ELEKTRA

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RONNY DIETRICH

«...DEN SCHAUER DES MYTHOS NEU SCHAFFEN»


Testo tratto dal PROGRAMMA DI SALA dell'OPERNHAUS DI ZURIGO e pubblicato con il consenso scritto dell'Autrice, che il curatore del sito ringrazia di cuore.

Anfang September 1901 las Hugo von Hofmannsthal als vorbereitende Lektüre für sein geplantes Drama «Pompilia oder das Leben» u.a. die «Elektra» von Sophokles, woraufhin er den Entschluss fasste, eine eigene, andere «Elektra» zu schreiben. «Als Stil schwebte mir vor, etwas Gegensätzliches zu 'Iphigenie' zu machen, etwas, worauf das Wort nicht passt: 'dieses graecisierende Produkt erschien mir beim erneuten Lesen verteufelt human') (Goethe an Schiller).» Aufgrund anderer Arbeiten verschob sich das Vorhaben, doch 1902 ist in Briefen wieder die Rede von «Elektra» in Zusammenhang mit einer zweiteiligen «Orestie». Der Bluttanz der Elektra sollte eine Zäsur bilden zwischen dem ersten, das Verhältnis von Orest zu Elektra und den Muttermord behandelnden Teil und dem zweiten, «Orest in Delphi», der das Verhältnis von Orest zu Hesione beleuchten sollte.
Die Rückbesinnung auf antike Mythen begründete Hofmannsthal damit, dass «ein gut Teil unserer poetischen Arbeit die Auflösung erstarrter Mythen, vermenschlichter Natursymbole in ihre Bestandteile, eigentlich Analyse, ist». Ist der Mythos in seiner Zeit- und Ereignisdimension bekannt, kann sich die literarische Bearbeitung auf die Freilegung seiner Tiefendimension richten. Gerade die Vieldeutigkeit antiker Mythen, deren Schichten Unbestimmtheitsstellen bzw. Deutungsspielräume enthalten, fordert bis in unsere Zeit immer wieder zur Auseinandersetzung heraus, um deren Sinnpotential in neuer Weise zu entfalten.
Dass seine «Analyse» nicht philologischen Intentionen folgen konnte, kristallisierte sich für den Dichter bald heraus: «Der Versuch, den Elektrastoff zunächst in einem scheinbaren Anlehnungsverhältnis an Sophokles aus einem Gegenstand des Bildungsinteresses zu einem Gegenstand der Emotion zu machen, war jugendlich und verlief problematisch; aus einer Bearbeitung wurde eine neue, durchaus persönliche Dichtung.» Für sein Drama habe er - so Hofmannsthal - «die Gestalten nicht berührt. Nur den Mantel von Worten, den ihr bronzenes Dasein um hat, habe ich anders gefaltet, so dass die advokatorischen Stellen ins Dunkel gebracht und die poetischen, ans Gemüt sprechenden vom Licht ausgebreitet daliegen. Uns sind tragische Figuren wie Taucher, die wir in die Abgründe des Lebens hinablassen -magische Figuren sind sie, wie der Schlüssel Salomonis, die uns die Kreise der Hölle aufschliessen.»
Dennoch bildet für ihn die Ereignisfolge und die Personen des Mythos und seiner historischen Varianten keinen normativen Rahmen mehr: «Wir müssen uns den Mythos neu schaffen. Aus dem Blut wieder Schatten aufsteigen lassen... Wenn Philologen, Altertumskenner etc. für die unbedingte Erhaltung des Alten sorgen, so muss auch eine Instanz dasein, die unbedingt für das Lebendige sorgt. Die Wiederholungen, Weitschweifigkeiten, pragmatischen Stellen des alten Textes mochten genussreich sein für ein stofflich mitdenkendes Publikum, mochten gemildert sein durch rhythmische, musikalische Schönheiten. Für uns ist die Vertrautheit mit dem Mythos eine grosse avantage. Wir können mit den Figuren hantieren wie mit Engel und Teufel, mit Aschenbrödel und der bösen Stiefmutter. Alle Aufmerksamkeit können wir dem ausserhalb des Pragmatischen Liegenden geben, dem über dem Gebirge lagernden Dunstkreis des Lebens: jenem 'Stirb und werde!', der Mystik des Leidens und Tuns, Maeterlinck'sche Welt. Über alles dies aber richtet mein Gefühl und das der wenigen, die in diesen Dingen ein Urteil haben, nicht aber was in den Gazetten vorgebracht wird.»
Für seine psychologische Durchleuchtung des Stoffes zog Hofmannsthal die Studien von Freud und Breuer über die Hysterie und ihre Heilung, die «Maladies de la personnalité» des französischen Psychologen Théodule Ribot, Rhodes «Psyche» sowie «Mutterrecht und Urreligion» von Bachofen heran und reduzierte die fünfteilige Form der Sophokleischen Tragödie auf einen einzigen Akt. Damit bediente er sich einer Form, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ein möglicher Ausweg aus der «Krise des Dramas» begriffen wurde: «Die Situation hat hier selbst alles zu geben. Deshalb wählt sie den Einakter, wenn sie auf Spannung nicht ganz verzichtet, immer als Grenzsituation, als Situation vor der Katastrophe, die schon bevorsteht, wenn der Vorhang sich hebt, und im Folgenden nicht mehr abgewendet werden kann. Die Katastrophe ist futuristische Gegebenheit: Es kommt nicht mehr zum tragischen Kampf des Menschen gegen das Schicksal. Was ihn vom Untergang trennt ist die leere Zeit, die durch keine Handlung mehr auszufüllen ist, in deren reinem, auf die Katastrophe hin gespannten Raum er zu leben verurteilt wurde. Die Ohnmacht der Menschen schliesst sowohl Handeln und Kampf aus, damit auch die Spannung des Zwischenmenschlichen; nicht aber die der Situation, in die sie hineingestellt sind, die sie als deren Opfer erleiden.» Diese prinzipielle Charakterisierung, von Peter Szondi in seiner «Theorie des modernen Dramas» für ein ganzes Genre formuliert, trifft auch auf Hofmannsthals «Elektra» zu: Das Geschehen ist von vornherein determiniert, es zeichnet sich in seiner Unausweichlichkeit nur sukzessive immer deutlicher ab.
Hofmannsthal: «Es wird nicht etwas auf einer dritten Stufe, nach Satz und Gegensatz erreicht - sonder es tritt etwas heraus, es enthüllt sich etwas. Meinen Figuren stösst nichts zu, als dass sie sich ihrem Tode entgegen enthüllen.»
Elektras Vaterfixierurig zeitigt ein Verhalten, das nur verständlich wird in dem Gegenwartshorizont, in dem sie lebt und der bestimmt wird durch den Augenblick des Mordes an ihrem Vater Agamemnon einerseits und demjenigen zukünftiger Rache andererseits. Ihr Lebensziel ist das der Rache; die «leere Zeit» des Wartens ist angefüllt mit vorwegnehmenden Halluzinationen und mit ritualhafter Kommunikation mit dem Toten. Nur in einem einzigen Moment scheint das Unbeugsame ihrer Haltung aufzubrechen: bei der Nachricht vom Tode Orests. Ein Rollentausch zwischen Elektra und Chrysothemis scheint sich anzubahnen, die sich Versagende wird zur Flehenden, aus der Bittenden wird die Umworbene. Diese Verhaltensänderung jedoch verweist nicht auf eine veränderte Haltung; vielmehr wird sie - durch den vermeintlichen Ausfall des vorbestimmten Rächers - strategisch notwendig, um das angestrebte Ziel nicht aufgeben zu müssen.
In Elektra und Chrysothemis verkörpern sich zwei Lebensprinzipien, die Hofmannsthai in seinem Werk immer wieder thematisiert: «Beharren einerseits und Leben andererseits und das beinhaltet: sich verwandeln. «Beharren ist Erstarren und Tod. Wer leben will, der muss über sich selbst hinweg kommen..., muss vergessen. Und dennoch ist ans Beharren, ans Nicht-Vergessen alle menschliche Würde geknüpft... An dem Verlorenen festhalten, ewig beharren, bis an den Tod - oder aber leben, hinwegkommen, sich verwandeln, die Einheit der Seele preisgeben, und dennoch in der Verwandlung sich bewahren, ein Mensch bleiben, nicht zum gedächtnislosen Tier herabsinken. Es ist das Grundthema der 'Elektra', die Stimme der Elektra gegen die Stimme der Chrysothemis, die heroische gegen die menschliche.»
Von Juli bis Mitte August 1903 schrieb Hofmannsthal in Rodaun seine «Elektra» nieder; die Uraufführung am 30. Oktober 1903 in Berlin mit Gertrud Eysoldt

in der Titelrolle erregte die Gemüter. Alfred Kerr nannte das Stück eine «Phantasie auf der Beil-Saite» und Kurt Aram einen «steilen Totenrasetanz der Dekadentengrausamkeit». Dennoch oder deshalb nahmen innerhalb von vier Tagen 22 Bühnen die «Tragödie frei nach Sophokles» zur Aufführung an.

Richard Strauss, der schon als Schüler Verse aus dem III. Stasion der «Elektra» von Sophokles vertont hatte, erkannte in Hofmannsthals «genialer Dichtung», die er 1906 in Berlin kennenlernte, «den glänzenden Operntext (der er nach meiner Umarbeitung der Orestszene tatsächlich georden ist) und, wie seinerzeit in 'Salome' die gewaltige Steigerung bis zum Schluss: nach der nur mit Musik ganz zu erschöpfenden Erkennungsszene der erlösende Tanz». Anhand des Briefwechsels mit Hofmannsthal lässt sich die Entstehung des ersten gemeinsamen Werkes, die sich über zweieinhalb Jahre hinzog, verfolgen. Strauss' sich einstellende Bedenken gegenüber einem der «Salome» in vielem so ähnlichen Stoff wusste Hofmannsthal zu zerstreuen. So kürzte der Komponist das Sprechdrama mit Zustimmung des Dichters zunächst «für den Hausgebrauch», wobei er einschneidendere Eingriffe als bei Wildes «Salome» vornahm. Bei Strauss werden die Protagonisten durch Dialogkürzungen und -streichungen zu einseitig fixierten, keiner Reflexion unterliegenden Figuren. Akzeptierte Hofmannsthal anfänglich alle Änderungsvorschläge des Komponisten, so brachte er im Verlauf der Arbeit zunehmend eigene Strichvorschläge ein, so dass letztlich eine eigenständige Musiktheaterfassung entstand, die der durch Musik möglichen Metamorphose des Wortes Raum gab. Im Dezember 1906 liess Hofmannsthal seinen Vater wissen, dass seine Dichtung durch die Musik mehr gewinne als verliere.
Im Dezember 1907 bat Strauss dann nochmals um einige Änderungen: Neben dramaturgischen Mängeln, die er beim Auftritt der Mägde während der Mordszene beklagte, wünschte er eine Erweiterung der Klytämnestraszene sowie zwei umfangreiche Einschübe. Zum einen bei der Erkennungsszene Elektra/Orest, die er als lyrischen Ruhepunkt vor der Mordszene gestalten wollte. Die andere Bitte betraf die Schlussszene, die Hofmannsthal dann mit einem Dialog zwischen den beiden Schwe: stern erweiterte. Am 22. Juni 1908 war die Partitur bis zur Orestszene gediehen, am 6. Juli die Szene zwischen Elektra und Aegisth abgeschlossen. Im August vollendete Strauss die Komposition und schloss die Partitur am 22. September in Garmisch ab. Die Reaktionen von Publikum und Presse bei der Uraufführung in Dresden am 25. Januar 1909 waren distanziert und bei dem naheliegenden Vergleich mit Straussens «Salome» schnitt die «Elektra» schlechter ab. Kritisiert wurde in erster Linie, dass Strauss «abermals zu einem so grausigen und entsetzlichen Stoff griff, nachdem er doch schon mit 'Salome' dem blutrünstigen, auf pathologische Anomalien und nervenpeitschende Erregungen lüsternen Geschmack unserer Zeitgenossen ein dampfendes Opfer gebracht hatte» («Die Musik», 8. Jg. 1909). Aber auch die Musik empfanden die meisten als verstörend, sogar von «Stimmenmord» war die Rede. Doch wie zuvor beim Sprechdrama konnten die Negativstimmen den Erfolg der Oper nicht verhindern. Der Uraufführung folgten rasch Inszenierungen an anderen grossen Bühnen und noch in derselben Spielzeit gelangte «Elektra» in Deutschland und Österreich über hundertmal zur Aufführung.
Pseudonym für Hanns Fischer, einen esoterischen Schriftsteller und Verleger, der sich sehr lange im Orient aufgehalten haben soll.
Hauptwerke: Magie und Zauberei in der alten Welt (1927) und Magie und Mystik in Vergangenheit und Gegenwart (1929). Letzteres behandelt babylonischen Dämonenglauben, Totemismus, ägyptischen Tierkult, Osirismagie, Magie des Pentateuch, Mysterienkulte, Neuplatonismus, Gnostik, Spiritismus und Animismus.
Auch heute noch gilt dieses Werk als eine sehr sachkundige Darstellung und Interpretation des esoterischen Gedankengutes von den alten Ägyptern bis in das 20. Jahrhundert.