DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

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IM MAGAZIN OPERNHAUS ZÜRICH



TESTO PUBBLICATO CON IL CONSENSO SCRITTO DELLA DIREZIONE
DELLA DRAMATURGIE CHE IL CURATORE DEL SITO RINGRAZIA DI CUORE.

©OPERNHAUS ZÜRICH

«Wie bei den Athenern ein heiteres Satyrspiel auf die Tragödie folgte, erschien mir auf jener Vergnügungsreise plötzlich das Bild eines komischen Spieles, das in Wahrheit als beziehungsvolles Satyrspiel meinem 'Sängerkriege auf Wartburg' sich anschliessen konnte. Es waren dies 'Die Meistersinger von Nürnberg' mit Hans Sachs an der Spitze.» Nach der Fertigstellung des Tannhäuser wendet sich Richard Wagner im Sommer 1845 in Marienbad zwei Stoffen zu: dem Lohengrin, den er anschliessend ausführt, und den Meistersingern, deren Prosaentwurf er damals skizziert. Die Idee bleibt liegen, aber da Wagner 1851 in der eingangs zitierten «Mitteilung an meine Freunde» die Handlung ausführlich darlegt, ist bewiesen, dass er den Stoff präsent hat. Er hat sich Wagenseils «Buch von der Meistersinger holdseligen Kunst» besorgt und sich mit Werken von und über Hans Sachs beschäftigt, der von 1494 bis 1576 lebte und weit über 6000 Einzelwerke veröffentlicht hat, darunter 4000 Meistergesänge und Dutzende von Tragödien und Komödien. Wagner liest E.T.A. Hoffmanns Novelle «Meister Martin der Küfner», studiert Georg Gottfried Gervinus' «Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen» und Jacob Grimms Abhandlung «Über den altdeutschen Meistergesang». Obwohl die Handlung von Wagners Oper eine völlig freie Erfindung darstellt, kann sie, was Milieuzeichnung und historische Fakten angeht, und historischen Fakten über weite Strecken Anspruch auf Authentizität erheben.

Im Dezember 1861 - «Tannhäuser» ist in Paris durchgefallen, «Lohengrin» in Wien erfolgreich gewesen, für Tristan und Isolde gibt es keine Aufführungsmöglichkeit - nimmt Wagner endgültig das Textbuch in Angriff und vollendet es bis zum Januar 1862, wobei er die Sprache mit Knittelversen und grossteils gereimt dem Stil von Hans Sachs nachgestaltet. Das Werk hat im langen Reifungsprozess seit dem ersten Einfall eine Metamorphose von derber zu sehr feiner, psychologisch durchdachter Komik durchgemacht. Wagner beginnt die Komposition gleich nach der Fertigstellung des Textbuches, aber die Arbeit wird oft unterbrochen und zieht sich über Jahre hin, bis die Partitur am 24. Oktober 1867 endgültig beendet wird.

Nach «Tristan» die «Meistersinger» - das ist einer der grössten Kontraste der Operngeschichte, der beweist, wie vollständig Wagner für jedes Werk einen spezifischen Ton zu finden versteht. Auf den ekstatischen Nachtgesang der Liebe nun das taghelle Werk, dessen Musik der Dirigent Hans Richter als «Stahlbad in C-Dur» bezeichnet hat; auf die betörende «Tristan»-Chromatik nun die klare, grosse Polyphonik der «Meistersinger»-Welt; auf das metaphysische Drama nun das heitere, volksnahe Mittelalter-Werk - Wagners einzige Oper, die sich ausschliesslich unter «gewöhnlichen Menschen» abspielt. Dennoch sind die «Meistersinger», so leicht sie es dem Publikum zu machen scheinen, von der Machart her kein einfaches Werk: Wagner hat rund 45 Leitmotive zu einem musikdramatischen Dialog verknüpft, der die äusserste Einheit von Dichtung und Musik bietet. Die Aussagekraft der Musik erweist sich etwa in der Pantomime Beckmessers,

als dieser das scheinbar von Sachs stammende Preislied findet: jeder Gedanke, jede geheime Seelenregung der Figur wird allein durch die Musik ausgedrückt. Im übrigen hat Wagner musikalisch strenge, klare Formen gewählt: die meisterliche Doppelfuge, mit der er die Prügelei am Ende des 2. Aktes gestaltet; die von den Meistersingern einst gebrauchte Bar-Form; das kunstvolle Quintett in der Schusterstube.

Das strahlende «Meistersinger»-Vorspiel, das sich auch zu einem beliebten Konzertstück entwickelt hat, erklingt erstmals schon 1862 in Leipzig. Die Uraufführung der «Meistersinger» befiehlt wiederum König Ludwig ll.

- am 21. Juni 1868 erlebt Wagner bei der Münchner Première den grössten Beifallssturm, der ihm zu seinen Lebzeiten zuteil wird, und er notiert: «Die gestrige Aufführung war ein grossartiges, wohl nie wiederkehrendes Fest. Ich musste von Anfang bis zum Schluss der Vorstellung an der Seite des Königs beiwohnen, auch von da herab die Huldigungen des Publikums entgegennehmen. Es ist so etwas noch nie und nirgends erlebt worden.» Dennoch ist sich die Kritik ,wie immer bei Wagner, in ihrer Beurteilung nicht einig, und in Berlin, wo die «Meistersinger» 1870 nachgespielt werden, pfeift man das Werk gar aus. «Katzenmusik», urteilt die Kritik - was Wagner mittlerweile zu hören gewohnt ist.

Nicht zufällig wurden die Knittelverse der «Meistersinger» im Ausland erdacht: nicht in Nürnbergs engen Gassen, sondern in der Weitläufigkeit der Tuillerien in Paris. In Tribschen bei Luzern am Vierwaldstätter See wurden sie abgeschlossen und Gedanken über «Deutsche Kunst und deutsche Politik» niedergeschrieben. Wagner wirft in den «Meistersingern» einen Blick auf das alte Deutschland von aussen. Hinter der Fassade des spätmittelalterlichen Nürnberg und hinter scheinbar nationalem Pathos verbirgt sich ein Künstlerdrama von erstaunlicher Aktualität, stellt es doch die in jeder Gesellschaft neu zu beantwortende Frage: wieviel Kunst braucht das Land? Zur Beantwortung dieser Frage spannt Wagner einen Bogen von der altehrwürdigen Meistersingerkunst zu der seines eigenen Musikdramas, jenes «Kunstwerks der Zukunft», als dessen Pionier Walther von Stolzing

begriffen werden darf. Seinen und Sachsens Ausführungen zur Gesangskunst legt Wagner sein eigenes ästhetisches Programm in den Mund. Die «Meistersinger» sind in diesem Sinne «das grösste Zeugnis des Wagnerschen Bewusstseins von sich selber» (Theodor W. Adorno). Wenn Hans Sachs auf die Teilnahme am Preisgesang um die Hand Eva Pogners

verzichtet, hat dieser Verzicht seine biographische Parallele in Wagners schmerzhaftem, den Kern der Persönlichkeit bedrohenden Verzicht auf Mathilde von Wesendonk. So liegt es nahe, dass sich der Dichterkomponist seinem Helden anzugleichen sucht, was sogar bis zur Namens-Annexion führt: aus Tribschen telegraphiert Wagner an Hans von Bülow:

«Heute Abend Schlag 8 Uhr wird das letzte C niedergeschrieben. Bitte um stille Mitfeier.», und dann folgt die Unterschrift: «Sachs»!

Der Rückgriff auf die traditionelle Form der Komischen Oper ist nichts als ein raffinierter Trick zur Verbergung des radikal Neuen, ja Anarchischen, das sich hinter Sachsens resignativ-zynischen (Schopenhauerschen) Weltreflexionen wie hinter Stolzings jugendlich-ungebändigtem wie künstlerischem Übermut verbirgt. Auf virtuose Weise ist in der Partitur der «Meistersinger» Archaisierendes mit Modernem verknüpft. Parodierendes Pathos, feinster Lyrismus und effektvolle Klangfiguren ergänzen die subtil und meisterhaft entworfene Gesellschaftskomödie mit ihren fein schattierten Charakteren, unter denen Hans Sachs machtvoll und sympathisch herausragt. Er ist der Repräsentant einer selbstbewusst bürgerlichen Kunst, die sich auf Tradition beruft, Neuem gegenüber aber durchaus aufgeschlossen ist. Vor allem aber ist Hans Sachs eine humanistisch idealisierte Integrationsfigur, mit der Wagner einer demokratischen Gesellschaftsordnung das Wort redet, in der Natur und Kultur, Kunst und Leben versöhnt werden.

Mit der Figur des Junkers Walther von Stolzing

plädiert Wagner für das Innovative, das Neue in der Musik, das sich dem Althergebrachten, formelhaft Erstarrten gegenüberstellt - repräsentiert durch den Stadtschreiber Sixtus Beckmesser. In dieser Gestalt - zeitweise war sie als Karikatur des Wiener Kritikers Eduard Hanslick gedacht - hat Wagner alles andere als - wie oft behauptet - eine Judenkarikatur auf die Bühne stellen wollen, sondern vielmehr, wie er am 16. März 1873 Cosima gegenüber bekannte, «den Deutschen in seinem wahren Wesen».

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