Franz Schubert:
Fierrabras
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Opernsalon

Aufführung


10. 11. 2002
(Première)
*
Musikalische Leitung: Franz Welser-Möst
Inszenierung: Claus Guth
Ausstattung: Christian Schmidt
Lichtgestaltung: Jürgen Hoffmann
Chor: Ernst Raffelsberger
*
Schubert: Wolfgang Beuschel

König Karl: László Polgár
Emma: Joanna Kozlowska
Roland: Michael Volle
Eginhard: Christoph Strehl
Boland: Rolf Haunstein
Fierrabras: Jonas Kaufmann
Florinda: Liuba Chuchrova
Maragond: Irène Friedli
Brutamonte: Guido Götzen
Ogier: Miroslav Christoff
Eine Jungfrau: Christiane Kohl

Chor des Opernhauses Zürich
Orchester der Oper Zürich


Rezensionen


12 .11. 2002

Schuberts Traum
«Fierrabras» im Opernhaus Zürich

Sein kurzes Leben lang hat Franz Schubert geradezu verzweifelt nach Liebe und Geborgenheit gesucht. Rastlos hat er seine Freunde mit Briefen versorgt, und immer wieder hat er darum gebeten, ihm doch möglichst bald zurückzuschreiben, weil er ohne Post so schlecht leben könne. Und dann «Mein Traum» von 1822, die kurze Erzählung aus der Feder des 25-jährigen Komponisten - sie zeigt eine Mutter im Sarg und einen Vater, der seinen Sohn und dessen Liebesbeteuerungen mit strenger Miene von sich weist, ihn am Ende aber unter Tränen doch noch in die Arme schliesst.

Und sein kurzes Leben lang hat Franz Schubert ebenso hartnäckig wie erfolglos nach der Oper gesucht. Achtzehn Anläufe nennt das Werkverzeichnis. Mit Vierzehn fing er an, «Der Spiegelritter» von 1811 blieb Fragment, «Des Teufels Lustschloss», zwei Jahre später, wurde fertig, kam aber nicht zur Aufführung. So erging es auch «Fierrabras», der heroisch-romantischen Oper von 1823. Schubert war von Domenico Barbaja, dem Direktor des Wiener Kärntnertortheaters, zur Komposition einer deutschen Oper aufgefordert worden. «Alfonso und Estrella», bereits abgeschlossen, stiess nicht auf Gnade, weshalb er in Eile «Fierrabras» schrieb - auf einen Text von Leopold Kupelwieser, der an besagtem Theater tätig war und die Uraufführung befördern sollte. Allein, die deutsche Oper war nicht mehr gefragt, und ohnehin galt Schubert schon damals ausschliesslich als genialer Liederkomponist.

Fast hundert Jahre vergingen, bis das Werk zum ersten Mal auf die Bühne kam; und damals stand ja schon das berühmte Verdikt von Eduard Hanslick im Raum, der nach einem Wiener Konzert mit Ausschnitten aus «Fierrabras» befunden hatte, das Stück setze ein Publikum in «vollständigem Kindheitszustand» voraus. So blieb es still um diese seltsame Oper - selbst nach der Ausgrabung durch Claudio Abbado und Ruth Berghaus anlässlich der Wiener Festwochen von 1988. Und ein neuerlicher Versuch in Frankfurt (NZZ vom 9. 10. 02) hat eigentlich nur die Vorurteile bestätigt.

Und nun geht, noch mitten in der wunderschönen, auch wunderschön gespielten Ouverture, der Vorhang auf. Ein biedermeierliches Wohnzimmer wird sichtbar, mit Holztäferung und gestreifter Tapete. In der Mitte des Zimmers des Liederkomponisten Instrument: ein Hammerflügel, überlebensgross, ein Stuhl in passender Dimension und darauf, zum Kinde verkleinert: Franz Schubert. Ja, der Regisseur Claus Guth lässt in der neusten Inszenierung von «Fierrabras» und der jüngsten Produktion des Opernhauses Zürich den Komponisten in Person auftreten. Er steht als der auf der Bühne, der sich dieses ganze Stück ausdenkt und geschehen lässt. Geschäftig holt er eine Figur nach der anderen aus den unzähligen Türen, die in die Holztäferung eingelassen sind, beflissen hält er den Darstellern die eben noch hastig beschriebenen Notenblätter hin. Mit kaum sichtbarer Regung, aber umso fühlbarer verfolgt er den musikalischen Ablauf. Manchmal erschrickt er, weil ihm die Kontrolle zu entgleiten droht; dann verzieht er sich unter den Flügel und beobachtet, etwas ängstlich, das Geschehen aus sicherer Distanz. Manchmal greift er wieder entscheidend ein, indem er im richtigen Moment die fehlende Waffe aus der Versenkung hervorzaubert. Und immer wieder steht er als der ertappte Bub da, den Kopf zwischen den etwas dicklichen Schultern versenkt - Wolfgang Beuschel macht das schlechterdings grossartig.

Natürlich mag man denken: Schubert, das Schwammerl aus dem «Dreimäderlhaus», welch abgestandenes Klischee. Aber das trifft es nicht. Der Komponist erscheint einfach so, wie ihn Moritz von Schwind auf den «Schubertiaden» gezeichnet hat: weich und sensibel inmitten von Menschen. Und «Fierrabras» wird als eine jener Scharaden gezeigt, die bei den «Schubertiaden» zu den Höhepunkten gehörten. Die Schwerter, welche die Mannen von Karl dem Grossen mit sich führen, die Krummsäbel, mit denen die Soldateska seines furchterregenden Gegners Boland fuchtelt, sie sind aus Holz; und lagern Truppen auf waldiger Anhöhe, werden unter dem gewaltigen Hammerflügel Spielzeugtannen ebenfalls aus Holz aufgestellt. Das spielt ein wenig auf das Verdikt Hanslicks und damit auf die Rezeptionsgeschichte an, aber vielleicht auch darauf, dass Schubert seine Opern irgendwie naiv, aus sich selbst heraus und ohne Rücksicht auf die herrschenden Strömungen geschrieben hat.

Vor allem aber bricht es das Pathos des Textes, das uns heute - die Frankfurter Aufführung hat es bestätigt - etwas lächerlich erscheint. In diese Richtung wirken auch zahlreiche weitere Verfremdungen: die riesige Kuckucksuhr, deren Pendel künstlich langsam schwingt, das durchgehende Augenzwinkern und das bewusste Vorführen des Spiels als Spiel, die Wandtafel, auf der in Schulschrift die dramatis personae und ihre schwierigen amourösen Verbindungen aufgelistet sind. Der Zeigefinger, den Bertolt Brecht in seinem epischen Theater gern erhebt, bleibt aber völlig ausgespart; die Produktion lebt vielmehr, und zwar szenisch wie musikalisch, von einer ganz einzigartigen Zärtlichkeit.

Bisweilen allerdings öffnet Schubert auf der Bühne den Mund. Dann bricht in die Fülle des Wohllauts, den die Säger verbreiten, eine schüttere, etwas krächzende Sprechstimme ein. Und werden einzelne Wörter, halbe Sätze hörbar: Text, den nicht etwa der Regisseur Claus Guth dazuerfunden hätte, sondern kurze Passagen aus dem laufenden Dialog, die den handelnden Figuren gleichsam weggenommen, dem Schauspieler übertragen und dadurch unterstrichen werden. «Vater» ist da zum Beispiel immer wieder zu hören oder: «streng ist er». Claus Guth stellt Schuberts «Fierrabras» ganz und gar in ein autobiographisches Licht - so wie es, wenn auch ganz anders, Christoph Marthaler Anfang dieses Jahres mit seiner «Schönen Müllerin» getan hat. Er denkt sich, dass Schubert an diesem Stück vielleicht ein eigenes Problem interessiert hat. Roland und Eginhard auf der einen, Fierrabras auf der anderen Seite - die drei jugendlichen Helden, die sich übers Kreuz für die Töchter ihrer beiden auf den Tod verfeindeten Könige interessieren: Sie tragen allesamt den dunkelblauen Gehrock und die runde Nickelbrille, die der Ausstatter Christian Schmidt für den Komponisten auf der Bühne geschaffen hat. Und alle tragen sie schwer an ihren Vätern, von denen der Muslim ein besonders schlimmer ist. Am Ende, wenn das sogenannte lieto fine in oratorischer Form vorgetragen wird, holt sich der Komponist seine beiden Väter und wirft sich ihnen an die Brust.

Claus Guth, eine Ausnahmeerscheinung unter den Theaterkünstlern seiner Generation, gehört nicht zu den Opernregisseuren, die gefällige Bilder arrangieren oder dampfendes Spektakel erfinden. Er setzt sich mit den von ihm inszenierten Stoffen auseinander, eigenständig und kreativ, und er lässt auf der Bühne sehen, was ihm eingefallen ist. Früher hat man das Regietheater genannt und sich aufgeregt, heute spricht man vielleicht noch von szenischer Interpretation, und die freundliche Gleichgültigkeit, mit der das Zürcher Premierenpublikum reagiert hat, spricht Bände. Der Zürcher «Fierrabras», das darf hier ganz unpathetisch festgehalten werden, gehört zu den besten Produktionen, die das Musiktheater in den letzten Jahren hervorgebracht hat; mit seinem geistreichen, anregenden Interpretationsansatz und dessen differenzierter, phantasievoller Umsetzung ist hier zudem ein Weg aufgetan worden, dieses störrische Stück überzeugend auf die Bühne zu bringen.

Am stärksten sind die szenischen Eindrücke, doch gewinnt die Produktion ihr aussergewöhnliches Profil nicht zuletzt aus dem Musikalischen. Den Intentionen des Regisseurs entsprechend nimmt der Dirigent Franz Welser-Möst der Partitur jede heroische Geste - mit der Ausnahme jener furiosen Arie, mit der Boland, der Fürst der Mauren, auf dem Höhepunkt des Konflikts seine Unerbittlichkeit betont: ein grosser Auftritt für Rolf Haunstein. Im Übrigen, und das Orchester der Oper Zürich agiert dabei hervorragend, herrschen geschmeidiger Fluss und lichter Ton. In ihrer Plausibilität immer wieder überraschend die Tempi, grossartig die leuchtenden Farben der Holzbläser und das kernige Schmettern der verschiedentlich auftretenden «Fidelio»-Fanfare, mit letzter Sorgfalt ausgestaltet die dynamischen Verhältnisse. Besonders verdient macht sich der von Jürg Hämmerli vorbereitete Chor des Opernhauses, und hier gerade der Männerchor, der die heikle A-cappella-Hymne der Ritter im zweiten Akt tadellos bewältigt.

Und im Ensemble gibt es vollkommene Hingabe und denkwürdige Momente. László Polgár, König Karl und der andere - nein: der eigentliche Vater Schuberts, ist nicht nur prächtig bei Stimme, er nimmt seine Partie auch mit einer körperlichen Leichtigkeit und einem Sinn fürs Ironische, dass ihre bedrohliche Würde ebenso gebrochen wird, wie sie heraustritt. Sängerisch auf hohem Niveau die drei «Söhne» und Ebenbilder des Komponisten: Roland (Michael Volle) und Eginhard (Christoph Strehl) sowie Fierrabras, der in der Darstellung von Jonas Kaufmann weniger der «mit dem stolzen Arm» als der von Sehnsucht erfüllte Jugendliche ist. Nicht ganz so befriedigend die beiden Königstöchter, da sowohl Joanna Kozlowska (Emma) als auch Liuba Chuchrova (Florianda) in Stimmgebung wie Diktion angestrengt wirken. Umso überraschender der helle Sopran, den Christiane Kohl in der kleinen Rolle einer Jungfrau in Emmas Gefolge hören lässt.

Peter Hagmann



12. 11. 2002

Ritterspiel im schubertschen Salon

Dirigent Franz Welser-Möst und Regisseur Claus Guth machen im Opernhaus Schuberts Oper «Fierrabras» zum anrührenden, intelligenten Seelendrama.

Von Michael Eidenbenz.

Franz Schubert gehört zu jenen Kunstgestalten, die von jeder Generation neu entdeckt und adaptiert werden wollen. War er in den häuslichen 50er-Jahren Sinnbild biederer «Dreimäderlhaus»-Idyllik und in den 80ern in Film und Büchern Anschauungsmaterial für eine Psychologie des Zerbrechens, so wird er heute zum Material einer mit zeitgenössischen Mitteln ans Freie geholten fantastischen Innerlichkeit.

Christoph Marthaler fand in seiner «Schönen Müllerin» beklommene Bilder schmerzhaft nach innen gedrehter Energien. Wie der Komponist Hans Zender die existenzielle Verlorenheit der «Winterreise» mit modernen Klangmitteln zu vergegenwärtigen suchte, war kürzlich in Zürich zu erleben. Und das Opernhaus widmet sich nun mit «Fierrabras» bereits zum dritten Mal dem lange aus dem öffentlichen Bewusstsein gedrängten Opernschaffen. Worin liegt diese neue Schubert-Faszination?
Im Fall der Oper ist die Antwort zunächst klar: «Fierrabras» aufzuführen, bedeutet in erster Linie eine Ehrenrettung für eine unglaublich reiche, wunderschöne, vielfältige und dabei so gut wie unbekannte Musik. Dass Dirigent Franz Welser-Möst in ihr ein Gebiet persönlicher Entdeckungslust gefun-den hat, machte er in der Premiere vom Sonntag zusammen mit den erstklassigen Kräften von Opernhausorchester und -chor in jedem Augenblick klar. Ein ausserordentlich sorgfältiges, geradezu liebevolles Musizieren lässt den Abend zu einem einzigen wärmenden Genuss werden, Lyrik dominiert die Opernbühne.

Treffend lyrisch sind denn auch die männlichen Rollen mit Christoph Strehl als Eginhard, Michael Volle als Roland und Jonas Kaufmann als Fierrabras geprägt, während sich Joanna Kozlowska und Liuba Chuchrova Schubert mit dramatischerem Ansatz zu nähern versuchen. Und tatsächlich ungeahnt sind die Schätze dieser Partitur. Vom Strophenlied über wunderbare Duette und innigste Chorsätze (unvergesslich der A-cappella-Männerchor!) bis zu Kuriosa wie einem Mauerschau-Melodram reicht das Spektrum. Dass das Ganze dennoch kein «Wurf» im Sinne eines präzis kalkulierten Dramas ist, lässt sich freilich auch nicht überhören. Nicht nur die Unbeholfenheit einer gleich dreimal verwendeten signalhaften Ferntrompete - seit Beethovens «Fidelio» ein für immer belastetes Symbol - zeugt von verschiedentlich gescheitertem Bemühen um dramatische Schärfung. Doch äusseres Drama ist in diesem Stück trotz seiner bombastischen Bezeichnung als «heroisch-romantische Oper» letztlich nebensächlich.
Was hier geschieht, spielt sich innen ab, ist eingeschlossen in die ihrerseits verschlossene Psyche des Komponisten und in die privaten Innenräume des Biedermeiers, wo sich das gesellschaftliche Leben im Wien der 1820er-Jahre entfaltete, während draussen eine repressive Monarchie restauriert wurde. So sieht es jedenfalls Regisseur Claus Guth. Und so findet die Schubert-Faszination vielleicht auch ihre Analogie in einer Gegenwart, in der sich gesellschaftliche Dynamik wiederum von Strassen und Plätzen in die Räume privater Klubs und hinter die Bildschirme gut vernetzter Büros und Wohnzimmer zurückgezogen hat.

Erfundene Sprechrolle

Was also alles an Königen, Rittern und Prinzessinnen im Stück auftritt, lässt Guth sich in einem mit überdimensionalem Mobiliar bestückten Biedermeiersalon versammeln (Ausstattung: Christian Schmidt). Wir wohnen einer Schubertiade bei, der Komponist spielt mit Freunden sein Werk, verteilt Notenblätter an die zunächst ahnungslosen Akteure, organisiert die Auftritte, spricht Schlüsselstellen des Textes - «Sehnsucht», «Ohnmacht», «Frühes Verderben» - selber und nimmt zusehends stilleren inneren Anteil. Wolfgang Beuschel spielt diese erfundene Sprechrolle und wird mit seiner Präsenz, mit der minimalen Gestik konzentrierten Ernstes und einer Mimik der viel sagenden Verschlossenheit zum zentralen Angelpunkt der Inszenierung. Was dieser Schubert in seinem Salon inszeniert, ist natürlich behelfsmässig und dilettantisch. Holzschwerter und -bäumchen müssen genügen, seine Freunde sind wohlwollende, aber keine begnadeten Schauspieler. Doch allmählich gewinnt die Geschichte ihre eigene Dynamik, der übergrosse Flügel entschwebt, der Salon wird wirklich zur Bühnenwelt. Worum es darin geht, wird klar: um Sympathie, um Freundschaft. So sieht es auch Josef Kup-pelwiesers trotz unsäglicher Verse aussagekräftiges Libretto vor.

Während die königlichen Väter Karl der Grosse (László Polgár wie gewohnt nobel und souverän) und der Maure Boland (Rolf Haunstein als ein milder Bösewicht) im ritterlichen Streit liegen, befreunden, verlieben sich ihre Kinder über alle Feindesgrenzen hinweg. Freundschaft, der private Ersatz für nicht vorhandene bürgerliche Gemeinschaft, siegt zuletzt über die überkommenen Ehrbegriffe der Väter, die in deren Namen eben noch ihre eigenen Kinder verurteilt und eingesperrt haben. Schuberts eigener Vaterkonflikt wird dabei ebenso zum Thema der Inszenierung wie seine eigene Sehnsucht nach Ruhe. Im Übrigen aber deutet die Regie nur diskret - und lässt dafür Zeit. Zeit für Musik, für Sehnsüchte und Sympathie.



12. 11. 2002

Schubert spielt die eigene Oper

«Fierrabras» von Franz Schubert im Opernhaus: Ein selten
gehörtes Meisterwerk erobert das Publikum

Romantisches Zeitalter wie es im Buche steht: Fünf junge Menschen, Liebe, Leidenschaft und strenge Väter, pubertäre Todessehnsüchte und jugendlicher Trotz gegen das Böse in der Welt. Aktueller könnte die Geschichte um den Fürstensohn Fierrabras eigentlich nicht sein. Und weil dies auch die Welt des Franz Schubert (1797-1828) war, lässt Regisseur Claus Guth den Komponisten seine Figuren gleich selber ad hoc erfinden. Schubert führt sie auf der Bühne zueinander, gegeneinander, einander in die Arme, drückt ihnen die Text- und Notenblätter in die Hand. Es ist, als probiere Schubert selbst seine Oper aus. Er beobachtet seine Personen von der Seite, und wenn sie sich verselbstständigen, erschrickt er, freut sich oder leidet mit seinen Figuren. Mit den jungen Männern, die um die Liebe der Mädchen und die Anerkennung der Väter kämpfen, identifiziert sich dieser Schubert sichtbar: Fierrabras, Roland, Eginhard und er tragen dieselben Kostüme.

Verworrene Story spannend Inszeniert
Auch wenn dieser Einfall mit dem «Regie führenden» Komponisten manchmal etwas gar symbolschwanger ausgekostet wird: Er ist nicht nur einleuchtend, sondern entstaubt auf theatralisch unterhaltsame Art die ziemlich verworrene Geschichte, sorgt für dramatische Spannung und erleichtert das Verstehen. Symbolträchtig ist auch Christian Schmidts Einheitsbühnenbild. Die turbulente Gefühlswelt der Jungen spielt in einem strengen, eleganten Biedermeierzimmer, wo der Eltern überdimensionierte Möblierung der Jugend buchstäblich im Wege steht. In dieser Erwachsenenwelt probt sie ihren Aufstand als leichtfüssig inszeniertes Spiel, das stets auch in bitterbösen Ernst zu kippen droht. Mit «heroisch-romantische Oper» untertitelt Schubert sein letztes Bühnenwerk. Die neue Zürcher Produktion streicht vor allem den zweiten Begriff heraus. Die kriegerischen Differenzen der zwei verfeindeten Familien werden nur als eine Art «Kinderspiel» inszeniert, sind nur Auslöser für die romantischen Gefühle. Das passt zur hier gepflegten, reinen Schönheit des Gesangs in Arien, Duetten, Quartetten und grossen Ensembles. Da lassen Solisten und Orchester den Melodiker und Liedkomponisten Franz Schubert aufblühen. Und Dirigent Franz Welser-Möst findet eine spannende Balance zwischen schwelgerisch-romantischem Klang und den vielen melodramatischen Zwischentönen. Im 2. Akt allerdings tritt der Bühnen-Schubert als Drahtzieher zurück, um so opernhafter braust der Komponist Schubert aus dem Orchester. Da werden dann doch Krieg und Politik hörbar und machtvoll instrumentiert. Hier hat auch der grosse Chor seine strahlendsten Momente.

Junge Sänger, die überzeugen
Dass das Opernhaus alle Protagonistenrollen mit jugendlichen, exquisiten Sängern besetzen konnte, die erst noch glaubhaft schauspielern, macht diese Schubert-Oper, die in Zürich noch nie zu sehen war, zur geglückten Entdeckung. Als Stimmen bleiben vor allem in Erinnerung: die körperreich tragende, warm strahlende Mittellage von Joanna Kozlowska als Emma, der männlich dramatische Tenor von Jonas Kaufmann als Fierrabras, der warm timbrierte Bariton von Michael Volle als dessen Freund Roland und die wunderbar romantisch und liedhaft geführte Stimme von Tenor Christoph Strehle als Eginhard.

HANS ULI VON ERLACH



12. 11. 2002

Häuslicher Krieg im Dreischuberthaus

Zu gut, um sie liegen zu lassen, zu sperrig, um ins Repertoire zu finden: Schuberts Opern bleiben eine Herausforderung. Dass und wie sehr sich die Mühe lohnt, zeigt die Neuinszenierung des «Fierrabras» im Opernhaus.

HERBERT BÜTTIKER

Die Geschichte handelt von König Karl, seinem Feldzug gegen die Mauren und von jungen Liebenden. Die maurische Fürstentochter Florinda liebt den christlichen Ritter Roland, ihr Bruder Fierrabras liebt, ohne Gegenliebe zu finden, König Karls Tochter Emma. Diese liebt Eginhart, einen Ritter von untergeordetem Rang, also unglücklich. Die Geschichte handelt von Kampf und Gefangenschaft, von Verrat und Bewährung, und sie endet gut: mit der Unterwerfung des maurischen Tyrannen, der Vereinigung der Liebenden und dem Glück der selbstlosen Freundschaft des zum Christentum übergelaufenen Fierrabras. Alles in allem: ein sperriges Libretto, das Josef Kupelwieser, Sekretär am Kärntnertortheater, für Schubert nach verschiedenen mittelalterlichen Quellen geschrieben hat.
Auf der Opernhausbühne sehen wir zunächst etwas ganz anderes: ein biedermeierliches Zimmer, das die ganze Bühne ausfüllt, aber eigentlich ganz klein ist. Denn alles – Flügel, die Kuckucksuhr und die Blumentöpfe – ist um mehr als das Doppelte vergrössert, und so sitzt Franz Schubert auf dem hohen Stuhl vor dem grossen Flügel: ganz klein. Er arbeitet an «Fierrabras» und an seinem Problem, das ihn klein macht: der Vater. Die Bühne, auf der Klaus Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt die «heroisch-romantische», aber eigentlich auch biedere Geschichte bringen, ist diejenige von Schuberts Innenleben: seine Seele, seine Musik, sein Arbeitszimmer, und dieser Ansatz, der die Frage mitreflektiert, wie der Komponist zu diesem Werk kam, ist nun wirklich reizvoll. Denn interessiert uns Schubert als Gestalt nicht sehr viel mehr als das recht eindimensionale Personal seines Stücks? Dieses fügt sich in der neuen Perspektive nun auch zu einem facettenreichen Ganzen – ein glänzendes Regiekonzept, auch weil es die Musik von einem theatralischen Realismus befreit, dem sie wohl in dramatischen Arien und Ensembles, aber kaum in einer Dramaturgie über das Ganze gewachsen ist.

Der Sohn
Nun verteilt Schubert also seine Figuren, die da wie aus dem Nichts ins Zimmer treten, Holzschwerter, Pappkronen und alles, was es zum häuslichen Krieg sonst noch so braucht, und eben manchmal auch Noten, die sie zu singen haben. Es sind viele – Schubert, man weiss es, ist der Komponist der himmlischen Längen, und spätestens beim Schlussgesang (nach gut dreistündiger Aufführung) glaubt man, dass die Sänger auch wirklich aus den Noten singen, die sie in Händen halten. Aber der Abend ist eine Schubertiade voller Herrlichkeiten. Unter der Leitung von Franz Welser-Möst lässt das Orchester mit schöner Arbeit hören, dass die «Fierrabras»-Musik in die Zeit des reifen Schubert gehört (1823 war auch das Jahr der «Schönen Müllerin», die «Unvollendete» und die «Wanderer-Fantasie» waren schon da), und auf der Sängerbühne präsentiert sich ein grosser Reichtum von Lied-, Arien- und Ensembleformen. Neben der dramatischen Verve mit manchmal auch rauen Hörnern lebt der Abend weit gehend vom lyrischen Schwung, von der schwebend kreisenden Rhythmik, zu der Welser-Möst sein Ensemble animiert. Da entsteht oft ein Zauber, der an die wirkliche Anwesenheit des Komponisten auf der Bühne glauben lässt, in dessen Kopf sich alles bildet und der, obwohl er sich mit eher dürrer Stimme nur prosaisch äussert, das musikalische Zentrum der Aufführung ist.
Schubert – die gedrungene Gestalt, der rundliche Kopf und die Brille: Wolfgang Beuschel entspricht dem konventionellen Schubert-Bild perfekt – ist also reichlich beschäftigt, aber auch mit Angst und Hoffnung engagiert an diesem Abend. Dass die Figur in solcher ununterbrochener Bühnenpräsenz nicht aufdringlich und nicht langweilig wird, zeugt für schauspielerisches Können und eine Regie, die ihr Konzept offen umsetzt. Konsequent ist natürlich, dass die drei jungen Helden des Stücks alle ebenfalls Schubertsche Attribute und identische Kleider tragen. «Fierrabras» sozusagen als «Dreischuberthaus»: Schubert ist Eginhart, der Liebende und am Lieben von den Übermächten gehinderte, aber umso lyrischer singende (Müller-)Tenor, den Christoph Strehl schmiegsam und hell mit schwärmerischer Emphase so reich ausstattet, wie man es sich nur wünschen kann. Schubert ist auch Fierrabras, der Mann der Freundschaft, strahlend, optimistisch, wie ihn Jonas Kaufmanns kraftvoller Tenor verkörpert, und Schubert ist – oder eben wäre gern – auch Roland, der Mann der Tat, der robuste Bariton, wie ihn Michael Volle in aller Beweglichkeit kernig und stabil repräsentiert.

Die Geliebte
Herausgeputzt und häuslich, volksliedhaft und innig singend am Fusse seines mächtigen Flügels stellt sich Schubert hier die Frauenwelt im Allgemeinen vor (und die Frauen des Opernhauschores bleiben diesem Ideal auch nicht das Geringste schuldig), während sich der Traum von der Geliebten in zwei Gestalten konkretisiert: Emma, voller Gefühl und Ergebenheit – Joanne Kozlowa gibt ihr die Fülle eines schönen Timbres (die eine oder andere Spitze ausgenommen) und Musikalität von strahlender Wärme: die ideale Duettpartnerin des lyrischen Tenors –, dann Florinda, die nicht nur mit dem Namen als Partnerin eines Florestan in Beziehung steht, sondern auch heroisch handelt wie Beethovens Leonore, um den Gefangenen Roland zu retten. Liuba Chuchrova entfaltet in dieser facettenreichsten Partie der Oper einen sensiblen Sopran, dem wohl im dramatischen Zugriff etwas enge Grenzen gesetzt sind. Aber die furiose Arie «Die Brust gebeugt von Sorgen» gehörte denn doch zum Packendsten der Oper. Und stark war auch ihre Gestaltung der melodramatischen Szenen, mit denen Schubert für sie aufwartet.

Der Vater
Den Schuberts stehen mit dunkler Stimme zwei Vater- und Machtfiguren gegenüber. Oft thronen sie auf dem hohen Stuhl: László Polgár als König Karl ist nobler und charismatischer auch in der Tongebung, Rolf Haunstein als Maurenfürst für den draufgängerischen Wüterich mit gröberen Mitteln. Claus Guths Idee, Schuberts problematisches Verhältnis zum Vater in das Stück hineinzuprojizieren, gibt beiden ein klares Relief – wobei allerdings im Hinblick auf Schuberts Situation auch die weiteren Überväter ins Bild gerückt werden könnten, mit denen er es zu tun hatte: Goethe, der Dichterfürst, Rossini, der Napoleon der Musik, der Beethoven, der Titan, und natürlich wäre da die Metternich-Monarchie, überhaupt eben die Welt ausserhalb der vier Wände.
Und es gibt sie auch, die musikalischen Momente, die hinausdrängen und nach Zeitbildern anderer, vielleicht unheilvollerer Art rufen, so etwa wenn Roland und Eginhart im Finale des zweiten Aktes «für treue Lieb’ und Vaterland» zum Marschlied der Ritter ansetzen. Der politische Schubert? In der Ouvertüre melden sich, in ein Webersches Streichertremolo hineingestellt, die Bläser (Hörner und Posaunen) mit dem Choral, den dann später die Männer im Chor a cappella anstimmen werden: «O teures Vaterland» als Motto? Das sind Fragen, die am Rande bleiben (dürfen). Die endgültige Inszenierung gibt es zum Glück weder für «Fierrabras» noch sonst irgendein Werk, und der Zürcher Opernabend ist szenisch wie musikalisch vielschichtig und – auch dank Irène Friedli, Christiane Kohl, Guido Götzen, Miroslav Christoff in den Nebenpartien – reich genug.



12. 11. 2002

Schubertchens Versuch, Schubert zu retten

Lohnend Claus Guth wertet mit einem Kunstgriff
Franz Schuberts «Fierrabras» am Opernhaus Zürich auf

Zwei Opern Franz Schuberts wurden in den sieben letzten Jahren in Zürich verdienstvollerweise aufgeführt: Dank Dirigent Nikolaus Harnoncourt wars zweimal ein Ereignis. Bei «Fierrabras» steht nun die Regie im Vordergrund - es ist kein Vorteil.

Christian Berzins

Ein beliebtes Spiel gewisser Regisseure besteht darin, Figuren, die es zweihundert Jahre lang nicht über die Rolle des Stichwortgebers hinausgebracht haben, «aufzuwerten». Das führt dann dazu, dass der Gärtner in «Le nozze di Figaro» in die Revolution führt oder der Messmer die Sängerin Tosca ins Verderben. Wenn die Ideen dann immer noch nicht ganz aufgehen, fügen diese Regisseure auch mal eine Figur hinzu. Ganz in der Meinung, dass Mozart oder Puccini auch mal etwas vergessen haben könnten. Auch Claus Guth, er hat sich in Zürich 2001 mit «Iphigénie en Tauride» vorgestellt, greift für Franz Schuberts 1823 vollendete Oper «Fierrabras» zu diesem Mittel - und erreicht damit einen kleinen Theater-Coup. Er fügt in die dreiaktige Oper den Komponisten Schubert (von Wolfgang Beuschel grandios verkörpert) ein. Diese Figur schubst nun nicht nur das Geschehen jeweils sanft an und nimmt daran emotional regen Anteil, da sie sich in jeder Figur zu erkennen glaubt, sondern sie nimmt der Handlung den Ernst: eine Oper in Schuberts biedermeierlicher Puppenkiste entsteht (Bühne Christian Schmidt). Was so negativ tönt, ist im Falle von «Fierrabras» allerdings keine schlechte Idee, will doch dieses Drama um einen Christen- und einen Maurenfürsten nur schwer ins Rollen kommen: Da mögen noch so grosse Freundschaftsduette angestimmt werden, lärmiges Kriegsgeheul erklingen und Prinzessinnentränen fliessen, ja sich Thronfolger über die Glaubensschranken hinweg verlieben.

Guth schreibt zwar im Programmheft, dass sich die Schubert-Idee aus der Biografie des Komponisten ableite; er redet dann von Auseinandersetzung mit der Vatergeneration, vom Durchbrechen hierarchischer Machtstrukturen und der Sehnsucht nach Liebe über die Grenzen hinweg. Trotz dieses theoretischen, psychologischen Tiefsinns ist Guths Schubert-Figur nicht viel mehr als ein gelungener Spass im biedermeierlichen Spielsalon: Im dreieinhalbstündigen Opernabend kann sie nicht leider mehr als zwei Stunden lang die Fäden ziehen. Mit dem lahmenden Interesse an dieser Figur und ihren Spiegelbildern verliert sich das ganze dramatische Geschick. Erst im Schlusschor wird nochmals dick aufgetragen: Schubert beginnt hier die richtigen Pärchen zu ordnen, was ihm nur mit Mühe gelingt. Denn sein Titelheld Fierrabras ist unzufrieden, dass er «leer» ausgehen muss. Mit der von Schubert auferlegten Hymne, die die Freundschaft über die Liebe stellt, will er sich nicht abfinden.
Der Ansatz in diesem Spiel ist glänzend, die Ausführung gelingt aber nur mit Abstrichen - diese Maxime steht nicht nur über der Regie, sondern auch über der musikalischen Umsetzung. Das Opernhausorchester unter Franz Welser-Möst spielt einen schönen Schubert, aber keinen aufregenden, wie ihn einst Harnoncourt präsentierte. Es ist kein polierter Schubert, aber zeitweise hat man auch wegen des fein nuancierten Klangs den Eindruck, einer «Übung der Ruhe» beizuwohnen.

Die Leistungen der drei jungen männlichen Helden sind beachtlich: Christoph Strehl (Eginhard) beglückt mit ungemein sanftem wie lyrischem Tenor und einer mühelosen Tongebung, die allein in den Höhen etwas getrübt ist; Michael Volle (Roland) erfreut mit kernig gesundem Bariton und Titelheld Jonas Kaufmann mit reinstem Ton und mit Sorgfalt ausgeführten dynamischen Abstufungen. Bei den beiden Prinzessinnen erkennt man, wie schwer diese Oper zu besetzen ist: Joanna Kozlowskas (Emma) Sopran scheint bereits eine Nummer zu gross, jener Ljuba Chuchrovas (Florinda) eine zu klein zu sein: der erste zu üppig und zu wenig wendig, der zweite gut ausgebildet, aber zu wenig gross für die (notwendige) dramatische Aussage. Die beiden Fürsten - Laszlo Polgar und Rolf Haunstein - singen routiniert.

Schubert als Retter seiner eigenen Oper? Nur halb gelingt der Münchhausenakt. Doch trotz des herangetragenen, phasenweise nachvollziehbaren psychologisierenden Hintergrundes läuft das Geschehen Gefahr, in eine harmlose Biedermeierwelt zu kippen. Der Zugang über die Musik wäre dem Opernkomponisten besser bekommen. Schubert wäre mit seinen ureigensten Mitteln geholfen worden und kaum Schubertchen geblieben.



12. 11. 2002

Krieg und Frieden in Schuberts Salon

Die Geschichte ist unmöglich, die Musik aber wunderschön. Franz Schuberts heroisch-romantische Oper «Fierrabras» feierte am Sonntag im Opernhaus Zürich erfolgreich Premiere. Chefdirigent Franz Welser-Möst sorgte in dieser überquellenden Liedseligkeit für Spannkraft und vielsagende Hintergründigkeit. Mit der Idee, Schubert als Komponisten auf die Bühne zu bringen und die Geschichte in seinem Arbeitszimmer spielen zu lassen, gelang es Regisseur Claus Guth, das patriotische Heldentum geschickt zu brechen.

Die Geschichte, die Schubert zusammen mit seinem Librettisten Josef Kuppelwieser für seine einzige grosse Oper aussuchte und die 1988 in Wien in einer viel beachteten Neuproduktion wiederentdeckt wurde, ist denkbar verworren und langfädig.
Die Franken und die Mauren stehen im Krieg, und beide Fürstentümer werden von machtbesessenen Patriarchen befehligt. Und beide, König Karl und Boland, haben je eine Tochter, die sich unstatthaft verlieben: Karls Tochter Emma in den Ritter Eginhard und Bolands Tochter Florinda in den feindlichen Heerführer Roland.

Der einsame, ideale Freund
Und wo bleibt Fierrabras, der Titelheld? Er ist der durch seine Heldentaten bereits ausgezeichnete Sohn des Maurenfürsten Boland, der jedoch in fränkische Gefangenschaft gerät. Obwohl er ebenfalls Emma liebt, verzichtet er auf sie und wird zum Freund ihres Liebhabers. So geht dieser Opernheld am Schluss leer aus - er ist der einsame, aber ideale Freund.
Eben diese Ambivalenz der jungen Helden ist so typisch für Schubert. Sie haben alle einen harten und einen weichen Kern, und wenn sie tapfer kämpfen, dann für die Liebe und nicht in erster Linie fürs Vaterland. Und alle leiden, wie Schubert, unter den dominanten Vätern. Aber auch diese haben in «Fierrabras» am Schluss ein Einsehen, schliessen Frieden und erlauben die gewünschten Liebesverbindungen.
Diese vielen Chorauftritte und männerbetonten Ensembles spielen sich in der Zürcher Produktion allesamt im biedermeierlichen Arbeitszimmer von Schubert ab (Ausstattung: Christian Schmidt). Ein übergrosser Flügel samt riesigem Stuhl lässt die Menschlein rundherum wie kleine Spielfiguren wirken. Schubert holt die von ihm in der Phantasie kreierten Figuren durch die zahlreichen kleinen Türen des Zimmers auf die Bühne, reicht ihnen mal ein von ihm beschriebenes Blatt, von dem sie singen sollen, beobachtet das Geschehen die ganze Zeit und schreckt auch mal vor den donnernden Vätern und Kriegern zurück. Schauspieler Wolfgang Beuschel brachte für diese nur mit ein paar wenigen Sätzen ausgestattete und doch stets präsente Schubert-Figur eine enorme Bühnenpräsenz, spielerische Agilität und Konzentration mit.

Schubert ist immer dabei
Neu ist die Idee, Schubert zur Bühnenfigur zu machen, nicht. Schon in «Des Teufels Lustschloss» von 1995 in der Inszenierung von Marelli spielte er als Ritter Oswald mit. Claus Guth lässt nun alle jungen Helden in Schuberts Kostüm auftreten und unterstreicht damit deren autobiografische Komponente. Gleichzeitig raubt er so aber den Figuren das fantastisch Übersteigerte. Zusammen mit dem Einheitsbühnenbild hat dies zur Folge, dass die theatralischen Kontraste von draussen und drinnen eingeebnet werden und das Geschehen über die drei Stunden hinweg etwas gar eindimensional daherkommt. Und doch rettet diese Idee die an sich unmögliche «Fierrabras»-Geschichte für die Bühne. Allein schon Schuberts nahtloses Aneinanderreihen von Nummern ohne Zwischenmusiken fordert schnelle und ebenso nahtlose Szenenwechsel. Innert kürzester Zeit können die Choristen durch die zahlreichen Türen auf- und abtreten.
Es sind denn auch diese wirkungsvoll choreografierten und schön ausgestatteten Chöre, die für die meiste Abwechslung sorgen. Mögen die Frauenchöre auch etwas gar süsslich und brav sein, für den Männerchor und den gemischten Chor hat Schubert unerhörte Musik geschrieben. Selten war der von Ernst Raffelsberger und Jürg Hämmerli einstudierte Opernchor so klangsinnlich weich und strahlend zu hören wie an diesem Abend.Auffällig ist auch, dass es in «Fierrabras» nur ganz wenige ausgewachsene Arien gibt. Alles andere sind liedhafte Duette und Ensembles, ein ständiges Mit- und Nebeneinander der Stimmen. Geht Fierrabras sonst leer aus, so hat ihm Schubert doch die wichtigste Arie gegeben. Der Tenor Jonas Kaufmann sang diesen Moment der inneren Zerrissenheit und unerfüllten Sehnsucht mit baritonalem Fundament und betörend dunkler Strahlkraft.
Der zweite Tenor Christoph Strehl fiel als fränkischer Heerführer vor allem durch sein strömendes Legato auf, presste aber in der hohen Lage gerne etwas. Zwischen diesen beiden tenoralen Helden steht Roland, der sich mit seiner Tapferkeit die vermeintlich unerreichbare Emma erobert. Michael Volle prägte die vielen Ensembles mit charakteristischem Timbre und strahlendem Glanz, ohne die heikle Klangbalance zu zerstören.
Auch die beiden Vaterfiguren sind von markanten Stimmen geprägt: hier der eher milde und versöhnliche König Karl, den Laszlo Polgar mit souveräner Tiefe porträtierte, da der zornige Boland, den Rolf Haunstein mit heller Schärfe heraushob. Am wenigsten überzeugten in dieser «Männeroper» die beiden weiblichen Hauptfiguren. Joanna Kozlowska schien Schuberts liedhafte Melodik am wenigsten zu liegen. Sie forcierte in der Partie der Emma immer wieder und wirkte mit ihrer kühlen grossen Stimme zu schwer und auch zu laut. Liuba Chruchrova hingegen gestaltete die Florinda zwar einfühlsamer und mit mehr Sinn für lyrische Feinheiten, wirkte stimmlich aber etwas zu leicht.

Musikalischer Genuss
Abgesehen von diesen kleinen musikalischen Schwächen sorgte Franz Welser-Möst für eine ausgesprochen homogene Aufführung. Es gelang ihm, das Orchester in schubertschem Sinn hintergründig zu halten, Heldisches und Dramatisches eher zurückzunehmen und die Überfülle an Melodien und wunderbaren Holzbläser-Kantilenen mit weichem, biegsamem Legato auszukosten. Unglaublich, wie Welser-Möst in den Ensembles sensibel auf jeden Stimmungswechsel reagierte und agogisch feinfühlig auf die Sänger einging. Echt romantisch wirkten der rauere Ton der historischen Blechinstrumente und die eher harten Schlagzeugschläger, was rhythmische Prägnanz gewährleistete. Auch wenn der «Fierrabras» im zweiten Teil einige Längen hat und Welser-Möst an der Premiere noch nicht ganz alle Choreinsätze optimal mit dem Orchester koordinierte, die geheimnisvolle Schönheit von Schuberts Musik kam meisterhaft zum Tragen.
Sibylle Ehrismann


DER BUND
12.11.2002

Musikalisch ein Wurf

Erstmals am Opernhaus Zürich: Franz Schuberts heroisch-romantische Oper «Fierrabras»

Von Mai bis Oktober 1823 komponierte der damals 26-jährige Franz Schubert sein letztes vollendetes Bühnenwerk «Fierrabras». Am Opernhaus Zürich wurde das in Vergessenheit geratene Stück nun mit grossem Erfolg zur Erstaufführung gebracht.

 MARTIN ETTER


Erstaunlich und bewundernswert, was Franz Schubert im Verlaufe seines leider nur sehr kurzen Lebens geschaffen hat neben Liedern, Sinfonien, kammermusikalischen Werken auch sechzehn zum Teil Fragmente gebliebene Opern, die allerdings fast ausnahmslos an nicht eben hoch stehenden Libretti kranken. So auch der 1823 entstandene und zu Schuberts Lebzeiten nie aufgeführte «Fierrabras», der unter anderem auf dem frühmittelalterlichen Heldenepos «La Chanson de Roland» fusst und eine recht wirre Geschichte um Könige, Ritter, Burgdamen und Liebesverwicklungen erzählt.
Aber Schuberts Musik versöhnt: Sie strotzt nur so von Einfällen, zeugt von seelischer Einfühlungskraft, besitzt Farbe, Spannung und Schwung und ist zudem hervorragend instrumentiert. Kein Wunder deshalb, dass sich nach Claudio Abbados erfolgreichem Ehrenrettungsversuch in Wien (1988) nun auch Zürich des Werks angenommen und zu erfolgreicher Erstaufführung gebracht hat.

Schwächen der Inszenierung

Der Gastregisseur Claus Guth schien dem an sich durchaus anfechtbaren Text gar nicht zu vertrauen und «erfand» eine Schubert-Figur, die durch die Handlung führt und mehr Verwirrung als Klarheit schafft. Vom Schauspieler Wolfgang Beuschel mehr schlecht als recht verkörpert, lenkt sie ständig vom Dialog und von der Musik ab: eine absurde Idee, die wohl die Tatsache überdecken sollte, dass Guth als Darstellerführer diesmal in hohem Masse versagte. Und Christian Schmidt steuerte eine überaus hässliche Ausstattung mit einem monströsen, Platz versperrenden Hammerklavier im Zentrum und ausgesprochen unschönen Kostümen bei. Einzig Jürgen Hoffmanns Lichtregie vermochte optisch zu überzeugen. Glücklicherweise entschädigte der Nachvollzug von Schuberts inspirierter Musik. Franz Welser-Möst motivierte das zuverlässig und engagiert mitgestaltende Orchester der Oper Zürich und auch den von Ernst Raffelsberger und Jürg Hämmerli vorbildlich einstudierten Opernhaus-Chor zu untadeligen Leistungen und verhalf damit Schubert zu einem späten, zu einem postumen Triumph.

Tüchtige Ensembleleistung

Wohlvorbereitete Solisten kümmern sich einsatzfreudig um Schuberts Expressivität. Als Fierrabras und Eginhard («Fierrabras» ist eine Zwei-Tenor-Oper!) überzeugen Jonas Kaufmann und Christoph Strehl mit edlen, schönen und wohlgeführten Stimmen und kultivierter Ausdruckstiefe. Laszlo Polgar ist der Bass-sonore, würdevolle König Karl, Michael Volle der aufrechte, vokal mustergültig akzentuierende Roland und Liuba Chuchrova die anmutig-lichte Florinda. Nicht ganz dasselbe Niveau erreichen Johanna Koslowska als Emma mit ihrem in Extremlagen schrillen Sopran und der stimmlich nicht mehr frische Rolf Haunstein als Fürst Boland.

Das Premierenpublikum liess sich von Schuberts Melodienreichtum und der musikalisch hochkarätigen Wiedergabe verzaubern und kargte nicht mit dankbaren Ovationen.


BERNER ZEITUNG
12.11.2002

Wenigstens kein Biedermeier im Kopf

Jubel für die Musiker, Buhrufe für die Regie: Schuberts
Oper «Fierrabras» hatte am Sonntag in Zürich Premiere.

Norbert Graf

Was tun bei einer Geschichte, die dramaturgisch von Ungereimtheiten strotzt? Die Lösung ist so einfach wie zwingend: Man stellt den Komponisten selbst auf die Bühne und lässt die Zuschauer alles aus dessen Perspektive miterleben. Schubert - überzeugend Wolfgang Beuschel - inszeniert auf der Bühne seine Oper, führt seine Figuren ein und - wenns ihm passt - wieder ab. Der Komponist fühlt sich musikalisch denkend in seine Figuren hinein. Gedanken haben Brüche, machen Sprünge: sie sind traumhaft.
Fürs Publikum bedeutet dies Mehraufwand. Es erfährt nicht nur die Handlung der Oper, die sich um Krieg, Liebe und Freundschaft zur Zeit Karls des Grossen dreht, sondern es muss auch andere Wahrnehmungsebenen in dieses Bild integrieren: Schuberts eigene Welten, erstens die psychische in seinem Kopf und zweitens die reale in seinem Freundeskreis. So kommt es, dass die beiden kriegsführenden Herrscher nicht nur die Väter der Hauptfiguren der Oper sind, sondern sich auch Schubert mit seinem eigenen Vaterproblem darin spiegelt.
Dieses psychosurreale Durcheinanderwirbeln verschiedener Ebenen drückt sich im Bühnenraum aus: Im überdimensionierten Biedermeierzimmer mit riesigem Stuhl und Flügel nehmen sich die Sängerinnen und Sänger als beschränkt handlungsfähige Figürchen aus. Sie sind die Opfer der herrschenden Zustände, die ihren Utopien nachhängen.

Die inszenatorische Sichtweise von Claus Guth und Christian Schmidt musste sich vom Publikum Schelte gefallen lassen - wer will schon einen Abend lang an dieselbe biedermeierliche Tapete blicken, wenn musikalisch Schlachtengemälde und Idyllen gemalt werden?
Doch die Vorteile liegen auf der Hand. Unlogisches, wie das plötzliche Happy End, wird psychologisch nachvollziehbar: Schubert inszeniert persönlich seine Wunschvorstellung der Freundschaft. Und in dieser Sichtweise wird es unwichtig, ob die Handlung nun plausibel ist oder nicht. Durch die Fokussierung auf Schuberts Sicht der Dinge greift die Regie zwar massiv in die Dramaturgie des Werkes ein, doch öffnet sie ihm anregende Möglichkeiten für ein heutiges Verständnis.

Nicht zu diskutieren gibt hingegen die Musik: Schubert, der die zu seinen Lebzeiten nie aufgeführte Oper zur Zeit der «Schönen Müllerin» komponierte, erweist sich als psychologischer Gestalter erster Güte. Wohl niemand drückt das Gefühl, «nicht am richtigen Ort zu sein», musikalisch so überzeugend aus. Ebenso überzeugend gestalteten die Musikerinnen und Musiker die Vorlage der Partitur: Dirigent Franz Welser-Möst offerierte eine differenzierte und klangbewusste Lesart, die Schubert nicht einfach auf den Liederkomponisten zurechtstutzte. Einen starken Auftritt leistete der Chor des Opernhauses, der die Oper mitprägt.
Frische Jugendlichkeit ist bei den Protagonisten Trumpf, allen voran bei Joanna Kozlowska als Emma, Michael Volle als Roland und Jonas Kaufmann als Fierrabras. Stimmlich und darstellerisch dominant war Lászlê Polgár als Karl. Nur: Dass fremdsprachige Künstler in den gesprochenen Dialogen nicht voll zu überzeugen vermögen, lässt sich wohl nicht vermeiden.


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