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Maestro Sinopoli: Archäologe und Sammler antiker Kunst
Daß der weltberühmte Dirigent und Komponist Giuseppe Sinopoli auch Archäologe
und Sammler antiker Kunst war, wussten bis kurz vor seinem viel zu frühen Tod
am 21. April 2001 nur wenige Menschen, obwohl seine Sammlung bereits 1995 in
einem italienischen Katalog vorbildlich publiziert worden war. Erst 1998
jedoch wurde die Sammlung Sinopoli zum ersten Mal in der Kieler
Antikensammlung öffentlich gezeigt, im Jahre 2000 ein zweites Mal in Bonn
anlässlich des Bonner Beethovenfestes.
Neben assyrischen und ägyptischen Sammlungsstücken galt das Interesse von
Giuseppe Sinopoli im Besonderen der Kunst der Griechen. Auf diesem Gebiet
hatte er eine Sammlung aufgebaut, die an Vielseitigkeit, Systematik und in
ihrer historischen Ausrichtung andere Privatsammlungen weit in den Schatten
stellt.
Man würde vielleicht erwarten, daß die Sammlungsstücke eine Verbindung zur
Musik erkennen lassen müßten, aber nur auf einer einzigen
attisch-rotfigurigen Vase (Ar. 79) klingt das Thema Musik durch diese
Darstellung eines Kitharaspielers an - ein Meisterwerk der klassischen Zeit
aus Athen.
Die anderen Werke der Sammlung haben nichts mit der beruflichen Tätigkeit
ihres Besitzers zu tun, sie könnten ebenso gut von einem Archäologen für ein
Museum ausgewählt worden sein. Genau diese Qualifikation hatte sich Sinopoli
neben seinen anderen Fähigkeiten ja auch in seinen letzten Lebensjahren
erworben. Kurz vor seinem Tode hat Sinopoli im Jahre 2000 das Studium der
Archäologie und Orientalistik bei Paolo Matthiae in Rom abgeschlossen, ist
aber wenige Tage vor dem Rigorosum, das ihm den zweiten Doktorhut eingetragen
hätte, gestorben. So ist es der Blick und die Kenntnis des Fachmannes, die
diese Sammlung zusammentragen half.
Die Sammlung griechischer und italischer Kunstwerke von Giuseppe Sinopoli
umfasst mit ihren Objekten, von denen etwa 130 publiziert sind, eine
Zeitspanne von ca. 3000 Jahren. Es sind vertreten als früheste Werke Objekte der prähistorischen
Kykladenkultur des 3. Jahrtausend v. Chr. und Werke der minoisch-mykenischen
Kultur aus der Bronzezeit. Als frühestes griechisches Gefäß ist eine Pyxis aus der geometrischen Epoche
des 8. Jhs. v. Chr. mit einem Deckel hervorzuheben, dessen Griff in Gestalt
von Pferden geformt ist (siehe Bild). |  |
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Die Sammlung umspannt auch einen weiten geographischen Bereich, der sich von
den Kunstzentren Kretas, Zyperns und Kleinasiens bis nach Athen, Korinth,
Sparta und Unteritalien erstreckt. Es ist ein ungeheuer weites Spektrum,
welches die Sammlung Sinopoli aufweist.
Alle Epochen, alle wichtigen Werkstätten und typischen Gefäßformen sind
vertreten.
Der Schwerpunkt der Sammlung liegt sicher auf der Bildwelt der Griechen des
6. und 5. Jhs. v. Chr. und auf den griechischen "Vasen" (siehe nebenstehendes Bilkd). Das Wort
"Vase" ist dem Italienischen entlehnt; in der Archäologensprache ist damit
die Feinkeramik im Gegensatz zur groben Gebrauchskeramik gemeint. Die
Feinkeramik besteht aus fein gereinigtem, geschlämmten Ton, ist kunstvoll auf
der Töpferscheibe gedreht, die Oberfläche ist veredelt und teilweise mit
schwarzem Glanzton bedeckt, so daß figürliche Darstellungen und Ornamente
entstehen. Schließlich sind diese Tongefäße mit ihrer Bemalung in einem
Brennofen bei fast 1000° haltbar gemacht. Diese bemalten Vasen hatten ihre
Funktion in einem Bereich jenseits des Alltags. Sie wurden den Göttern
geweiht, in den Gräbern den Toten beigegeben, vor allem aber gehörte diese
"Luxuskeramik" zur geselligen Form des antiken Weintrinkens, dem Symposion. |
Die meisten der in der Sammlung vertretenen Vasen sind Geräte für den
Weintrinker und Geschirr für das antike Symposion.
Dazu gehören eine korinthische Kanne mit zweizonigem Tierfries (625-600 v.
Chr.) (Bild 3) oder eine Trinkschale wie diese Sianaschale von 550-540 v.
Chr. (Bild 4). |
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Bild 3 | | Bild 4 |
Bemerkenswert viele, sehr große Kratere, Mischkessel, um Wein und Wasser zu
vermischen, sind in der Sammlung Sinopoli, wie man sie sonst nur in den
großen Museen wie London oder Paris findet (Bild 5), darunter zwei attische
Beispiele des 5. Jh. V. Chr., der eine Krater mit der Darstellung des
Odysseus, der sich unter dem Bauch eines Widders verbirgt, um aus der Höhle
des Polyphem fliehen zu können (Bild 6). |
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Bild 5 | | Bild 6 |
(Bild 7) Amphoren und Lagergefäße auch für Wein, die mit ihren figurenreichen
Darstellungen Gesprächsstoff beim Gelage oder Ausgangspunkt von literarischen
Rezitationen boten, gehören ebenfalls dazu. |  |
Bild 7 |
Ein Teil dieser Gefäße verweist mit seinen Bildern von Gelagen und Tänzern
auf diese antike Trinkkultur, z. B. der trunkene Zecher auf einer
rotfigurigen Amphora (Bild 8) oder die Darspellung aines Gehages auf dem
schwarzfigurigen Krater (Bild 9).
(Bild 10) Ein Korinthischer Krater gehört ebenfalls zu diesem
Darstellungskreis. Im Fries zeigt er jene possenartig kostümierten Tänzer im
Komós, dem antiken Fest des Weines und des Rausches, die im Archäologenjargon
"Dickbauchtänzer" genannt werden, obwohl das unter dem Kostüm dick
ausgepolsterte Gesäß das eigentliche Merkmal dieser Posse darstellt. |
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Bild 8 | Bild 9 | Bild 10 |
Andere Bilder erzählen zum Genuß des Betrachters von Göttern, Helden, vom
Menschenleben, Krieg, Muße oder Sport. Abgebildet ist auf dieser
schwarzfigurigen Amphora uf der einen Seite Herakles im Kampf mit dem
nemeischen Löwen, auf der Rückseite Athena, die einen Giganten bekämpft (Bild
11).
Die meisten dieser Gefäße sind in Athen hergestellt worden, das bedeutendste
Fabrikationszentrum schwarzfiguriger und rotfiguriger Vasen des 6. und 5.
Jhs. v. Chr., der archaischen und klassischen Zeit. An keinem anderen Ort
wurden jemals vergleichbare Tongefäße mit diesem Glanz der Oberfläche und
dieser leuchtenden Kraft der roten Tonfarbe hergestellt.
In seinen letzten Lebensjahren hat der Maestro seiner Sammlung noch ein
besonderes Meisterwerk hinzufügen können. Ein Werk, das mit dem Oeuvre des
Vasenmalers Exekias verbunden werden kann, des bedeutendsten Künstler des 6.
Jh. v. Chr. (Bild 12). Es handelt sich um eine bauchige Halshenkelamphora der
Zeit um 540-530 v. Chr. mit der Darstellung der Athena im Kampf mit einem
Giganten auf der rechten Seite im Bild, und dem Kampf des Theseus mit dem
Minotauros links im Bild. |  |
Bild 11 |
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Bild 12 |
Mit größter Meisterschaft haben in der Zeit vom 6. bis zum 4. Jh. v. Chr. die
Töpfer Griechenlands und Unteritaliens diese Bilder geschaffen, die uns von
der komplexen Realität menschlichen Daseins in der Antike zwischen Kult,
Mythos und Leben erzählen.
Die Sammlung Sinopoli lud in der Ausstellung ein, durch das griechische
Bilderreich dieser Zeit zu schreiten, die fremde Welt der griechischen Kultur
an uns vorbeiziehen zu lassen, und uns mit dieser Welt vertraut zu machen.
Der Sammler Giuseppe Sinopoli hat diese Werke und ihre Bilder
zusammengestellt, um die Botschaft weiterzugeben, welche die Künstler der
Antike auf diesen Gefäßen den damaligen Benutzern vermittelten und die von
dem schöpferischen Genie der Griechen genauso berichten wie die Werke der
Dichter, ihre Dramatiker, Redner und ihre Philosophen.
Giuseppe Sinopoli hat nach einer Darstellung auf dieser lakonischen Schale
seiner Sammlung den Namen "Aristaios" gegeben (Bild 13). Der langgewandete,
bärtige Mann mit dem gebogenen Stab in der Hand, der links im Bild der Göttin
Artemis gegenübersteht, könnte Aristaios darstellen, eine ungewöhnlich
schillernde mythologische Gestalt, der unter anderem die Musen in der
Heilkunst und Weissagung unterrichtete. Er war mit seherischen Fähigkeiten
ausgestattet und galt als der Erfinder der Kultivierung des Olivenbaum und
der Bienenzucht. Es ist bezeichnend, daß der Maestro als selbst mit so vielen
Fähigkeiten ausgezeichneter Mensch diesen vielseitigen Sohn des Apollon als
seine Leitfigur gewählt hat.
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Bild 13 |
War es ein Zufall der Geschichte oder schicksalhafte Fügung, daß die Sammlung
von Giuseppe Sinopoli an zwei Universitätsmuseen ausgestellt wurde, die der
Archäologe Otto Jahn in der Mitte des 19. Jh. begründet bzw. geleitet hatte?
Der Hochschullehrer Otto Jahn führta als erster archäologische Seminare in
Deutschland durch, als Archäologe hat er die Erforschung der griechischen
Vasenmalerei und Ikonographie befördert. Viel bekannter ist aber der
Musikhistoriker Otto Jahn durch seine bahnbrechende Mozart-Biographie, die
heute noch als grundlegende Arbeit Gültigkeit besitzt, durch die von ihm
beförderte Wiederentdeckung von Johann Sebastian Bach und durch seine
textkritische Ausgabe von Beethovens Leonore, mit der er Maßstäbe in der
modernen Editionstechnik gesetzt hat.
Otto Jahn und Giuseppe Sinopoli, der sich diesen Vergleich gern gefallen
ließ, verkörperten ein ähnliches Spektrum von Interessen und Begabungen. In
der Person beider verwirklichte sich Goethes Forderung wahrlich, "daß allem
und jedem Kunstsinn der Sinn für die Musik beigestellt sein müsse".
Joachim Raeder
Antikensammlung - Kunsthalle zu Kiel
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