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GIAN
FRANCESCO MALIPIERO
* 18. März 1882
† 29. November 1957
Gian
Francesco Malipiero, geboren am 18. März 1882 in Venedig als Nachfahre
eines alten Adelsgeschlechts. Im geistigen Erbgut der Lagunenstadt
- sei es historischer oder mythischer Art - fand er eine Quelle
schöpferischer Inspiration, die bis zu seinem Tode nicht versiegte.
Seine Jugend war unruhig. Nach der Trennung seiner Eltern (1893)
folgte er dem Vater, einem Pianisten und Dirigenten, nach Triest,
Berlin und Wien, wo er 1898-99 am Konservatorium Unterricht erhielt.
Am Liceo musicale von Venedig setzte er das Studium fort und schloß
es 1904 in Bologna (wohin er seinem Lehrer Marco Enrico Bossi
gefolgt war) mit einem Kompositionsdiplom ab. Prägender noch als
die akademische Ausbildung waren informelle Begegnungen: die Entdeckung
der alten Musik in Venedigs Biblioteca Marciana, die Zusammenkünfte
mit dem Komponisten Antonio Smareglia oder die Auseinandersetzung
mit dem Schaffen Debussys. Als er 1913 in Paris weilte, versetzte
ihm die Kontaktaufnahme mit musikalisch-kulturellen Gegenwartsströmungen
einen inneren Stoß (ein Schlüsselerlebnis war die UA von Stravinskijs
"Sacre"); hier lernte er Alfrede Casella kennen, dem er fortan
bei den Bemühungen um die Verbreitung neuer Musik verbunden war.
Wichtige Institutionen, deren sie sich in diesem Sinne bedienten,
waren die Società Italiana di Musica Moderna, ab 1923 auch die
Corporazione delle Nuove Musiche. Auf der Flucht vor der heranrückenden
Kriegsfront zog Malipiero 1917 nach Rom und blieb dort bis 1921,
als er einen Ruf als Kompositionslehrer nach Parma erhielt. Diese
Lehrstelle gab er bald wieder auf und widmete sich neben seiner
umfangreichen Kompositionstätigkeit der Herausgabe von Monteverdis
Gesamtwerk (später beteiligte er sich auch an der Vivaldi-Edition).
1922 ließ er sich in Asolo nieder, einem pittoresken Städtchen
im Veneto, das ihm bis zu seinem Tod als Refugium diente. Dieser
abgelegene Ort symbolisierte, trotz Annäherungsversuchen im Faschismus,
Malipieros gesellschaftliche Stellung und entsprach seiner skeptizistischen
Geistesverfassung.
Seit
1932 war er Kompositionsprofessor am Liceo musicale Venedigs (1940
in Conservatorio umbenannt), von 1939 bis zu seiner Pensionierung
1952 leitete er dieses Institut. Seine kreative Energie war zu
dieser Zeit jedoch noch lange nicht erschöpft. Die 50er-Jahre
stellten eine Phase der Erneuerung dar, die bis zu seinem Tod
am 1.August 1973 in Treviso wertvolle Früchte gezeitigt hat, besonders
deutlich im "gesamtkünstlerischen" Integral des musiktheatralischen
Spätwerks von den Metamorfosi di Bonaventura (1963/65)
bis zu Uno dei Dieci (1970). - Seine Libretti weisen Malipiero
als homme de lettres aus. Mit den Textmontagen und -transformationen,
die mehreren musikdramatischen Werken seit Sette Canzoni
(1918/19) zugrundeliegen, aber auch mit eigenen Texten, schuf
er, als Fundament eines neuen Musiktheaters, eine neue librettistische
Form. Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Aufsätze und Bücher,
die dort, wo sie sich vom musikalischen Gegenstand lösen und den
Phantasien und inneren Bildern des Autors Raum geben, einen (von
Massimo Bontempelli schon 1942 dokumentierten) literarischen Eigenwert
beanspruchen.
Aus: "Komponisten
der Gegenwart", ein Loseblatt-Lexikon, herausgegeben
von Hanns-Werner Heister und Walter-Wolfgang Sparrer im Verlag
edition text und kritik, München.
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