Ihm gebührt das Verdienst, die überkommene, im 20. Jahrhundert als unzeitgemäss verschrieene Form der Opera buffa geistvoll erneuert zu haben:

Ermanno Wolf-Ferrari (1876-1948)

MOZART REDIVIVUS

- Warum schimpfen manche 'Neuerer' auf die ganze Vergangenheit? Kann man sich einen Heiligen denken, der auf alle Heiligen, die vor ihm gewesen sind, schimpft? - Zweifellos war es eine rhetorische Frage, die Ermanno Wolf-Ferrari sich da stellte. Aber sie ist der Schlüssel für sein künstlerisches Selbstverständnis - und mehr noch: für die Ignoranz, mit der die Nachwelt, geblendet vom Fortschrittsglauben, seinem Werk bis heute begegnet. Eine Aufführung von Rossinis Barbier von Sevilla im Jahr 1888 bedeutete bezeichnenderweise für den Zwölfjährigen die musikalische Initialzündung, die ihn zu ersten eigenen Kompositionsversuchen inspirierte. Und von wenigen Ausnahmen abgesehen, blieb er dem Ideal der mit leichter Hand und Esprit geschaffenen musikalischen Komödie lebenslang treu.

Dabei hatte sich Ermanno Wolf-Ferrari, als ältester Sohn des deutschen Kunstmalers August Wolf und der Italienerin Emilia Ferrari in Venedig geboren, zunächst der Malerei verschrieben, um schliesslich doch zu erkennen, dass der Musik seine eigentliche Berufung galt. Drei Jahre lang studierte er Komposition bei Joseph Rheinberger und kehrte dann nach Italien zurück - als Chorleiter in Mailand, bald darauf als Konservatoriumsdirektor in Venedig.

Nach einem unveröffentlichten (Irene, 1895-96), einem unvollendeten (La Camargo, 1897) und einem bei der Uraufführung durchgefallenen Musiktheaterprojekt (Cenerentola, 1902) erlebte Wolf-Ferrari mit der Goldoni-Adaption Die neugierigen Frauen (1903) seinen triumphalen Durchbruch als Opernkomponist. - Schlechthin die beste komische Oper seit Lortzing -, urteilte Hans Pfitzner, und in der Fachwelt hatte Wolf-Ferrari seinen Beinamen weg: 'Mozart redivivus'. In der Tat orientiert sich sein Stil an der musikalischen Ästhetik des 18. Jahrhunderts: hell und klar die Klangfarben, lyrisch-schlicht die Melodik, durchsichtig die tonale Harmonik. Als eklektisch' werden diese Charakteristika in manchem heutigen Opernführer abgetan. Übersehen wird dabei, dass Ermanno Wolf-Ferrari einigen neuen Entwicklungen - und nicht nur dem Neoklassizismus - den Weg bereitete. Sein mutiges Propagieren der Komödie - allenfalls dem greisen Verdi konzedierte man derlei - setzte einen Akzent gegen die mythenschwangeren Opernsujets der Zeit, ein Trend, den Richard Strauss einige Jahre später mit dem Rosenkavalier aufgriff. Mit Susannens Geheimnis (1909) wiederum nahm Wolf-Ferrari die Gesellschaftskomödien der 20er und 30er Jahre vorweg. Zu Recht ist diese Opera buffa als stoffliche Vorläuferin von Strauss Intermezzo (1924), Hindemiths Neues vom Tage (1929) und Schönbergs Von heute auf morgen (1930) bezeichnet worden.

Noch im Jahr der Uraufführung befanden sich Die neugierigen Frauen im Repertoire von 27 deutschen Theatern; ähnliche Zahlen erreichten Die vier Grobiane (1906), Susannens Geheimnis und Der Schmuck der Madonna (1911, binnen sechs Monaten 70 Aufführungen). Doch der Erste Weltkrieg und eine Ehekrise stürzten den Komponisten in tiefe Depression, liessen ihn für mehrere Jahre verstummen. Und danach hatte sich der Geschmack gewandelt: Die sechs Opern, die nach 1927 herauskamen, gelangten über Achtungserfolge nicht hinaus. - Komponieren heisst für mich Singen -, urteilte er 1933 - aber es war nicht mehr opportun, Melodien zu schreiben.

Heutzutage sind Wolf-Ferraris Werke Raritäten auf den Spielplänen. Und gelangen oft nur durch Zufall dorthin: Wie 1982 an der Bayerischen Staatsoper München, als ein Chorstreik eine geplante Verdi-Premiere platzen liess und Regisseur Ljubimov statt dessen Die vier Grobiane, eine der ganz wenigen chorlosen Opern, inszenierte. Bedenklich allerdings, dass Ermanno Wolf-Ferrari auch von der Phonoindustrie schmählich vernachlässigt wird. Wer die wunderbare Vokalkunst des Komponisten schätzen lernen will, dem sei nachdrücklich die Liedplatte der Mezzosopranistin Yvi Jänicke empfohlen - oder etwas Geduld: Denn die Wolf-Ferrari-Renaissance muss kommen.

Susanne Stähr (03/1999)