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Peter Hagmann

 Aus der Vorzeit
Wagners «Rheingold»
mit Robert Wilson in Zürich

NZZ

10. Oktober 2000

 

Alles strebt nach dem «Ring», auch das Opernhaus Zürich. Indes, die Trauben hängen höherdenn je - das war diesen Sommer bei den Bayreuther Festspielen zu erleben, deren neue Produktion von Richard Wagners Tetralogie bereits inder Schublade des Vergessens ruht. Das ausserordentlich verwickelte Werk ist nicht nur mit einerausserordentlich verwickelten Rezeptionsgeschichte versehen (vgl. NZZ 2. 8. 00), es hat in derjüngsten Vergangenheit, was seine Auslegung betrifft, auch noch einmal einen kräftigen Schub erhalten. Die von der Staatsoper Stuttgart in den Jahren 1999 und 2000 erarbeitete Produktion hat mit dem denkbar grössten Erfolg versucht, die Geschlossenheit der Tetralogie aufzubrechen und auf die spezifischen Energien hinzuweisen, die in jedem der vier Teile herrschen. Mit Lothar Zagrosek war dort ein Dirigent beteiligt, der auf Kraftentfaltung und strukturelle Deutlichkeit zugleich zielte, mit von der Partie waren aber vor allem vier verschiedene Inszenierungsteams und vier unterschiedliche Besetzungen, die ihre Arbeit aus ganz eigenen Ansätzen heraus angingen.
An diesem Meilenstein muss sich das Opernhaus Zürich messen, wenn es in dieser und dernächsten Spielzeit - gut zehn Jahre nach der letzten Produktion der Tetralogie - den «Ring des Nibelungen» herausbringt. Kann es sich auch messen, denn für die Inszenierung und das Bühnenbild ist kein Geringerer als Robert Wilson engagiert. Und gleichzeitig lässt sich jetzt, da mit dem «Rheingold» der Vorabend über die Bühne gegangen und mit ebenso viel Beifall wie Ablehnung aufgenommen worden ist, auch schon feststellen, dass die in Stuttgart erzielte Intensität der Auseinandersetzung wohl kaum erreicht werden wird. Wilsons Arbeiten sind in hohem Mass von einer Handschrift geprägt, die seit Jahren gleich geblieben ist und sich wie eine zweite Haut über die Stücke legt. Auch im Zürcher «Rheingold» gibt es szenische Bilder von berückender Schönheit, bewegte Installationen von hoher Eindrücklichkeit - nur: Inszenierung im Sinne von Interpretation ereignet sich hier nicht. Wilson will das auch gar nicht. Er vertritt letztlich auch jene Idee des Bildertheaters, die sich dem Regietheater, wie es sich im Stuttgarter «Ring» noch einmal glänzend gezeigt hat, mit Macht entgegenstellt. Sein Zugang ist ein formaler, sozusagen abstrakter; die Deutung soll nicht auf der Bühne zu sehen sein, sie soll sich vielmehr in den Köpfen der Zuschauer ergeben.
Das könnte als Minus erscheinen, erweist sich hier jedoch in der erstaunlichsten Weise als Vorteil. Nichts an dem Hintergrund, den das szenische Geschehen bildet, stellt sich der musikalischen Ausformung entgegen - und die ist nunallerdings von bemerkenswertem Profil. Der Dirigent Franz Welser-Möst , der hiermit seinen ersten «Ring» in Angriff nimmt, setzt ganz und gar auf den Kammerton. Er vertritt damit gerade das Gegenteil dessen, was Lothar Zagrosek in Stuttgart beabsichtigte, verfolgt eher eine Linie, dieBernard Haitink bei dem rasch wieder verschwundenen «Ring» an der Königlichen Oper von Covent Garden in London (und zuvor in der von ihm geleiteten Gesamteinspielung für EMI) entwickelt hat. Über weite Strecken lässt Welser- Möst das Orchester der Oper Zürich, das sich in der besten Verfassung zeigt, sotto voce agieren. Ganz diskret bleiben die grundierenden Farben; um so deutlicher treten dafür die dramatischen Zuspitzungen, aber auch die Lineaturen der Leitmotive heraus. Und vor allem ist in diesem «Rheingold» so viel vom Text zu verstehen wie kaum je. Die Sängerinnen und Sänger - sie bilden ein geschlossenes, hervorragend besetztes Ensemble - sehen sich in keinem Moment dieses riesigen, nämlich zweieinhalb Stunden Spieldauerumfassenden Einakters zu stimmlicher Anstrengung genötigt und verfügen damit über den Raum, der für das aktive Gestalten des Textes vonnöten ist. Dass dabei manches von der narkotisierenden Sogwirkung der Musik verloren geht, kann freilich auch nicht verschwiegen werden.
Aus leiser Tiefe heraus, die erste Quinte vielleicht noch etwas zu kräftig, dann aber in präzise abgemischter innerer Bewegung entfaltet sich das Vorspiel. Wogen von Bühnendampf bedecken den Boden und ergiessen sich in den Orchestergraben. Und dann: die Rheintöchter (ElizabethMagnuson, Giedré Povilaityté und besonders prägnant Irène Friedli). Erst als scharf gezeichneteSchattenrisse, welche die streng nach hinten laufenden Frisuren betonen, dann hell erleuchtet vorblauem Hintergrund. Keine Schwimmbewegungen, kein Kraxeln auf Felsen aus papier mâché; gemessene Schritte und die für Wilson charakteristischen Handbewegungen herrschen vor. Sie genügen auch, wenn Alberich auftritt, der von der Kostümbildnerin Frida Parmeggiani als grober Kerl mit kantigen Elementen an den Armen gezeichnet ist. Rolf Haunstein erfüllt seine Partie mit aller Eindringlichkeit und stellt den Konflikt pointiert heraus - doch die (nicht zuletzt sexuelle) Not, die diesen «Untermenschen» umtreibt, wird nicht fühlbar. Es geht hier ja auch nicht um Menschen, es geht um den Mythos und seine Figuren.
Auch auf den lichten Bergeshöhen, auch bei den Göttern, wo es so sehr menschelt, treten keine Menschen in Erscheinung. Wotan und die Seinen tragen strenge, lange Gewänder und einen Kopfputz, der Assoziationen an den Fernen Osten erweckt. Walhall: eine Art Uhrzeiger aus Chromstahl am Boden. Der Speer mit den verhängnisvollen Runen: ein spitzes Ding, das Wotan mit gespreizten Fingern hält. Die Riesen Fasolt (Andreas Macco) und Fafner (Pavel Daniluk): zwei schwarze Kästen auf Kothurnen. Während Donner (Cheyne Davidson) und Froh (Miroslav Christoff), auch die Freia von Margaret Chalker etwas blass wirken, nimmt die Auseinandersetzung zwischen Fricka (Cornelia Kallisch)und Wotan (Jukka Rasilainen mit sehr geschmeidigem Bass) jenes stärkere Profil an, das Text und Musik vorgeben.
Endlich schlägt die Stunde Loges, den Francisco Araiza mit perfekter Diktion, wenn auch in der Höhe ganz leicht flackernder Stimme gibt. Mit welcher Gewandtheit der blendende, sich aber nie festlegende Intellektuelle den engstirnigen Alberich in die Falle tappen lässt - es ist nachzuvollziehen, weil sich die Verhandlungen in dem von lauter Wotan-Speeren verstellten Nibelheim Wort für Wort verfolgen lassen.
Was «Rheingold» als sein Eigenes bereithält (den opera-buffa- Charakter, die Kraft des Bösewichts, den guten alten Theatereffekt), ist ebensounterspielt, wie das Heldische in der musikalischen Diktion gebremst ist. Alberichs Gewalttätigkeit kommt in den gellenden Schreien vonMime (Volker Vogel), aber nur dort zum Ausdruck. Der Drache, in den sich Alberich mit Hilfe seines Tarnhelms verwandelt, wird als versilberter Regenwurm aus dem Bühnenboden herabgelassen, die Kröte wippt als blechernes Kinderspielzeug aus dem Bühnenboden. Immerhin mag man das als (freilich etwas handzahmen) Einspruch gegen die Konventionen der «Ring»-Inszenierung verstehen. Wie man den Umstand, dass Erda (Ursula Ferri) nicht von selbst erscheint, sondern von Loge ins Spiel gebracht wird, als kleinen Ansatz der Deutung wahrnehmen kann. Im übrigen herrschen strenge Form und kühles understatement. Auf dieses Umfeld reagiert Franz Welser-Möst mit einem musikalischen Temperament, das beim Auftritt der beiden Riesen erstmals seine scharfen Kanten erkennen lässt und das sich gegen das Ende hin mitreissend steigert. Fortsetzung folgt: mit der «Walküre» im Mai 2001.