DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

EINFÜHRUNG
IM MAGAZIN OPERNHAUS ZÜRICH

MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG DES OPERNHAUSES ZÜRICH

TESTO PUBBLICATO CON IL CONSENSO SCRITTO
DELLA DIREZIONE DELLA DRAMATURGIE CHE IL
CURATORE DEL SITO RINGRAZIA DI CUORE.


©OPERNHAUS ZÜRICH


Im Jahre 1834 erschien im ersten Band von Heinrich Heines Text-Sammlung «Salon» das Fragment «Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski» Darin heisst es: «Die Fabel von dem Fliegenden Holländer ist euch gewiss bekannt. Es ist die Geschichte von dem verwünschten Schiffe, das nie in den Hafen gelangen kann und jetzt schon seit undenklicher Zeit auf dem Meere herumfährt. Jenes hölzerne Gespenst, jenes grauenhafte Schiff führt seinen Namen von seinem Kapitän, der einst bei allen Teufeln geschworen, dass er irgendein Vorgebirge, dessen Namen mir entfallen (gemeint ist das Kap der Guten Hoffnung), trotz des heftigsten Sturms, der eben wehte, umschiffen wolle, und sollte er auch bis zum Jüngsten Tage segeln müssen. Der Teufel hat ihn beim Wort gefasst, er muss bis zum Jüngsten Tag auf dem Meere herumirren, es sei denn, dass er durch die Treue eines Weibes erlöst werde.»

Heines Darstellung liest sich im weiteren wie eine vereinfachte Inhaltsangabe zu Richard Wagners späterer Oper. Als Heine seinen Text publiziert, hat Wagner eine Saison als Chordirektor in Würzburg hinter sich und soeben seine Erstlings-Oper «Die Feen» vollendet. Nach einer kurzen Episode als Musikdirektor am Goethe-Theater Bad Lauchstädt, wo er seine erste Frau, die junge Schauspielerin Minna Planer, kennenlernt, tritt er am 10. Oktober 1834 eine neue Anstellung an: das Amt des Musikdirektors in Magdeburg. Seine Oper «Das Liebesverbot», die er dort uraufführt, fällt mit Pauken und Trompeten durch. Die nächste Station seiner beruflichen Karriere führt ihn 1837 nach Königsberg; er schreibt dort den «Rienzi», trennt sich von Minna, vereint sich bald darauf wieder mit ihr und nimmt den Posten eines Musikdirektors in Riga an, wo er u.a. 1839 Webers «Oberon» aufführt. Nicht zuletzt animiert durch diese romantische Geisteroper, liest Wagner vermutlich zum ersten Mal Heinrich Heines «Schnabelewopski»-Memoiren.

Nur wenige Monate später erfährt er, wie er in seiner «Autobiographischen Skizze» notiert, bei einem Sturm im Skagerrak, «die Sage vom Fliegenden Holländer ... aus dem Munde der Matrosen bestätigt». Die verschuldeten Wagners flüchten vor Gläubigern in einer Nachtund Nebel-Aktion per Schiff über England nach Frankreich. Das maritime Sturmerlebnis inspiriert Wagner zur Idee der Komposition eines «Fliegenden Holländers». In Paris, wo er als Kopist, Auftragskomponist und Arrangeur ein Elendsdasein fristet, teilt er schon im kommenden Jahr, also 1840, dem um Hilfe und Protektion ersuchten Giacomo Meyerbeer mit, dass er die Ballade Sentas, das Lied der norwegischen Mannschaft und den Gesang der Holländer-Matrosen «zur Audition fertig» komponiert habe. Dem Direktor der Grand-Opéra, Leon Pillet, übergibt er einen kurz gefassten Prosaentwurf der Oper in französischer Sprache. Der renommierte Librettist Eugene Scribe sollte darauf ein Opernlibretto für die Pariser Oper schreiben, mit dessen Komposition Wagner betraut zu werden hoffte. Doch es kam weder zu der erhofften Vorführung der drei Musiknummern noch zu dem Kompositionsauftrag. Welch schmerzliche Ironie, dass der Pariser Operndirektor zwar bereit war, den in Frankreich nicht ganz neuen Opernstoff über das «Vaisseau fantôme» zu akzeptieren - er kaufte das Exposé für 500 Francs-, dann aber den Autor Paul Foucher mit der Ausführung des Librettos und den Hauskomponisten Pierre-Louis Dietsch mit der Komposition der Oper beauftragte! Sie wurde zwei Jahre später tatsächlich in Paris uraufgeführt. Zumindest reichten die 500 Francs für ein neues Klavier, auf dem sich Wagner nach der Absage der Pariser Oper mit geradezu inbrünstigem Trotz auf die Komposition seines «Fliegenden Holländers» stürzte. In der «Mitteilung an meine Freunde» bekennt er: «Es war eine wollüstig schmerzliche Stimmung, in der ich mich damals befand». Sie «gebar mir den längst bereits empfangenen Fliegenden Holländer». In nur zehn Tagen schreibt er das Textbuch, die gesamte Partitur ist in nur vier Monaten fertig. Er bietet sie dem Berliner Hoftheater zur Uraufführung an, doch man lässt sich Zeit mit einer verbindlichen Zusage. Am Königlich Sächsischen Hoftheater in Dresden gerät am 20. Oktober 1842 die Uraufführung des «Rienzi» zu einem Triumph. Während die Berliner Intendanz wegen der «Holländer»Uraufführung weiter zögert, bewirkt der «Rierizi»-Erfolg die Annahme der Oper in Dresden. Schon am 2. Januar 1843 dirigiert Wagner die Uraufführung.

Für Richard Wagner ist «Der fliegende Holländer» der entscheidende Wendepunkt in seiner künstlerischen Laufbahn. Erstmals ist er als Musikdramatiker er selbst geworden, wenn auch, wie er eingesteht, noch nicht in vollendeter Weise. Er ist nicht mehr Verfasser von Operntexten, sondern ab hier, so schreibt er, beginnt seine «Laufbahn als Dichter». Musikalisch vollzieht sich ein erster Schritt zur Ablösung der traditionellen Opernform zugunsten des Musikdramas. Die Strukturkomponenten der Operntradition - Arien, Duette, Chöre etc. - fasst Wagner zu grösseren Einheiten zusammen. Er formt aus ihnen zusammenhängende Szenen, in denen jene konventionellen Formen in neue Bezüge zueinander treten. In ihrer musikalischen Verschränkung werden sie so miteinanderverarbeitet, dass sie zugleich ihre ursprüngliche Selbständigkeit verlieren und sich zu etwas auch formal Neuem ordnen.
Zürich, Wagners Asyl-Heimat in den Jahren 1849 bis 1858, spielt in der Aufführungsgeschichte des «Fliegenden Holländers» eine besondere Rolle. So dirigierte er seine Oper am damaligen Aktien-Theater in vier Aufführungen Ende April und Anfang Mai 1852. Es war das erste Mal seit der Berliner Erstaufführung von 1844, dass Wagner selbst eine Wiederaufnahme seiner Oper leitete. Das Orchester war - zum Teil auf Kosten des Komponisten um ein Drittel verstärkt worden; im Chor sang mit, wer stimmbegabt war. «Unter Wagners Direktion wird das Orchester gewissermassen zu einem einzigen Instrumente, aus dem der Meister mit feinstem Gefühle und freiester Willkür die reiche Welt seiner Töne herausholt...», lobte die Zeitung «Berner Bund».

Zur Figur des getriebenen und nur durch die bedingungslose Liebe einer Frau zu erlösenden ewigen Wanderers verband Richard Wagner eine mythische und tiefe persönliche Beziehung. Er assoziierte die Figur mit Ahasver, mit Odysseus und den Weltentdeckern der Neuzeit; Senta, die erlösende Frau, sah er als «das Weib der Zukunft».
Wie Hans Mayer festgestellt hat, erscheint im «Fliegenden Holländer» zum ersten Mal «eine typische Wagner-Problematik auf der Opernbühne. Sie besteht eigentlich darin, dass der fliegende Holländer die Reihe der für Wagner so kennzeichnenden Künstlerdramen eröffnet. Holländer, Tannhäuser und Lohengin haben untereinander ebensoviel Trennendes wie Gemeinsames. Sie alle aber sind Künstlerdramen mit beinahe gleicher Konstellation. Immer geht es um den Konflikt des Genies mit den herkömmlichen Lebens-, Kunst- und Moralbegriffen der Umwelt.»

Man kann davon ausgehen, dass Wagner die endgültige musikalische Gestalt des Werkes noch nicht in ihrer endgültigen Version vor Augen stand, als er die Partitur in nur vier Monaten in Paris zu Papier brachte.
Bei der ersten abgeschlossenen Niederschrift handelte es sich um eine durchgehende, pausenlos zu spielende Fassung. Diese seinerzeit für eine romantische Oper vorbildlose Formanlage wurde zugunsten aufführungspraktischer Bedingungen aufgelöst, das als Einakter niedergeschriebene Werk in drei voneinander getrennte Aufzüge eingeteilt und die ursprünglichen Überleitungspartien in Zwischenaktmusiken mit einleitender Funktion verwandelt. Auch seiner hochgeschätzten Senta, der Sopranistin Wilhelmine Schröder-Devrient, kam Wagner entgegen. Die Abwärtstransposition der Senta-Ballade um einen Ganzton (von a-moll nach g-moll) erleichterte der Sängerin deren Ausführung.
Nach der Dresdner Uraufführung im Jahre 1843 nahm Wagner 1846 für eine geplante Aufführung in Leipzig einschneidende Veränderungen in der Partitur vor, die vor allem die Blechbläser hinsichtlich einer Abminderung betrafen. Die Aufführung fand jedoch nicht statt, die Änderungen verschwanden in der Schublade, bis Wagner für die schon erwähnte Aufführung in Zürich von neuem eine Überarbeitung begann, dabei auf die Leipziger Umarbeitung stiess und diese zusammen mit der für Zürich erstellten Revision der Ouvertüre für massgeblich und endgültig erklärte. Eine letzte gravierende Umarbeitung nahm Wagner schliesslich für drei Konzerte in Paris vor: Für die Ouvertüre komponierte er einen neuen Schluss, mit dem nicht nur der Stand der Kompositionstechnik nach «Tristan und Isolde», sondern auch die Harte in die «Holländer»-Partitur Einzug hielt. In einem Brief an Mathilde Wesendonk heisst es: «Jetzt, wo ich Isoldes Verklärung geschrieben, konnte ich... erst den richtigen Schluss zur Holländer-Ouvertüre... finden.» Konsequenterweise wurde diese Schlussversion auch für die letzten Takte des dritten Aktes verwandt. Da diese Takte durch ihre avancierte Instrumentationstechnik als Fremdkörper innerhalb der Partitur wirken, kehrte die Aufführungspraxis nach 1950 gelegentlich zur Dresdner Erstfassung der Partitur zurück.