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DON CARLO

MAGAZIN OPERNHAUS ZÜRICH

[© Magazin Opernhaus Zürich. Testo pubblicato
con il consenso scritto della direzione della Dramaturgie]

 

Als Verdisfranzösischer Verleger Léon Escudier dem Komponisten im Sommer 1865 den Vorschlag machte, ein Auftragswerk für die Pariser Grand Opéra zu schreiben, reagierte Verdi empört: «Lieber Léon, Sie scherzen wohl? Ich für die Opéra komponieren!!! Nach allem, was ich bei den Proben zur 'Sizilianischen Vesper' erleben musste ...». Zu belastend waren die Erfahrungen gewesen, die er mit den französischen Umarbeitungen der «Lombardi» («Jerusalem», 1847) und von «Macbeth» (1865) und mit der Neukomposition «Les vêpres Siciliennes» (1855) an der «grande boutique», wie er die Opera halb scherzhaft, halb spöttisch zu nennen pflegte, gemacht hatte. Doch dann schienen ihm die hervorragenden künstlerischen und finanziellen Voraussetzungen, die die Musikmetropole Paris bieten konnte, offensichtlich doch attraktiv genug, um seine Meinung zu ändern. Von den ihm von der Direktion der Opera angebotenen Stoffen - zur Diskussion standen u.a. auch ein Kleopatraund ein König Lear-Projekt - entschied er sich für «Don Carlos» nach Schillers gleichnamigern, 1787 entstandenem Drama. Es war nach «Giovanna d'Arco», «I Masnadieri» und «Luisa Miller» seine vierte Vertonung eines Werks des deutschen Klassikers.
Von der Auftraggeberin gewünscht war eine «Grosse Oper» im Stile Meyerbeers mit aufwendigen Chorbildern, politischen und privaten Intrigen und grosser szenischer Prachtentfaltung, in der selbstverständlich auch die in Paris obligate Balletteinlage nicht fehlen durfte. Verdis Schaffen war seit dem Beginn der 1860er Jahre von französischen Einflüssen bestimmt. An Meyerbeer faszinierten ihn vor allem dessen Konzeption der Massenszenen. Undsowünschteersich dennfürseinen «Don Carlos» (so die französische Titelversion) von den Librettisten Joseph Méry und Camilie Du Locle ein grosses Tableau als «coup de theätre» und dramatisches Zentrum seiner Oper, ähnlich der sogenannten «Domszene» in Meyerbeers «Le Prophète». Er bekam es mit dem Autodafe-Bild, das zum Glanzpunkt der ansonsten nicht sehr gnädig aufgenommenen Pariser Uraufführung wurde, und in dem ein perverser Akt kirchlicher Schaulust, nämlich die Vorbereitung zur Ketzerverbrennung, durch einen Eklat von zugleich politischer und privater Dimension unterbrochen wird: Der Infant Carlos macht sich zum Wortführer der Gesandten des von König Philipp unterdrückten Flandern, zieht das Schwert gegen den Vater und wird von seinem Freund Rodrigo, Marquis von Posa, entwaffnet, der mit dieser Aktion eine noch grössere Katastrophe zu verhindern sucht.
Ausser dieser pompösen Schauszene ist «Don Carlo» vor allem ein Seelendrama der einsamen Gestalten, die ihre Gefühle in Zwiegesprächen (= Duetten) offenbaren - es finden sich in dieser Oper gerade nur ein Terzett und ein Quartett. Wie in vielen Bühnenwerken Verdis steht auch im «Don Carlo» eine tragische Vaterfigur im Zentrum: Der spanische König Philipp II., der aus staatspolitischen Gründen seinem Sohn Carlos die Verlobte Elisabeth von Valois weggeheiratet hat, sich der kirchenpolitischen Macht beugen muss und Carlos und Posa der Inquisition opfert. Ähnlich wie bei der Figur des alten Dogen in «I due Foscari» (1844) thematisiert auch «Don Carlo» den Zwiespalt zwischen Vater und Herrscher. «Don Carlo» ist eine Oper der grossen Gegensätze: Liebe, Freundschaft, Treue und Mitgefühl stehen Hass, Eifersucht, Intrige, Verrat, kirchliche und weltliche Tyrannei gegenüber, Konstellationen, aus denen zahlreiche Konflikte entstehen, die Verdi in seine Musik einbindet. Die düstere Grundstimmung der Handlung, die «clair-obscur»-Atmosphäre beeinflussen auch Verdis musikalische Sprache, in der dunkle Orchesterfarben über wiegen, sich schroffe Direktheit offenbart, aber auch immer wieder lichte Akzente zu finden sind, etwa in der Stimme vom Himmel, die die zum Scheiterhaufen der Inquisition Verurteilten mit seligen Verheissungen tröstet, oder im Abschiedsduett Carlo-Elisabeth in der Vision eines gemeinsamen Lebens im Paradies.
Verdi, der seine Librettisten immer wieder dazu anhielt, sich möglichst eng an Schillers Dramenvorlage zu halten und auch die idealisierend verfälschende Darstellung der historischen Persönlichkeiten nahtlos von Schiller übernahm, hat im Vergleich mit der Textquelle die Akzente dennoch etwas anders gewichtet: Die von Schiller verklärte Historie tritt zurück hinter dem Drama der privaten Konflikte. Doch hat Verdi den historisch-politischen Aspekt keineswegs als «quantité negligeable» betrachtet, was sein Insistieren auf Einfügung der Dialoge Phiiipp-Posa und Philipp-Grossinquisitor beweist, deren spröde Gedanklichkeit ihn musikalisch offensichtlich besonders inspiriert zu haben scheint.
Zwanzig Jahre lang hat sich Verdi mit seinem «Don Carlo» beschäftigt. Nach der eher glücklosen Uraufführung am 11. März 1867, in deren Vorfeld der Komponist wie schon bei seinen vorangehenden Produktionen für die Grand Opera erneut gegen verschiedenste Schwierigkeiten und Restriktionen anzukämpfen hatte und ausserdem sehr unter den kriegspolitischen Wirren litt, in die seine italienische Heimat verwickelt war, erarbeitete er nach italienischsprachigen Aufführungen in London und Bologna für Neapel eine neue italienische Fassung, die 1872 unter dem nun italienisierten Titel «Don Carlo» herauskam. Zwischen 1882 und 1883 unterzog Verdi dann sein Werk noch grundlegenderen Änderungen. Er entschloss sich, die Oper, bei der er schon nach der Generalprobe an der Grand Opéra erhebliche Kürzungen hatte vornehmen müssen - die Dauer einer Vorstellung war in Paris strikte festgelegt - noch einmal radikal zu straffen und die ursprünglich 5-aktige Version unter Weglassung des Fontainebleau-Aktes in eine 4-aktige umzuwandeln, bei der er auch musikalische und dramaturgisch-textliche Korrekturen vornahm (Uraufführung 10. Jenuar 1884, Mailänder Scala). Die letzte der insgesamt sieben «Don Carlo(s)»-Fassungen entstand 1886 für Modena unter Wiedereinbeziehung des Fontainebleau-Aktes, aber ohne die für Paris komponierte Balletteinlage.
Verdi hat mit «Don Carlo» ein hochexpressives Tondrama mit vielschichtigen Figuren und glühenden Farben geschaffen und dabei auch riskiert, gegen gängige Opernkonventionen afizulaufen. Kaum eine andere seiner Opern ist stilistisch so disparat gestaltet, kaum eine andere aber auch so reich und vielfältig.