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WALTER SCHRENK

JOSEPHSLEGENDE


RICHARD STRAUSS UND DIE MEUE MUSIK

VOLKSVERBAND DER BÜCHERFREUNDE

BERLIN 1924

pp. 143-148

Mit der Ariadne hat Richard Strauß den Höhepunkt seines Schaffens erreicht und - überschritten. Was nun noch folgt, das ist - aller eifervoller Widerspruch unentwegter Strauß-Apostel wird das nicht aus der Welt schaff en - Musik zweiter Ordnung, Musik der Routine und des, Könnens, und nicht Musik des Herzens. Wir haben schon gelegentlich der Besprechung der symphonischen Dichtungen ein Werk aus der Zeit nach Entstehen der Ariadne (1914) kennen gelernt, nämlich: die Alpensymphonie, und mußten schon hier den beklagenswerten Abstieg im Niveau der musikalischen Erfindung, konstatieren.
Dieses Nachlassen der schöpferischen Phantasie zeigt sich noch viel deutlicher in der dramatischen Tanzhandlung Josephs Legende, es offenbart sich schmerzhaft in der Frau ohne Schatten und wird zu einer wahren Katastrophe in dem Ballett Schlagobers. Es wäre müßig, Betrachtungen darüber anzustellen, ob Strauß sich "ausgeschrieben" habe; eine spätere Zeit, die den Vorteil größerer Distanz zum Gesamtwerk des Meisters genießen kann, wird darin klarer sehen als wir. Uns Heutigen aber bleibt nur die Aufgabe, unsere Stellung zu ihm mit aller erreichbaren Objektivität zu präzisieren, und wenn wir in unserem Urteil irren, so wird die Geschichte schon die nötige Korrektur vornehmen.
Daß die Tanzpantomirne J o s e p h s L e g e n d e ein Nebenwerk ist, dürften sogar diejenigen zugeben, die mit der hier soeben ausgesprochenen Bewertung der letzten Arbeiten des Meisters nicht einverstanden sind. Denn darüber täuscht die gleißeiide Pracht der Orchestersprache und der berückende Zauber des Kolorits nicht hinweg, daß diese ganze Partitur mehr Erzeugnis eines kultivierten, ästhetenhaften Geistes als Eingebung einer elementaren, urtümlichen Schöpferkraft ist. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Musik substanzlos ist, aber man fühlt eine gewisse Unbekümmertheit und Sorglosigkeit in der Ausbreitung des thematischen Materials und man merkt so manchmal, wie die magische Kraft ungeheuren, technischen Könnens einen an und für sich belanglosen Einfall "auffrisiert". Nur wenige inspirierte Stellen stehen in dieser mit raffinierter Kunst gearbeiteten Partitur, das andere aber ist szenische Musik, Ausmalung der mit einer prunkvollen Primitivität sich abrollenden Bühnenvorgänge.
Angeregt durch die von einer allen, fremdartigen Kultur erfüllte Tanzkunst des weltberühmten russischen Balletts, lockte es Richard Strauß, dieser erlesenen Schar von Künstlern eine neuartige und gewichtige Aufgabe zu stellen, in deren Bewältigung er auch für seine, jedes Problem meisternde Kraft des musikalischen Gestaltens lohnende Ziele finden mochte. So entstand diese "dramatische Tanz-Handlung", deren dichterische Grundlage von Harry Graf Keßler und Hugo von Hofmannsthal stammt, Die aus der Bibel bekannte Erzählung, von der Verführung Josephs durch Potiphars Weib wird hier in einen glänzenden Rahmen gestellt und von einer raffinierten Phantasie mit erlesenem und kostbarem Beiwerk umkleidet.
In brütender, fast leidenschaftlicher Langeweile sitzt Potiphars Weib starr aufgerichtet da, sie beachtet weder die Edelsteine und das Geschmeide, das man ihr zu Füßen legt, noch den mächtigen, orientalischen Teppich oder die an goldenen Ketten geführten edlenWindhunde. Da erscheinen drei Sänften, von kupferfarbenen Sklaven getragen, in deren jeder zwei Frauen ruhen, die eine verschleiert, die andere unverschleiert. Sie beginnen einen Hochzeitstanz, der in symbolischen Gebärden die Entschleierung der Braut durch den Bräutigam darstellt. Langsam und katzenhaft schleichen die Unverschleierten um ihre verhüllten Gefährtinnen herum, immer zügelloser und wilder wird ihre Begehrlichkeit, bis sich aus ihrer Mitte eine Tänzerin löst, die in glühendster Liebessehnsucht den "Tanz der Sulamith" tanzt. Auch dies macht auf Potiphars Weib keinen Eindruck, aufgereckt in eisiger Starre sitzt sie da, niemand beachtend. Nun treten sechs türkische Faustkämpfer zum Boxen an; rasch entflammt sich ihr Kampf zur höchsten Wut und Raserei, und man fühlt, daß sie sich umbringen werden, wenn niemand einschreitet.
Da gibt Potiphar seinen Gewappneten ein Zeichen, die mit goldenen Peitschen auf die ineinander verbissenen Kämpfer eindringen und sie fesseln; mit schweren, langsamen Schritten bewegen sie sich in den Palast hinein, die Boxer mit stierartig vorgebeugtem Nacken. Unbeweglich sitzt Potiphars Weib... Jetzt wird eine goldene Hängematte hereingetragen, in der man Joseph sieht, blumenhaft in tiefem Schlafe ruhend, Sechs Knaben mit Harfen, Doppelflöten und Zymbeln begleiten ihn. Verwundert und hoheitsvoll blickt er sich beim Erwachen um, erhebt sich aus der Matte und beginnt langsam, wie in mystischer Ekstase, zu tanzen zum Spiel seiner Begleiter. In frommer und ahnungsvoller Kindlichkeit drückt sein Tanz das Suchen und Ringen nach Gott aus; seine hohen Sprünge haben zuweilen etwas Erdgebundenes, bis sie endlich, als er Gott gefunden hat, hemmungslos beschwingt werden und sich in sublimster Heiterkeit lösen.
Da erwacht auch Potiphars Weib zu stärkerer Anteilnahme, die alsbald in Erstaunen und leidenschaftliche Bewunderung übergeht. Atemlos, mit glühenden Augen, sitzt sie mit vorgestrecktem Oberkörper da. Dann winkt sie Joseph, nimmt aus einer vor ihr stehenden Schale mit Geschmeiden ein Halsband und hängt es ihm um, dabei mit ihrer linken Hand seinen bloßen Nacken berührend...
Das Bild ändert sich, Joseph wird von Dienern in eine Kammer mit einer Lagerstatt geführt, auf der er die Nacht verbringen soll. Als er schläft, öffnet sich die Tür und Potiphars Weib schleicht katzenhaft hinein. Wieder berührt sie seinen entblößten Hals und versucht nun, als der Knabe erwacht ist, mit sinnlichen und lasziven Gebärden ihn zu verführen. Doch mit einer großen, verächtlichen Handbewegung weist er sie von sich, knabenhaft unerbittlich bleibt er vor ihren Werbungen. Da schlägt ihre Leidenschaft in Haß um, den hinzukommenden Dienern befiehlt sie, Joseph festzunehmen und den Follerknechten zu übergeben. Ein glutrotes Feuerbecken wird hereingetragen und übergießt das schauerliche Nachtstück wie mit Blut und Höllenfeuer. Mit Ketten beladen steht Joseph wie ein Märtyrer da, während in Potiphars Weib Haß, Bewunderung, Furcht und Raserei miteinander kämpfen, Plötzlich geht der Feuerschein auf Josephs Gesicht in ein ganz weißes, helles Licht über, das auf ihm wie ein Abglanz des Himmels ruht. Im Hintergrund erscheint ein ganz in Gold gewappneter, übermenschlich großer Erzengel; er winkt Joseph zu, von dem die Ketten klirrend abfallen. Während er langsam zur Höhe steigt, erdrosselt sich Potiphars Weib mit einer Perlenschnur.
Dies - zum Teil mit den Worten der Partitur - der Hergang. Man versteht es wohl, daß es einen Könner von dem Range Richard Strauß' reizen mußte, diese seltsamen, prunkvoll primitiven Vorgänge in Tönen nachzudichten. Doch - wie wenig ursprünglich ist diese Musik erfunden! Das Technische ist selbstverständlich mit erlauchter Meisterschaft "gekonnt". Klänge von berückender Farbenpracht, von opalisierender Leuchtkraft stehen dem Meister zu Gebote, und die Durchsichtigkeit seiner instrumentalen Polychromie ist wahrhaft bewundernswert. Hier ist alles zu Musik geworden, kein noch so geringfügiger Vorgang, keine noch so heimliche psychologische Regung, die nicht ihren musikalischen Ausdruck gefunden hätte. Und doch muß man sagen, daß der Hörer trotz allem Aufwand, trotz der Verschwendung, die Richard Strauß mit seinem unbekümmerten Hinmusizieren treibt, nicht recht warm wird.
Diese Musik ist geschaffen aus der Lust am vollkommen beherrschten Handwerk heraus, aus der Freude an der spielerischen Leichtigkeit des Handgelenks, sie trägt wohl das äußere Antlitz Straußschen Wesens, nicht aber die Züge seiner Genialität, die in so manchem früheren Werke beglückend aufblitzten. Nicht von innen heraus ist diese Musik entstanden, sondern aus kühl berechnendem Kunstverstand, hingeschrieben mit der phänomenalen Meisterschaft eines Musikers, der eben alles kann. Ein Großmeister raffinierter Orchesterbehandlung wendet hier alles, was ihm während der Arbeit eines Lebens an höchst gesteigertem, technischem Vermögen zugewachsen war, auf diesen besonderen Fall an, Gleißend und verführerisch ist der flimmernde Glanz dieses in tausend Zungen redenden Orchesters, von unerhörter Pracht diese Symphonie erlesenster Klangfarben, von bewundernswerter Geschmeidigkeit dieses Handgelenk, das dem leisesten Willen und der kleinsten Andeutung zu folgen vermag. Und so wurde "Josephs Legende" eine Orgie musikalischen Artistentums.
Das aber ist für uns nicht mehr das Wesentliche. Wir fühlen, daß hinter dieser Musik kein Zwang schöpferischer Eingebungen steht, daß sie bar ist jeglichen geistigen Gehaltes, Triebhaft unbekümmert entströmt sie einer musikalischen Phantasie, die ihre Einfälle aus allen möglichen Bezirken hernimmt, ohne sie auf ihre Wertigkeit hin zu prüfen. Jeder Gemeinplatz ist ihr recht, wenn er sich nur einigermaßen dem doch eigentlich sekundären Zwecke deskriptiver Situationsschilderung fügen will, und eine sehr wohl denkbare Sublimierung zu höherer Einstellung dem Stofflichen gegenüber wird gar nicht erst versucht. Zwar spürt man an den langgebreiteten melodischen Linien dieser Musik und an der unkomplizierten Harmonik den Willen zur Vereinfachung, heißt das aber zur Primitivität von Tonika und Dominante zurückkehren? Dieser Weg endet in musikalischer Spießbürgerei. Daran ändert auch das fast aufdringlich ästhetenhafte Gebaren, dieser Kunst nichts.
Unmittelbar an die 1914 beendete Josephslegende schließt sich, die Arbeit an der dreiaktigen Oper Die Frau ohne Schatten, deren Text ebenfalls von Hugo von Hofmannsthal stammt. Und es dauert mehr als drei Jahre, bis die Partitur zu diesem Werke vollendet vorliegt (Juni 1917)...