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Ein Liebestraum: Mephistopheles (Egils Silins) zieht die erotischen Fäden.Foto Suzanne Schwiertz


Wie Bilder aus dem Andachtsbüchlein des Jugendstils

Von Sigfried Schibli



«La Damnation de Faust» von Hector Berlioz am Zürcher Opernhaus

Sie enthalte wunderschöne Musik, sei aber keine richtige Oper - mit diesem Dilemma muss «La Damnation de Faust» von Hector Berlioz seit über 150 Jahren leben. Woran auch die jüngste Produktion am Opernhaus Zürich nichts ändern wird, denn die Inszenierung von Erwin Piplits mit Philippe Augin am Pult des Opernhaus-Orchesters hebt gerade die undramatischen oratorienhaften Züge des Werks hervor.

Das Werk beginnt auf der Zürcher Bühne wie eine jener legendären Wagner-Inszenierungen von Adolphe Appia aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Hinter durchsichtigem Gazevorhang eine Treppe und ein von zwei Halbkreisen strukturierter Himmel, die ganze Bühne einnehmend, alles in kräftiges Orange getaucht. Faust beginnt seinen lyrischen Frühlings-Monolog, der vom Orchester unter Philippe Augins Leitung breit, präzis und ohne Zeitdruck ausmusiziert wird. Zoran Todorovich singt die Tenorpartie mit kräftigen Farben, weitgehend intonationsgenau und eines sehr zarten Pianos fähig. Kein französischer «Haute-contre», eher ein lyrischer Tenor mit starkem Fundament, dem man auch das Heldentenor-Fach zutraut.
Hinter Faust wird der Chor sichtbar, er fährt (etwas zu geräuschvoll) nach vorne und singt sein lustig-blödes «Lalalala». Die Bauern sind hier dunkel gekleidete Bürger mit Anzügen und Hüten; Faust ist von Kostümbildnerin Ulrike Kaufmann eher konventionell als sozial ortloser Künstler gezeichnet.

Abziehbilder

Zum Ungarischen Marsch - Berlioz schildert im Unterschied zu Goethe Fausts Wanderung durch Norddeutschland und Ungarn - ziehen Massen von Demonstranten mit roten und schwarzen Flaggen vorüber; Faust, der unpolitische Intellektuelle, steht verständnislos abseits. Er mischt seinen Giftbecher, stellt ihn wie ein Priester auf den Altar und schickt sich an, sich in einer liturgischen Zeremonie umzubringen, als der Osterhymnus des Volkes ihn erschreckt, das Glas zum Bersten und Faust zur Umkehr bringt.
Hinter dem Chor wird eine riesige Bretterscheune sichtbar, die für die Szene in Auerbachs Keller gedreht wird und den ihre «Amen»-Fuge grölenden Leipziger Studenten Platz bietet. Inzwischen hat Mephistopheles die Szene als «Diabolus ex machina» durch einen unscheinbaren Vorhang betreten. Er wird in Faust die Begierde nach der Frau wecken und ihn zur Tochter Margarete führen, die von Liliana Nikiteanu - ein starkes Rollendebüt - ausgeprägt jugendlich und verspielt gezeichnet wird. Wobei Berlioz sich die subtile Anspielung erlaubte, Margarete mit einem aufsteigenden Tritonus als Leitmotiv-Zelle auszustatten - mit dem Intervall also, das man als «Diabolus in musica» bezeichnet hat: Margarete als Geschöpf des Teufels. Am Ende wird sie als reine christlich-nazarenische Jungfrau oder Botticelli-Figur zu den seraphischen Kinderchor-Klängen von Berlioz in den wiederum orangen Himmel aufsteigen. Ein Bild wie aus einem Andachtsbüchlein der Jahrhundertwende.
Auch Mephisto - der vom Theater Basel bekannte lettische Bassbariton Egils Silins mit kerniger Substanz - ist als aalglattes rankes Teufelchen nachgerade clichéhaft gezeichnet. Um die Vereinigung Fausts mit Gretchen zu verhindern, wirft er sich rücksichtslos zwischen die Liebenden. Konventionell sind auch die Bilder zum Purgatorium mit einem stolzen Mephistopheles als Meister der zuckenden und hüpfenden Höllengeister-Masse. Faust überquert als Blinder die düstere Bühne. Dann das Schlussbild mit Margaretes Verklärung vor dem Bild einer gütig segnenden Urmutter auf dem Prospekt.

Partituranalyse

Piplits hat Berlioz' «Légende dramatique» in einer spätchristlichen Welt des theosophisch angehauchten Jugendstils angesiedelt und damit die Kitsch-Komponente gegenüber jedem Realismus kräftig akzentuiert. Dafür musste er Proteste eines Teils des Premierenpublikums hinnehmen. Keine Probleme hatte dieses mit dem Dirigat des Nürnberger Generalmusikdirektors Philippe Augin. Augin pflegte mit dem Orchester und dem von Jürg Hämmerli exzellent einstudierten, durch den Schweizer Kammerchor von Fritz Näf verstärkten Opernchor - welche Präsenz, welche Transparenz der Stimmen! - eine sorgfältige Lesart Berlioz', die sich nicht mit einem virtuosen Ungefähr zufrieden gab, sondern die lyrischen Passagen einlässlich darstellte und die herrlichen Charakterstücke der Partitur (Sylphentanz, Tanz der Irrlichter) mit leuchtenden Farben ausstattete.
Apropos Tanz: Für die Ballettszenen engagierte man einen Bewegungschor, der ein wenig an Inszenierungen von Ruth Berghaus, etwa ihren Zürcher «Freischütz», erinnerte. Zumindest darin hat die auf traditionellen Pfaden wandelnde Zürcher Produktion doch auch einen Fuss in der Tür des so genannten Regietheaters.