DIE WELT online - Forum

DIE WELT

Samstag, 14. September 2002     Berlin, 04:34 Uhr

DIE WELT
     
WELT AM SONNTAG

TAGESINHALT

POLITIK
WIRTSCHAFT
FINANZEN
IMMOBILIEN
KULTUR
SPORT
FORUM





    Frage der Woche
    Online-Diskussion
    Das Porträt
    Obituarien
    Zippert
WISSENSCHAFT
MEDIEN
VERMISCHTES

HAMBURG
BERLIN
BREMEN
BAYERN
NRW

WEBWELT
BERUFSWELT
LITERARISCHE WELT
REISEWELT
AUTO & BOOT
STIL

ABONNEMENT
ANMELDUNG
ARCHIV
IMPRESSUM
HILFE
KONTAKT
LOTTO
MEDIAWELT
TELEFONTARIFE
TV-PROGRAMM
WETTER

EUROPEAN DAILIES ALLIANCE

Nikolaus Harnoncourt sucht in jeder Partitur die Wahrheit der Musik Alle Artikel zum Thema

Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt erhält dieses Jahr den mit 150.000 Euro dotierten Ernst-von-Siemens-Musikpreis

Nikolaus Harnoncourt   Foto: AP
Von Manuel Brug

Der Siemens-Musikpreis für Nikolaus Harnoncourt, das ist auch ein Preis für Alice Harnoncourt. Seit bald 50 Jahren seine Frau, hat sie nicht nur die vier Kinder großgezogen, die wechselnden, mit den unmöglichsten alten Instrumenten voll gestopften Wohnungen in Schuss gehalten und ihrem Nikolaus die Anzüge gekauft. Viel wichtiger noch, ihr durchaus traditionell steirisch-wienerisches Ehebündnis wurde ganz naturhaft eine der schönsten, wirkungsreichsten Lebens- und Arbeitsgemeinschaften der Musikwelt. Die gelernte Geigerin, die auf ihre Karriere weit gehend verzichtete, die im gemeinsamen Orchester Concentus Musicus als Konzertmeisterin fungiert, bei vielen seiner Opernaufführungen mit im Graben sitzt und bei jedem seiner Dirigate im Saal dabei ist, war nie nur Künstlergattin oder zuarbeitende Assistentin. Sie erst komplettiert unverzichtbar diesen musikalischen Kosmos.

Wenn der habsburgisch-lothringisch-luxemburgische Dirigiergraf Johann Nicolaus de la Fontaine und d'Harnoncourt-Unverzagt, geboren am 6. Dezember 1929 durch Zufall in Berlin und aufgewachsen in Graz, Ende Mai in München die gemeinhin als Nobelpreis der Musik gehandelte Auszeichnung entgegennimmt, dann ist die Suche nach musikalischer Wahrheit, für die er heute als leuchtendes Vorbild gilt, eben auch die seiner Frau. Sie war und ist es, die die Noten archiviert und korrigiert, die Partituren auf Fehler durchsieht und für fast jede seine Aufführungen neue Orchesterstimmen erstellt. Erst wenn diese Arbeit getan ist, kann sich das Wunder Harnoncourt ereignen.

Das wiederum bereitete sich mit den genau richtigen Strategien zur passenden Zeit vor. Nikolaus Harnoncourt war nicht umsonst von 1952-69 Cellist der Wiener Symphoniker. Was ihm damals oft als die durchaus typische, ermüdende Routine erschien, gegen die mit dem Mahler-Diktum "Tradition ist Schlamperei" vorzugehen sein würde, auf dieser Musizierpraxis und der täglichen Begegnung mit berühmten, aber eben im Umgang mit Noten oft laxen Meistern des Taktstocks fußt seine heutige Stellung als klügster Infragesteller im traditionellen Musikbetrieb. Eine Position, die durch seinen Auftritt beim Wiener Neujahrskonzert 2000 an Millionen Fernsehgeräten ihre populistische Absolution erhielt.

Nikolaus Harnoncourt und die Seinen haben diese alles beherrschende, - anders als bei Karajan - von ihm nie ausgenutzte Platzierung einem in den Anfangsjahren belächelten wie angefeindeten Umweg über Darmseiten, Zinken und Barockbögen zu verdanken. Harnoncourt war keiner der Pioniere auf dem Gebiet der Alten Musik-Bewegung, aber er wusste als professioneller Musiker von überragendem Talent sich deren Praxis folgenreicher zu Nutze zu machen. Neugierig und undogmatisch studierte er die Quellen, erarbeitete er sich Spielweisen und versuchte zunächst Musik der Spätrenaissance, des Barock und der Frühklassik für heutige Ohren nutzbar zu machen. Mit Alice durchstreifte er die Flohmärkte Europas nach Instrumenten und durchstöberte die Bibliotheken nach vergessenen Materialen.

Die Ergebnisse wurde in den Wiener Abonnementkonzerten des 1953 gegründeten Concentus Musicus, auf weltweiten Tourneen und einer wachsenden Anzahl noch heute gültiger Tonträger einer staunenden Öffentlichkeit präsentiert. Berühmt wurde Nikolaus Harnoncourt durch den bei vielen Festivals gezeigten und verfilmten Zürcher Monteverdi-Zyklus der späten siebziger Jahre. Im Verein mit den universellen Bühnenträumen Jean-Pierre Ponnelles (mit dem er gleich darauf einen Mozart-Zyklus an selber Stelle in Angriff nahm) erwies er sich nicht nur als wacher szenischer Mitdenker, sondern auch als entscheidender Impulsgeber für die Wiedergeburt der heute theatralisch blühenden Barockoper.

Nikolaus Harnoncourt hat zwar das gesamte Bachsche Kantatenwerk auf CD eingespielt und Musik des Habsburger Hofes ausgegraben, doch heute führt er die berühmtesten Orchester durch die neu gehörten Partituren von Brahms, Schubert und Dvorák. Er hat den "Zigeunerbaron" dirigiert, Offenbachs "Belle Hélène" und Verdis "Aida". In Zürich steht er einem zweiten Mozart-Zyklus vor, und Ende Februar wird er mit der "Rückkehr des Odysseus" ein zweites Mal auf große Monteverdi-Fahrt gehen. Alice Harnoncourt wird wieder im Orchester sitzen, und es wird wieder anders, neuer, frischer klingen als beim letzten Mal. Das schließlich ist man von Nikolaus Harnoncourt gewohnt.

Alle Artikel zum Thema Alle Artikel zum Thema
  Das Porträt

Zur aktuellen Channel-Übersicht
Tagesübersicht

erschienen am:02. 02. 2002
Channel:Forum
Bereich:Forum

 Druckversion
 Artikel versenden
 Leserbrief
Tagesinhalt 02. 02. 2002

ONLINE DISKUSSIONEN
Richtlinien des Forums
Bundesliga
Welt offen
Zuwanderung
Terrorismus
Rentendebatte
 
FRAGE DER WOCHE
 
  Wahl-Endspurt nach dem TV-Duell: Wer macht das Rennen?
  Schröder
  Stoiber
WAHLKAMPF 2002
Wie die Parteien sich auf die Wahl zum nächsten Bundestag vorbereiten