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ARNOST MAHLER

ALEXANDER ZEMLINSKY.
DAS PORTRÄT EINES GROSSEN MUSIKERS

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INSTITUT FÜR WERTUNGSFORSCHUNG

ORDINARIAT FÜR WERTUNGSFORSCHUNG
UND KRITISCHE MUSIKÄSTHETIK


VORSTAND: UNIV.PROF. DR. ANDREAS DORSCHEL

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STUDIEN ZUR WERTUNGSFORSCHUNG

HERAUSGEGEBEN VON OTTO KOLLERITSCH

UNIVERSAL EDITION WIEN



Es ist bestimmt charakteristisch, daß ein Symposion über Alexander Zemlinsky vor diesem Forum mit einer biographischen Einführung beginnt. Die Gründe liegen auf der Hand. Handelt es sich doch um einen zeitgenössischen großen Musiker, den noch mehrere früher Geborene, zu denen auch ich mich zähle, sogar persönlich kannten und dessen Biographie viele Unklarheiten, ja sogar falsche Angaben enthält. Dabei sind die meisten dieser Irrtümer nicht erst in der letzten Zeit, oder nach dem Tode Zemlinskys entstanden, sondern noch zu seinen Lebzeiten, so daß er selbst von vielen Fehlern wußte, sie selbst las und keine Einwände erhob, ja sogar hinsichtlich seines Geburtsdatums, auf das wir noch zu sprechen kommen, unrichtige Angaben beinahe unterstützte. Die Witwe, Frau Louise Zemlinsky, die jetzt in den USA lebt, erklärte mir auf meine konkrete Anfrage, wie dies alles möglich war, kurz und bündig: «Das interessierte ihn einfach nicht!» Diese Worte dürften vieles, aber nicht alles erklären.

Über Zemlinsky gibt es keine besondere Literatur und meine bereits seit längerer Zeit druckreif fertiggestellte Biographie und auch mein heutiges Referat können sich daher nur auf Auszüge aus Zeitungen und Zeitschriften, Nachforschungen in Archiven, Erinnerungen seiner Zeitgenossen und schließlich auch auf meine eigenen stützen. Es ist mir in vielen Fällen vielleicht gelungen, Klarheit in bisher unrichtige, allgemein verbreitete Angaben zu bringen. Es gibt aber nicht ein einziges vollständig gedrucktes Verzeichnis aller seiner Werke, denn Zemlinsky selbst führte keine verläßlichen Aufzeichnungen, ja die meisten seiner Kompositionen besitzen nicht einmal eine Opuszahl. In seinen jüngeren Jahren wurden seine Arbeiten von verschiedenen Verlagsgesellschaften, auch solchen, die heute nicht mehr bestehen, gedruckt und verlegt und daher konnten auch aus diesen Quellen keine authentischen Daten erzielt werden.
Zemlinsky hat sein Wirkungsfeld nicht allzuoft geändert, aber auch in dieser Hinsicht gibt es falsche Angaben, die ich in einigen Fällen richtigstellen konnte.
Bereits das Geburtsdatum gab Anlaß zu Zweifel. Frau Zemlinsky machte mich vor längerer Zeit darauf aufmerksam, daß ihr Gatte am 14. Oktober 1871 und nicht im Jahre 1872 geboren wurde. Der Reisepaß ihres verstorbenen Mannes befinde sich in ihren Händen und auch aus diesem Dokument sei das richtige Datum zu ersehen. Meine weiteren Nachforschungen hatten Erfolg. Das Matrikelamt der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien bestätigte mir mit Schreiben vom 3. Juli 1970, daß Alexander von Zemlinsky am 14. Oktober 1871 als ehelicher Sohn des Adolf von Zemlinsky und seiner Frau Clara, geborener Semo, in Wien Odeongasse 3 geboren wurde. In der Eintragung ist der Name von Zemlinszky noch mit SZ geschrieben. Vater Zemlinsky hat in seiner Wiener Zeit das Z weggelassen. Der Sohn verwendete bis 1918 sehr oft das Adelsprädikat, wie wir aus allen Theaterzetteln seiner Prager Vorkriegszeit ersehen. Aber nach Kriegsschluß erscheint dann immer der Name ohne «von». Von seiner Mutter wurde behauptet, sie sei eine türkische Jüdin gewesen. Auch für diesen Irrtum finden wir leicht eine Erklärung. Sie stammte aus Sarajevo, das bis 1878 noch zur Türkei gehörte. Es liegt mir natürlich ferne, mich mit Rassenfragen zu befassen, aber einige Worte seien mir auch dazu gestattet. Zemlinsky wurde nach seiner Geburt, wie wir gerade hörten, in die Matrik der Kultusgemeinde eingetragen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Vater dies veranlaßt hätte, wäre er nicht selbst jüdischer Abstammung gewesen trotz seines Adelsprädikates, das übrigens nicht nachgewiesen werden konnte. Nachgewiesen ist aber, daß Alexander Zemlinsky laut Eintragung in der Matrik vom Arzt Dr. Knöpfelmadier mit dem Kennzeichen seiner Rasse versehen wurde. Zemlinsky trat dann 1899 aus der jüdischen Religionsgemeinschaft aus. Aus der früheren Zeit fand ich, neben dem immer falsch angeführten Geburtsdatum (einschließlich bei Riemann und M. G. G.) nur zweimal einen richtigen Hinweis, wenigstens was das Jahr betrifft: Heinrich Jalowetz führt in seinem Vorwort zum III. Streichquartett das Jahr 1871 an und auch der Musikkritiker Alfred Einstein schreibt im Jahre 1931 im Berliner Tagblatt, daß Zemlinsky «heuer» - also 1931 - sechzig Jahre alt werde.

Zemlinsky trat 1884 - 13 Jahre alt - in das Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde ein und studierte bis 1890, verlängerte aber zwecks Vervollkommnung seines Klavierspieles sein Studium um zwei Jahre. Über den Studienverlauf gibt es im Archiv der Gesellschaft ausführliche Angaben. In dieser Hinsicht ist der Artikel Horst Webers im Archiv der Musikwissenschaften aus dem Jahre 1971 aufsdilußreich. Als Kompositions-Dissertation schrieb der junge Komponist einen Walzer-zyklus für Klavier, den er selbst stolz als Opus 1 bezeichnete und der später von Breitkopf & Härtel verlegt wurde [S. 5 Catalogue of Composition = CoC]. Bald nach Abschluß seiner Studien schrieb er sein erstes und wahrscheinlich einziges Streichquintett, das 1893 vom Helmesberger-Quartett uraufgeführt wurde [S. 7 CoC]. Bemerkenswert ist, was Zemlinsky selbst dazu erzählte:

Brahms erklärte sich bereit, die Komposition mit mir zu besprechen. Die Vorstellung, daß der große Brahms über meine Kompositionsversuche mit mir sprechen wolle, steigerte meinen ohnehin gewaltigen Respekt bis zur Angst. Am Klavier nahm er meine Komposition mit mir durch, anfangs schonungsvoll, aber niemals lobend, dann immer heftiger werdend. Und als ich eine Stelle zu verteidigen suchte, schlug er ein Mozartsches Streichquintett auf, erklärte mir die noch nie übertroffene Formgestaltung und sagte dazu wörtlich: «So macht man es von Bach bis zu mir.»

In seiner ersten Wiener Zeit will ich besonders die Jahre an der Volksoper und die kurze Episode an der Hofoper erwähnen. Vorerst aber: Zemlinsky begann seine Laufbahn als Operettendirigent am Wiener Carltheater und am Theater an der Wien. Eine Zeitlang dirigierte er auch das Laienorchester Polyhymnia. Dort lernte er
1894 den um drei Jahre jüngeren Bankbeamten Arnold Schönberg kennen, der im Orchester als Cellist wirkte. Damals begann eine Freundschaft, die später durch die Heirat Schonbergs mit Zemlinskys Schwester Matilde noch gefestigt wurde. Über das Verhältnis der beiden soll noch heute in einem Referat ausführlich die Rede sein.

1904 holte Rainer Simons Zemlinsky als ersten Kapellmeister an die Volksoper und am 15. 9. 1904 dirigierte dieser als erste Einstudierung den Freischütz. «Orchester, Chor und Solisten wirkten mit großem Eifer und folgten willig den Intentionen des Dirigenten» schrieb am nächsten Tag die Neue freie Presse und beendete das Referat mit der Feststellung: «Obgleich alles präzise ausgearbeitet war, litt doch der einheitliche Guß der Ouverture und der klassische Aufbau des Werkes zerflatterte». Soweit die Presse. Es folgten in verhältnismäßig rascher Folge Undine, Zar und Zimmermann, Margarethe und Siegfried Wagners Kobold, sowie Carmen. Dann kamen Der Waffenschmied und Hans Heiling, um nur einige Werke zu nennen. Im Mozartjahr 1906 studierte er in einer Saison Hochzeit des Figaro, Die Zauberflöte und Don Giovanni ein. Zemlinsky brachte aber nicht nur das klassische Repertoire, sondern auch die damalige Moderne auf den Spielplan. So in einer glanzvollen Aufführung Ariane und Blaubart von Dukas und am 2.12. 1910 Seine eigene Oper Kleider machen Leute in der ersten Wiener Fassung. Am 18. 1. 1911 dirigierte er - noch vor der Hofoper - die für Wien neue Salome und verabschiedete sich im April mit einer Neueinstudierung der Oper Der Prophet. Diese 7jährige erfolgreiche Tätigkeit an der Volksoper wurde für beinahe em Jahr unterbrochen, als Gustav Mahler, der selbst schon vor seinem Austritt aus der Hofoper stand, Zemlinsky an dieses Theater berief. Im Protokoll des Oesterreichischen Staatsarchives heißt es dazu: «Der Kapellmeister am Kaiserlichen Jubiläumstheater und der Volksoper Alexander von Zemlinsky wird ab 1. 9. 1907 gegen ein Honorar von 10.000.- Kronen als Kapellmeister am Hoftheater engagiert.» Das Verhältnis zwischen Zemlinsky und Mahlers Nachfolger, Felix Weingartner, war alles eher denn gut und Zemlinsky ersuchte bald um Enthebung aus seinem Vertragsverhältnis. Während der ganzen Hofopernzeit kam es wahrscheinlich nur zu einer Einstudierung durch Zemlinsky - Verdis Othello. Zemlinsky hatte ursprünglich nicht mit einer Rückkehr an die Volksoper gerechnet. Er beschwerte sich bei Mahler, der damals bereits in Amerika war, und der ihm antwortete:

Leider waren mir die Mitteilungen über Ihr Abenteuer mit dem neuen Regime nicht unerwartet. Trotzdem hätte ich nicht gedacht, daß W. sein Versprechen, vor allem anderen Ihre Oper herauszubringen, so ohne weiteres ignorieren werde. (Gemeint ist der Traumgörge, der übrigens später nie aufgeführt wurde.)

Zemlinsky kehrte also wieder an die Volksoper zurück und blieb dort bis zu seiner Berufung an das Prager deutsche Theater. Bevor er im Herbst 1911 sein Engagement in Prag antrat, dirigierte er in den von Max Reinhardt in München veranstalteten Offenbach-Festspielen. Dort lernte er auch den jungen Otto Klemperer kennen.

Bei kritischer Betrachtung von Zemlinskys Tätigkeit an der Volksoper muß man berücksichtigen, daß Wien auch damals zwei Opernbühnen hatte. Mit der staatlich subventionierten Hofoper und ihrem Dirigentenphänomen Gustav Mahler zu konkurrieren, war gewiß keinem Dirigenten gegeben. Zemlinsky sah jedoch in Mahler sein großes Vorbild. Auch Mahler kannte bereits Zemlinsky vor dessen Antritt in der Volksoper. Er hatte ja schon am 22. Januar 1900 in der Hofoper Es war einmal des damals nodi nicht 30jährigen Komponisten einstudiert. Aber es gab nodi andere Bindungen zwischen den beiden Musikern. Zemlinsky gründete gemeinsam mit Schönberg die Vereinigung schaffender Tonkünstler* unter dem Ehrenpräsidium Mahlers, die aber keine Lebensdauer hatte.

Lexikale Behauptungen, die von einem Zwischenengagement in Weimar oder Mannheim sprechen, sind, wie mir von der Generalintendanz des Deutschen Nationaltheaters in Weimar und der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek in Mannheim bestätigt wurde, unrichtig.

Wenn ich mich mit der nächsten Wirkungsstätte Zemlinskys, mit Prag, etwas eingehender befassen werde, laufe ich gewiß Gefahr, als «Lokalpatriot» bezeichnet zu werden. Wir dürfen aber eines nicht außer acht lassen. In Prag verbrachte der Meister jene Zeit, in welcher er gewiß am Höhepunkt seiner künstlerischen Tätigkeit als Komponist, Dirigent und Lehrer stand. 16 Jahre wirkte er hier, gefeiert wie in keiner Stadt vor- und nachher.

Nach dem Tode Angelo Neumanns**, des Direktors des Prager deutschen Theaters, wurde Heinrich Teweles als Direktor berufen. Dieser Mann, Theaterfachmann im Schauspiel, war sich dessen bewußt, daß er dem Prager deutschen Publikum in erster Linie gute Musik bieten müsse. Er berief daher einen Künstler, der nicht nur Dirigent war, sondern auch dramaturgische und organisatorische Fähigkeiten hatte. Das war Alexander Zemlinsky. In Wien war es die Oper am Ring, hier in Prag das tschechische Nationaltheater, das sein Wirken beeinflussen mußte. Aber Zemlinsky sah dem «Sängerkrieg» mit Vertrauen entgegen. Dem Korrespondenten der Bohemia sagte er noch in Wien: «Sie wissen gar nicht, wie ich mich freue, an der Spitze des Orchesters des Prager deutschen Theaters zu stehen. Auch von den Solisten, die in Prag wirken, kenne ich viele persönlich.» Anfangs September 1911 kam er nach Prag und schon am 24. September wurde die erste Neueinstudierung aufgeführt: Fidelio. Felix Adler, der Kritiker der Bohemia, schrieb am nächsten Tag:

Wegen Zemlinsky war man gekommen, den Fidelio hat man aber mit der ganzen unermeßlichen Intensität erlebt. Das war der große Gewinn des Abends, der mehr bedeutet als das Engagement eines bedeutenden Kapellmeisters.

6 Tage nach dem Fidelio folgten am 30. 9. Tannhäuser und am 15. Oktober Der Freischütz. Der bekannte tschechische Musikwissenschaftler Zdenk Nejedly schrieb in seiner Kritik: «Ein Kapellmeister, der arbeitet. In unserem Theater (gemeint war das Národni divadlo) wird statt gearbeitet nur gejammert.»

Am 12. Oktober 1912 hatte das Prager Publikum zum erstenmal Gelegenheit, seinen Operndief auch als Komponisten kennenzulernen. Er brachte Seine von Mahler uraufgeführte Oper Es war einmal. 1913 führten beide Bühnen am gleichen Tage, das Nationaltheater unter Kovarovic, das Deutsche Theater unter Zemlinsky, Tristan und Isolde auf. Publikum und Presse boten sich Vergleichsmöglichkeiten, die Zemlinsky nicht zu fürchten brauchte. Am 1. Jänner 1914 war die Schutzfrist für Parsifal erloschen und wiederum brachten beide Bühnen, beinahe zur gleichen Stunde, das Bühnenweihfestspiel.

In diese Zeit des ersten Weltkrieges fällt, einen Monat nach der Stuttgarter Uraufführung, 1917, die Prager Premiere seiner Oper Eine florentinische Tragödie, die der Komponist dirigierte. Nach Beendigung des Krieges stand dem deutschen Theater nur noch eine große Bühne zur Verfügung, das Neue deutsche Theater,

das heutige Smetanatheater, dennoch wurden viele Opernneuigkeiten aufgeführt und natürlich auch das laufende Repertoire bestritten. Wir erwähnten bereits die Wiener Uraufführung der Zemlinskyoper Kleider machen Leute. 1922 erlebte sie unter seiner Leitung ihre zweite, die sogenannte Prager Premiere.

Es kam das Jahr 1924: In Prag fand das Internationale Musikfest statt, in dessen Rahmen im deutschen Theater zwei Konzerte mit dem Theaterorchester gegeben wurden. Im ersten Konzert, am 4. Juni, dirigierte Arnold Schönberg die Uraufführung zweier Choralvorspiele von Bach in eigener Bearbeitung, und dann dirigierte Zemlinsky die Uraufführung seiner Lyrischen Symphonie. Die Behauptung, daß der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, hat Zemlinsky für seine Person dadurch erweitert, daß er im eigenen Lande nichts gelten wollte. Die Lyrische Symphonie war die einzige Ausnahme einer Uraufführung unter Zemlinsky in Prag, denn sonst kamen seine Werke erst über das Ausland nach Prag. Erinnert das nicht wiederum an sein Vorbild Mahler?

Nur Wenigen dürfte es bekannt sein, daß diesem Werk beinahe ein tragisches Schicksal beschieden war. Die handschriftliche Partitur, von der Zemlinsky natürlich keine Abschrift besaß, ging auf dem Postwege zwischen Berlin und Prag verloren. Monatelang wußte niemand, ob das wertvolle Manuskript je würde aufgefunden werden. Zemlinsky war verzweifelt und äußerte sich, daß er sich nicht entschließen werde, das Werk nochmals zu komponieren. Im Dezember 1923 tauchte das Werk dann plötzlich auf und Kopisten machten sich sofort an die Arbeit. Aber zurück zum Musikfest: Zwei Tage nach der Lyrischen Symphonie wurde im Rahmen des Musikfestes zum erstenmal Schönbergs Monodrama Erwartung aufgeführt. (Die Solopartie sang Gutheil-Schoder). Ursprünglich war geplant, daß Schönberg sein Werk selbst aus der Taufe heben sollte. Schönberg schrieb aber im Jänner 1924 an Zemlinsky:

Ich hätte große Freude, wenn Du dirigieren wolltest, denn es ist für mich nicht nur sehr lehrreich und erfreulich, wenn ich meine Werke in Deiner Interpretation höre und Deinen Proben beiwohnen kann, sondern ich weiß auch die Bedeutung zu schätzen, wenn eine Autorität wie Du sich gegen Orchester und Publikum mit dem Werk identifiziert, während ich doch den Bestien ausgefolgt bin, umsomehr, als man es sonst als Ablehnung ansehen würde: Nicht einmal seinem Schwager gefällt ja diese Musik.

Und so dirigierte Zemlinsky. Noch zweimal hatte das Prager Publikum Gelegenheit, Zemlinskyopern auf seiner Bühne zu hören, aber in beiden Fällen dirigierte er nicht mehr seine eigenen Kompositionen. Die einaktige Oper Der Zwerg überließ er seinem zweiten Kapellmeister Hans Wilhelm Steinberg. Als Zemlinsky nach der Pause am Dirigentenpult erschien, um die zweite Oper des Abends, Korngolds Violanta zu dirigieren, da brach stürmischer Beifall aus, der diesmal - ich erinnere mich selbst sehr gut an dieses Ereignis - in erster Linie dem Komponisten der vorher gespielten Oper Der Zwerg galt.

Das nächste Bühnenwerk Zemlinskys, Der Kreidekreis, brachte das Prager Theater in Anwesenheit des Komponisten 1935 unter der Leitung des damaligen Prager Opernchefs Georg Szell.

Eine Schilderung der deutschen Oper in Prag zur Zeit Zemlinskys wäre aber nicht vollständig, wenn ich die Mozartabende nicht besonders hervorheben würde. Unter Zemlinsky erlebte Prag eine Mozart-Renaissance, die dem Theater besonderen Glanz verlieh. Ich selbst habe viele dieser Aufführungen nicht nur gehört, sondern, besser gesagt, erlebt.

Ich möchte dazu einen der bedeutendsten Musiker der nahen Vergangenheit zitieren, Igor Strawinsky, der in seinen Gesprächen mit Robert Craft, als er von Mozartaufführungen in Petrograd sprach, sagte: «Keine Wiedergabe der Mozartopern hat mich je begeistert, bevor ich nicht nach Jahren in Prag Alexander Zemlinsky den Figaro dirigieren hörte.» Ich zitiere bei dieser Gelegenheit noch einen weiteren Ausspruch Strawinskys, daß er Carl Maria von Weber erst richtig eingeschätzt habe, als Zemlinsky in Prag den Freischütz dirigierte.

Zenilinsky gebührt noch ein Verdienst, das wohl nur von Pragern der damaligen Zeit richtig eingeschätzt werden kann: die Abschaffung einer unangebrachten Gepflogenheiit, nämlich am Prager deutschen Theater keine tschechischen Opern zu spielen, mit der Begründung, daß, wer solche Opern in Prag hören wolle, im tschechischen Nationaltheater die beste Gelegenheit dazu habe. Zemlinsky widerlegte diese bestimmt deutschnationale Behauptung. Am 20.3.1924, 100 Jahre nach Smetanas Geburt, hielt Der Kuß im Prager deutschen Theater seinen Einzug, Die verkaufte Braut mußte noch 18 Monate warten. Beide Vorstellungen werden mir unvergeßlich bleiben, mir, der ich diese Opern in den glanzvollsten Aufführungen des tschechischen Nationaltheaters unzählige Male gehört habe. Aber lassen wir auch dazu lieber den tschechischen Komponisten, Dirigenten und Musikkritiker Isa Krejci sprechen: «Am Sonntag feierte Die verkaufte Braut ihre Premiere im hiesigen deutschen Theater. Der Erfolg war ungewöhnlich. Zemlinsky blieb der Partitur tatsächlich nichts schuldig.» Im Jahre 1926 folgte dann, in Anwesenheit des Komponisten Janacek und des Übersetzers Max Brod, Jenufa, abermals ein großer Erfolg Zemlinskys, der übrigens auch 30mal das Orchester der Tschechischen Philharmonie dirigierte - dabei sehr oft Gustav Mahler, nie Alexander Zemlinsky.

Sechzehn Jahre wirkte Zemlinsky in Prag. Obzwar er berühmte Vorgänger an diesem Theater hatte - am gleichen Pult saßen u. a. Gustav Mahler, Carl Muck, Josef Stransky, Leo Blech, Franz Schalk, Artur Bodanzky, Otto Klemperer und Egon Pollak -, waren diese 16 Jahre Zemlinskys doch eine Blütezeit des Musiklebens in Prag. Allerdings in den letzten Jahren war nicht was die Qualität anbelangt, sondern die Quantität, wenn man solche Ausdrücke in diesem Zusammenhang anwenden darf - ein gewisser Ruckgang zu verzeichnen. Zemlinsky erschien schon weniger am Dirigentenpult im Theater. Aber der Wunsch, Prag zu verlassen, ging ausschließlich von ihm aus. Persönliche Gründe spielten dabei bestimmt eine gewisse Rolle. Neben Zemlinsky wirkte am Theater der bereits erwähnte H. W. Steinberg, damals ein junger Dirigent, der berechtigt größere Ambitionen hatte, als zweiter Kapellmeister in Prag zu sein. Für zwei so geniale Dirigenten war aber das Wirkungsfeld zu klein. Eine Berufung durch Otto Klemperer nach Berlin an die Krolloper war gewiß der ausschlaggebende Beweggrund für Zemlinsky, Prag zu verlassen. Als Abschiedsvorstellung vom Konzertpublikum wählte er Mahlers Achte mit der Tschechischen Philharmonie. Als Abschiedsvorstellung vom Theaterpublikum brachte er noch im Juni Figaros Hochzeit. Diese Aufführung werde ich bestimmt nie vergessen.

So endete Zemlinskys Prager Zeit, eine Schaffensperiode im Leben des Meisters, und wie ich bereits sagte, gewiß seine bedeutendste. Zemlinsky kam wohl noch oft nach Prag, aber als Gastdirigent, meistens der Tschechischen Philharmonie. Bei seinem Konzert am 3. Dezember 1937 war er sich bestimmt nicht dessen bewußt, daß es das letztemal sein sollte, daß er in Prag dirigierte.

Zemlinsky folgte also der Berufung Otto Klemperers an die Krolloper. Er wirkte hier 4 Jahre bis zu deren Schließung, dann noch eine kurze Zeit an der Oper Unter den Linden. In der Krolloper studierte er 12 Opern ein, die beinahe durchwegs große Reprisenzahlen aufweisen konnten. Auch für diese Epoche will ich die Werke nur erwähnen, soweit dies zur Vervollständigung dieses Lebensabschnittes erforderlich ist.

Am 27. November 1927 dirigierte Zemlinsky zum erstenmal, und zwar Smetanas Der Kuß, eine Oper mit der er, wie ich berichtet habe, in Prag einen durchschlagenden Erfolg hatte. Der Kuß war für Berlin neu. Die Reaktion im Publikum demonstrativ zustimmend, in der Presse nicht einheitlich. Im März 1928 kam Puccinis Triptychon [Tabarro, Suor Angelica, Gianni Schicchi] zur Aufführung. Noch vor Saisonschluß brachte Zemlinsky den Freischütz. In der nächsten Saison erschienen drei für Berlin neue französische Operneinakter: Ravels Spanische Stunde, Milhauds Der arme Matrose und Iberts Angélique. Die Aufführung unter der Regie von Gustav Gründgens war ein durchschlagender Erfolg. In Ravels Spanischer Stunde, wie auch später in der Verkauften Braut, in Madame Butterfly und Rigoletto wirkte die heute in Wien lebende, damals bedeutende tschechische Sopranistin Jarmila Novotná, die mir in liebenswürdiger Weise ihre begeisterten Erinnerungen an Zemlinsky zur Verfügung stellte. Die Verkaufte Braut bedeutete für Berlin keine Erstaufführung, aber einen neuen Erfolg für die Oper, für den Dirigenten und die Sänger.

Stuckenschmidt schrieb im B. Z. am Mittag: «Höchstes Lob, das man der Aufführung spenden kann.» Dann folgte Verdis Rigoletto, Charpentiers Louise und Madame Butterfly unter der Regie des kürzlich verstorbenen Dr.Hans Curjel. Am 7. Juni 1931 kam es noch zu zwei Schönberg-Erstaufführungen für Berlin. Klemperer dirigierte die Glückliche Hand und Zemlinsky die Erwartung. In diese Zeit fällt noch die Berliner Erstaufführung von Kurt Weiills Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny durch Zemlinsky.

Zum Abschluß des Berliner Kapitels will ich den bereits erwähnten Alfred Einstein zitieren:

Alexander Zemlinsky wird am 4. Oktober (richtig 14.) 60 Jahre alt. Berlin hat besonderen Anlaß, seiner zu gedenken: als eines Opfers der Auflösung der Oper am Platz der Republik, die ihm eine ganze Reihe ihrer Erfolge verdankt, an der er neben Klemperer eine hingebende, phrasenlose, sachliche Arbeit geleistet hat, nach deren Schließung er klanglos verschwunden ist. Nun, er hat es scheinbar nicht nötig. Am äußeren Erfolg liegt ihm wenig.

Genauso wie in Prag, wo er eine Zeit Rektor der deutschen Musikakademie war, später dann in der Meisterklasse für Dirigenten wirkte, betätigte sich Zemlinsky auch in Berlin als Lehrer. Er unterrichtete an der staatlichen akademischen Hochschule für Musik in Charlottenburg und wurde auch zur Leitung des Hochschulchores berufen. Die Behauptung in Erich Müllers deutschem Musikerlexikon, daß Zemlinsky von 1929 an in Leningrad engagiert gewesen Wäre, ist unrichtig.

1933 verließ er Berlin. Er übersiedelte nach Wien, dirigierte nur gelegentlich als Gast und komponierte. 1934 ging durch die Presse die Nachricht, daß er als Kapellmeister an die Wiener Staatsoper engagiert sei. Ob das eine verfrühte Meldung war, entzieht sich meiner Kenntnis, auf jeden Fall erfüllte sie sich nicht. 1938 und nicht 1934, wie einige Lexika schreiben, verließ er mit seiner Gattin rechtzeitig Wien und übersiedelte nach New York, ohne jedoch dort noch zu dirigieren, obzwar an der Met sein Freund Bodanzky als Leiter wirkte. Er lebte vollkommen zurückgezogen, widmete sich nur der Komposition und am 15. März 1942, wie mir seine Witwe ausdrücklich schrieb, (also wahrscheinlich nicht am 16. März) machte ein Herzleiden seinem Leben ein Ende. Ein großer Musiker starb, einst bejubelt als unbekannter Mann. Daß er als Komponist für die breite Öffentlichkeit fast unbekannt geblieben ist, liegt wahrlich nicht an seinen Werken, sondern ist in gewissem Sinne seine eigene Schuld. Schon 1910 schrieb Dr. Rudolf Stefan Hoffmann im Merker: «Zemlinsky bildet sich noch immer ein, daß ein Künstler, der was leistet, schließlich so nach und nach mit einiger Geduld auch in Seldwyla (Anspielung auf Kleider machen Leute) Anerkennung finden wird.» Das, was Hoffmann damals zu dem kaum Vierzigjährigen sagte, galt auch für die Zukunft.

Zemlinskys Werke

sind die Schöpfungen eines hervorragenden, den Durchschnitt weit überragenden Komponisten. Wenn ihnen die große Popularität versagt blieb, wenn sie nur bei Musikern in hohem Ansehen stehen und der großen Menge oft fremd sind, so liegt dies hauptsächlich daran, daß ihr Autor niemals billigem Erfolg nachging, nie nach Sensationsstoffen suchte und als Opernkomponist vielleicht nicht das Glück hatte, die breite Öffentlichkeit dauernd zu gewinnen.

In den ersten zwei Dezennien nach dem zweiten Weltkrieg hatte es wirklich den Anschein, als ob Zemlinsky in das Reich der vergessenen Musiker eingegangen sei und das mit falschen Angaben. Dann aber fanden sich Kenner - und nicht unbedeutende -, die Zemlinsky dieser Vergessenheit entreißen wollten. An erster Stelle sei hier Adorno genannt. Daß es diesen Wenigen gelungen ist, beweisen Aufführungen der letzten Jahre. Ganz vereinzelt wurden auch seine Bühnenwerke aufgeführt. Leider liegt dabei die Betonung auf «ganz vereinzelt». Daß die Perspektive hinsichtlich der Verbreitung der Werke nicht ungünstig ist, dafür ist last not least auch dieses Symposium ein Beweis.

Ich erwähnte, daß ein lückenloses Verzeichnis der Kompositionen Zemlinskys kaum möglich ist und begründete dies zu Beginn meiner Ausführungen. Zemlinskys Schaffen umschließt fast alle Kompositionsgattungen. Die Titel, besonders seiner Lieder- und Kammermusikwerke, wollten wir sie einzeln anführen, würden aber eine ganz hübsche Zahl erreichen, in einem Vortrag ermüdend wirken und ihren Zweck verfehlen. Etwas eingehender will ich mich aber dennoch mit seinen Bühnenwerken befassen, denn in dieser Hinsicht wissen wir wohl am meisten. Und dann will ich noch einige seiner orchestralen Kompositionen anführen.

Zemlinsky vollendete 7 Opern, aber nur 6 wurden aufgeführt. Seine Jugendoper Sarema, nach Rudolf von Gottschalls Die Rose vom Kaukasus, komponierte er im Alter von ungefähr 24 Jahren. Ob Schönberg, wie manchmal behauptet wurde, das Textbuch bearbeitet hat, ist nicht nachgewiesen, obzwar in dem bei der Library of Congress Washington (L. O. C.) erliegenden Manuskript angegeben ist: text by A. Schönberg after a play by R. von Gottschall. Die Oper wurde mit dem Luitpoldpreis ausgezeichnet und am 10. Oktober 1897 in München von Röhr uraufgeführt, erzielte aber nur wenige Reprisen. Ohne großen Publikumserfolg blieb auch die von Gustav Mahler uraufgeführte Oper Es war einmal nach Holger Drachmanns dänischem volkstümlichen Märchenspiel Das var engang.

In den Jahren 1904-1906, also schon während seiner Volksopernzeit, schrieb er seine nächste Oper Traumgörge auf einen Text von Leo Feld. Es ist das Werk, das noch von Mahler für die Hofoper angenommen wurde. Wie es aber ausfiel, darüber habe ich berichtet. Was nun folgte, war schon viel erfolgreicher, nur war der Erfolg nicht anhaltend genug. Nach Gottfried Kellers gleichnamiger Novelle schrieb Leo Feld das Libretto für die nächste Oper Kleider machen Leute. Sie entstand 1907 und wurde 1910 an der Wiener Volksoper uraufgeführt. In Prag arbeitete Zemlinsky die Partitur vollkommen um. Die dreiaktige Handlung wurde in ein Vorspiel und zwei Akte zusammengezogen und in dieser neuen Fassung hatte sie im deutschen Theater in Prag am 20. April 1922 ihre zweite Premiere. Diesmal von Publikum und Presse mit großer Begeisterung aufgenommen. An den großen Erfolg erinnere ich mich persönlich sehr gut. Zemlinsky mußte unzählige Male vor dem Vorhang erscheinen. In ihrer Neubearbeitung wurde die Oper verhältnismäßig oft aufgeführt. Es ist wirklich unverständlich, warum bei dem Mangel an bühnenfähigen komischen Opern dieses musikalische Kleinod mit seinem geschickten und amüsanten Textbuch, den solistischen Möglichkeiten und dem großen Anfangserfolg, kein besseres Schicksal erfahren hat.

Schon vorher, im Jahre 1914, vertonte Zemlinsky beinahe wörtlich Oscar Wilde's Eine florentinische Tragödie. Einem Zufall war es zu verdanken, daß das verschwundene, wahrscheinlich gestohlene Manuskript bei einem Altbuchländler in London gefunden wurde. Dem Text fehlte die einleitende Szene, aber das hatte keinen Einfluß auf den spannenden Ablauf der Handlung. Max Meyerfeld besorgte die deutsche -übertragung und Zemlinsky war der Schöpfer einer dramatischen, überaus bühnenfähigen einaktigen Oper, der er die Opuszahl 16 gab. Die Uraufführung fand während des ersten Weltkrieges am 30. 1. 1917 in Stuttgart unter Max von Schillings statt. Kurz nach der Prager Erstaufführung unter Zemlinsky folgte die Wiener Hofoper, dann Graz und viele andere Bühnen. Nach dem zweiten Kriege gab es mehrere Aufführungen.

Auch in seinem nächsten Bühnenwerk blieb Zemlinsky seinem Textdichter Wilde treu. In der einaktigen Oper Der Zwerg vertonte er das Märchen Der Geburtstag der Infantin in der Bearbeitung von Georg Klaren. Der Zwerg wurde von Otto Klemperer am 28. Mai in Köln uraufgeführt. Auch dieser Uraufführung folgten viele Wiederholungen und Einstudierungen an anderen Bühnen.

Die letzte vollendete Oper war die Vertonung von Klabunds Der Kreidekreis. Über dieses Werk schrieb Zemlinsky selbst in einem Brief an den damaligen Direktor des deutschen Theaters in Prag, Dr. Eger, am 8. 2. 1935: «...und unbescheiden wie ich bin, meine ich, daß diese Oper nicht zu den schlechtesten Opern gehört und hoffe damit auf eine 'mildere' Behandlung derselben.»

Einige Worte zur Vorgeschichte: vier große deutsche Bühnen - Köln, Nürnberg, Frankfurt a. M. und Berlin - bereiteten für den April 1933, alle für den gleichen Tag, die Uraufführung vor. Und alle Theater mußten, dank des nationalsozialistischen 'Kunstverständnisses', die Premiere absagen. Da griff das außerhalb dieses Machtbereiches liegende Operntheater in Zürich rasch zu und sicherte sich die Welturaufführung für den 14. 10. 1933. Dirigent war Dr. Kolisko.

Die bisher erwähnten vollendeten Opern sind in Fachkreisen wohl bekannt. Ich will aber noch die Bühnenwerke kurz anführen, die nie zur Aufführung gelangten oder nicht gelangen konnten, da sie über das Anfangsstadium eines Kompositionsversuches nicht herauskamen. Die meisten dieser Entwürfe und Kompositionsskizzen befinden sich bei der LOC, so z. B. die noch vor seiner Volksopernzeit geschriebene Ballettmusik nach einem Libretto von Hugo von Hofmannsthal Der Triumph der Zeit, deren Titel er später auf Das gläserne Herz umänderte. Die Arbeit trägt das Datum 23. Juli 1901. Nach Horst Weber soll das Ballett am 18. 2. 1903, wahrscheinlich in einer Kurzfassung, in Wien konzertant aufgeführt worden sein. In Prag entstand - ungefähr 1918 - die dreiaktige Oper Raphael nach dem Roman von Balzac Peau de Chagrin [II]. Ebenfalls in Prag entstand das Bühnenwerk Herrn Arnes Schatz nach einem Roman von Selma Lagerlöf. Während seines zweiten Aufenthaltes in Wien komponierte er die dreiaktige Oper Der König Kandaules nach einem Text von André Gide. Die Oper ist, wie Frau Zemlinsky mir schrieb, wohl vollkommen durchkomponiert, aber nur zur Hälfte instrumentiert. Ein weiterer dramatischer Versuch, der erst in Amerika entstand, war eine Oper in drei Akten von Irma Stein und Walter Firner, Circe. Auch hier liegt bei der LOC ein unvollständiger Entwurf für einen Klavierauszug. Prof. Walter Firner, der Textdichter, teilte mir mit, daß Bodanzky, damals Direktor der MET, das Werk auf Grund des noch unvollständigen Materials bereits angenommen hatte. Zemlinsky erklärte eines Tages, den ersten Akt bereits durchkomponiert zu haben, lehnte es aber ab, etwas vorzuspielen, ehe die ganze Oper beendet sei. Dazu kam es aber nicht mehr.

Nun noch einige Fragmente, mit denen sich der Komponist im Laufe der Jahre beschäftigte. Ein Lichtstrahl, das Mimodrama aus dem Jahre 1901; er beschäftigte sich auch mit der Vertonung einer Oper in zwei Akten nach einer Erzählung Gorkis, Malva. Das Manuskript des Librettos liegt mit einigen handschriftlichen Abänderungen in Washington. Die dramatische Dichtung Das Rosenfest der rheinischen Nonnen von Hans Heinz ist über das Stadium eines Entwurfes nicht hinausgekommen. Vitalis und Der tolle Mönch können nur in das Verzeichnis der dramatischen Versuche eingereiht werden. Ich nehme an, daß damit die Aufzählung der vollendeten, begonnenen und geplanten Bühnenwerke vollständig ist, zumindest soweit mir das Material, oder wenigstens deren Titel bekannt sind.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich nochmals Arnold Schönberg zitieren, der schon im Jahre 1921 schrieb: «Von meinem Urteil über Zemlinsky müßten die ganz Klugen, wenn sie genau feststellen wollen, welchen Wert es für die Allgemeinheit haben kann, folgendes in Abzug bringen: Er war mein Lehrer, ich wurde sein Freund, später sein Schwager und er ist in den vielen Jahren, die seither vergangen sind, derjenige geblieben, dessen Verhalten ich mir vorzustellen versuche, wenn ich Rat brauche. Ich bin also im höchsten Grade befangen: Ich will aber erörtern, warum es schwer ist, ihn richtig einzuschätzen. Wer der Uraufführung einer Oper von Zemlinsky beigewohnt hat und Zeuge des großen Erfolges war, hat erwartet, das betreffende Werk einen Siegeszug über alle Bühnen machen zu sehen. Aber nach einigen Aufführungen war es vorbei. Wieso kam das? Bei der Uraufführung waren viele Musiker und Musikfreunde, unter denen eine noch stattliche Anzahl eine Oper mit den Ohren aufzunehmen imstande war. Aber zu den Wiederholungen kam - angelodrt durch den Erfolg - das Publikum und das laßt sich in der Oper so wenig wie im Kino durch die Musik stören, wenn es nur etwas zu sehen gibt. Es ist dann genau so wie sein Theaterdirektor und Kapellmeister, die zuerst nach dem Buch fragen.» Soweit also Schönberg! Der Artikel ist vor der Neubearbeitung von Kleider machen Leute und natürlich vor dem Zwerg und dem Kreidekreis geschrieben, daher kann man heute nicht mit allem, was Schönberg damals sagte, übereinstimmen. Aber eines ist sicher, der große Bühnenerfolg, den manche seiner Zeitgenossen erzielten, war Zemlinsky nicht beschieden.

Wenn wir in Erwägung ziehen, daß weit mehr als 100 abgeschlossene oder wenigstens begonnene Titel vorliegen, die höchste bekannte Opuszahl aber 27 ist, kommen wir zu dem Schluß, daß Zemlinsky ungefähr drei von vier Kompositionen nicht numeriert hat, was natürlich jede biographische Arbeit erschwert.

Für mich, den Musiktheoretiker und Musikliebhaber, der ich der Persönlichkeit Zemlinskys schon zu seinen Lebzeiten sehr nahe stand und der ich mich seit einigen Jahren vorwiegend mit dem Werke dieses Mannes beschäftige, ist es heute, nach Jahren der Vergessenheit, eine Genugtuung und eine große Freude, daß dieses Symposion zustande kam. Zum Abschluß meines biographischen Berichtes möchte ich noch mit Franz Werfel sagen: «Wenn ich die Menschen an mir vorüber ziehen lasse, denen ich gesteigerte Lebensaugenblicke, als höchsten Dank schulde, so ist Alexander Zemlinsky unter den Wenigen einer der deutlichsten!»

This was the brainchild of composers Arnold Schoenberg and Alexander von Zemlinsky. Schoenberg and his colleagues often felt shut-out by the musical establishment in Vienna, especially the Musikverein, the common name of the Gesellschaft der Musikfreunde (Society of Friends of Music), and their response was the Vereinigung. The name itself is a jibe at the Musikverein, as Vereinigung ("collective") has a less formal connotation than Verein ("association"). Mahler was sympathetic, and agreed to be honourary president. The Vereinigung Schaffender Tonkünstler only survived a single season, but it was able to present several important concerts. The Mahler Lieder-Abend mit Orchester was arguably its crowning achievement.
** CFR. anche Kafka e la musica