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Presse-Spiegel
Opernhaus Zürich
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OPERNFÜHRER
SYNOPSIS
LIBRETTO
HIGHLIGHTS |
Benjamin Britten: Peter Grimes
11. Dezember 2005 (Première)
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Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung
Choreinstudierung
Ellen Orford
Auntie
Niece 1
Niece 2
Mrs. Sedley
Fisherwoman
Peter Grimes
Captain Balstrode
Bob Boles
Swallow
Ned Keene
Hobson
Rev. Horace Adams
Fisherman
Lawyer |
Franz Welser-Möst
David Pountney
Robert Israel
Marie-Jeanne Lecca
Jürgen Hoffmann Ernst Raffelsberger
Emily Magee
Liliana Nikiteanu
Sandra Trattnigg
Liuba Chuchrova
Cornelia Kallisch
Martina Welschenbach
Christopher Ventris
Alfred Muff
Rudolf Schasching
Richard Angas
Cheyne Davidson
Valeriy Murga
Martin Zysset
Morgan Moody
Jeffery Krueger |
Verzeichnis |
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Persönlicher Eindruck
einer Premièren-Besucherin
Einer gegen alle
Plakativ und blendend
Alle gegen einen
Verletzter Haudegen
Das Kreuz trägt der andere
Hetzjagd auf einen Outsider
Die Welt im Fischerdorf
Geschlossene Gesellschaft
Ein auswegloses Drama an der rauen See
Eine britische Seemannsgeschichte
Keinerlei Staub auf den Noten |
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12. 12. 2005 / Chantal Steiner
Dort, wo die Wände Ohren haben, lässt sich nicht ruhig leben
Die
gestrige Premiere von Benjamin Brittens „Peter Grimes“ war ein voller
Erfolg und wurde zu Recht heftig bejubelt, obwohl es ein an sich
sperriges Werk ist.
Massgeblichen Anteil an diesem
Erfolg hatte wieder einmal Franz Welser-Möst, der die Partitur bis ins
kleinste Detail auslotete, sich nicht scheute, bisweilen an die
Verträglichkeitsgrenzen der Lautstärke zu gehen, nur um die Dynamik
besser ersichtlich zu machen. Die Unterschiede zwischen kaum noch
hörbaren Piani und Fortissimo-Stellen waren fast körperlich zu spüren
und erhöhten z.B. das Empfinden nackten Entsetzens bei den Schreien des
Chors nach Peter Grimes im letzten Akt, wo das brachiale Verlangen nach
Lynchjustiz offenbar wurde. Dem Orchester gelang es meisterhaft, sowohl
die impressionistischen Zwischenspiele zu interpretieren wie auch die
Sänger im eher veristischen Stil zu begleiten und die Situationen
plastisch herauszuarbeiten.
Peter Grimes kann sich in der kleinen Dorfgemeinschaft eines englischen
Küstenortes nicht eingliedern. Er ist ein Aussenseiter, der sich nicht
anpassen will, obwohl sein ganzes Bestreben ist, mit einem grossen
Fischfang endlich soviel Geld zu verdienen, dass er die Achtung des
Dorfes erlangt und gleichzeitig auch Ellen Orford heiraten kann. Sein
Lehrjunge ist durch einen Unglücksfall ums Leben gekommen; der
Dorfklatsch verurteilt ihn aber als Mörder. Die Geschichte handelt von
seiner permanenten Auflehnung. Sein Stolz hindert ihn, den positiven
Empfindungen, die einige wenige Personen ihm entgegenbringen, zu
trauen. Er will kein Mitleid und zeigt sich auch rau und mitleidlos
seinen Lehrburschen gegenüber. Das Dorf verstösst ihn immer mehr, immer
drastischer – die Spirale dreht sich bis zum tödlichen Ende…
Die Musik Brittens ist packend, spannend, modern (aber nie atonal) und
hat zwischendurch folkloristische Anklänge, die mich stark an
amerikanische Weisen, bisweilen gar an Musicals erinnerten.
Einen phänomenalen Einstand in Zürich gab Christopher Ventris in der
Titelrolle. Er verfügt sowohl über die Ausstrahlung wie auch über eine
Stimme, die jegliche Gefühlsschattierung auszudrücken vermag. Er nennt
eine makellose Höhe wie auch eine profunde Mittellage sein eigen und
gestaltete die Partie leidenschaftlich, emotional, berührend und
bedrückend. Ich war hin- und hergerissen zwischen aufrichtiger
Teilnahme und Mitleid ihm gegenüber und Wut und Abscheu über sein
Verhalten.
Emily Magees Leistung gehört ebenfalls zu den Highlights des gestrigen
Abends. Sie verkörperte die Witwe und Lehrerin Ellen Orford mit
Natürlichkeit, Liebreiz, Zärtlichkeit und Aufopferung. Stimmlich hatte
sie keinerlei Schwierigkeiten, die anspruchsvolle Partie glänzend zu
bewältigen.
Alfred Muffs Captain Balstrode war schon etwas gewöhnungsbedürftiger,
vor allem, was die Aussprache betraf. Seine etwas brüchige,
eindimensionale Stimme passte jedoch zum pensionierten Seebären, auch
wenn ich mir bisweilen etwas mehr Gesang und weniger Sprechgesang
gewünscht hätte.
Von all den vielen vorzüglichen Nebenrollen sei vor allem Cornelia
Kallisch als schrullige, bösartige Mrs Sedley erwähnt, die ihr
komödiantisches Talent voll ausleben durfte. Und als weiterer
Glanzpunkt erfreute der Chor des Opernhauses die Premierenbesucher mit
einer untadeligen gesanglichen Leistung und – wie immer in David
Pountneys Produktionen – einer sehr engagierten und spielfreudigen
Darstellung der Dorfbewohner.
Die Inszenierung findet in einem Einheitsbühnenbild von Robert Israel
statt. Ein Hafenpier wird gezeigt mit Stämmen, auf denen die ganze Zeit
Dorfbewohner auf Stühlen sitzen und ihren Tagesaufgaben nachgehen. „Wo
die Wände selber mich belauern“ singt Peter Grimes bereits im Prolog.
Diese Bedrohung, diese Beklemmung, die das Leben Grimes’ so sehr
erschweren, werden schon alleine durch dieses kompakte Bühnenbild
deutlich gemacht. Die exzellente Personenführung Pountneys erhöht dies
noch. Die Inszenierung lebt vor allem von dieser Personenführung. Kein
Darsteller auf der Bühne ist Staffage, jeder hat seine Rolle. Die
Inszenierung ist „werkgetreu“, auch wenn das Bühnenbild verlangt, dass
man abstrahieren kann. Sie ist stilisiert und besticht durch ihre
Kargheit. Auch wenn ich nicht ganz alles entschlüsseln konnte (was
bedeuten die roten Objekte?), hielt sie mich gefangen und atemlos.
Hervorragend wurde die Bigotterie der Dorfbewohner herausgestrichen.
Bedrückend ist der Schluss, den Benjamin Britten meines Erachtens
grandios umgesetzt hat: Peter Grimes fährt auf Anraten Balstrodes aufs
Meer hinaus und versenkt sich samt Schiff. Der Aussenseiter ist somit
entfernt, das „normale“ Leben der Dorfgemeinschaft kann wieder
aufgenommen werden, wie wenn nichts passiert wäre. Kommt einem das
nicht irgendwie bekannt vor?
Einige lange Momente der Stille nach Ablöschen der Lichter zeugten
davon, dass das Werk nicht nur mir mächtig unter die Haut ging. Dann
setzte ein frenetischer Applaus ein!
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13. 12 . 2005 / Bruno Rauch
Einer gegen alle
Opernhaus Zürich Benjamin Brittens «Peter Grimes»
Die Weite des Meers, die Gezeiten und Stürme sowie das
Ausgeliefert-Sein der Menschen gegenüber den Naturgewalten sind Themen
in Benjamin Brittens Opernerstling «Peter Grimes», uraufgeführt 1945 in
London. Sie bildeten das visuelle Zentrum der denkwürdigen Zürcher
Produktion von 1989. Ein anderes, wichtiges Element sind die
überschaubare Enge und die soziale Kontrolle der Lebensgemeinschaft
eines Hafenstädtchens. Sie werden zum optischen Angelpunkt der jetzigen
Produktion, für die Regisseur David Pountney und Bühnenbildner Robert
Israel zeichnen. Über die relativ düstere Bühne führt, gestützt von
kantigen Pfeilern, auf halber Höhe ein filigraner Steg: Hauptgasse
eines Fischerdorfs irgendwo an der englischen Ostküste. Darauf sowie an
den Stelen befinden sich zahlreiche Sitzplätze für dessen Bewohner, die
so das Geschehen allzeit beobachten können, während sie ihren Gewerben
nachgehen.
Den Bühnenhintergrund bilden Grossaufnahmen von Gestirnen, wohl in
Anspielung auf deren Bedeutung für die Gezeiten und zur Orientierung
auf hoher See. Das alles ist wohlüberlegt und im atmosphärischen
Lichtzauber von Jürgen Hoffmann eindrücklich anzusehen. Allerdings
lenkt es vom eigentlichen Geschehen ab. So müssen sich denn die
Protagonisten auf einer inszenatorisch und optisch arg befrachteten
Bühne behaupten, was dank sorgfältiger Personenführung dennoch gelingt.
Auch der famos disponierte Chor (Leitung: Ernst Raffelsberger) und die
zahlreichen Nebenchargen - in malerischem Grau, in welches die
«Eber»-Wirtin und ihre beiden nuttigen Nichten die einzigen Farbpunkte
setzen - bewegen sich als Individuen und nicht als amorphes Kollektiv.
Wenn Grimes als Gekreuzigter an die Seilwinde lehnt, wenn er sich als
Schmerzensmann den Mastbaum wie ein Kreuz auf die Schulter lädt, wenn
Ellen als Pietà den toten Fischerjungen auf ihren Schoss bettet, so mag
dies vielleicht etwas plakativ sein - der Gesamtwirkung der so
einfachen wie beklemmenden Story tut es keinen Abbruch. Zu verdanken
ist dies unter anderem der sängerischen und darstellerischen Leis-tung
Christopher Ventris’ als Grimes. Mit kernig-metallischem und doch
geschmeidigem Tenor verleiht er der Titelfigur abgründige und
berührende Vielschichtigkeit. Emily Magee ist eine anrührende,
unsentimentale Lehrerin: Ihr verzweifelter Verzicht auf eine mögliche
Beziehung zum verhärteten Peter wird zu einem berührenden Kernstück des
Abends. Liliana Nikiteanu als Wirtin Auntie mit ihren zwei Animierdamen
(Sandra Trattnigg und Liuba Chuchrowa) sorgen für komödiantische
Akzente. Neben weiteren exzellenten Sängern leistet das Opernorchester
Hervorragendes. Franz Welser-Möst lässt die farben- und klangprächtige
Musik mächtig aufrauschen, um sie wo nötig in subtiles Piano
zurückzunehmen. Nichts wird pastos eingeebnet, Kanten und Rauheiten
wahren Profil und fügen sich doch zu einem organischen Ganzen - die
atemlose Stille vor dem enthusiastischen Schlussapplaus war bezeichnend.
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13. 12 . 2005 / Verena Naegele
Plakativ und blendend
Benjamin Brittens Oper «Peter Grimes» am Opernhaus Zürich
Als
expressiven Bildersturm präsentieren Regisseur David Pountney und
Dirigent Franz Welser-Möst Brittens «Peter Grimes». Ein erschlagender
Abend.
Eigentlich ist er ein einsamer
gesellschaftlicher Aussenseiter: Peter Grimes, der als Fischer in
seinem Haus lebt, für seine Arbeit junge Gehilfen aus dem Armenhaus
anheuert und sie unbarmherzig schindet, ohne Rücksicht auf Leib und
Leben.
Als Treibender und Getriebener zugleich stellt Britten seinen Peter
Grimes dar, eine subtile, mehrdeutige Charakterstudie, bei der
scheinbar unvereinbare Emotionen musikalisch wie szenisch zu einem
vielschichtigen Seelendrama verschmelzen.
Die geniale Musik mit ihren unerschöpflichen Farbvariationen, durch
rezitativische und ariose Teile klar gegliedert, führt uns vom
Volksliedhaften bis hin zur puren Dramatik über Klippen und an
menschliche Abgründe der Gesellschaft. Doch was bei Brittens Vorlage
zwischen den musikalischen Zeilen unschwer zu erkennen ist, führen in
Zürich David Pountney und Franz Welser-Möst mit unbarmherzigem
Zeigefinger einen Abend lang auf dem Serviertablett vor.
Mit beklemmender Konsequenz ist der gesellschaftliche Mief optisch
präsent, angebunden an zwei Säulen, auf zwei Etagen in der Höhe sitzen
sie da, die Stickerinnen und Schuhmacher des Dorfs, und schauen auf die
hilflosen Versuche Peters hinab, sich zu befreien.
tricks.
Das hat durchaus etwas Erstickendes, bombardiert das Auge aber
permanent, zumal Pountney auch mit unzähligen Beleuchtungs- und
Flimmertricks arbeitet. Mit solch optischer Belebung versucht der
Regisseur, die tatsächliche Enge auf der Einheitsbühne (Bühnenbild
Robert Israel) wettzumachen, die kaum Aktion und Ortswechsel zulässt.
Das brillante Orchester haut in dieselbe Kerbe. Expressiv, plakativ und
mit Verve wird da auf das Ohr eingedroschen, werden Stürme mit
entfesselter Kraft durchgepaukt und Menschenaufläufe zum Teil mit
Rampensingen bis zum Exzess getrieben. Der Chor wurde hervorragend
einstudiert von Ernst Raffelsberger.
ausbrüche.
Entsprechend dramatisch sind die Solisten, allen voran Christopher
Ventris in der Titelrolle, eine imposante Erscheinung mit
durchschlagskräftigem Heldentenor, bei dem die Gewaltausbrüche
dominieren. Alfred Muffs Balstrode ist ein kraftstrotzender alter
Captain, Rudolf Schasching ein derber Bob Boles und Liliana Nikiteanu
eine an Brecht anklingende Auntie, wie überhaupt das Plakative in
Pountneys Szenerie stark an episches Theater erinnert. Einzige
beruhigende und sehr menschliche Note bringt Emily Magee als Ellen
Orford mit warmherziger und voll klingender Stimme - ein Genuss.
Komödiantisch fein ziselierte Farbtupfer setzen Richard Angas als
Richter Swallow und Cornelia Kallisch als drogensüchtige Mrs Sedley.
Sie machen deutlich, welche Nuancen eigentlich in Brittens Werk stecken
würden.
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13. 12. 2005 / Roger Cahn
Alle gegen einen
Der britische Komponist Benjamin Britten (1913-1976) stellt mit «Peter
Grimes» das Los des Aussenseiters zur Diskussion, er selbst war
homosexuell. Premiere war am Sonntag im Opernhaus Zürich.
Die Dorfgemeinschaft akzeptiert den Aussenseiter Peter Grimes -
ehrgeiziger Fischer mit sperrigem Charakter -nicht. Er solle seine
Gesellen misshandeln, ja diese in den Tod treiben. Er wird zum Mörder
gestempelt. Grimes sieht nur einen Ausweg: die Selbstopferung.
Die grosse Frage der Oper lautet: Ist Peter Grimes ein schlechter
Mensch oder wird er von der Gesellschaft dazu gemacht? Der Komponist
lässt die Frage offen. Seine Musik zeugt von einem innerlich
zerrissenen und besessenen Menschen.
Regisseur David Pountney aber legt sich fest: Er zeigt den Helden als
Opfer. Die Dorfgemeinschaft ist auf der Bühne omnipräsent, Grimes hat
keine Chance. Symbolisch lässt er Grimes das «Kreuz» schultern und
seine Via Dolorosa beschreiten.
So macht er es seinem Titelhelden einfach: Der englische Tenor
Christopher Ventris konzentriert sich auf Schöngesang, was ihm brillant
gelingt. In seiner Auseinandersetzung mit der Gesellschaft darf er den
Geplagten mimen - auch das liegt ihm.
Einzig als er einen Fischerjungen plagt, tritt endlich auch Grimes'
Schattenseite hervor. Dass die starke Emotionalität von Brittens
Figuren eher weichgezeichnet erscheint, mag damit zusammenhängen, dass
Pountney das Geheimnisvolle und Gespenstische der Oper durch zu viel
Betriebsamkeit auf der Bühne überspielt.
Es bleibt der Musik vorbehalten, die Vielschichtigkeit der Oper zu
veranschaulichen. Chefdirigent Franz Welser-Möst tut dies. Besonders in
den sechs orchestralen Zwischenspielen werden Brittens Stimmungen genau
getroffen. Auch der Chor liefert absolute Spitzenleistung!
Fazit: Ein klarer Beweis, dass Oper nicht ins Museum gehört.
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13. 12. 2005 / Tobias Gerosa
Verletzter Haudegen
Am Zürcher Opernhaus inszeniert David Pountney «Peter Grimes» von Benjamin Britten
Mit der Inszenierung von «Peter Grimes» ist dem Opernhaus Zürich ein
Volltreffer gelungen: Massgebenden Anteil daran haben Dirigent Franz
Welser-Möst und Titelheld Christopher Ventris.
Wie
Affen oder Überwachungskameras sitzen die Dorfbewohner auf Säulen
meterhoch über der Bühne; arbeiten oder lesen scheinbar unbeteiligt -
aber sind immer da, belauern alles und alle. Vor allem die, die
irgendwie anders sind. Wie Peter Grimes, den Fischer und eigentlichen
Antihelden von Benjamin Brittens Opernerstling von 1945. Ein grandioses
Bild für das soziale Milieu der Dorfgemeinschaft, die im Stück eine so
wichtige Rolle spielt.
Ein Bild, das zusammen mit der
labyrinthischen Bühne aus geschwärzten Spiegeln und Wänden, nicht
naturalistisch das englische Fischerdorf abbildet, sondern auf den
generellen Mechanismus von Ausgrenzung zielt, die Britten und sein
Librettist Montagu Slater im Blicke hatten.
Starke Bilder
Der
Regisseur der Zürcher Neuinszenierung, David Pountney (Intendant der
Bregenzer Festspiele), denkt vornehmlich bildlich. Auf Seemannsromantik
kann er fast ganz verzichten, dafür hängen im Bühnenhintergrund
bedrohlich nahe zwei gelegentlich blutrot beleuchtete Monde.
Knabenleichen werden herumgetragen, und Peter selber wird auf einem
trockeneisumnebelten, hydraulischen Podest angehoben und wie auf See
geschaukelt.
Dabei würden Musik und das einmal mehr
hervorragend ausgeglichen besetzte Ensemble meist reichen. Gerade die
Sturmmusik im ersten Akt bräuchte keine Bebilderung durch Grimes’
Traum, auch wenn sie natürlich genauso seine Seelen- wie die Wetterlage
beschreibt. Und am Schluss, wenn - in einer von Welser-Möst
musikdramatisch musterhaft herausgearbeiteten - extremen
Kontrastwirkung die Stimmung vom ohrenbetäubenden Lynch-Chor der
Dorfbevölkerung in Grimes’ nur vom Fernchor begleiteten Monolog
umschlägt, unterläuft die «Rodeonummer» des durch einen kreuzförmigen
Mast zu Christus stilisierten Grimes leider die Musikdramaturgie. Mehr
als wirklich störend ist das Zuviel des Illustrativen.
Franz Welser-Möst und das Orchester der Oper Zürich arbeiten das enorme
Ausdrucksspektrum der Musik (nicht nur in den berühmten Sea-Interludes)
mit grösster Ausdruckspalette heraus und zeigen mit fast obsessiver
Betonung des Rhythmischen, was alles auch an bedrohlichem Untergrund,
aber auch an Melodie und Farben in dieser Musik steckt.
Ambivalenter Held
Der Kritik an der szenischen Umsetzung gegenüber steht allerdings auch
eine überzeugende Ordnung der vielen kleinen Auf- und Abtritte und eine
liebevolle Zeichnung der Nebenrollen wie der durchtriebenen Pub-Wirtin
Auntie von Liliana Nikiteanu oder der hinterlistigen Mrs Sedley von
Cornelia Kallisch. Und die Inszenierung zeigt eine spannend ambivalente
Zeichnung der Titelfigur. Ist etwas dran an den Gerüchten, dass Grimes
seine Lehrlinge misshandle? Woher kommen die blauen Flecken, welche die
Lehrerin Ellen Orford am Jungen entdeckt?
Sie, die Grimes retten will mit einer Heirat, zusammen mit Captain
Balstrode (Alfred Muff) die einzige ganz positive Figur der Oper. Emily
Magee singt sie mit bewundernswerter Natürlichkeit und
Textverständlichkeit als wahre Lichtfigur, die an Grimes’ verzweifelt.
Christopher Ventris, ein Heldentenor mit Sinn für Text und leise Töne,
lässt ihn am Erwartungsdruck der Gesellschaft, zu der er gehören will,
zerbrechen. Er ist ein verletzter, in die Enge getriebener Haudegen der
ahnt, dass die Heirat die Situation beruhigen würde, will sie aber erst
nach dem grossen Fang eingehen. Wie vielschichtig er diesen äusserlich
rauen Kerl sowohl im Dramatischen, wie psychologisch Feinzeichnenden
souverän singt und darstellt, ist beeindruckend.
Grimes wird geopfert. Doch am Schluss zeigen die Dorfbewohner
achselzuckend ihre Hände: Kein Blut, alle unschuldig. Hier ist die
Inszenierung so nah am Werk wie die musikalische Umsetzung.
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13. 12. 2005 / Herbert Büttiker
Das Kreuz trägt der andere
Für
Stadt und Meer hat das Opernhaus Zürich keine Landschaftsmaler
bestellt, aber für das Drama von Peter Grimes sprechen starke Bil der
und intensive Darsteller.
«Peter Grimes», 1945 in
London uraufgeführt, war Benjamin Brittens erste Oper und das grosse
internationale Comeback der zeitgenössischen Musikdramatik nach dem
Krieg. Die Anknüpfungspunkte des 32-jährigen Komponisten waren
vielfältig – Verdi und Mussorgsky, Puccini und Strauss, Weill und
Schostakowitsch –, aber der Ton und die Aussagekraft des Werks waren
eigen. Was Britten thematisierte, war aktuell wie nie und ist es
geblieben: die Fanatisierung einer Dorfgemeinschaft, die
Stigmatisierung eines Aussenseiters, der das Kreuz trägt.
Der Tod eines Lehrbuben wird dem einzelgängerischen, ehrgeizigen und
rauen Fischer Peter Grimes zur Last gelegt, und während er gehetzt
wird, geschieht ein zweiter Unfall, weil er seinen neuen Jungen
rücksichtslos das Kliff hinabtreibt. Ellen, die ihn liebt, und der
mitfühlende alte Kapitän Balstrode können ihm nicht mehr helfen.
Grimes, irre geworden, erhält den Rat, aufs Meer hinauszufahren und das
Boot zu versenken.
Vielschichtig und griffig
Zur
Deutung dieses Selbstopfers findet die Zürcher Inszenierung von David
Pountney, Robert Israel (Bühnenbild) und Marie-Jeanne Lecca (Kostüme)
eines ihrer Bilder, die sich von aller realistischen Schilderung stark
entfernen. Der Mast, den Grimes herträgt und auf einem schwankenden
Podest hisst, erinnert mehr an den Balken eines Kreuzes (statt des
Querbalkens allerdings gibt es nur die Streben, wie sie zu einem
Schiffsmast gehören könnten). Ähnlich abstrakt ist auch der Grundaufbau
des Bühnenbildes, das an einen Pier erinnert. Aber an den hochragenden
Bohlen sind übereinander die Stühle befestigt, auf denen sich das Leben
der «Pfahlbürger» abspielt.
Zur Musik der
Interludes, aber auch im monoton ausebbenden Schluss des Werks wirkt
dieses Bild in seiner gespenstischen Dimension eindringlich schlüssig.
Dass sich die Dramatik aber in den Symbolbildern der gar befrachteten
Bühne nicht verfängt, ist dann doch Pountneys Zugriff auf das
realistische Geschehen zu verdanken. Dabei bleibt er nahe am Text und
in der Deutung zurückhaltend: Keine Anspielungen auf den in Brittens
Biografie wurzelnden homoerotischen Subtext, dafür eine raffinierte
Klarstellung des Unfallgeschehens und insgesamt eine starke, auch mit
differenzierter Lichtführung herausgearbeitete expressive
Personenführung. Diese ist voller unheimlicher Dynamik in den bewegten
Chorszenen zwischen chaotischem Festtaumel und aggressiver
Marschkolonne, berührend feinfühlig in der Begegnung zwischen Peter und
Ellen und satirisch zugespitzt in der Schilderung der einzelnen Typen.
Dabei kann sich Pountney auch für die kleineren Partien auf ein
hervorragendes Ensemble verlassen. Zur Palette gehören etwa die beiden
Nichten, zwei Knallbonbons (Sandra Trattnigg und Liuba Chuchrova), und
die attraktive Wirtin (Liliana Nikiteanu), die die Kneipe zum
Lebenszentrum des Ortes machen. In den «Eber» verirrt sich auch die
bigotte, aber opiumsüchtige Mrs. Sedley – die wohl gar überchargierende
Cornelia Kallisch –, der methodistische Moraleiferer Bob Boles, der
sich betrunken an eine der Nichten heranmacht (Rudolf Schasching),
Richter Swallow (Richard Angas), der sich hier ebenfalls als Lüstling
umtreibt, und Reverend Horace Adams (Martin Zysset), der immerhin ein
Tänzchen wagt.
Charismatisch
Das
ganze Treiben verbindet Britten in einer grossartigen Montage mit
Songs, Tanzeinlagen und Bühnenmusik zu einem panoptischen
Gesellschaftsbild, aus dem die starken Charaktere herausleuchten. Zu
ihnen gehört Balstrode, der alte Seebär mit Weitblick und offenem
Herzen – eine ideale Partie für einen geerdeten Sängerdarsteller wie
Alfred Muff. Von den beiden grossen lyrischen Hauptpartien wird er
freilich überstrahlt. Emily Magee versammelt in ihrem intensiven Sopran
alles Charisma der mitleidenden und liebenden Frau. Das gipfelt mit dem
letzten Solo der Ellen («My broidered anchor ...») in einem innig
verhaltenen Arioso, das aus der Sphäre der Passionsmusik Bachs zu
stammen scheint.
Ihrer so in sich gefestigten
Menschlichkeit antwortet die offene, von Wahnsinn und gewalttätigen
Ausbrüchen bedrohte von Peter Grimes: Ihr gibt Christopher Ventris
packende Bühnenpräsenz mit einem expressiven Tenor, den er vom
gehaltenen Piano bis zum Quasi-Schrei imponierend im Griff hat. Auch
darstellerisch impulsiv bleibt er dieser Figur, die zu den ganz grossen
Gestalten der Opernbühne gehört, nichts schuldig.
Bei allem Verdienst dieses begeisternden Ensembles: Entscheidenden
Anteil an der Intensität des Bühnengeschehens haben das Orchester und
der Dirigent der Aufführung, Franz Welser-Möst. Die sechs
Zwischenspiele bieten breiten Raum zur sinfonischen Entfaltung und
werden vom Orchester wuchtig und filigran in Szene gesetzt: Da wächst
der Bühne die Meeresatmosphäre, die Gewalt des Sturms, der Glanz der
weiten Flächen zu, Licht und Himmel, all das, was «Peter Grimes» auch
ohne gemalte Prospekte und Boote zum Seestück macht. Zugleich ist
Welser-Mösts dramatisch sensibles Dirigat ein Garant dafür, dass das
Klanggeschehen sich nicht im Impressionistischen genügt, sondern die
drängende Expressivität der Aufführung steuert.
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13. 12. 2005 / Fritz Schaub
Hetzjagd auf einen Outsider
Der Bregenzer Festspiel-Intendant bringt starke Seebilder ins Opernhaus
Zürich: Musik und Szene machen die Oper «Peter Grimes» zum beklemmenden
Drama.
Selten genug tritt der Fall ein, dass Inszenierung, Musik, Sänger so
miteinander harmonieren, dass daraus ein Gesamtkunstwerk entsteht, das
unter die Haut geht. Bei der Premiere von Benjamin Brittens «Peter
Grimes» war dies wieder einmal der Fall. Die Handlung des nach einer
Verserzählung des englischen Poeten George Crabbe entstandenen
Librettos ist einfach. Der Fischer Peter Grimes beschäftigt Knaben als
Hilfskräfte. Einer stirbt auf hoher See: Bei einer Gerichtsverhandlung
wird Peter Grimes vom Verdacht, am Tod des Jungen schuldig zu sein,
freigesprochen. Aber das Misstrauen der Bewohner von Borough verfolgt
Peter Grimes weiterhin, und als zum zweiten Mal ein Junge umkommt,
kommt es zu einer regelrechten Hetzjagd auf den Fischer. Dieser sieht
nur noch einen Ausweg: im Selbstmord.
Allgemeingültige Parabel
Nach
Brittens Tod 1976 wollten viele in diesem Stück ein autobiografisches
Selbstporträt des Komponisten und dessen homosexueller Neigungen sehen,
die damals noch unterdrückt werden mussten. Das Werk geht aber über das
Drama eines Menschen, der durch seine Homosexualität zum Aussenseiter
gestempelt wird, weit hinaus. Die Sexualität bleibt in der Oper
ausgeklammert, und stattdessen tritt eine Problematik ins Zentrum, die
jedermann in seiner allernächsten Umgebung erfahren kann: Wie gehe ich
mit einem Menschen um, der mir nicht sympathisch ist oder durch sein
Anderssein sich vom Gros abhebt?
Aus diesem Grunde
ist «Peter Grimes» auch nicht auf eine «Aktualisierung» angewiesen.
Auch nicht bei Regisseur David Pountney, der als Intendant der
Bregenzer Festspiele mit grossformatigen Bühnenwirkungen bestens
vertraut ist und auch hier mit expressiven Naturbildern arbeitet. So
ist das Geschehen in Zürich realistisch in der düsteren Atmosphäre
einer englischen Küstenlandschaft angesiedelt, und die Kostüme
(Marie-Jeanne Lecca) sind von Malereien des schwedischen Dramatikers
August Strindberg inspiriert. Allerdings ist der Hafenpier, den Robert
Israel vor einem Hintergrund mit zwei Welt-Halbkugeln entworfen hat,
deutlich auf den Gegensatz zwischen der Dorfgemeinschaft und dem
Einzelnen ausgerichtet: Ein Teil des Chors hängt während der ganzen
Vorstellung an verschieden hohen Stützen und ist dauernd mit seiner
Alltagsarbeit beschäftigt; der Einzelgänger Grimes aber wird wie ein
gehetztes Tier immer mehr in die Enge dieser halb symbolisch-abstrakten
Pier-Landschaft getrieben. Die personelle Überfülle ist vorab im ersten
Akt, wo die Oper wie ein Konversationsstück anhebt, nicht
unproblematisch: Man verliert die Übersicht und erkennt nur schwer, wer
jetzt gerade in Aktion ist.
Steigerung nach dem ersten Akt
Aber
im weiteren Verlauf wird die Konfliktsituation immer stärker auf ihren
Kern fokussiert, und je mehr die Oper an Klangvielfalt, an
Dissonanzhärte und Ausdruckskraft gewinnt, desto mehr steigern sich der
Chor (Einstudierung: Ernst Raffelsberger), das von Franz Welser-Möst
unerbittlich auf dramatische Zuspitzung hin geleitete Orchester der
Oper Zürich und die Sänger, allen voran Christopher Ventris in der
Titelrolle und Alfred Muff als Captain Balstrode.
Ventris gewann seinem anfänglich etwas stumpfen Heldentenor immer mehr
Facetten und expressive Kraft ab, und Muff verkörperte einen Captain,
der am Schluss betroffen und stumm zurückbleibt, während seine
Mitbewohner ungerührt sich wieder dem Alltag zuwenden. Die beiden
heimsten zusammen mit Emily Magee, die als Lichtgestalt Ellen Orford
die Stimme der Menschlichkeit wunderbar verkörperte, auch den grössten
Applaus des sichtlich beeindruckten Premierenpublikums ein.
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13. 12. 2005 / Marianne Zelger-Vogt
Die Welt im Fischerdorf
Benjamin Brittens «Peter Grimes» im Zürcher Opernhaus
Knapp drei Monate nach der Premiere vonSchostakowitschs «Katerina
Ismailowa» bringt das Zürcher Opernhaus mit «Peter Grimes» von
Benjamin Britten ein weiteres Meisterwerk des
20. Jahrhunderts zur Aufführung. Wie «Katerina Ismailowa» durch
die sozialen Verhältnisse in Russland geprägt ist, vergegenwärtigt
«Peter Grimes» das Milieu eines Fischerdorfes an der englischen
Ostküste.
Der Titelheld von Brittens erster Oper - sie basiert auf einer
Verserzählung von George Crabbe - ist ein Fischer, der durch
fanatischen Arbeitseifer Wohlstand, Ansehen und die Hand der Lehrerin
Ellen Orford zu gewinnen hofft, doch immer mehr ins soziale Abseits
gerät. Bei einer gerichtlichen Untersuchung wird zwar der Tod von
Peters jungem Gehilfen als Unfall bezeichnet. Doch als Ellen wenig
später am Hals des aus dem Waisenhaus geholten neuen Lehrlings einen
Fleck entdeckt, erhärtet sich der Verdacht körperlicher Misshandlung.
Und nach dem Verschwinden des Knaben steht für die Gemeinde fest, dass
Peter Grimes ein Mörder ist. Als dieser, erschöpft und geistig
verwirrt, ins Dorf zurückkehrt, kann ihm der alte Kapitän Balstrode nur
noch raten, aufs Meer hinauszufahren und sein Boot sinken zu lassen -
ein kaum verschlüsselter Befehl zum Selbstmord.
Abstraktion statt Illustration
Britten und sein Textdichter Montagu Slater haben das Geschehen genau
lokalisiert: Küstenlandschaft, Meer, Fischerhütten, Pub. Doch der
Regisseur David Pountney und sein Bühnenbilder Robert Israel lassen
alles Illustrative beiseite, von den Gezeiten zeugen einzig die beiden
Monde im Hintergrund, und die Pfähle, zwischen denen eine stegartige
zweite Spielebene angelegt ist, können als Schiffsmasten gelesen
werden. Merkwürdig dann aber die an den Masten befestigten Stühle, auf
denen während der gesamten Aufführung Männer und Frauen als
Repräsentanten einer allgegenwärtigen Öffentlichkeit harmlose
Verrichtungen ausführen. Die Zielrichtung ist klar: Pountney und Israel
geht es nicht um naturalistische Milieuschilderung - diese bleibt Sache
der Kostümbildnerin Marie-Jeanne Lecca -, sondern um den zeitlosen
Konflikt zwischen dem ausgestossenen Einzelgänger und der Gesellschaft,
der 1945, als «Peter Grimes» in London uraufgeführt wurde, genauso
aktuell war wie 1810, als Crabbe «The Borough» verfasste, und bis heute
nichts an Brisanz verloren hat. So ist denn Brittens Oper auch ein
grossartiges Zeugnis dafür, dass die welthaltigen Stoffe in der Provinz
gedeihen.
Die Abstraktion, der sich Pountney und Israel verschrieben haben,
erfordert allerdings ihren Preis: Die dunkle Bühne wirkt überladen und
unübersichtlich, die surrealen Lichteffekte nutzen sich rasch ab, und
die Konkretisierung von Peters Albträumen gerät in ihrer penetranten
Symbolik geschmacklos statt suggestiv. Zudem erhalten die Figuren nicht
immer genügend Spiel-Raum. Dabei sind sie alle stimmlich wie
darstellerisch prägnant gezeichnet - eine derart hochstehende,
ausgewogene Besetzung bietet das Opernhaus nicht alle Tage. Ein
Glücksfall ist Christopher Ventris in der Titelrolle. Das warme
lyrische Timbre seines Tenors lässt Grimes unmissverständlich als
sensiblen, introvertierten Charakter erscheinen, doch verfügt Ventris
zugleich über das dramatische Potenzial, um dessen Unbeherrschtheit und
Brutalität mit aller Härte Ausdruck zu geben.
Bedrohliche Dorfgemeinschaft
Ähnlich differenziert in ihrer vokalen Gestaltung Emily Magee als Ellen
Orford, zunächst der ruhende Pol in der aufgebrachten Dorfgemeinschaft,
dann, als sie Verdacht gegen Peter schöpft, selber von hysterischer
Panik erfasst. Von unanfechtbarer Autorität sodann Alfred Muffs
stimmgewaltiger Captain Balstrode, schillernd Cornelia Kallisch in der
Rolle der drogensüchtigen Sittenwächterin Mrs. Sedley, sehr authentisch
der spröde Bürgermeister Swallow von Richard Angas. Für farbliche
Aufhellung sorgen Liliana Nikiteanu als junge Wirtin und deren forciert
muntere «Nichten» Sandra Trattnigg und Liuba Chuchrova. Martin Zysset
als Pfarrer, Cheyne Davidson als Apotheker Keene, Rudolf Schasching als
dem Alkohol verfallener Sektierer und Valeriy Murga als Fuhrmann
komplettieren zusammen mit dem exzellenten Chor die Dorfgemeinschaft.
Nicht zu vergessen Julian Visser als eindrücklicher stummer Knabe.
Die Hauptrolle in Brittens Oper spielt jedoch das Orchester, es erzählt
und illustriert das Geschehen mit einer Eindringlichkeit, der man sich
keinen Moment lang entziehen kann. Das Spektrum reicht vom derben
Volksliedton bis zur klanglichen Entfesselung der Naturgewalten, von
der Grundierung zarter Arioso-Gesänge bis zum komplexen instrumentalen
Psychogramm der Titelfigur. Franz Welser-Möst entschädigt mit dem
glänzend disponierten Opernhaus-Orchester für alles, was uns die Bühne
an Atmosphäre und Farbe, an Kontrasten und Stimmungswechseln
vorenthält. Musikalisch lässt diese Neuproduktion keinen Wunsch offen.
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13. 12. 2005 / Tobias Gerosa
Geschlossene Gesellschaft
Das Opernhaus Zürich spielt Benjamin Brittens frühe Oper «Peter Grimes»: Ein musikdramatisches Meisterstück
Mit Brittens «Peter Grimes» gelingt dem Opernhaus Zürich (fast) ein
Volltreffer. Das Stück ist dramaturgisch und musikalisch meisterhaft,
Dirigent Franz Welser-Möst und Titelheld Christopher Ventris sind in
Hochform.
Wie Affen sitzen die Dorfbewohner auf Säulen meterhoch über der Bühne;
scheinbar unbeteiligt – aber sie sind immer da, belauern alles und
alle. Vor allem die, welche irgendwie anders sind. Wie Peter Grimes,
der Antiheld von Benjamin Brittens Opernerstling von 1945.
Ein grandioses Bild ist das für das soziale Milieu der
Dorfgemeinschaft, die im Stück eine so wichtige Rolle spielt. Ein Bild,
das zusammen mit der labyrinthischen Bühne aus geschwärzten Spiegeln
und Wänden nicht naturalistisch das englische Fischerdorf abbildet,
sondern auf den generellen Mechanismus von Ausgrenzung zielt, die
Britten und sein Librettist Montagu Slater im Blicke hatten.
Überragende Musik
Der
Regisseur der Zürcher Neuinszenierung und Intendant der Bregenzer
Festspiele, David Pountney, denkt vornehmlich bildlich. Dabei würden
Musik und das einmal mehr hervorragend ausgeglichen besetzte Ensemble
meist reichen.
Gerade die Sturmmusik im ersten Akt
bräuchte keine Bebilderung durch Grimes' Traum, auch wenn sie natürlich
genauso seine Seelen- wie die Wetterlage beschreibt. Und am Schluss,
wenn – in einer von Dirigent Welser-Möst musikdramatisch musterhaft
herausgearbeiteten extremen Kontrastwirkung – die Stimmung vom
ohrenbetäubenden Lynch-Chor der Dorfbevölkerung in Grimes' nur vom
Fernchor begleiteten Monolog umschlägt, unterläuft die «Rodeonummer»
des durch einen kreuzförmigen Mast zur Christusfigur stilisierten
Grimes' die Musikdramaturgie. Das ist nicht wirklich störend, jedoch
einfach zu viel.
Franz Welser-Möst und das Orchester der Oper Zürich arbeiten das enorme
Ausdrucksspektrum der Musik (nicht nur in den berühmten Sea-Interludes)
mit grösster Ausdruckspalette heraus und zeigen mit fast obsessiver
Betonung des Rhythmischen, was alles auch an bedrohlichem Untergrund,
aber auch an Melodie und Farben in dieser Musik steckt.
Ambivalenter Held
Wenn
auch Einzelheiten der szenischen Umsetzung kritisiert werden können, so
überzeugen insgesamt die guten Bildwirkungen. Pountney gelingt zudem
die Ordnung der vielen kleinen Auf- und Abtritte ebenso ausgezeichnet,
wie er die Nebenrollen liebevoll zeichnet.
Spannend
ambivalent fällt die Interpretation der Titelfigur aus. Christopher
Ventris, ein Heldentenor mit Sinn für Text und leise Töne, lässt ihn am
Erwartungsdruck der Gesellschaft, zu der er gehören will, zerbrechen.
Er ist ein verletzter, in die enge getriebener Haudegen, dessen Schuld
am Tod seiner Lehrlinge offen bleibt. Wie vielschichtig er diesen
äusserlich rauen Kerl sowohl im Dramatischen, wie psychologisch
Feinzeichnenden souverän singt und darstellt, ist beeindruckend.
Emily Magee singt Ellen Orford, die Grimes mit einer Heirat «retten»
will, mit bewundernswerter Natürlichkeit und bester
Textverständlichkeit als wahre Lichtfigur. Sie, zusammen mit Captain
Balstrode (Alfred Muff ist prächtig bei Stimme, aber sprachlich
zwischen all den englischsprachigen Kollegen nicht auf selber Höhe) die
einzige ganz positive Figur der Oper, verzweifelt an Grimes.
Er wird geopfert. Die Dorfbewohner zeigen achselzuckend ihre Hände:
kein Blut, keine Schuld. Hier ist die Inszenierung so nah am Werk wie
die musikalische Umsetzung.
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13. 12. 2005 / Thomas Meyer
Ein auswegloses Drama an der rauen See
Musiktheater
über einen Aussenseiter: Benjamin Brittens «Peter Grimes» hatte am
Sonntag im Zürcher Opernhaus Premiere. Ein Besuch lohnt sich.
Von Thomas Meyer
Raue, ja auch rohe Gesellen, die da an der Küste Englands leben und mit
der See kämpfen, ihr Fische abtrotzen und ihre Wucht fürchten. Das
Leben treibt sie zusammen in der Bedrängnis, in der Lust, im Tanz, auch
in der Hetze und im Hass, denn es gibt einen Aussenseiter, den
Sonderling Peter Grimes, der verzweifelt ob seiner Rolle ist, der halt
auch ungehalten und jähzornig sein kann, der seinen Lehrjungen nicht
besonders gut behandelt, der seine mögliche Zukünftige schlägt. Weil
ihm schon einmal ein Gehilfe beim Fischzug starb - ein Unglücksfall -,
ist er geächtet. Das Drama kennt keinen Ausweg. Er wird mit dem neuen
Lehrjungen die Vorurteile der Gesellschaft bestätigen.
Benjamin Britten hat ihnen allen in seiner Oper von 1944/45 Leben
eingehaucht: der Dorfgesellschaft, der er eine solche körperliche
Präsenz gab, dass «Peter Grimes» zu Recht auch als Choroper gilt; dem
Aussenseiter, dessen Schicksal er mit Empathie schildert, und dem Meer,
dessen Pracht und Gewalt er in den Zwischenspielen, den Sea Interludes,
verherrlichte. «Peter Grimes» ist eine gefühl- und effektvolle, eine
musikalisch abwechslungsreiche und farbige, eine starke,
leidenschaftliche Oper, und die Verantwortlichen der neuen Zürcher
Inszenierung lassen ihr zum Glück erst einmal ihre Kraft. Ein Besuch
lohnt sich auf jeden Fall, wenn das Stück nun nach 15 Jahren wieder im
Opernhaus auftaucht.
Geschönt wird nicht
Musikalisch
gerade wird nichts zurückgenommen. Der von Ernst Raffelsberger
einstudierte Chor steigert sich auf eindringliche Weise, und auch der
Orchesterklang unter Franz Welser-Möst ist kernig direkt. Die
rhythmische Exaktheit, etwa im Kanon am Ende des 1. Akts und in
ähnlichen Massenszenen, mag sich später wohl noch einstellen - oder ist
dieser «Mangel» Teil jener unbändigen Rohheit, die das Stück
durchzieht? Tatsächlich scheint es paradox, von einem solchen Stück,
auf welcher Ebene auch immer, Akkuratesse und Raffinement zu erwarten,
wo es doch an der rauen See spielt. Das Ungeschliffene, Unverschliffene
ist Teil des Stücks. Und hier wird es von einem Ensemble getragen, das
lustvoll mitspielt, das nicht schönt.
Wir erleben
eine Männergesellschaft. Die Frauen sind Projektionsflächen - für
kurzen Lustgewinn oder künftiges Glück gedacht. Es gibt
bezeichnenderweise in der Mitte der Oper einen einzigen
ruhig-utopischen Moment: die vier so verschiedenen Frauen, die
rechtschaffene Lehrerin Ellen Orford (Emily Magee, sehr diskret und mit
warmer Stimme) sowie die in der Spelunke herrschende Aunti, und ihre
beiden Nichten warten im Schatten, bis der Aufruhr um Peter Grimes
vorbei ist: «Do we smile or do we weep / Or wait quietly till they
sleep.» Es ist ein Moment, der Besinnung und Hoffnung vermitteln könnte
(von der Stimmung her ist er leider noch nicht ganz bewältigt), der
aber von tiefer Verzweiflung zeugt. Und es gibt jenen grossen letzten
einsamen Gesang von Peter Grimes, der über dem Abgrund schwebt und
schliesslich von einem, der es eigentlich gut mit ihm meint, von
Captain Balstrode (väterlich: Alfred Muff), in den Selbstmord geschickt
wird. Christopher Ventris in der Titelrolle stellt auf imponierende
Weise die Zwiespältigkeit dieses Charakters dar: seinen Willen und
seinen Unwillen, sein Eigenbrötlertum und seine Angst, und er vermag
diese Interpretation bis zuletzt zu intensivieren.
Trotz lockerer Zügel alles im Griff
Sonst
wirbelt diese Gesellschaft durcheinander: die kesse Auntie (Liliana
Nikiteanu), der Eiferer Boles (Rudolf Schasching), die jedem Gerücht
folgende Mrs Sedley (Cornelia Kallisch), der bigotte Anwalt Swallow
(Richard Angas), der Apotheker Ned Keene (Cheyne Davidson) - Regisseur
David Poutney lässt die Zügel recht los und hält doch das Ganze im
Griff. Denn dieses Durcheinander findet in einem geometrisch
abgezirkelten Raum statt. Die Bühne (Robert Israel) ist in die Höhe
hinauf bevölkert: waagrecht agil und senkrecht stativ. Auf einer
Brücke, die quer durch den Raum führt, ergibt sich einerseits eine
zweite Bewegungsebene. Die Pfeiler andererseits, an denen weitere
Menschen auf Stühlen kleben, wirken statisch, unausweichlich gleichsam.
Dieses Einheitsbühnenbild durch alle drei Akte hindurch überzeugt
schliesslich, gerade weil es so unbeweglich bleibt. Es engt ein, macht
diese Gesellschaft allgegen- und ein bisschen widerwärtig. Geht das
auf? Im Ganzen ja, wenn Pountney auch im Detail manches überdeutlich
gestaltet.
Der beim Musikalischen erwähnte Zwiespalt
zwischen roher Realität und Verfeinerung wird in der Inszenierung
vergrössert, weil Pountney partout noch eine symbolische Deutung
einbringen will. Reicht es nicht, dass diese rauen Gesellen in ihren
härenen Gewändern (Marie-Jeanne Lecca) durchs Dämmerlicht (Jürgen
Hoffmann) treiben, muss man noch mehr damit machen? Muss also Peter
Grimes zu einer Christusfigur werden? Der Schiffsmast, den er zum
Schluss auf seinen Schultern hereinträgt und an dem er seinen letzten
Kampf austrägt, ist ein Kreuz, die toten Knaben werden als Pietà
präsentiert. Ach ja, das Abendland muss wieder mal mit rein, auch wenn
wir uns in einem kleinen Fischerdorf bewegen! In einem Programmtext
arbeitet der Münchner Theater- und Musikwissenschaftler Jürgen Schläder
zwar die Parallele von Grimes zu Jesus heraus. Dazu lassen sich wohl
Gründe anführen. Für Peter Pears freilich, den Lebensgefährten des
Komponisten und ersten Darsteller der Figur, war dieser Grimes «im
Gegenteil ein ganz gewöhnlicher Mensch, ein Schwacher, der im
Kriegszustand mit der Gesellschaft steht, in der er lebt». Diese
Gewöhnlichkeit hätte genügt. In Zürich wird Grimes zum tragischen
Helden verklärt.
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13. 12. 2005 / Sibylle Ehrismann
Eine britische Seemannsgeschichte
Benjamin Brittens erste Oper «Peter Grimes» ist ein kritisches
Gesellschaftsstück aus dem Jahre 1945 mit entsprechend grossem Chor.
Der «Seebühneneffekt» war für Zürich fast zu viel des Guten.
Die Premiere am Opernhaus Zürich vom Sonntagabend zeigte den
Opernhaus-Chor musikalisch wie szenisch von seiner besten Seite. Franz
Welser-Möst dirigierte diesen Meilenstein der modernen Operngeschichte
mit rhythmischer Schärfe und schlagkräftigen Tuttis; Regisseur David
Pountney und sein Bühnenbildner Robert Israel sorgten für eine ebenso
wuchtige wie überladene Szenerie. Der Tenor Christopher Ventris gab
sein Debüt am Opernhaus Zürich mit einer vielschichtigen und grandiosen
Grimes-Darstellung.
Hass und Habgier
Natürlich
ist diese Geschichte erdrückend: Peter Grimes ist ein Fischer, der zwei
hilflose Waisenjungen aus Habgier und Hass derart überfordert, dass sie
tödlich verunfallen. Grimes wird zwar offiziell von der Mordanklage
freigesprochen, doch die Dorfgemeinschaft macht ihn fertig. Nur die
Lehrerin Ellen, die ihn liebt, nimmt ihn in Schutz und kümmert sich
auch um den zweiten Jungen. Doch auch sie kann das Unheil - den Tod des
Jungen - nicht aufhalten.
Pountney lässt diese
ergreifende britische Seemannsgeschichte in einem mit abstrakten
Segelmasten verstellten Bühnenraum spielen. An diesen Masten sitzen
jeweils zwei Choristen übereinander auf einem fixierten Stuhl und
werden so zum festen Bestandteil des Bühnenbilds. Sie hocken dort den
ganzen Abend lang und überladen die Bühne mit ihrer erdrückenden
Präsenz.
Roter und gelber Mond
Die
Protagonisten treten auf zwei Spielebenen auf: unten auf der Bühne und
erhöht auf einer Passerelle. Da die Choristen ansonsten sehr
individuell geführt werden, gehen die Solisten zeitweise im Wirrwarr an
Menschen fast unter. Kommt dazu, dass im Hintergrund auf dem
Bühnenprospekt zwei riesige Mondhälften abgebildet sind: der eine Mond
wird rot, wenn's auf der Bühne brenzlig wird, der andere ist gelb. Auch
das wirkt wuchtig. Eine solche in die Höhe getriebene Szenerie mag auf
der offenen Seebühne in Bregenz, wo Pountney künstlerischer Leiter ist,
ihre grossartige Wirkung tun. Auf der Bühne im Opernhaus Zürich ermüdet
das im Laufe des Abends enorm; es macht einen ganz konfus. Derart
«wuchtig» ist Brittens Werk, so gross besetzt es auch sein mag, einfach
nicht.
Es geht um ein abgelegenes Dorf an der Küste,
in dem ein Aussenseiter subversiv, und nicht derart vordergründig
fertig gemacht wird. Und auch der Szeneriewechsel in die Hütte von
Grimes, einzig durch eine seitliche Wand mit «ordnenden» Haken und
Fischerutensilien angedeutet, geht in diesem Einheitsbühnenbild unter.
Das wetterwilde Küsten-Ambiente schafft vor allem die Kostümbildnerin
Marie Jeanne-Lecca mit schlichten grauen Leinenkleidern, beinhohen
Wasserstiefeln und sandverschmutzten Hosen. Wirkungsvoll ist auch der
Pullover von Peter Grimes mit einem «Meeres(traum)bild» auf der Brust.
Zwischen Liebessehnsucht und Hass
Der
britische Tenor Christopher Ventris übertrug die Symbolkraft dieses
Pullovers mit starker Identität und fazettenreicher seelischer
Differenzierung. Diese enorm fordernde Tenorpartie, welche Britten für
seinen Lebenspartner Peter Pears komponiert hat, scheint Ventris wie
auf den Leib geschrieben. Das Schwanken zwischen Liebessehnsucht und
Hass, Heimattraum und gequälter Seele gestaltete dieser Ausnahmesänger
mit subtil aus dem gesungenen Wort entwickelter Tongebung: feine
Schattierungen, sehnsüchtiges Aufleuchten und dramatischer Ausbruch bis
in den Wahn - alles so gesungen, als wäre das kein Problem.
Und daneben Emily Magee als Ellen Orford. Sie sang nicht nur mit
betörender stimmlicher Leuchtkraft, sondern auch mit weitatmigem Legato
und unerhörter Ruhe. Auch das Kippen der Hoffnung in Einsicht wurde von
ihr mit jeder Phrase ausformuliert. Neben diesem alles überragenden
Paar wurden auch die Nebenfiguren charakteristisch gezeichnet: Alfred
Muff verbreitete als Captain Balstrode eine wohltuende Souveränität,
Liliana Nikiteanu sorgte als Auntie für erfrischende Farben, zusammen
mit ihren beiden quirligen «Freudenmädchen»-Nichten Sandra Traating und
Liuba Chuchrova. Rudolf Schasching gab einen wuchtig präsenten Bob
Boles, Richard Angas sang den Swallow hell und wendig, und Cornelia
Kallisch gab mit Mrs. Sedley ein echt komisch moralisierendes
englisches Fräulein.
Spitze Schärfe, kompakte Wucht
Der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor des Opernhauses Zürich
wurde zwar szenisch ausgesprochen heterogen geführt; er sang seine
grossen und harmonisch reichhaltigen Partien aber erstaunlich kompakt.
Franz Welser-Möst hielt diesen grossen Apparat mit energischem
rhythmischem Verve zusammen, verlieh Brittens suggestiver Musik dadurch
jedoch eine spitze Schärfe und kompakte Wucht. Auch das Orchester
spielte brillant präzise und hielt mit Schlagkraft nicht zurück.
Fast den ganzen Abend derart «angewuchtet» von Musik und Szene,
erfreute man sich um so mehr an den kammermusikalischen Momenten: am
herrlichen Damenquartett im 3. Akt mit dem sich wiederholenden
«enttäuschten» Abgesang der Holzbläser, an den verzweifelten Arien von
Grimes und Ellen, und an den eher ruhigen, stimmungsvollen
Zwischenspielen des Orchesters. Das Publikum spendete allen Beteiligten
begeisterten Schlussapplaus.
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13. 12. 2005 / Werner Pfister
Keinerlei Staub auf den Noten
Eine
aussergewöhnlich bildscharfe Aufführung, beklemmend und bewegend: Mit
«Peter Grimes», Brittens erster Oper, hat das Opernhaus künstlerisch
einen absoluten Volltreffer gelandet.
Staunen
reihum, wenn der Vorhang hochgeht. Drei Etagen übereinander sitzen sie,
die Bürger jenes Dorfs am Meer, jeder auf seinem Stuhl und jeder
beschäftigt mit einer häuslichen Liebhaberei, Stricken zum Beispiel.
Kleinbürgerliches Wohnzimmer-Idyll - aber Bühnenbildner Robert Israel
verzichtet auf Wände und Decken und Fussböden. Jeder sieht jeden, einer
überwacht den andern; in dieser Dorfgemeinschaft gibt es keine
Rückzugsmöglichkeit in die vier Wände des eigenen Individuums, kein
Abweichen von der Konformität.
Nur einer von ihnen
ist nicht so. «Ich leb allein und bleibs auch gern», singt Peter
Grimes; «ich will nicht, dass man sich einmischt.» Peter Grimes ist
anders - und dadurch ein Stachel im fleischlichen Wohlgefühl der andern
Dorfbewohnen Dagegen opponieren sie im kollektiven Bewusstsein, denn
jede Gesellschaft braucht ihren zwielichtigen Aussenseiter, um selber
umso unzweifelhafter im richtigen Licht zu stehen. Genau davon handelt
Benjamin Brittens 1945 uraufgeführte Oper «Peter Grimes»: wie die
normative Mehrheit der so genannt Normalen mit einem umgeht, der nicht
so ist wie sie selber, und zu welchen Extremen, zu welchen Exzessen sie
sich ihm gegenüber hinreissen lassen.
Heiss und kalt
Und
das inszeniert David Pountney mit beklemmender Konsequenz. Ein
Kammerspiel der widersprüchlichsten Gefühle, der mühsam unterdrückten
und der wild entfesselten. Heiss und kalt entwickelt sich dieser
Ausgrenzungsmechanismus über drei Akte hinweg, wobei die Spannung, die
Intensität des Spiels wie überhaupt des Stücks zunehmend wächst und
gleichsam zur eigenen Angespanntheit wird: Diesem Musiktheater kann man
sich nicht entziehen.
Selbst dort, wo Licht
aufscheint, in den Szenen zwischen Peter Grimes und Ellen, der
einzigen, die ihn liebt und zu verstehen glaubt, bleibt alles kühl,
hoffnungslos. Was Peter Grimes dabei fühlt, verdrängt er, bis das
Verdrängte zu brodeln beginnt und in unkontrollierten, heftigen
Ausbrüchen unverdaut an den Tag kommt. In solchen Momenten ist er
ungerecht gegen sich und gegen andere, vor allem gegen seinen
Fischerjungen und doch hat man Mitleid mit ihm. Leidet mit.
Bedeutende Musik
Ein
zeitloses Thema und zeitlos in Szene gesetzt einerseits durch
zeitgemäss elementare Bühnenkonstruktionen, die an einen Pier erinnern,
denn das Meer, das nährende wie das bedrohende, ist in diesem
Fischerdorf allgegenwärtig. Seine Bewohner könnten andererseits einem
Gemälde der vorletzten Jahrhundertwende entsprungen sein, von
Marie-Jeanne Lecca stilvoll kostümiert. Jede Person ein eigener
Charakter mit eigener Farbe und eigenen Gesten, und doch passen sie
alle, bis auf Peter Grimes, wie die einzelnen Teile eines Puzzles
nahtlos zusammen.
Auch in musikalischer Hinsicht fügt
sich alles zu einem grossartigen Ganzen. Dirigent Franz Welser-Möst
macht von Anfang an klar, wie sehr sich Brittens Musik durch jene
Kantabilität auszeichnet, die aus dem intuitiven Verhältnis des
Komponisten zur menschlichen Stimme resultiert, aber auch den
sinnfälligen Wohlklang einer sanften Dissonanz kennt, die von Richard
Strauss oder Debussy herrühren könnte. Bedeutende Musik, da gibt es
keinerlei Zweifel, und unter Welser-Mösts kundiger Hand
effektvoll,grossräumig disponiert. Da liegt keinerlei Staub auf den
Noten. Im Gegenteil, sein Sinn für die Fragilität gewisser Momente in
den Orchesterzwischenspielen, sein Gespür für das
Emphatisch-Energische, aber auch für die musikalischen Linien mit
ihren lyrischen Vereinsamungen, das alles ist eine Offenbarung.
Einen wesentlichen Anteil daran hat auch der Chor des Opernhauses, der
sich nicht nur stimmgewaltig in Szene setzt, sondern auch
schauspielerisch ins beste Licht bringt und dabei Grösse,
Unerbittlichkeit und (Über-)Macht demonstriert. Die zahlreichen
Sängerinnen und Sänger (17 Rollen sind es insgesamt) lassen sich vom
lebensprallen Drive der Inszenierung, aber auch vom Tiefgang ihrer
Bedeutungshaftigkeit zu Höchstleistungen beflügeln.
Christopher Ventris ist in jeder Hinsicht ein idealer Peter Grimes mit
herb aufbegehrerischen Tönen, aber auch mit leisen, verletzlichen.
Absolut packend ist sein subtiler Umgang mit dem gesungenen Wort. Emily
Magee stattet Ellen mit einem humanen stimmlichen Wohlklang aus. Auch
sie ist eine intensive Gestalterin, und noch im Scheitern wahrt sie
menschliche Grösse. Wenn sie beide mit dem toten Fischerjungen auf
ihren Knien dasitzen - ein Bild von beklemmender Suggestivität -, wird
nachfühlbar, dass ihre Beziehung nicht zum Leben bestimmt ist, nicht
gelebt werden kann. Überhaupt: spiegelt sich im Schicksal der
Fischerjungen, die nie sprechen wollen, nicht Peter Grimes' eigenes
Schicksal? Er war doch auch mal Junge.
Moralisch und amoralisch
Aus
der Menge der Dorfbewohner ragt Alfred Muff als-bärbeissiger Kapitän
heraus, der das Hin und Her zwischen den Fronten (sowie die Gefahr des
Eingeklemmtwerdens) mit elementarer Wucht ausspielt. Liliana Nikiteanu
als Auntie und ihre beiden Nichten Sandra Trattnigg und Liuba Chuchrova
repräsentieren die verführerischen, die amoralischen Bezirke, gleichsam
das Rotlicht-Milieu in einer normativ konformen Gesellschaft, wogegen
Cornelia Kallisch als Mrs Sedley mit schon süchtigem Eifer über diese
Moral wacht, die eine doppelbödig moralinsaure ist.
Alles in allem einer jener seltenen Opernabende, die man nicht leichterdings wegstecken kann, wenn die Vorstellung aus ist.
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