Eine Rezension von Kathrin Chod


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Eine schrecklich nette Familie

 

Friedelind Wagner: Nacht über Bayreuth
Die Geschichte der Enkelin Richard Wagners.
Mit einem Nachwort von Eva Weissweiler.

Ullstein Verlag, Berlin 1999, 350 S.

 

Es braucht kein besonderes Jubiläum als Anlaß, damit jedes Jahr eine Fülle von Büchern zu Richard Wagner und seinem Erbe erscheint. Dafür sorgt nicht nur sein sowohl bedeutendes als auch streitbares Werk, sondern ebenso eine höchst umtriebige Schar von Wagnernachkommen, die an Streit- und Kampfeslust den Helden der Wagneropern in nichts nachstehen. Mit Friedelind Wagners Buch liegen die Erinnerungen einer Enkelin Richard Wagners vor. Tochter von Siegfried und Winifred Wagner, Schwester von Wolfgang, Wieland und Verena Wagner. Friedelind, 1918 geboren, wächst in der berühmten Wagner-Villa Wahnfried auf und ist schon früh in den Festspielbetrieb Bayreuths integriert. Offenbar kein einfacher Charakter, ist sie wohl das, was man gemeinhin als Enfant terrible oder auch schwarzes Schaf einer Familie bezeichnet, natürlich aus Sicht der Familie. Nicht nur, daß sie 1939 Deutschland verläßt und damit den Frieden der Familie stört, die sich doch so nett eingerichtet hatte im Dritten Reich. Sie veröffentlicht auch noch ein Buch. Diese Erinnerungen, die von ihrer frühen Kindheit bis zu ihrer Emigration 1939 reichen, schrieb sie 1944 in New York auf englisch unter dem Titel Heritage of fire. 1945 erschien das Buch in der Schweiz auf deutsch. Danach blieb es, wie Eva Weissweiler in ihrem Nachwort schreibt, „so gründlich verschwunden, daß es nicht einmal in Universitätsbibliotheken zu finden ist“. Die vorliegende Ausgabe stützt sich auf ein Unikat aus dem Exilarchiv der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main. 1953 kehrt Friedelind Wagner nach Deutschland zurück und leitet in Bayreuth Meisterklassen für Musikstudenten. Doch mit Wieland Wagners frühem Tod 1966 ist es mit der Harmonie wieder vorbei. Wolfgang Wagner verbietet ihr den Zutritt zur Familienloge im Bayreuther Festspielhaus, ähnliche Nettigkeiten, wie der Entzug des Privatparkplatzes, folgen.

Friedelind inszeniert „Lohengrin“ - aber in Bielefeld und nicht für die Festspiele - und kündigt ein weiteres Buch, „Pardon my return“, an, das 1967 druckfertig vorliegt, aber nie erscheint. 1991 stirbt sie in Westfalen.

Wer den Kleinkrieg verfolgt, der um Bayreuth von der Wagnersippe ausgetragen wird, den überrascht der humorvolle, gelassene Ton des vorliegenden Buches. Ein Blick zurück ohne Zorn, mit viel Einfühlung und voller Bewunderung für ihren Vater. Aber auch Achtung für die Mutter Winifred, die zu den frühesten Bewunderern und Förderern Adolf Hitlers gehört. Sie führt Hitler bereits 1923 in das Haus ein, und die Kinder wachsen quasi mit Onkel Wolf als Familienmitglied auf. Friedelind ist beim ersten Besuch Hitlers fünf Jahre alt. Mit einem scheinbar fotografischen Gedächtnis notiert sie später dazu: „... die spitzen Backenknochen schienen die hohlen, fahlen Wangen durchbohren zu wollen, seine blauen Augen glänzten unnatürlich in fanatischer Glut; er hatte einen ausgehungerten Blick.“ Derartige Lyrik bleibt in den Erinnerungen eher die Ausnahme, dafür gibt es viel Anekdotisches: Wieland Wagner mit Blasen an den Füßen beim Reichsarbeitsdienst, die englische Hitlerverehrerin Unity Mitford mit schlechten Zähnen, Göring mit „malerisch herunterhängenden Socken“ und Verena Wagner, die trotz Hitlers eindringlicher Ermahnung ihre Pfannkuchen nicht aß. Hitler und Goebbels, die sich darin ergehen, „wieviel schöner ,Parsival‘ sein würde, wenn die Zaubermädchen völlig nackt aufträten“. Das alles liest sich recht flott weg. Kaum nachzuvollziehen, daß dieses Buch einst als „Schund- und Schmähschrift“ für manchen Wagnerianer galt. Ursache hierfür ist sicher nicht so sehr der Tratsch und Klatsch aus dem Hause Wahnfried, sondern die Schilderung des engen, geradezu intimen Verhältnisses der Familie zu Adolf Hitler. Wenn das Buch einen Vorzug hat, dann den, daß es nicht nur ein Bild des Musiklebens der NS-Zeit liefert, sondern gleichzeitig schildert, wie normal für viele das Dritte Reich war. Friedelind Wagner war eben eher die Ausnahme, als sie sich sowohl von der Familie als auch von Deutschland löste und emigrierte.

Eine Fehlleistung ist in diesem Buch ohne Zweifel das Register. Hier findet sich u. a. der deutsche Dichter Wieland, Christoph Martin, von dem man gemeinhin annahm, daß er von 1733 bis 1813 lebte. Auf den hinter seinem Namen angegebenen Seiten heißt es nun aber: „Zu Wieland und zu mir war sie reizend ...“, und an anderer Stelle gab Hitler „Wieland die Originalzeichnung des Adlers“. Aber auch sonst schießt das Register im wahrsten Sinne des Wortes den Vogel ab, handelt es sich doch um ein „Register der Personen und Tiere“, und so stehen neben „Hitler, Adolf (auch genannt ,Wolf‘, ,Onkel Wolf‘, ,der Führer‘)“ nun „Putzi (Skye-Terrier im Hause Wahnfried)“ und vor „Goebbels, Josef“ kommt „Gockel (Papagei im Hause Wahnfried)“. Wer sich für Geschichte(n) interessiert, findet so natürlich schnell „wichtige“ Informationen, z. B. zu Toby (englischer Schäferhund Friedelind Wagners): „... jedesmal, wenn der Führer gestikulierte, glaubte Toby, es sei eine Aufforderung, an seinem Freund hochzuspringen, und Hitlers weiße Jacke wurde ruiniert ...“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 11+12/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
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