ihnen nochmal schreiben, weil mich Ihr lieber Brief sehr gefreut hat! Bin so froh, wenn ich nicht als Fachmann, sondern als fühlender Mensch empfunden werde, und eben nicht durch einen Fachmann, sondern durch einen fühlenden Menschen. Die ganze Komödie des Lebens konnte ich nie ernst nehmen, aber wohl das Leben selbst, das jenseits von Scherz oder Ernst steht. Sie könnten nur dann die Freude ermessen, die Sie mir bereiteten, wenn Sie wüßten, daß ich nur zwei Stimmungen erlebe: entweder eine völlig glückliche, entrückte (nicht von dieser Welt) - oder eine elend drückende, tödliche. Diese hängt mit alledem zusammen, was Poesie hindert: es ist mir, als ob sich alles von jeher verschworen hätte, die andere erste Stimmung nicht aufkommen zu lassen. So ist für mich jeder Ton, der mir gelingt, ein Glück, das ich kaum fassen kann: d.h. ich kann kaum fassen, daß meine äußerste Sensibilität der «Welt» gegenüber es überhaupt zugelassen hat, daß die holde Stimmung entstehen durfte. Es ist aber möglich, daß gerade diese ewige Schlacht in mir diese Art Musik bedingt. Ich habe immer die Freude, daß der Zuhörer etwas von dieser inneren »Wirklichkeit« bei mir spürt, die nichts mit dem «Fach» zu tun hat. [...]

Ihr E. W-F

 

An Eugen Keller-Huguenin

Hohenbrunn 70, München-Ost

10. September 1922

 

Lieber, verehrter Freund!
Es ist so lieb von Ihnen, daß Sie meine Flucht aus Zollikon so nett aufgenommen haben. Ich konnte nicht mehr anderes denken als irgendwie meine Arbeit nicht gefährden zu lassen. Es hat sich auch gelohnt. Ein Drittel ist nun fertig und ich darf hoffen, zwei der drei Akte im November fertig mit nach Zollikon zu bringen. Ich bin so glücklich, daß die Musik mir wieder gnädig geworden ist! Ich fühle sie viel mehr als früher, als eine wahnwitzige Unternehmung (Musik schaffen! heute! in dieser Welt! ) - aber gerade deshalb, als eine wunderbare Flucht aus der Welt. Ich gestehe, daß es einen Reiz bekommen hat, für mich zu denken, daß meine Noten, vielleicht etwas länger dauern mögen als ich selbst. Früher wäre mir so etwas nicht in den Sinn gekommen und wäre mir auch gleich gewesen. Aber jetzt, nachdem man so viel Flüchtendes gesehen hat...
Weinberger war hier. Er ging von mir «enttäuscht» weg (das erfuhr ich aus einem am nächsten Tag mir geschriebenen «beleidigten» Brief). - Er hatte sich, scheint's, viel versprochen von seiner persönlichen Wirkung bei mir. Er paralysierte mich wie die Schlange das Kaninchen. Natürlich hatte er ein Anliegen: daß ich auf den Stich der Partitur meiner letzten Oper, aus Rücksicht auf Wiener Verhältnisse, verzichte. So lang er bei mir war, war ich unfähig zu reagieren, aber kaum war er fort, schrieb ich: Nein. Er ist vertraglich verpflichtet, die Oper zu stechen; er verdient doch auch in hohen Valuten; wahrscheinlich ist die Sache ihm noch nie so billig in Wien gekommen als wie jetzt: aber er tat entsetzt über Kronenmillionen. - Geschäftlich bin ich ganz unfähig: direkten Verkehr mit dieser Art Leute kann ich nicht mehr pflegen. Das Gefühl meiner Unfähigkeit darin macht mich direkt ins Verderben stürzen. Ich bin froh, wenn ich noch komponieren kann und nichts sonst. Auch der andere Verleger in Hamburg, Benjamin, benimmt sieh wundervoll.
Mündlich werde ich's Ihnen erzählen, nur dieses Beispiel als Muster: für eine Aufführung in Amerika bekommt der dortige Vertreter 20, Benjamin 22 1/2, und ich... 7 1/2; trotzdem ich vertraglich zum mindesten 25 % des Ganzen bekommen sollte. Ich will Sie nicht damit langweilen. Ich fürchte, daß ich von nun an nur noch per Rechtsanwalt mit meinen Verlegern verkehren kann. Aber - rentiert sich das? Das heißt: sind die Einnahmen derart, daß sie die Kosten dekken? Und wenn nicht - soll einfach weiter gestohlen werden?... Ich hoffe, daß wir uns diesen Winter, in Zürich, öfter sehen können als sonst! Daß ich Ihnen etwas sein könnte, nicht bloß ein klagender Klumpen Unglücks.
Im Januar führt Denzler in Zürich meine «Vita Nuova» in der Tonhalle auf, und im Stadttheater kommen die «Vier Grobiane» im Frühjahr heraus. Da hören Sie mich von der besseren Seite. (Das Philosophieren ist ja bei mir nur Ersatz, und ist immer ein Zeichen, daß etwas nicht in Ordnung ist, innerlich oder äußerlich.) Ich war früher ein ganz netter Kerl und ein Glückspilz. Denken Sie, mit 26 Jahren war bei mir alles auf der Höhe. -
Verzeihen Sie den langen Brief - man hat hier Zeit, wenn man nicht gerade komponiert. Aber ich bin, gerade zur Zeit, nur noch beim Komponieren etwas wert. Der Krieg mit seinen Folgen ist noch lange nicht verdaut. Ich begreife gar nicht mehr... wie alt ich eigentlich noch bin. Manchmal fühle ich mich zu jung, manchmal zu alt. Da ich auch zum ersten Male auf der Welt bin (wenigstens meines Wissens), bringe ich's nicht heraus, ob dies von einem gewissen Alter an bei jedem so ist, oder bloß eine Nervosität von mir. Wer weiß? Wie ist es bei Ihnen?

Ihr E. W-F