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JÜRGEN FLIMM

 

 

 

Im Unterschied zu Nikolaus Harnoncourt setzt sich Regisseur Jürgen Flimm zum ersten Mal mit der «Fledermaus» auseinander, doch ebenso wie dieser sich gegen falsche musikalische Aufführungsgepflogenheiten wendet, möchte Jürgen Flimm in seiner Inszenierung nicht eingeschliffenen Interpretationsmustern folgen. Besonders in der Wiener Tradition lässt sich beobachten, dass die Schmähs mittlerweile vieles überdecken, was von der Kritik in der Uraufführung durchaus erkannt wurde: «Glaubten die Herren Librettisten, damit Personen unserer hochachtbaren Wiener Bürgergesellschaft diffamieren und der Lächerlichkeit preisgeben zu können, als sie solche in der neuen Operette auf die Bühne brachten? Die Ungeniertheit, mit welcher die sich dabei darbietenden Frivolitäten ausgenutzt wurden, konnten selbst die prächtigen, einschmeichelnden Melodien der Walzer, Mazurkas, Galopps und Couplets unseres Johann Strauss-Sohn nicht vertuschen. Will man dermassen den alten Glanz der lieben Wienerstadt diskriminieren und Unzufriedenheit mit unserer freisinnigen Lebensfreude wecken?» fragte der Rezensent des «Wiener Generalanzeiger für die gebildeten Stände».
Bei allem durch die Musik vorgegebenen Wiener Kolorit ist «Die Fledermaus» für Jürgen Flimm keine charmante Posse, sondern eine ausgesprochen böse Geschichte über menschliche Gemeinheit und die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft. Das Libretto französischer Herkunft bewegt sich auf der Höhe der Satiren eines Feydeau oder Labiche, und es ist sicher kein Zufall, dass das Original schon im Titel betont, worum es geht: «Réveillon» ist jenes ausgelassene Fest, mit dem die Franzosen den Weihnachtsabend begehen - mit Soupers, Kostümbällen und Feuerwerk, also so ziemlich mit allem, was das Gegenteil von einer stillen, heiligen Nacht ist. Einige Mitglieder der Strauss-Kapelle hätten ein eigenes Lied davon singen können, erinnerten sie sich doch noch mit Schaudern daran, auf ihrer Reise in das Frankreich Louis Philippes einen solchen Réveillon, bei dem sogar ein Kapuziner mit einer Nonne walzte, erlebt zu haben.
Da ein solches Sujet vom erzbischöflichen Palais in Wien nicht akzeptiert worden wäre, verlegten Straussens Librettisten die Handlung auf einen neutralen Tag, während Jürgen Flimm die Handlung zusammen mit Bühnenbildner Dieter Flimm wieder am ersten Weihnachtsabend ansiedelt, ein bekanntlich sehr anfälliges Datum für das Auseinanderoder Zusammenbrechen bürgerlicher Familienverbände.
Bei den Überlegungen, in welcher Zeit die Geschichte erzählt werden soll, war die Tatsache, dass es sich bei der «Fledermaus» für die Autoren um ein Gegenwartsstück handelte, ausschlaggebend, war doch das an exotische Ausstatlungsstucke gewöhnte Publikum von dieser zeitgenössischen Operette «im Frack» irritiert. «Ujegerl - a Zimmer», soll ein Galeriebesucher der Uraufführung ausgerufen haben, bevor noch ein Wort im ersten Akt gesprochen worden war
Das Zimmer, das Dieter Flimm entwarf, ist von gekonnter Geschmacklosigkeit und macht die Ausbruchsgelüste der Eisensteins sofort nachvollziehbar. Wir befinden uns - leicht ableshar an den virtuos schrillen Kostümen von Birgit Hutter- in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, denn - so Jürgen Flimm - beliesse man das Stack im nunmehr historischen Umfeld der Entstehungszeit, würde es zu weit wegrücken, zur Boulevardkomödie werden. Doch «Die Fledermaus» folgt anderen Gesetzen: Falke betreibt einen unverhältnismässig grossen Aufwand, um sich für einen eher lächerlichen Streich zu rächen, den Eisenstein ihm vor Jahren spielte. Dabei nutzt er seine offenbar intimen Kenntnisse über das eheliche Verhältnis der Eisensteins schamlos aus. Er spekuliert mit der Verführbarkeit Rosalindes und Eisensteins und trifft damit voll ins Schwarze.
Der nur von geringfügigen Gewissensbissen getrübten Vorfreude auf einen Ausbruch aus dem Ehegefängnis folgt jenes rauschende Fest, in dem Zeit und Raum für einen Moment aufhebbar erscheinen - allerdings nur unter kräftiger Zubilfenahme der Droge Champagner. Jürgen Flimm nennt das «Duidu» einen utopischen Vorgang: Der Panzer starrer Konventionen wird aufgebrochen; aus dem Du-lch-Du-lch-Du löst sich Semantik auf in Klang. Doch dem Exzess folgt der Kater - ein Gleichnis auf die wirtschaftliche Situation, in der auf den Aufschwung der Börsenkrach folgte? Wie mit Geld wird in der «Fledermaus» mit Gefüblen spekuliert, und Eisenstein - so Jürgen Flimm - ist der Wozzeck dieser fiesen Veranstaltung; für ihn kann es kein Happy-End geben.
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