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Philippe Auguin

MAGAZIN OPERNHAUS ZÜRICH

[© Magazin Opernhaus Zürich. Testo pubblicato
con il consenso scritto della direzione della Dramaturgie]

 

 

 

Der französische Dirigent Philippe Auguin, der die musikalische Leitung dieser Produktion kurzfristig von Christoph von Dohnänyi übernommen hat, war als Konzert- und Operndirigent in Städten wie Mailand, London, München, Paris, Wien und Hamburg, bei den Salzburger Festspielen und im Rahmen des «Olympischen Festivals» in Sydney zu Gast. Er war Erster Dirigent des Staatstheaters Stuttgart sowie GMD in Braunschweig und ist gegenwärtig GMD der Stadt Nürnberg. «La Damnation de Faust» leitete er bisher an der Mailänder Scala, dann in der Royal Albert Hall - wo sich infolge des grandiosen Raumes in der Apotheose ganz unerwartet eine Mahlersche Transzendenz einstellte, die unvergesslich bleibt -, und schliesslich mit dem hervorragenden Orchestre National de Lyon beim Beethovenfest Bonn.
Philippe Auguin hält dieses Werk für eines der modernsten und gelungensten von Berlioz, weil er dafür eine neue Form schuf, die seinem Komponieren ein ideales Gefäss bot. Berlioz schrieb ja selber oft von seiner Mühe mit den Übergängen, dem Schönbergschen «fest» und «locker»: also der Vorbereitung von neuen musikalischen Gedanken, indem einige Parameter des vorhergehenden gleich bleiben und mittels neutraler Elemente (Tonleitern, Läufe etc.) Platz für den nächsten geschaffen wird. Mit dem Bratschensolo in «Harold en italie» oder der «idée fixe», der immer wiederkehrenden Melodie, die den einzelnen Sätzen der «Symphonie fantastique» ihren verbindenden Charakter gibt, gelang das Berlioz zwar auf originelle Weise.
An «La Damnation de Faust» war aber ideal, dass das Werk auch inhaltlich grundlegend von den schroffen Brüchen und schlagartigen Atmosphären- und Szenen - wechseln charakterisiert wird, die Berlioz' Kompositionsweise entgegenkamen. Innerhalb weniger Takte musste er neue Stimmungen schaffen, gleichzeitig hob er oft die reale Erzählzeit auf oder liess - ein Kunstgriff der Moderne - die Zeiten überblenden (z.B. in Fausts Arioso «Adieu donc, belle nuit... Te reverrai-je encore... », wo das erhoffte Morgen schon da zu sein scheint). Meisterhaft gelang Berlioz in seiner «légende dramatique» überdies das Verhältnis zwischen Spannung und Entspannung, während er in seinen Opern immer wieder um die richtigen Proportionen rang.
Von den zahlreichen, schlichtweg genialen Momenten nennt Philippe Auguin: die Zerrissenheit der Taktgliederung und die verfremdete Instrumentation in der Musik um die Figur des Mephisto, den Seufzer Marguerites, mit dem die «Ballade vom König in Thule» verklingt; dann ihre sich trotz immer wiederkehrender Liebe steigernde Verzweiflung in «D'amour l'ardentef flamme» und schliesslich die mit spärlichsten musikalischen Mitteln erzeugte Hochspannung, die entsteht, als Méphistophélès Fausts Sinnen über die Natur stört und ihm mit sachlicher Rede, nur von drängenden Hornfanfaren unterbrochen, Marguerite in Erinnerung ruft und damit in arge Seelennot bringt. Zum Unglaublichsten, was Berlioz komponiert hat, gehören die drei letzten Szenen: Die Beschwörung der Natur in Fausts Monolog «Nature immense» - zur Zeit der Uraufführung für das Orchester nur mit grosser Mühe realisierbar -, die Höllenfahrt und die Apotheose.
Im rasenden Ritt in den Abgrund, vorbei an unheimlichen, wilden Szenerien, hört Faust im Herzen Marguerites verzweifelte Stimme («Dans mon cœur retentit sa voix désespérée... »): eine qualvolle Oboenmelodie, die nicht, wie damals üblich, Gefühle einer auftretenden oder auf der Bühne real präsenten Figur schildert, die auch nicht konkret Marguerite suggeriert, sondern vielmehr Fausts Vorstellung dessen, was sie, seiner Meinung nach, in diesem Augenblick durchmacht. Damit zeichnet Berlioz eine psychologische Ebene, die in musikdramatischen Werken jener Zeit wohl einmalig ist. Dann, ein abrupter Wechsel in eine ganz andere Art von Musik, in nach der Bewegtheit fast stillstehende, übereinandergelagerte Schichten, mit kaum sich verändernder Farbe, Tonhöhe, Instrumentierung. Ein Moment, wo die Reisen, die Brüche enden, als hätte dahinter immer diese ätherische Musik gewartet, wie das Licht nach dem Tode, das immer schon da war, etwas, das mit Musik und Realität nichts mehr zu tun hat, eine Vorausahnung auf des Sprechers in Schönbergs «Gurreliedern» verklärtes «Ach, war das licht und hell»...