Neue Zürcher Zeitung, 31. März 2000


Marianne Zelger-Vogt

Glücksfall einer Partnerschaft

Edita Gruberova und Vesselina Kasarova in «Anna Bolena»

Opernstars führen ein nomadisches Dasein, pendeln zwischen Städten und Kontinenten, wiees die auf Jahre hinaus gefüllten Terminkalender verlangen. Um so wichtiger ist die Konstanz künstlerischer Partnerschaften. Eine solche besteht seit längerem zwischen Edita Gruberova und Vesselina Kasarova, den Protagonistinnen der Neuinszenierung von Donizettis «Anna Bolena».
Als sie Ende 1989 im Zürcher Opernhaus zum erstenmal gemeinsam auf der Bühne standen, war Edita Gruberova Lucia di Lammermoor, Vesselina Kasarova deren Vertraute Alisa, jene dergefeierte Weltstar, diese die unbekannte Anfängerin aus Bulgarien. Das erste Zusammentreffen hat sich beiden eingeprägt. Für die frisch nach Zürich gekommene Mezzosopranistin war es eine Offenbarung: «Noch nie hatte ich eine Sängerin so singen gehört, es war phänomenal und klangdoch ganz leicht. Das war höchste Kunst, nicht nur ein Hervorbringen von Tönen.» Aber auch dieältere Kollegin war beeindruckt und erinnert sich im Gespräch vor der «Anna Bolena»-Premieregenau an diese eine unter zahllosen Alisas: «Erstens war Vesselina, anders als die meisten Sängerinnen dieser Partie, wirklich zu hören. Vor allem aber hat sie die Alisa nicht wie eine Nebenrolle behandelt, sondern war ganz präsent.» Damit ist ein entscheidendes Element der gemeinsamen künstlerischen Basis umschrieben: die absolute Identifikation mit der jeweiligen Aufgabe.
Fürs erste brach der Kontakt allerdings wieder ab. Erst Anfang 1992 standen die beidenSängerinnen in Wien - Vesselina Kasarova war inzwischen Ensemble-Mitglied der Staatsopergeworden - erneut gemeinsam auf dem Podium, für konzertante Aufführungen von Bellinis «Beatrice di Tenda», die auch auf CD aufgezeichnet wurden. Im folgenden Sommer dann war Edita Gruberova indirekt am sensationellen internationalen Durchbruch der jungen Kollegin beteiligt. Die Salzburger Festspiele wollten konzertant Rossinis «Tancredi» geben, Gruberova hatte zugesagt, weil sich die Chance bot, ein einziges Mal mit der damals bereits legendären Marilyn Horne zusammen aufzutreten. Als das Aufführungsdatum näherrückte, kam es zu Diskussionen über die Fassung, schliesslich zur Absage der Horne, der diejenige Gruberovas unmittelbar folgte. Dass man sie in der österreichischen Presse beschuldigte, sie habe nicht mitder unbekannten Einspringerin Kasarova, die Horne ersetzte, auftreten wollen, ärgert Edita Gruberova noch heute.
Vesselina Kasarova hat sich mit jenem denkwürdigen Salzburger «Tancredi» definitiv im Belcanto-Reich des Dreigestirns Bellini, Donizetti, Rossini etabliert, als dessen unbestrittene Königin Edita Gruberova heute gilt. So mussten denn die beiden über kurz oder lang wiederzusammentreffen. Es war 1995 bei der Neuinszenierung von Donizettis «Anna Bolena» im Münchner Nationaltheater, als Edita Gruberova die Titelrolle und Vesselina Kasarova die Rivalinder Königin, Giovanna Seymour, verkörperte. Damals begann ihre Partnerschaft. Edita Gruberova beschreibt es so: «Seit ich 1978 in Wien meine erste Lucia gesungen hatte, hoffte ich auf einenTenor, mit dem sich eine langfristige künstlerische Partnerschaft entwickeln würde, nach dem Beispiel von Sutherland und Pavarotti. Diesen Tenor habe ich leider nicht gefunden, aber ich habe Vesselina gefunden. Sie ist wie ein Spiegel, nimmt jede Ausdrucksnuance, jeden dynamischen Akzent auf und gibt sie zurück. Auch wenn sie gar nicht singt, nur schaut - aber wiesie schaut -, ist sie mit ihren Gefühlen ganz da. Wenn ich Anna Bolena mit einer anderen Partnerin singe, fühle ich mich gebremst, kann ich mich nicht ganz entfalten.»
Und wie empfindet es Vesselina Kasarova? «Bei Edita spüre ich einfach eine ungeheure Gefühlsintensität, eine innere Spannung. Ich lerne noch immer von ihr.» Angesprochen ist damit jene spezifische Auffassung des Singens, des Musizierens, die Edita Gruberova folgendermassen definiert: «Dramatisch heisst nicht laut und schnell, Dramatik entsteht durch Ausdruck und Farbenvielfalt. Als erstes bitte ich den Dirigenten stets, piano zu spielen, nur so ist überhaupt ein Crescendo möglich.» Und es klingt keine Spur überheblich, wenn sie Vesselina Kasarova zuruft: «Es ist an uns, den 'heroischen' Belcanto-Gesang zu überwinden, einen neuen Belcanto-Stil zuschaffen. Und du wirst das eines Tages weitergeben.» Auch da kommt eine Gemeinsamkeit zum Ausdruck: das Verantwortungsgefühl gegenüber der Tradition und gegenüber dem kostbaren Instrument Stimme.
In der Oper beschränkt sich das gemeinsame Repertoire bisher auf «Anna Bolena», doch daneben gibt es seit 1996 noch den Liederabend mit Duetten, den sie im Oktober auch in Japan präsentieren werden. Vorerst aber freuen sich die zwei Sängerinnen, die inzwischen auch Freundinnen sind und sich nicht zuletzt durch ihre slawische Herkunft verbunden fühlen, wiedergemeinsam an «Anna Bolena» arbeiten zu können. Der Regisseur Gian-Carlo del Monaco kenne die Musik durch und durch. Die Münchner Inszenierung von Jonathan Miller sei historischer und statischer gewesen, jetzt rücke die Handlung nahe an die Gegenwart, was die Figurenlebendiger und farbiger erscheinen lasse. Man wird sehen - und hören.
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