BENVENUTO CELLINI

von Hector Berlioz

© Magazin Opernhaus Zürich.
Pubblicato con autorizzazione
scritta della Dramaturgie.

Nachdem Hector Berlioz (1803-1869) mit einigen Jugendwerken wie der Symphonie fantastique, Lélio und den Huit scènes de Faust auf sich aufmerksam gemacht hatte, bekam er für seine Komposition La mort de Sardanapale den begehrten Rom-Preis zugesprochen und hielt sich für knapp zwei Jahre als Stipendiat der Villa Medici in der italienischen Metropole auf. Zurück in Paris fasste er im Jahre 1834 den Entschluss zur Komposition seiner ersten Oper. In einem Brief an den Freund Humbert Ferrand beschreibt er sein Projekt: «Ich habe mich als Sujet für eine zweiaktige Oper für Benvenuto Cellini entschieden, dessen kuriose Memoiren Sie sicher gelesen haben. Seine Persönlichkeit wird mir in verschiedener Hinsicht eine hervorragende Textvorlage liefern.» Benvenuto Cellini (1500-1571), ebenso berühmt als Goldschmied und Bildhauer im Dienste von Päpsten und Fürsten wie berüchtigt als unberechenbarer Degenheld und rachsüchtiger Mörder, hatte sein bewegtes Leben in Memoiren festgehalten, die im 18. Jahrhundert als bedeutendes Zeitdokument entdeckt und in verschiedene Sprachen - unter anderem von Goethe ins Deutsche - übersetzt wurden. Die französischen Romantikersuchten sich Inspirationen für ihre Werke mit Vorliebe in Abenteuergeschichten und Künstlerschicksalen des italienischen Mittelalters und der Renaissance, und so erstaunt es nicht, dass Berlioz als eine ihrer Galionsfiguren vom schillernden Charakter eines Benvenuto Cellini fasziniert war, wobei ihm an diesem «bandit de gènie», wie er ihn in seinen eigenen Memoiren zu nennen pflegt, der gesellschaftliche Aussenseiter ebenso zu beeindrucken schien wie der geniale Künstler.
Berlioz beauftragte Léon de Wailly und Auguste Barbier mit der Erstellung einer auf einigen Episoden aus Cellinis Memoiren basierenden Textfassung, an der auch der Dichter Alfred de Vigny als Berater beteiligt war. Während der wirkliche Benvenuto Cellini seinen Perseus in Florenz im Dienste des Herzogs Cosimo de' Medici schuf, lässt Berlioz seine Oper in Rom während der Karnevalstage spielen und macht Papst Klemens VII. zum Auftraggeber der Statue. Einige Personen - so der päpstliche Schatzmeister Balducci, Cellinis Mitarbeiter Bernardino und der Lehrling Ascanio sowie der - Degenheld Pompeo - figurieren auch in Cellinis Vita, die Liebesgeschichte zwischen Cellini und Balduccis Tochter Teresa ist eine Erfindung von Berloz, ebenso die Karnevalsszene mit Teresas Entführung, für die eine Episode aus E.T.A. Hoffmanns Novelle Signor Formica die lnspirationsquelle lieferte.
Franz Liszt war es auch, der schon früh auf die merkwürdigen Parallelen im Leben und Künstlerschicksal von Benvenuto Cellini und Hector Berlioz aufmerksam machte. In einem kurz nach der Première von Berlioz' erster Oper erschienenen Zeitungsartikel zieht er bei der Betrachtung von Cellinis Perseus-Statue in Florenz den Bogen vom alt-griechischen Mythos zu dessen Wiederbelebung durch Cellinis bildhauerisches Werk und Berlioz' Musik und beschreibt das Verbindende zwischen dem Bildhauer und dem Musiker: Beide Künstler mussten in ihrer Jugend ihre Neigungen unterdrücken - Cellini wurde von seinem Vater zum Flötenspiel, Berlioz zum Medizinstudium gezwungen - beide konnten schliesslich ihre eigentliche Begabung durchsetzen und ihr kreatives Feuer bis ins Alter aufrechterhalten. Verwandt waren sich die beiden auch in ihrer Aussenseitersituation als Künstler und in der finanziellen Misere.
Sie wurden von ihren Rivalen als «Neuerer» beschimpft und hatten ständig ums Überleben zu kämpfen Cellini fehlte es oft an dem nötigen Material, um seine Arbeiten zu vollenden, Berlioz an Aufführungsorten für seine Konzerte und Opern. Die Entstehung wichtiger Kunstwerke - Cellinis Statue und Berlioz' Oper - war mit unzähligen Schwierigkeiten und Anfeindungen verbunden. Beide waren schliesslich um ein positives Bild bemüht, das die Nachwelt von ihnen bekommen sollte und schrieben mit der "Vita" und den "Mémoires" ihr Leben auf, Cellini eher aufprotzend und handfest, Berlioz pathetischlarmoyant- gemeinsam war ihnen ein grosses Talent für effektvolle Theatralik.
Hector Berlioz' Oper Benvenuto Cellini ist eines der frühesten Beispiele des Musiktheaters, wo das Metier des Künstlers thematisiert wird. Die Entstehung eines Kunstwerks als zentrales Thema einer Oper wirkte auf das Publikum befremdend, die Presse und Berlioz' Komponistenkollegen waren wegen seiner Tätigkeit als kritischer Musikrezensent ohnehin vorwiegend gegen ihn eingenommen. Berlioz selbst hielt sehr viel von seiner Benvenuto Cellini -Musik, wie er noch Jahre nach der Uraufführung in seinen Memoiren bekennt: «Ich habe soeben meine arme Partitur mit Sorgfalt und kaltblütiger Unparteiligkeit wieder gelesen und kann nicht umhin, eine Fülle von Gedanken, eine stürmische Verve, einen Glanz der musikalischen Färbung darin zu finden, die ich vielleicht nie mehr erreichen werde und die ein grösseres Lob verdient hätten.» Tatsächlich überrascht Berlioz in seiner Oper mit einer brillanten Mischung aus grotesk-komischen und intimen Szenen, einer ungewöhnlichen' Kühnheit und Virtuosität der Orchesterfarben und einem Ausdrucksspektrum, das von innig-lyrischen Momenten über lebhafte Ensemblesätze bis zu gross angelegten, spektakulären Monumentalbildern reicht.
Die Oper Benvenuto Cellini hat bereits vor ihrem ersten Erklingen tiefgreifende Änderungen erfahren und wurde auch nach der - erfolglosen - Uraufführung immer wieder Neubearbeitungen unterzogen. Am Opernhaus Zürich gelangt nun erstmals eine neue Fassung dieses Werkes zur Aufführung: John Eliot Gardiner hat in Zusammenarbeit mit Hugh Macdonald, dem kritischen Herausgeber der Werke Berlioz', und mit Regisseur David Pountney eine Version erarbeitet, welche die ursprünglichen Intentionen mit späteren Varianten verbindet. Die Quellenlage ist kompliziert: Berlioz hatte die Komposition in Angriff genommen, ohne die definitive Zusage der Auftraggeber abzuwarten. Die fertige Partitur musste danach nicht nur die Zensur passieren, auch bei den Probenarbeiten wurden diverse Änderungen und Kürzungen nötig. Nach dem Fiasko der Uraufführung riskierte Liszt 14 Jahre später eine Wiederaufführung in Weimar, für die wiederum beträchtliche Eingriffe - zumeist Kürzungen und Vereinfachungen - vorgenommen wurden.
Der «Zürcher Fassung» liegt die erste, nie aufgeführte Pariser Fassung zugrunde. Sie nimmt Vorschläge der zweiten Pariser sowie der Weimarer Fassung auf und stellt, wo es dramaturgisch logischerscheint, einzelne Szenen um. Die Aufführung von Benvenuto Cellini in dieser Neufassung bedeutet für alle Beteiligten ein Wagnis und kommt durchaus einer Uraufführung gleich, Berlioz war in Frankreich ein Aussenseiter, und seine Musik wird dort bis auf die Symphonie fantastique und Les Nuits d'été noch immer kaum gespielt, in den angelsächsischen Ländern hingegen wurde sein französisches Raffinement einerseits und sein enormes Klangspektrum andererseits sehr geschätzt.
Benvenuto Cellini verlangt ein grosses, reich instrumentiertes Orchester, dessen Klang aber sehr agil, fein und differenziert bleiben muss.
Die musikalische Behandlung von Orchester, Chor und Solisten ist gleichermassen virtuos und in Harmonik und Rhythmik sehr modern. Auch die Textfülle, ein stilbildendes Element der Oper, war zu jener Zeit etwas Unerhörtes und zumal für einen Chor fast nicht zu bewältigen. Enorm artifiziell ist auch die komplexe kontrapunktische Stuktur der Musik. In der ersten Szene beispielsweise bilden Balducci und Teresa im Vordergrund einen Kontrapunkt zum Chor auf der Hinterbühne, und gleichzeitig erklingen Gitarren als Bühnenmusik. Absoluter kontrapunktischer und szenischer Höhepunkt bildet die Karnevalszene im Finale des zweiten Bildes. Hier muss das musikalische Gleichgewicht exakt stimmen. Das alles sind Schwierigkeiten, die wahrschqinlich dazu beigetragen haben, dass sich das Werk auf der Bühne nicht durchsetzen konnte.
Für David Pountney, der für die Regie verantwortlich zeichnet, besteht Benvenuto Cellini aus einer Fülle von brillanten Einfällen und origineller, unglaublich aufregender, verrückter, inspirierter Musik.
Ich wollte das Stück schon lange einmal machen und war sehr begeistert, als es mir hier angeboten wurde. Es steckt viel darin - allein schon diese überbordende Handlung zu erzählen, ist eine grosse Herausforderung. Ich mag den Begriff «Konzept» nicht. Das erste, was mich an einem Werk interessiert, ist immer, die Geschichte zu erzählen.
In unserer Inszenierung ist die Bühne als Theater gestaltet: Cellini, der Goldschmied und Bildhauer, hat eine Autobiographie geschrieben, in der er sein eigenes Leben dramatisieren wollte. Er inszenierte sich selber als Künstler und Helden. Genau dasselbe tat Berlioz. Auch er inszenierte in seinen Memoiren und symphonischen Dichtungen sein Leben sehr theatralisch, wenn auch nicht gar so extravagant und heldisch wie Cellini. Dieser dramatische Rahmen, den die beiden Künstler ihrem Leben gaben, wird im Bühnenbild aufgenommen. Die Kernidee ist das (Künstler-) Leben als theatralisches Spiel, bzw. als Spiel mit dem Theater. Aber was vor allem aus diesem Werk herausleuchtet, ist ein unglaublicher Sinn für Vergnügen, Berlioz hatte als junger Student Italien besucht und diese ausufernde Freude, die Abenteuerlust und romantischen Eskapaden, die er dort erlebt hatte, mit nach Hause genommen.
Das Stück ist wundervoll frei von jeglichem Pomp. Die Vorstellung von der Wichtigkeit des Künstlers ist eine irritierende, überhebliche Erfindung des 19. Jahrhunderts, und es ist bis heute ein schreckliches Erbe daran geknüpft: Künstler haben sich schliesslich so wichtig genommen, dass sich keiner mehr für das Publikum interessierte und mit ihm in Kontakt treten und kommunizieren wollte. Was in diesem Werk hingegen so ermutigend ist, ist seine vollkommen unüberhebliche Leichtigkeit und sein Humor. Es spielt mit der heroischen Vorstellung des Künstlers als Held in einer völlig unbekümmerten, lustvollen Art. Auch die Liebe zwischen Cellini und Teresa ist eine Art von romantischer Verrücktheit - das genaue Gegenteil von Tristan und Isolde - eine Liebe aus reiner «joie de vivre». Berlioz' Musik ist dementsprechend auch weniger atmosphärisch in dem Sinn, dass sie etwa eine Mondnacht-Stimmung evozieren würde. Vielmehr ist es eine «gestische» Musik, d.h., sie begleitet oft Bewegungen und beschreibt z.T. fast karikaturistisch, wie jemand sich bewegt oder geht. Das Werk gibt eine unterhaltende und sehr menschliche Sicht auf die Brillanz und Dummheit eines Künstlers wie Cellini. Er ist Genie und Narr zugleich.
Der Bühnen- und Kostümbildner Richard Hudson, der vor über zehn Jahren am Opernhaus Lucia di Lammermoor ausgestattet hat, kehrt nun für Benvenuto Cellini hierher zurück.
David Pountney wollte von Anfang an, dass die Bühne eine Mischung aus Renaissance und 19. Jahrhundert wird. Sie sollte sowohl etwas von Benvenuto Cellini als auch von Berlioz enthalten. So ist die Idee entstanden, die halbe Bühne als Zuschauerraum eines Theater aus dem 19. Jahrhundert zu gestalten und die andere Seite als Kolosseum in Rom, wo Cellini seine Werkstatt eingerichtet hatte und seine Skulpturen schuf. Diese enge Verschränkung der beiden Bilder wird sicher sehr reizvoll wirken. Ebenso sind die Kostüme in der Grundform Renaissancegewänder, aber von einem leichten Hauch des 19. Jahrhunderts durchzogen. Es ist, als würde Sarah Bernhard oder sonst eine der grossen Schauspielerpersönlichkeiten des vorletzten Jahrhunderts in einem Melodrarna in Renaissance-Ausstattung auftreten. Bühnenbilder und Kostüme à la Renaissance waren im 19. Jahrhundert sehr beliebt und bildeten oft den Hintergrund für übertrieben theatralisches, melodramatisches Schauspiel.
Die Farben für das Bühnenbild zu bestimmen war ziemlich schwierig. Nach unserer Vorstellung sollten die Kostüme wie Edelsteine leuchten und strahlen. Aus diesem Grund entschied ich mich dafür, den Hintergrund des Bühnenbildes eher dunkel zu hallen, so dass die Kostüme sich davon abheben - etwa so, wie in einem Renaissance-Gemälde der düstere Hintergrund die Leuchtkraft der Farben unterstreicht. Ich male jedes einzelne Kostüm, so dass ich schliesslich die ganze Palette vor mir sehen kann und sich die Farben für jede Szene ergeben. Die erste Szene beispielsweise ist monochrom gehalten, nur schwarz und weiss. Im Verlauf der Oper kommen immer mehr Farben dazu, bis zur Kulmination im Karneval, wo die Kostüme des Volkes, der Masken und Tänzer ausgesprochen farbenprächtig sind. Dann geht die Vielfarbigkeit wieder zurück, bis in der Schlussszene nur noch verschiedene Rottöne vorherrschen für das Feuer, den Ofen und den Papst mit seinem Gefolge.
Wenn ich die Sänger, die ich einkleide, nicht kenne, arbeite ich mit Fotos von ihnen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sie aussehen. Sobald ich sie treffe, zeige ich ihnen meine Entwürfe, und wir können noch über ihre Wünsche diskutieren. Es ist immer ein Geben und Nehmen. Ich möchte niemandem etwas aufzwingen, womit er sich nicht wohlfühlt. Die Künstler müssen sich auf der Bühne frei bewegen können und ihre Rolle spielen, und ich möchte ihnen dabei helfen.
Gregory Kunde ist vor drei Jahren in Zürich in einer Serie von «Cenerentola»-Vorstellungen eingesprungen und meint: «it's nice to be back». Seine Domäne sind vor allem die BelcantoOpern von Bellini, Donizetti und Rossini. Wie passt Berlioz da hinein?
Sicher ist Belcanto meine Spezialität, aber man will von Zeit zu Zeit auch mal ausbrechen und etwas Neues ausprobieren. Ich habe seit Beginn meiner Karriere immer französische Musik gesungen, «französischen Belcanto», wie ich das nenne. Manche Stücke von Gounod, Bizet oder Massenet sind für mich klar Belcanto. Sie entstanden in der gleichen Epoche wie die Werke der italienischen Belcanto-Meister und verlangen die gleiche Art zu singen. Natürlich ist Berlioz nicht Belcanto im engen Sinn, aber es kommt immer darauf an, wie man etwas macht. Heute tendiert man dazu, Berlioz bombastisch aufzuführen. Wenn man z.B. das Orchester mit hundert Leuten besetzen würde, wäre das zu laut für mich, und ich glaube nicht, dass das Berlioz' Intentionen entspricht. Maestro Gardiner hat mich überzeugt, diese Rolle zu singen, und ich dachte mir, mit ihm zusammen wäre es möglich, zu einem ganz anderen Berlioz-Verständnis zu gelangen.
Es geht um eine andere Sichtweise: statt wagnerianisch soll es französisch klingen. Französische Musik ist viel eher für Beicanto- als für Verdi-Tenöre geschrieben, sie ist viel delikater, viel zarter. Die beiden Duette mit Teresa z.B. sind sehr fein und müssen dementsprechend interpretiert werden. Diese Überlegungen brachten mich schliesslich zur Überzeugung, dass ich das singen kann. Die Partie zu lernen war sehr schwierig. Erstens muss man sich enorm viel Text merken - beim Beicanto reichen wenige Worte für viele Noten -, ausserdem ist es fast unmöglich, für sich allein am Klavier die Ensembles lernen zu wollen, wenn die Kollegen noch nicht dabei sind, Ausserdem liegt die Tessitura für einen Belcanto-Tenor ungewöhnlich tief, da muss man aufpassen, dass die Stimme nicht zu schwer wird und sich die wenigen hohen Töne organisch einfügen. Reizvoll ist die Partie des Helden Cellini vor allem, weil diese Figur um einiges komplexer ist als die meisten der «Belcanto-Liebhaber»: Einerseits gemarterter Künstler, andererseits ternperamentvoller Liebender, ist er dochterechnend genug, sein Genie und seine manipulative Geschicklichkeit einzusetzen, um sich vom Papst und der Gesellschaft zu emanzipieren.
Chiara Taigi ist vor neun Jahren, als sie noch am Anfang ihrer Karriere stand, in der Tonhalle in einem Konzert mit Opernarien aufgetreten und kommt nun zum erstenmalans Opernhaus dieser «città magica», wie sie sagt. Sie hat mit Rossini angefangen, singt unterdessen Desdemona und Lucrezia Foscari -Partien, die ihr persönlich sehr nahe stehen und ihr die grossen Bühnen geöffnet haben - und fügt mit Berlioz' Teresa eine weitere Facette zu ihrem Repertoire.
Ich habe hier das Glück, mit grossartigen Partnern zusammenarbeiten zu können, allen voran Gregory Kunde, ein richtiger Gentleman und wunderbarer Bühnenkollege. Auch unter Maestro Gardiner zu singen, war für mich immer ein Traum. Berlioz' Musik ist wunderbar, ich habe sie mit Les Nuits d'été kennengelernt, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie so komplex und schwierig ist. Benvenuto Cellini ist ein sehr kurzweiliges Werk. Die Melodien sind zwar nicht so eingängig, dass man sich nach dem ersten Mal Hören unbedingt an sie erinnern könnte, und die Harmonien sind z.T. äusserst schwierig, aber die Musik reisst das Publikum sofort mit und ermöglicht ihm den Zugang zum Werk. Es ist wie im Kino, die Musik wirkt wie ein Filmsoundtrack: Benvenuto Cellini ist eigentlich keine Oper, sondern ein Monumentalfilm. Teresa ist eine moderne Frau, sie liebt und nimmt dadurch in Kauf, ihren Vater zu enttäuschen. Sie hat viele Gesichter, ist fröhlich, unbekümmert, liebevoll, liebend, dann ängstlich und pessimistisch. «Benvenuto Cellini» ist ein schwieriges Werk. Wir interpreten sind als Sänger und als Schauspieler gleichermassen gefordert, aber ich habe sofort eine grosse Liebe dazu entwickelt, eigentlich eine Hass-Liebe. Man träumt nachts noch von der Cellini-Musik...
Liliana Nikiteanu ist nach ihren kürzlichen Erfolgen als Marguerite in Bertioz' La Damnation de Faust und Massenets Thérèse wieder einmal in einer Hosenrolle zu sehen.
Ascanio ist eine Art Schatten Cellinis. Wie Nicklausse für Hoffmann oder Gemini Grille für Pinocchio ist er das Gewissen seines Meisters. Er bringt Cellini immer wieder auf den wesentlichen Punkt und erinnert ihn an seine Pflicht, die Statue zu vollenden, allen Umständen zum Trotz. Berlioz, wie französische Musik generell, gefällt mir sehr gut. Es ist ein Fach für sich, kein einfaches zwar - das typische französische Raffinement zu treffen ist schwierig -, aber ich entdecke gerne immer wieder neue Rollen. Im Gegensatz zu La Damnation de Faust gibt es in Cellini wenig «Ohrwürmer», wenig grosse Melodiebögen. Man muss sich mit der Musik eingehender beschäftigen, damit man sie mag. Aber die Regie von David Pountney hilft, die Musik richtig zu hören und zu verstehen. Sie nimmt die Musik auf und spinnt einen roten Faden durch das Stück, angefangen vom Bühnenbild bis zur Regiekonzeption.
In der einen Arie bezieht Ascanio sein Selbstgespräch nicht auf sich selbst, sondern projiziert es auf Cellini, und so bekommt es plötzlich einen neuen Sinn. Solche Ideen machen die Oper interessanter und kurzweiliger. Für mich ist es sehr wichtig, den historischen Hintergrund eines Werks zu kennen. Zudem müssen alle Begriffe geklärl werden, man muss genau wissen, was mar singt. Das hilft sowohl beim Lernen der Partie als auch auf der Bühne. Da kann man sich nich verstecken, Cellini ist eine schwierige Oper sie ist voller «Schmeissstellen», wie man sagt. Wenn man nicht hundertprozentig konzentrier ist, geht es nicht. Daneben muss das Spiel au der Bühne zum Reflex werden, das muss automatisch kommen, damit man sich voll auf di Musik konzentrieren kann.
Thomas Mohr debütiert nach Eumete in Monteverdis Il Ritorno d'Ulisse in Patria nun als Cellinis Rivale Fieramosca.
Fieramosca ist ein armer «Looser». Er hat keinen Job mehr, er verliert seine Frau - und bricht sich auch noch die Rippe. Das ist mir bei den Proben passiert. Wir haben ein Bild ziemlich oft probiert, und beim 12. Mal ist mir die Leiter halt weggerutscht. Ich konnte mich Gott sei Dank mit einer Hand festhalten, bin aber mit dem Körper gegen eine Stange geprallt und habe mir dabei eine Rippe angeknackst. Aber das passt irgendwie zu Fieramosca. Er ist ein ziemlich aufgeblasener Feigling, er kämpft nie wirklich, sondern redet nur immer davon und kneift dann. Mein Kostüm wird diese eitle, extrovertierte Art des Fieramosca noch unterstützen: Es ist sehr gockelhaft und existiert in drei farblich verschiedenen Versionen. Ich hätte meine Rolle nicht so interessant erwartet, aber nachdem wir nun schon seit einigen Wochen proben, sind alle meine Zweifel verflogen.
Pountney inszeniert sehr logisch, er bringt eine tolle Geschichte auf die Bühne und zeigt einem die richtige Richtung. ich habe lange gezögert, diese Rolle anzunehmen, weil ich ein bisschen Angst davor hatte, dem Stück nicht gerecht zu werden, denn anfangs hat mir das Französisch grosse Schwierigkeiten bereitet. Es ist auch nicht leicht, den richtigen humoristischen Ton zu treffen. Man darf nicht auf Klamotte spielen, sondern muss den Humor seriös umsetzen. Aber sobald man das Werk besser kennt, wird vieles leichter. Letztendlich hat mich diese Partie gereizt, weil sie in mein Repertoire passt. Erstens erarbeite ich gerne Stücke, die selten aufgeführt werden, und zweitens liegen mir Rollen, die einen Zwischenfach-Sänger erfordern, also sowohl von Tenören wie auch von Baritonen gesungen werden können. Solche Partien erfordern eine helle und leichte Höhe und eine durchsichtige Gestaltung der Musik. Die Partie des Fieramosca ist für einen BOton sehr hoch notiert, eigentlich genau im Bereich dieses sogenannten «Bariton-Martin», zu dem hin ich mich immer mehr entwickle.
Alfred Muff tritt erstmals in einer Berlioz-Oper auf.
Benvenuto Cellini gefällt mir musikalisch sehr gut, vor allem sind es die Ensembles, die das Stück interessant machen und von denen es lebt - neunzig Prozent sind Ensembles, z.T. zusätzlich mit Chor-, sie zeichnen die Situationen und Stimmungen sehr genau und wirkungsvoll nach. Zwar sind die Partien sehr schwer zu lernen, viel Text ist zu bewältigen, der schnell und deutlich gesprochen werden muss, aber die Wirkung, die damit erzielt werden kann, ist stark. Balducci ist päpstlicher Schatzmeister und autoritärer Vater, der die Tochter nach seinem Willen verheiraten will. Wo es um Erfolg geht, ist er dabei. Er ist opportunistisch, zuweilen jähzornig und auch schnell mit dem Stock zur Hand. Wenn er väterlich reagiert, dann eher aus Pragmatismus: Als sich der - erst unwillkommene - Liebhaber der Tochter als bester Künstler etablieren kann, ist er ihm als Schwiegersohn schliesslich doch genehm.
Nicolai Ghiaurov [BIO AUF DEUTSCH] debütiert als Medici-Papst Klemens VII. Mehr Herrscher und Geschäftsmann als Heiliger Vater, ist er nur daran interessiert, die schönste Statue der Zeit, vom besten Bildhauer geschaffen, zu besitzen. Das macht ihn bestechlich, was Cellini auch reichlich ausnützt. Für Mord und Entführung interessiert sich der Papst nicht, aber als Cellini das Modell des Perseus zerstören will und sich gegen ihn auflehnt, droht er ihm mit dem Tod. Schliesslich erteilt er ihm Absolution für alle Vergehen und führt Cellini dessen Geliebte Teresa zu.
Boguslaw Bidzinski und Reinhard Mayr leiten als Francesco und Bernardino Cellinis Atelier im Kolosseum mit über einem Dutzend Mitarbeitern, und Kenneth Roberson verleitet als Pompeo seinen Freund Fieramosca dazu, wie Cellini als Mönch verkleidet im Trubel des Karnevals dem Rivalen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Martin Zysset hat als Wirt die Gelegenheit, sein Faible für komödiantische Kabinettstücke auszuspielen.